Begriff des „Unfalls“ bei Reise-​Rücktrittsversicherung

AG Peine: Begriff des „Unfalls“ bei Reise-​Rücktrittsversicherung

Eine Reisende musste aufgrund einer Reifepanne bei der Anfahrt eine gebuchte Reise stornieren und forderte hierfür die Auszahlung der zuvor abgeschlossenen Reiserücktrittsversicherung.

Das Amtsgericht Peine wies die Klage ab, da der Reifenschaden keinen Unfall und somit keinen Versicherungsfall darstellte.

AG Peine 5 C 523/14 (Aktenzeichen)
AG Peine: AG Peine, Urt. vom 30.04.2015
Rechtsweg: AG Peine, Urt. v. 30.04.2015, Az: 5 C 523/14
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Amtsgericht Peine

1. Urteil vom 30. April 2015

Aktenzeichen 5 C 523/14

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Leitsatz:

2. Eine Reifenpanne stellt keinen Unfall als Reiserücktrittsversicherungsfall dar, da es sich nicht um ein von außen auf die Gesundheit des Versicherten einwirkendes, schweres Ereignis handelt.

Zusammenfassung:

3. Eine Reisende musste aufgrund einer Reifenpanne auf der Anfahrt zur Fähre eine gebuchte Reise nach Bornholm abbrechen. Sie forderte deswegen die Auszahlung der zuvor abgeschlossenen Reiserücktrittsversicherung und argumentierte, die Panne stelle einen Unfall dar.

Das Amtsgericht Peine folgte der Auslegung der Klägerin nicht. Demnach sei unter einem Unfall ein schwerwiegendes, äußeres Ereignis zu verstehen, das eine Gesundheitsschädigung der versicherten Person nach sich ziehe. Vorliegend war keine der Anforderungen durch den Reifenschaden erfüllt, sodass kein Versicherungsfall vorlag.

Tenor:

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die klägerische Partei darf die Vollstreckung durch die beklagte Partei abwenden gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des aus dem Urteil insgesamt vollstreckbaren Betrages, sofern nicht zuvor die beklagte Partei Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

5. Die Klägerin begehrt Leistungen aus einer Reise-​Rücktrittsversicherung.

6. Die Klägerin schloss mit dem Reiseveranstalter … einen Reisevertrag ab über eine Reise auf der Insel Bornholm für die Zeit vom 07.09. bis 13.09.2014. Zu den Einzelheiten wird auf die Reisebestätigung des Reiseveranstalters vom 04.08.2014 Bezug genommen (Bl. 25 d. A.). Die Klägerin schloss zugleich bei der Beklagten eine Reise-​Rücktrittsversicherung ab, aufgrund derer Versicherungsschutz bestand für die Reise auf Bornholm nach Maßgabe der Versicherungsbedingungen für die Reiseversicherung VB-​TAS 2011/U (Anlage zum klägerischen Schriftsatz vom 05.01.2015, Bl. 15-​17 d. A. und Anlage B 2, Bl. 27 d. A.). Zur Reise-​Rücktrittsversicherung ist in den Versicherungsbedingungen unter Teil B, A. als § 1 u.a. folgendes geregelt:

7. „§ 1 Beschreibung des Versicherungsschutzes

8. Der Versicherer ist im Umfang von § 2 (Anzahl der Personen) und § 3 (Schadenarten) sowie unter Berücksichtigung der Einschränkungen des § 4 (Einschränkungen des Versicherungsschutzes) leistungspflichtig, wenn während der Dauer des Versicherungsschutzes eines der nachstehend genannten versicherten Ereignisse eingetreten ist:

1.

9. Versicherungsschutz für versicherte Personen oder Risikopersonen:

a)

10. unerwartete schwere Erkrankung,

b)

11. Tod, schwerer Unfall, Schwangerschaft, Impfunverträglichkeit. Nicht versichert ist jedoch ein Impfversagen oder ein zu geringer Aufbau eines für das Reiseland vorgeschriebenen Antikörperwertes.

c)

12. Bruch von Prothesen und Lockerung von implantierten Gelenken.

2.

13. Versicherungsschutz für versicherte Personen:

…“

14. Am 07.09.2014 fuhr die Klägerin mit ihrem Ehemann per Pkw nach Rügen, um von dort mit der Fähre um 13:30 Uhr nach Bornholm zu fahren, um dort die gebuchte Reise anzutreten. Auf der Insel Rügen platzte vor dem Erreichen der Fähre der rechte Hinterreifen des Pkw und die Klägerin bat den ADAC Pannendienst telefonisch um Hilfe. Am selben Tag stornierte die Klägerin die Reise und trat diese nicht an. Der Reiseveranstalter berechnete ihr Stornokosten in Höhe von 2.170,00 €.

15. Die Klägerin behauptet, aufgrund der Zeitverzögerung durch die Reifenpanne die Fähre nach Bornholm verpasst zu haben und dass sie erst wieder mit der nächsten Fähre zwei Tage vor dem letzten Reisetag nach Bornholm habe fahren können.

16. Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verur­teilen, an sie 2.170,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent­punkten über dem Basis­zinssatz seit dem 16.10.2014 zu zahlen und

die Beklagte zu verur­teilen, an sie die außer­ge­richtlich entstan­denen Rechts­an­walts­kosten in Höhe von 334,75 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent­punkten über dem Basis­zinssatz gemäß § 247 BGB seit Rechts­hän­gigkeit zu zahlen.

17. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

I.

18. Die Klage ist unbegründet.

1.

19. Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung von 2.170,00 € aus der Reise-​Rücktrittsversicherung zu.

20. Die Beklagte ist aus der Reise-​Rücktrittsversicherung verpflichtet, bei Nichtantritt/Stornierung der Reise für die von der versicherten Person vertraglich geschuldeten Stornokosten eine Entschädigung zu leisten, wenn während der Dauer des Versicherungsschutzes eines der in § 1 der Versicherungsbedingungen zur Reise-​Rücktrittsversicherung genannten versicherten Ereignisse eingetreten ist (§ 3 Ziffer 1 i. V. m. § 1 Versicherungsbedingungen Teil B, A. Reise-​Rücktrittsversicherung). Dies ist nicht der Fall.

21. Ein versichertes Ereignis ist nicht eingetreten. Der Reifenplatzer während der Anreise ist kein schwerer Unfall nach § 1 Ziffer 1 lit. b der Versicherungsbedingungen zur Reise-​Rücktrittsversicherung.

a)

22. Ein Unfall im Sinne der streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen zu der Reise-​Rücktrittsversicherung setzt jedenfalls voraus, dass eine versicherte Person durch ein äußeres Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Diese Definition folgt aus der Auslegung der Versicherungsbedingungen nach den §§ 133, 157 BGB.

23. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an. Verbindet allerdings die Rechtssprache mit dem verwendeten Ausdruck einen festumrissenen Begriff, ist anzunehmen, dass darunter auch die Versicherungsbedingungen nichts anderes verstehen wollen. Ausgangspunkt der Auslegung ist der Klauselwortlaut (BGH, VersR 2003, 236). Es ist indes nicht maßgeblich, was sich der Verwender der Bedingungen bei ihrer Abfassung vorgestellt hat. Die Entstehungsgeschichte der Bedingungen hat bei der Auslegung außer Betracht zu bleiben, weil der Versicherungsnehmer diese typischerweise nicht kennt (BGH, VersR 2003, 1163).

24. Den Begriff des „Unfalls“ in § 1 der Versicherungsbedingungen zur Reise-​Rücktrittsversicherung muss nach den genannten Auslegungskriterien ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer so verstehen, dass ein Unfall wie in der gesetzlichen Legaldefinition in § 178 Abs. 2 VVG zur Unfallversicherung und nach dem anerkannten Unfallversicherungsbegriff zur Krankenversicherung voraussetzt, dass ein äußeres Ereignis auf eine versicherte Person eingewirkt hat. Diese Definitionselemente gelten auch für den Unfallbegriff in der Reise-​Rücktrittsversicherung. Denn Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ihrem dem Versicherungsnehmer erkennbaren Sinnzusammenhang auszulegen (BGH, VersR 2003, 236).

25. Nach dem Wortlaut des § 1 der Versicherungsbedingungen zur Reise-​Rücktrittsversicherung gilt der Versicherungsschutz ausdrücklich für „versicherte Personen oder Risikopersonen“ und ist damit mit den Versicherungssparten Unfallversicherung und Krankenversicherung vergleichbar. Auch die in § 1 unter Ziffer 1 genannten versicherten Ereignisse (z.B. Erkrankung) offenbaren dem um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer, dass der Begriff „Unfall“ sich auf eine Person bezieht und wie in der Krankenversicherung eine Ergänzung des Versicherungsschutzes zu ähnlichen Ereignissen“ wie eine Erkrankung bewirken soll. Das versicherte Ereignis „schwerer Unfall“ ist zudem mit den Alternativen „Tod“, „Schwangerschaft“ und „Impfunverträglichkeit“ in Ziffer 1 lit. b des § 1 der Versicherungsbedingungen zur Reise-​Rücktrittsversicherung genannt; alles Ereignisse, die wie eine Erkrankung ausschließlich Personen betreffen können und nicht Sachen.

26. Für die Personenversicherung setzt der Unfallbegriff sowohl ein äußeres Ereignis als Ursache voraus und zum anderen als Folge des äußeren Ereignisses eine Gesundheitsstörung bzw. Einwirkung auf den Körper der versicherten Person. Für die Unfallversicherung ist der Unfallbegriff in § 178 Abs. 2 VVG dahin definiert, dass ein Unfall vorliegt, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Für die Krankenversicherung gilt diese Definition nicht, allerdings wird der Unfallbegriff in dieser Versicherungssparte dahin definiert, dass ebenfalls ein äußeres Ereignis die Ursache einer Gesundheitsstörung sein muss (vgl. Prölls/ Martin, VVG, 28. Auflage, § 192 Rd.-​Nr. 43).

b)

27. Diese Voraussetzungen sind bei der von der Klägerin dargelegten Reifenpanne nicht gegeben.

aa)

28. Es fehlt bereits an einem äußeren Ereignis als Ursache für den Reifenplatzer. Denn die Klägerin hat lediglich vorgetragen, dass der rechte Hinterreifen ihres PKW bei der Anreise zur Fähre geplatzt sei, nicht aber die Ursache dafür. Sie hat trotz des gerichtlichen Hinweises keine Tatsachen vorgetragen, nach denen ein äußeres Ereignis vorliegen müsste. Es ist ebenso möglich, dass statt einer Ursache von außen, eine „innere“ Ursache wie z.B. ein Materialfehler oder Verschleiß vorgelegen hat.

bb)

29. Darüber hinaus fehlt es an einer körperlichen Einwirkung auf eine versicherte Person, da der Reifenplatzer nach dem Vortrag des Klägers nur zu einer Panne geführt habe und der Nichtantritt der Reise auf einer Verzögerung durch die erforderliche Reparatur beruhe.

cc)

30. Im Übrigen war der Reifenplatzer kein „schweres Ereignis“, da dieser (nur) zu einer Reifenpanne geführt hat. Versichert ist nach § 1 Ziffer 1 lit. b der Versicherungsbedingungen zur Reise-​Rücktrittsversicherung indes nicht jeder Unfall, sondern nur ein schwerer. Es kommt dabei nicht darauf an, ob die Folge des Ereignisses (Verpassen der Fähre) schwer gewogen hat, sondern allein, ob der (hier bereits nicht gegebene) Unfall als solcher schwer gewesen ist.

2.

31. Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten besteht mangels Hauptanspruches nicht.

II.

32. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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