Keine Ausgleichszahlung da nur Verspätung und keine Annullierung

AG Charlottenburg: Keine Ausgleichszahlung da nur Verspätung und keine Annullierung

Ein Fluggast forderte eine Ausgleichszahlung wegen einer Annullierung. Die Klage wurde in zwei Instanzen abgewiesen, da der Flug lediglich verspätet und nicht ersatzlos gestrichen worden war.

AG Charlottenburg 211 C 54/06 (Aktenzeichen)
AG Charlottenburg: AG Charlottenburg, Urt. vom 29.03.2007
Rechtsweg: AG Charlottenburg, Urt. v. 29.03.2007, Az: 211 C 54/06
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Amtsgericht Berlin-Charlottenburg

1. Urteil vom 29. März 2007

Aktenzeichen 211 C 54/06

Leitsatz:

2. Eine Annullierung liegt vor, wenn ein geplanter Flug ersatzlos gestrichen wird.

Zusammenfassung:

3. Ein Fluggast forderte eine Ausgleichszahlung wegen der Annullierung seines Fluges. In erster Instanz wurde die Klage abgewiesen, woraufhin der Kläger Berufung einlegte.

Das Gericht wies die Berufung als unbegründet zurück. Demnach hatte der Kläger keinen Anspruch auf eine Ausgleichsleistung nach Art. 7 VO (EG) Nr. 261/2004, weil der Flug nicht annulliert worden, sondern lediglich um 5 Stunden verspätet war. Das erkannte das Gericht an der Einheit von Flugnummer, Flugzeug und Passagierliste. Annullierung setzt jedoch voraus, dass ein geplanter Flug ersatzlos gestrichen wird.

Tenor:

4. Die Berufung der Kläger gegen das am 28.09.2006 verkündete Urteil des Amtsgericht Charlottenburg – 211 C 54/06 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

5. Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen, § 540 Abs. 1 ZPO.

II.

6. Die zulässige Berufung ist unbegründet.

7. Zutreffend hat das Amtsgericht entschieden, dass den Klägern der geltend gemachte Anspruch auf Leistung einer Ausgleichszahlung in Höhe von insgesamt 500,00 € gemäß Art. 5 Abs. 1 c) oder 6 in Verbindung mit 7 Abs. 1 b) VO (EG) Nr. 261/2004, Art. 249 EGV nicht zusteht.

8. Denn die gemäß Art. 5 Abs. 1 c), 7 Abs. 1 b) VO (EG) Nr. 261/2004 für die Leistung einer Ausgleichszahlung vorausgesetzte Annullierung eines Fluges liegt schon nicht vor. Vielmehr hat das Amtsgericht zutreffend erkannt, dass der streitgegenständliche Flug lediglich Verspätung im Sinne des Art. 6 VO (EG) Nr. 261/2004 hatte und damit ein Anspruch auf pauschalen Schadensersatz nach Art. 7 VO (EG) Nr. 261/2004 nicht besteht.

9. Eine Annullierung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 VO (EG) Nr. 261/2004 liegt vor, wenn der gebuchte Flug tatsächlich nicht durchgeführt wird. Dabei wird aus dem Zusammenspiel der Art. 5 und 6 sowie 79 VO (EG) Nr. 261/2004 deutlich, dass eine Verspätung durchaus auch dann vorliegen kann, „wenn die nach vernünftigem Ermessen zu erwartende Abflugzeit” – wie hier – „erst am Tag nach der zuvor angekündigten Abflugzeit liegt” (Art. 6 Abs. 1 ii VO (EG) Nr. 261/2004). Für diesen Fall ist der Anspruch auf Betreuungsleistungen gemäß Art. 9 Abs. 1 b) und c) VO (EG) Nr. 261/2004 (Hotelunterbringung nebst Beförderung dorthin) vorgesehen. Daher müssen andere Abgrenzungskriterien als die Verschiebung der Abflugzeit in den nächsten Tag hinein gefunden werden. Diese hat das Amtsgericht zutreffend in der Identität von Flugnummer, Flugzeug und gebuchten Passagieren gesehen. Denn die tatsächliche Nichtdurchführung eines Fluges setzt voraus, dass dieser Flug ersatzlos gestrichen wird. Hier ist aber unstreitig der gebuchte Flug am nächsten Tag mit einer Verspätung von 5 Stunden und 6 Minuten durchgeführt worden.

10. Hinzu kommt, dass die Beklagte bei einer Annullierung des Fluges verpflichtet gewesen wäre, Unterstützungsleistungen gemäß Art. 8 VO (EG) Nr. 261/2004 anzubieten (Art. 5 Abs. 1 a) VO (EG) Nr. 261/2004), was unstreitig nicht geschehen ist. Keine der Parteien trägt vor, dass den Passagieren angeboten worden wäre, ihnen die Flugscheinkosten zu erstatten oder einen Rückflug zum ersten Abflugort, anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen oder zu einem späteren Zeitpunkt zu organisieren (Art. 8 Abs. 1 a)). Nach dem Vortrag der Kläger wurden die Passagiere über Grund und Länge der Abflugverzögerung im Unklaren gelassen. Wäre demgegenüber klar gewesen, dass der Flug ersatzlos ausfällt, so hätten entsprechend Unterstützungshandlungen angeboten werden können und müssen.

11. Soweit die Kläger mit der Berufung geltend machen, §§ 631 ff. BGB seien nicht anwendbar, da die EG VO Nr. 261/04 lex specialis sei, hätte dies lediglich zur Folge, dass auch ein Anspruch gemäß § 638 Abs. 3 BGB ausschiede.

12. Auch der Hilfsantrag ist unbegründet. Auf die zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts zur Vorlagepflicht im angefochtenen Urteil, die sich die Kammer zueigen macht, wird Bezug genommen. Es besteht keine Veranlassung zu der begehrten Vorabentscheidung. Die Auslegung von Tatsachenfragen oder Sachverhalten und die Subsumtion unter entsprechende Begriffe (Verspätung/Annullierung) kann nicht durch den EuGH vorab entschieden werden. Vielmehr entscheidet der EuGH über Rechtsfragen. Hier geht es aber um Fragen der Rechtsanwendung im Einzelfall. Die Begriffe der Annullierung und der Verspätung sind in der VO (EG) Nr. 261/2004 eindeutig geregelt.

13. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

14. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

15. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 Abs. 2 ZPO. Die Berufung setzt sich mit der vom Amtsgericht für klärungsbedürftig gehaltenen Rechtsfrage der Maßstäbe für eine verspätungsbedingte Mängelgewährleistung gemäß §§ 634 Nr. 3, 638 BGB vor dem Hintergrund der älteren Rechtsprechung zum Begriff der Minderungsansprüche auslösenden erheblichen Verspätung und vor dem Hintergrund der neuen EG VO Nr. 261/04 und ihrem Begriff von der großen Verspätung in keiner Hinsicht auseinander. Vielmehr ist zentraler Angriffspunkt der Berufung die Frage, ob das Amtsgericht die Sache dem Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 234 III EGV hätte vorlegen müssen. Gegen die Bemessung der Minderung durch das Amtsgericht wendet sich die Berufung nicht. Auch im ersten Rechtszug haben die Kläger auf das vom Amtsgericht für klärungsbedürftig gehaltene Rechtsproblem ihre Argumentation nicht gestützt.

16. Jedenfalls hat das Amtsgericht aus zutreffenden und vollkommen überzeugenden Gründen, auf die verwiesen wird, die Vorlage abgelehnt, da die Auslegung des streitigen EU-Rechts offenkundig sei. Das Amtsgericht hat in diesem Punkt alle Argumente zutreffend gewürdigt.

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