Hypothetische Ankunftsverspätung des Ersatzfluges

LG Frankfurt: Hypothetische Ankunftsverspätung des Ersatzfluges

Ein Flugreisender forderte eine Ausgleichszahlung, weil der angebotene und abgelehnte Ersatzflug 7 Stunden verspätet angekommen wäre. Die Forderung wurde abgewiesen, da es auf die tatsächliche und keine hypothetische Verspätung ankam.

LG Frankfurt 2-24 S 141/12 (Aktenzeichen)
LG Frankfurt: LG Frankfurt, Urt. vom 29.11.2012
Rechtsweg: LG Frankfurt, Urt. v. 29.11.2012, Az: 2-24 S 141/12
AG Frankfurt, Urt. v. 31.05.2012, Az: 30 C 2870/11 (24)
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Landgericht Frankfurt am Main

1. Urteil vom 29. November 2012

Aktenzeichen 2-24 S 141/12

Leitsatz:

2. Beim geltend gemachten Anspruch auf eine Ausgleichszahlung für Flugverspätung kommt es auf die tatsächlich vom Fluggast erduldete Ankunftsverspätung und nicht die hypothetische, spätere Landung eines angebotenen, aber abgelehnten Ersatzfluges an.

Zusammenfassung:

3. Der Kläger hatte bei der Beklagten eine mehrteilige Flugreise von Fortaleza in Brasilien über Lissabon und München nach Berlin-Tegel einheitlich gebucht. Die Ankunft am Reiseziel war für den 24.10.2011 um 14.15 Uhr geplant, jedoch startete der erste Flug leicht verspätet, sodass der Kläger seinen Anschluss in Portugal verpasste. Die Fluggesellschaft bot ihm einen Ersatzflug über Brüssel an, mit welchem der Kläger 21.30 Uhr in Berlin angekommen wäre. Dies lehnte er ab und buchte selbstständig einen Ersatzflug, mit dem er nur geringfügig verspätet ankam.

Vor dem Amtsgericht Frankfurt verlangte er die Übernahme der Ticketkosten und eine Ausgleichszahlung für Verspätung. Er vertrat die Ansicht, dass es für die Begründung seines Anspruches auf letztere auf die hypothetische Verspätung ankam, die er mit dem von der Beklagten angebotenen Ersatzflug erlitten hätte. Der Klage wurde aber nur hinsichtlich der Ticketkosten stattgegeben, woraufhin der Kläger in Berufung ging.

Das Landgericht Frankfurt wies die Berufung zurück, denn der Kläger hatte keinen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung gemäß der Fluggastrechteverordnung, denn seine Verspätung am Reiseziel betrug weniger als drei Stunden. Dabei kam es auf die tatsächliche und nicht die hypothetische Ankunftsverspätung an.

Tenor:

4. Die Berufung des Klägers gegen das am 31.05.2012 verkündete Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main, Az. 30 C 2870/11 (24), wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen

Die Revision wird nicht zugelassen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

5. Der Kläger begehrt eine Ausgleichszahlung in Höhe von EUR 600,00 gemäß § 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/01, ABI. Nr. L 46. S. 1 (im Folgenden: FluggastrechteVO) i.V.m. der Rechtsprechung des EuGH zu Ausgleichszahlungen wegen erheblich verspäteter Flüge (NJW 2010, 43ff. bestätigt durch Urt. v. 23.10.2012, Az. C-​581/10 u. C-​629/10, zit. nach juris).

6. Er hatte bei der Beklagten u.a. folgende Flüge gebucht:

7. – 23.10.2011, …, von Fortaleza, Brasilien nach Lissabon, Portugal, Abflug 19.55 Uhr, Ankunft 7.00 Uhr

8. – 24.10.2011, …, von Lissabon nach München, Abflug 8.00 Uhr, Ankunft 12.10 Uhr

9. – 24.10.2011, …, von München nach Berlin/Tegel, Abflug 13.10 Uhr, Ankunft 14.15 Uhr.

10. Der Abflug in Fortaleza erfolgte verspätet, nämlich erst um 20.40 Uhr. Die Ankunft in Lissabon erfolgte nicht vor 7.40 Uhr. Hierdurch verpasste der Kläger seinen Anschlussflug nach München.

11. Von der Beklagten wurde lediglich ein Weiterflug mit … nach Brüssel um 14.55 Uhr und ab Brüssel um 19.30 mit Brüssel Airlines … nach Berlin-​Tegel angeboten.

12. Mit diesem Flug wäre der Kläger erst um 21.30 in Berlin-​Tegel angekommen.

13. Da der Kläger dringend zurück nach Berlin musste, buchte er einen Ersatzflug mit … am 24.10.2011 von Lissabon nach Berlin-​Schönefeld mit Abflug um 10.10 Uhr und Ankunft um 14.35 Uhr. Hierdurch entstanden dem Kläger Kosten in Höhe von 282,99 Euro.

14. Die Fahrzeit vom Wohnort des Klägers zum Flughafen Berlin-​Tegel beträgt 10 Minuten, zum Flughafen Berlin-​Schönefeld 1,5 Stunden. Die Fahrzeit vom Flughafen Berlin-​Schönefeld zum Flughafen Berlin-​Tegel beträgt rund 1 Stunde.

15. Der Kläger ist der Auffassung, dass vorliegend auf die hypothetische Verspätung abzustellen sei, die aufgetreten wäre, wenn er den von der Beklagten angebotenen Ersatzflug angenommen hätte.

16. Das Amtsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Ausgleichszahlung verneint. Jedoch hat es dem Kläger die Kosten für den vom Kläger in Eigenregie gebuchten Ersatzflug in Höhe von 282,99 Euro zugesprochen.

17. Von einer Wiedergabe der tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts und der Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen im Übrigen wird gemäß §§ 540 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

II.

18. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

19. Zutreffend hat das Amtsgericht angenommen, dass der Kläger keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung einer Ausgleichsleistung in Höhe von 600,- Euro gem. Art. 7 FluggastrechteVO hat.

20. Zunächst hat das Amtsgericht auf der Grundlage der ständigen Rechtsprechung der Kammer zur Notwendigkeit einer Abflugverspätung im Sinne von Art. 6 FluggastrechteVO (vgl. Urteile der Kammer vom 01.09.2011, Az. 2-​24 65/11 und vom 05.01.2012, Az. 2-​24 S 145/11, zit. nach juris) zutreffend ausgeführt, dass eine solche vorliegend nicht gegeben ist.

21. Letztlich kann diese Frage jedoch auch dahinstehen und bedarf auch im Hinblick auf das aktuelle Urteil des EuGH vom 23.10.2012, Az. C-​581/10 u. C-​629/10, zit. nach juris, keiner näheren Erörterung.

22. Zutreffend hat das Amtsgericht, auch wenn es es letztlich hat dahinstehen lassen, ausgeführt, dass vorliegend auch nicht von einer relevanten Ankunftsverspätung im Sinne der EuGH-​Rechtsprechung (NJW 2010, 43ff. bestätigt durch Urt. v. 23.10.2012, Az. C-​581/10 u. C-​629/10, zit. nach juris) auszugehen ist.

23. Nach der Rechtsprechung des EuGH (zuletzt Urt. v. 23.10.2012, Az. C-​581/10 u. C- 629/10, zit. nach juris) gilt:

24. „Die Art. 5 bis 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Falt der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 sind dahin auszulegen, dass den Fluggästen verspäteter Flüge ein Ausgleichsanspruch nach dieser Verordnung zusteht, wenn sie aufgrund dieser Flüge einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, d. h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der vom Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen.“

25. Der EuGH hat weiterhin im Urteil vom 23.10.2012 unter Ziffer 34 ausgeführt:

26. „Es ist aber davon auszugehen, dass sich die Fluggäste verspäteter Flüge und die Fluggäste annullierter Flüge im Hinblick auf die Ausgleichsleistung nach der Verordnung Nr. 261/2004 in einer vergleichbaren Situation befinden, da sie ähnliche Unannehmlichkeiten hinnehmen müssen, nämlich einen Zeitverlust von mindestens drei Stunden gegenüber der ursprünglichen Planung ihres Fluges (vgl. Urteil Sturgeon u. a., Randnr. 54).“

27. Aus den Erwägungen des EuGH lässt sich unzweifelhaft entnehmen, dass für eine relevante Ankunftsverspätung von mindestens drei Stunden selbstverständlich eine tatsächliche Ankunftsverspätung von mindestens drei Stunden vorgelegen haben muss. Eine bloße hypothetische Ankunftsverspätung von mindestens drei Stunden, wie sie der Kläger unter Zugrundelegung des von der Beklagten angebotenen Ersatzflugs geltend macht, ist nicht ausreichend.

28. Die Ausgleichszahlung soll nämlich ja gerade die „immaterielle“ Unannehmlichkeit des Zeitverlusts ausgleichen, die der Fluggast erleidet, wenn er drei Stunden oder mehr verspätet am Endziel ankommt.

29. Genau diese Unannehmlichkeit des Zeitverlusts von drei Stunden oder mehr ist beim Kläger gerade nicht eingetreten.

30. Geplante Ankunft in Berlin-​Tegel mit dem ursprünglich gebuchten Flug war 14.15 Uhr. Mit dem vom Kläger selbst gebuchten Ersatzflug erfolgte die Ankunft in Berlin-​Schönefeld um 14.35 Uhr. Insoweit lag die tatsächliche Verspätung bei lediglich 20 Minuten.

31. Zwar ist es zutreffend, dass das Endziel des ursprünglich gebuchten Flugs der Flughafen Berlin-​Tegel war und die tatsächliche Ankunft mit dem Ersatzflug auf dem Flughafen Berlin-​Schönefeld erfolgte.

32. Im Rahmen der Prüfung der notwendigen tatsächlichen Ankunftsverspätung von mehr als drei Stunden ist dies jedoch nicht wesentlich.

33. Wie bereits ausgeführt ist lediglich wesentlich, dass der Fluggast die Unannehmlichkeit des erheblichen Zeitverlusts hinnehmen muss. Selbst unter Berücksichtigung des abweichenden Zielflughafens liegt ein relevanter Zeitverlust von mindestens drei Stunden nicht vor. Um vom Flughafen Berlin-​Schönefeld zum Flughafen Berlin-​Tegel zu gelangen benötigt man rund eine Stunde. Danach ergäbe sich eine Verspätung am Flughafen Berlin-​Tegel von rund 1 Stunde 30 Minuten. Auch unter Berücksichtigung der Fahrzeit zum Wohnort des Klägers ergibt sich nichts Anderes. Von Berlin-​Tegel benötigt der Kläger 10 Minuten und von Berlin-​Schönefeld aus 1 Stunde 30 Minuten. Auch danach beläuft sich der Zeitverlust auf noch weit unter drei Stunden.

34. Zwar ist es sicherlich zutreffend, dass die in Eigenregie vorgenommene Buchung eines früheren Ersatzfluges auch eine Unannehmlichkeit darstellt. Jedoch wird die Ausgleichszahlung eben nicht für diese Unannehmlichkeit gewährt sondern für die tatsächliche Verspätung am Endziel von mindestens drei Stunden.

35. Nach all dem liegt vorliegend keine relevante tatsächliche Ankunftsverspätung von mindestens drei Stunden im Sinne der oben genannten EuGH-​Rechtsprechung vor.

36. Da eine solche nicht vorliegt, kann der Kläger auch keine Ausgleichsleistung beanspruchen.

37. Nach all dem war die Berufung zurückzuweisen.

III.

38. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO.

39. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 II ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes als Revisionsgericht.

40. Die vorliegend entscheidungserhebliche Frage des Vorliegens einer Ankunftsverspätung von mindestens drei Stunden ist durch den EuGH bereits entschieden. Wie bereits oben ausgeführt, hat der EuGH unzweifelhaft ausgeführt, dass es sich um eine tatsächliche Ankunftsverspätung und nicht nur um eine bloße hypothetische handeln muss. Einerweiteren Vorlage an den EuGH bedarf es nicht. Insoweit bedarf aus diesem Grunde auch keiner Revisionszulassung.

41. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung besteht nämlich nicht, nachdem die Beschwer für eine Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 26 Nr. 8 EGZPO nicht erreicht wird.

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