Flugverspätung bei der Lufthansa und Rechtsanwaltskosten

AG Frankfurt: Flugverspätung bei der Lufthansa und Rechtsanwaltskosten

Flugreisende klagten gegen die Lufthansa wegen der Annullierung eines Fluges aufgrund der angeblichen Ankündigung eines Pilotenstreiks.

Das Amtsgericht Frankfurt gestand den Klägern Anspruch auf Schadensersatz zu.

AG Frankfurt 31 C 269/18 (17) (Aktenzeichen)
AG Frankfurt: AG Frankfurt, Urt. vom 20.06.2018
Rechtsweg: AG Frankfurt, Urt. v. 20.06.2018, Az: 31 C 269/18 (17)
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Amtsgericht Frankfurt

1. Urteil vom 20. Juni 2018

Aktenzeichen 31 C 269/18 (17)

Leitsatz:

2. Ein Streik kann nur als ursächlich für die Annullierung eines Fluges und dahingehend als außergewöhnlicher Umstand gelten, wenn der Flug von diesem Streik betroffen ist.

Zusammenfassung:

3. Flugreisende forderten von einer Luftfahrtgesellschaft Schadensersatz wegen der Annullierung eines Fluges. Vor dem Amtsgericht Frankfurt verteidigte sich die Beklagte mit dem Verweis auf außergewöhnliche Umstände. Demnach sei der Flug wegen der Ankündigung eines Pilotenstreiks durch die Gewerkschaft annulliert worden.

Das Gericht entschied, dass keine außergewöhnlichen Umstände vorlagen und gestand den Klägern eine Ausgleichszahlung und die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten zu. In der Begründung heißt es einerseits, dass die Beklagte die umstrittene Streikankündigung nicht zureichend belegt hat und aus dieser auch nicht vervorgegangen sei, dass der FLug zeitlich und personell von dem Streik betroffen sein würde

Tenor:

4. In dem Rechtsstreit

X

gegen

Deutsche Lufthansa AG, vertreten durch Y

wird aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 09.05.2018

für Recht erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger jeweils 600 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.05.2017 zu zahlen und die Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 334,75 EUR zu befreien. lm Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten haben der Kläger zu 1) zu 3/10 und die Beklagte zu 7/10 zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1) haben dieser zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3 zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu 2), 3) und 4) hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

5. Die Kläger buchten eine Luftbeförderung mit der Beklagten. Der Flug von Frankfurt am Main nach New York sollte am 26.11.2016 um 13:30 Uhr starten. Die Beklagte annullierte den Flug am 23.11.2016, ohne dass sie den Klägern eine anderweitige Beförderung anbot.

6. Die Kläger machten rechtsanwaltlich vertreten eine Ausgleichszahlung von je 600 EUR geltend sowie Mehrkosten für einen Ersatzflug. Mahnungen vom April, Mai und Juni 2017 blieben erfolglos.

7. Die Kläger behaupten, die Beklagte sei nicht erreichbar gewesen. Sie behaupten ferner, von der Beklagten mit Nichtwissen bestritten, der Kläger zu 1) habe eine Ersatzbeförderung gebucht, auf der sie befördert worden seien. Er habe für die Ersatzbeförderung 1.076,80 EUR zusätzlich aufgewendet. Den Klägern seien Rechtsanwaltskosten in Höhe von 413.64 EUR entstanden.

8. Die Kläger, die hinsichtlich des Klageantrags zu 6) zunächst Zahlung verlangten, beantragen,

  1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 1) 1.076,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.05.2017 zu zahlen.

  2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 1) 600 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.05.2017 zu zahlen;

  3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 2) 600 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.05.2017 zu zahlen;

  4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 3) 600 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.05.2017 zu zahlen;

  5. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 4) 600 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.05.2017 zu zahlen;

  6. die Beklagte zu verurteilen, die Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 413,64 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.05.2017 freizustellen.

9. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10. Die Beklagte behauptet, die Pilotenvereinigung Cockpit habe die Beklagte und die Medien am 21.11.2016 über einen Streik des fliegenden Personals vom 23.11.2016 bis 26.11.2016 informiert. Es sei nicht nur mit einem Eintagesstreik zu rechnen gewesen. Sie habe, vom Kläger mit Nichtwissen bestritten, den Flug deswegen annulliert. Ihr hätten keine zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Annullierung und ihrer Folgen zur Verfügung gestanden. Die Beklagte erklärt die Anrechnung nach Art. 12 Abs. 1 VO (EG) 261/2004.

Entscheidungsgründe

I.

11. Die mit der nach § 264 Nr. 2 ZPO zulässigen Änderung des Klageantrags zu 6) geführte Klage ist zum Teil begründet.

1.

12. Die Kläger haben jeweils Anspruch auf Zahlung von 600 EUR gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c sublit. m, Art. 7 Abs. 1 lit. c VO (EG) 261/2004.

a)

13. Der Flug der Beklagten wurde hinreichend kurzfristig annulliert, ohne Angebot einer Ersatzbeförderung.

b)

14. Die Beklagte kann sich hinsichtlich der Annullierung nicht mit Erfolg auf einen außergewöhnlichen Umstand gemäß Art. 5 Abs. 3 V0 (EG) 261/2004 berufen. Nach dieser Vorschrift ist ein ausführendes Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 der Verordnung zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Insoweit mag ein Streik zwar ein außergewöhnlicher Umstand sein (vgl. Erwägungsgrund 14 der Fluggastrechte-Verordnung). Der vorgetragene außergewöhnliche Umstand war allerdings nicht kausal für die Annullierung.

15. Bei einem für den 26.11.2016 geplanten Flug kann ein Streik nur dann kausal die Annullierung auslösen, wenn der Flug von diesem Streik auch betroffen ist; wobei dahinstehen kann, ob es auf eine konkrete Betroffenheit durch Streikmaßnahmen ankommt, oder ob bereits eine mittelbare Betroffenheit als Folge genügt, beispielsweise weil ein Vorflug im Umlaufverfahren bestreikt wird.

16. Hier lag keine Kausalität des Streiks vor, weil die Beklagte die Annullierung am 23.11.2016 vornahm und damit zu einem Zeitpunkt, als noch offen war, ob es auch am 26.11.2016 zu Streikmaßnahmen kommen würde.

aa)

17. Die Behauptung der Beklagten, bereits am 21.11.2016 habe es eine Streikankündigung für den 23.11.2016 bis 26.11.2016 gegeben, ist nicht erwiesen.

18. Der angebotene Sachverständigenbeweis ist zur Beweisführung untauglich. Der Sachverständigenbeweis dient dazu, dem Richter allgemeine Erfahrungssätze oder besondere Kenntnisse des jeweiligen Wissensgebietes zu vermitteln oder aufgrund von Erfahrungssätzen oder besonderen Fachkenntnissen Schlussfolgerungen aus einem feststehenden Sachverhalt zu ziehen (BGH NJW 2007, 2122 (Tz. 21); MDR 1974, 382). Er dient regelmäßig nicht der Ermittlung von Tatsachen, es sei denn hierzu bedarf es besonderer Sachkunde (Huber, in: Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl. 2018, § 402 Rn. 1).

19. Ob die Pilotengewerkschaft die Beklagte und die Medien entsprechend informierte, ist hinsichtlich einer Information der Beklagten eine Tatsache, die grundsätzlich mit Zeugen, Urkunden odern Inaugenscheinnahme ohne besondere Sachkunde bewiesen werden kann. Es handelt sich um einen tatsächlichen Vorgang, der sich in der Wahrnehmungssphäre der Beklagten vollzogen haben müsste. Das gehört nicht zu dem Aufgabenbereich eines Sachverständigen.

20. Was die Information der Medien betrifft, ist auch dies eine Tatsache, die grundsätzlich genauso bewiesen werden kann. Im Übrigen steht das Gegenteil einer solchen Information der Medien wegen Offenkundigkeit fest (§ 291 ZPO). Offenkundig sind Tatsachen unter anderem, wenn sie allgemeinkundig sind. Das sind Ereignisse oder Zustände, die von einer beliebigen Zahl von Personen ohne besondere Sachkunde jederzeit wahrgenommen werden können, sei es unmittelbar, sei es durch Zugriff auf allgemein zugängliche, zuverlässige Quellen (Bacher, in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, Stand 01.03.2017, § 291 Rn. 3). Typische Informationsquellen für allgemeinkundige Tatsachen sind insbesondere jedermann zugängliche wissenschaftliche Nachschlagewerke, Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk, Fernsehen, Fahrpläne, Kalender usw. (Prütting, in: MK-ZPO, 5. Aufl. 2016, § 291 Rn. 6). Entsprechend sind ein Beispiel für allgemeinkundige Tatsachen die Ereignisse des Zeitgeschehens (Prütting, a.a.O., Rn. 7). Fragt man nun jedermann zugängliche Medien ab, so findet man beispielsweise folgende Ergebnisse (Abruf 19.06.2018):

21. https://www.vcockpit.de/presse/pressemitteilungen/detailansichtlnewslvereinigung-cockpit-kuendigt-fuer-mittwoch-streik-bei-lufthansa-an.html als eigene Erklärung der Streikpartei vom 21.11.2016: Streik am 23.11.2016

22. https://www.zeit.de/wirtschaft/2016-1 1llufthansa-piloten-wollen-den-ganzen-mittwoch-streiken vom 21.11.2016, 18:31 Uhr: Streik am Mittwoch = 23.11.2016

23.https://www.n-tv.de/wirtschaft/Piloten-streiken-am-Mittwoch-articlel9147221 .html vom 21.11.2016: Streik am Mittwoch = 23.11.2016

24. http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/eil-lufthansa-piloten-streiken-am-mittwoch-1.3260559 vom 21.11.2016, 18:13 Uhr: Streik am Mittwoch = 23.11.2016

25. http://www.deutschlandfunk.deltarifstreit-bei-der-lufthansa-den-forderungemnachzugeben.766.de.html?dram:article_id=372162 vom 23.11.2016: Ausdehnung des Streiks auf morgen = 24.11.2016

26. http://www.faz.netlaktuelllwirtschaft/unternehmen/lufthansa-piloten-streiken-auch-am-donnerstag-14540342.html vom 23.11.2016, 5:31 Uhr: Ausweitung um 24 Stunden auf Donnerstag = 24.11.2016

27. https1//www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/201 6-1 1/lufthansa-tarifstreit-gericht-pilotenstreik i.d.F.v. 23.11.2016, 18:26 Uhr: Streik bis Freitag = 25.11.2016.

28. Eine Mitteilung, die einen Streik bis 26.11.2016 ankündigt, ist weder am 21.11.2016 noch am 23.11.2016 in einer der genannten Quellen erfolgt. Vielmehr ist stets lediglich die Rede von einem Streik zunächst am 23.11.2016. An diesem Tag erfolgten dann bloß Ankündigungen für Ausweitungen auf den 24.11.2016 und schließlich den 25.11.2016.

29. Nichts anderes ergibt sich auch aus dem von der Beklagten vorgelegten Ausdruck der Internetseite streikradar.de (Bl. 53 ff.).

bb)

30. Soweit die Beklagte anführt, es sei nicht nur mit einem Eintagesstreik zu rechnen gewesen, mag dies so sein. Allerdings muss die allenfalls maßgebliche Frage lauten, ob am 23.11.2016 mit einem Streik am 26.11.2016 zu rechnen war, also mit einer Streikdauer von vier Tagen. Das trägt die Beklagte in dieser Form weder vor, noch ist es ersichtlich.

c)

31. Die Höhe der Ausgleichszahlung ergibt sich bei der hier maßgeblichen Entfernung aus Art. 7 Abs. 1 lit. c VO (EG) 261/2004 und beträgt demnach pro Fluggast 600 EUR.

2.

32. Die Kläger haben überdies Anspruch auf Befreiung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Der Anspruch besteht unabhängig von einer Verzugslage jedenfalls nach Art. 5 Abs. 1, Art. 7 VO (EG) 261/2004, § 280 Abs. 1, § 249 Abs. 1, § 253 Abs. 1 BGB.

a)

33. Der verfolgte Ausgleichsanspruch nach Art. 5 Abs. 1, Art. 7 V0 (EG) 261/2004 stellt einen pauschalisierten Schadenersatzanspruch für durch die Annullierung erlittene immaterielle Schäden dar.

aa)

34. Insoweit gründet sich jeweils ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen dem ausführenden Luftfahrtunternehmen und dem Fluggast (tendenziell, aber offenlassend LG Frankfurt am Main RRa 2015, 24 (26)).

35. Die Pflichtverletzung, welche schadenersatzbegründend wirkt, ist die nicht planmäßig durchgeführte Luftbeförderung. Die Beklagte war nach Art. 5 Abs. 1, Art. 7 VO (EG) 261/2004 von Gesetzes wegen gehalten, die Kläger zu befördern, denn die Annullierung führte zur Ausgleichszahlungspflicht. Es ist erklärte Zielsetzung des Verordnungsgebers, die Fluggastrechte zu stärken (Enıvägungsgrund 4) und die Zahl der Flugunregelmäßigkeiten zu senken (vgl. Erwägungsgrund 3, der eine zu hohe Zahl von Nichtbeförderungen, Annullierungen und Verspätungen beklagt). Wo hierzu Maßnahmen im Vorfeld wie die Vereinbarung eines freiwilligen Buchungsverzichts oder eine rechtzeitige Information nicht fruchten, bleibt das Druckmittel der Ausgleichszahlung (vgl. Erwägungsgründe 9 u. 12). Die Fluggastrechte-Verordnung enthält also eine konkludente Pflicht zur hinreichend pünktlichen Beförderung, indem das Luftfahrtunternehmen ansonsten bei Vorliegen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen ausgleichszahlungspflichtig wird.

bb)

36. Der unabhängig von einer konkreten Darlegung erlittener Schäden, Einbußen oder Nachteile zu leistende Ausgleich nach der Fluggastrechte-Verordnung rechtfertigt dessen Einstufung als pauschalisierter Schadenersatzanspruch für immaterielle Schäden.

37. Der Ausgleichsanspruch zielt darauf ab, Ärgernis und Unannehmlichkeiten, die den Fluggästen durch die unplanmäßige Durchführung von Flügen entstehen, zu verringern (Erwägungsgrund 12). Es soll unter anderem der Schaden ausgeglichen werden, der in einem Zeitverlust der betroffenen Fluggäste besteht und der angesichts seines irreversiblen Charakters nur mit einer Ausgleichszahlung ersetzt werden kann (EuGH NJW 2010, 43 (T z. 52)). Es geht also nicht um die Kompensation einer Verringerung des Vermögens des Fluggasts.

38. Doch während Unannehmlichkeiten keine messbare Vermögensdifferenz begründen, sind sie subjektiv empfundene Belastungen. Das fällt in den Bereich des Nichtvermögensschadens, wie etwa die Zeitverlust entschädigende Regelung des § 651f Abs. 2 BGB zeigt. Die Haftung nach VO (EG) 261/2004 ist deshalb eine im Sinne des § 253 Abs. 1 BGB (Schubert, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), Beck0K BGB, Stand 01.03.2011, § 249 Rn. 18), welche immaterielle Schäden kompensiert (ebenso Führich, ReiseR, 7. Aufl. 2015, § 42 Rn. 2 unter Aufgabe der Auffassung, es seien auch materielle Schäden abgedeckt; vgl. auch Maruhn, in: Schmid (Hrsg.), BeckOK FluggastRe-VO, Stand 01.07.2017, Art. 7 Rn. 7).

39. Dem Verständnis als pauschalisiertem Schadenersatzanspruch (so auch EuGH NJW 2006, 351 (Tz. 82); LG Frankfurt am Main, Uıt. v. 05.10.2016 – 2-24 S 222/15; RRa 2007, 81 (82); und wohl auch RRa 2015, 27 (28); Führich, ReiseR, 6. Aufl. 2010, Rn. 1047) für zumindest immaterielle Schäden steht das Urteil EuGH NJW 2013, 671 nicht entgegen. Soweit der EuGH darin im Zusammenhang mit der Prüfung eines Verspätungstatbestandes ausführt, ein Zeitverlust sei kein infolge einer Verspätung entstandener Schaden (Tz. 51), geht es um diese Frage eines Kausalzusammenhangs zwischen Verspätung und Schaden in Abgrenzung zum Anwendungsbereich des Montrealer Übereinkommens (vgl. Tz. 49 f.). Wenn der EuGH feststellt, der erlittene Zeitverlust stelle eine Unannehmlichkeit dar (Tz. 51), ändert das nichts daran, dass Unannehmlichkeiten subjektiv empfundene Belastungen sind, die einen Nichtvermögensschaden bilden.

b)

40. Wer einen Schaden verschuldet, hat alle Aufwendungen zu ersetzen, die bei der gegebenen Sachlage zur Schadensabwendung vernünftig und zweckmäßig schienen, wozu grundsätzlich auch die dem Geschädigten bei der Schadensbeseitigung entstandenen Rechtsanwaltskosten gehören (BGH NJW 1986, 2243 (2244 f.)). Zur vorgerichtlichen Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen darf sich der Geschädigte daher anwaltlicher Hilfe bedienen, wenn dies aus der Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war, wobei keine überzogenen Anforderungen zu stellen sind (BGH NJW 1995, 446 (447)).

aa)

41. Dies kann hier bejaht werden. Die Thematik der Ausgleichszahlungen nach der Fluggastrechte-Verordnung ist hinsichtlich der Rechtsentwicklung noch vielfach im Fluss und bedarf sorgfältiger Einzelfallprüfung, zumal die Anspruchsvoraussetzungen für den Verbraucher, der juristischer Laie ist, nicht einfach zu durchdringen sind. Insbesondere denke man auch daran, dass der Anspruch auf Ausgleichszahlungen bei großen Verspätungen dem Gesetz nicht entnommen werden kann, sondern von der Rechtsprechung begründet wurde (EuGH NJW 2013, 671; EuZ\N 2009, 890). Der Fluggast wird auch nicht stets vorab durchdringen können, was der Grund für die Unregelmäßigkeit war, zumal Luftfahrtunternehmen die Begründung im Nachhinein gelegentlich auch abändern, um etwa die komplexe Frage der Entlastung durch einen außergewöhnlichen Umstand einzuführen. Hier kann daher nicht von einem derart einfach gelagerten Fall gesprochen werden, bei dem die Einschaltung eines Rechtsanwaltes als nicht erforderlich angesehen werden kann.

bb)

42. Zwar meint der der hiesigen Auffassung grundsätzlich wohl zustimmende Bundesgerichtshof (vgl. NJW 2016, 2883 Rn. 21), eine Erstattungsfähigkeit komme nicht in Betracht, wenn das Luftfahrtunternehmen seinen Pflichten nach Art. 14 Abs. 2 VO (EG) 261/2004 genüge getan habe. Hierzu müsse es den Fluggast in die Lage versetzt haben, seinen Anspruch gegenüber dem ausführenden Luftfahrtunternehmen geltend zu machen, ihn also hinreichend klar darüber unterrichtet haben, unter welcher genauen Unternehmensbezeichnung und Anschrift er welchen nach der Entfernung gestaffelten Betrag verlangen kann und gegebenenfalls welche Unterlagen er beifügen soll (a.a.O., Rn. 22).

43. Das vermag nicht zu überzeugen, weil der Fluggast regelmäßig nicht beurteilen können wird, ob der schriftliche Hinweis den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes genügt. Das Risiko nicht einschätzen zu können, ob die Beauftragung eines Rechtsanwalts erforderlich und zweckmäßig und damit einen Schadenersatzanspruch begründend ist, darf nicht zu Lasten des aufgrund einer Pflichtwidrigkeit des Luftfahrtunternehmens mit der Flugunregelmäßigkeit beeinträchtigten Flug- gastes gehen, sondern hat das Luftfahrtunternehmen als diejenige Person zu treffen, die einen Nichtvermögensschaden verursacht hat.

c)

44. Soweit das Landgericht Frankfurt am Main in seinem Urteil vom 28.04.2016 (2-24 S 189/15 (RRa 2016, 236)) die hiesige Auffassung nicht teilte, geschah dies mit dem Argument, der Schadenersatzanspruch folge nicht aus – dem dortigen Sachverhalt entsprechend – Art. 6 Abs. 1 lit. a, Art. 7 Abs. 1 lit. a V0 (EG) 261/2004. Die Verordnung regele keinen pauschalisierten Schadenersatz (a.A. das Landgericht offensichtlich in seinen Urteilen vom 05.10.2016 – 2-24 S 222/15, und vom 05.12.2014 – 2-24 S 66/14 (RRa 2015, 27 (28)), wonach die Ausgleichszahlung pauschal materielle als auch immaterielle Beeinträchtigungen kompensieren soll), sondern bestimme für bestimmte Fälle eine Ausgleichspflicht des ausführenden Luftfahrtunternehmens. Aus der Fluggastrechte-Verordnung könne insofern kein Schadenersatzanspruch hergeleitet werden, der Grundlage für den Ersatz von Schäden außerhalb der in der Fluggastrechte-Verordnung geregelten Leistungen sein könne.

45. Dem ist zwar vollumfänglich zuzustimmen. Es wird allerdings übersehen, dass das Gericht seine Auffassung nicht (nur) auf Art. 5-7 VO (EG) 261/2004 stützt. Die Vorschriften der Fluggastrechte Verordnung dienen lediglich der Begründung des Schuldverhältnisses im Sinne von § 280 Abs. 1 BGB. Dieses Schuldverhältnis enthält die Pflicht zur planmäßigen Beförderung, diese Pflicht wird verletzt, hierdurch hat der Fluggast einen Nichtvermögensschaden, zu dessen Geltendmachung er sich rechtsanwaltlicher Hilfe bedienen darf (die Rechtsfrage nunmehr offenlassend LG Frankfurt am Main, Urt. v. 18.01.2018 – 2-24 S 235/17).

d)

46. Die Rechtsanwaltskosten werden allerdings überhöht berechnet.

47. Nach dem Vorstehenden sind den Klägern nur Ansprüche in Höhe von 2.400 EUR erwachsen. Berechtigte Kosten ergeben sich demnach wie folgt:

48. Gegenstandswert= 2.400 €

49. 1,3 Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG = 261,30 €

50. Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG = 20,00 €

51. Zwischensumme netto = 281,30 €

52. 19% Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG = 53,45 €

53. Gesamtsumme brutto = 334,75 €

e)

54. Nachdem die Kläger nur Befreiung verlangen, kommt es auf eine Zahlung der Rechtsanwaltskosten zur Schadenbegründung nicht an. Eine deswegen aber erforderliche Rechnungstellung gemäß § 10 RVG (st. Dzrspr., zuletzt Urt. v. 23.05.2018 – 31 C 2793/17 (17)) ist konkludent vorgetragen.

f)

55. Dieser Schadenersatz unterliegt nicht der Anrechnung gemäß Aıt. 12 Abs. 1 VO (EG) 261/2004.

56. Die Fluggastrechte-Verordnung gilt gemäß dieser Vorschrift unbeschadet eines weiter gehenden Schadensersatzanspruchs des Fluggastes; die nach dieser Verordnung gewährte Ausgleichsleistung kann auf einen solchen Schadensersatzanspruch angerechnet werden. Erleidet der Fluggast also einen konkreten Schaden, den er nach anderen Rechtsvorschriften geltend machen kann, was durch diese Bestimmung ermöglicht wird (EuGH NJW 2011, 3776 Rn. 38), kann hierauf die Ausgleichszahlung angerechnet werden. Die Ausgleichszahlung soll- unter anderem – Ärgernis und Unannehmlichkeiten, die den Fluggästen durch die Annullierung von Flügen entstehen, verringern (Erwägungsgrund 12). Zugleich zielt Art. 12 Abs. 1 der Verordnung ersichtlich darauf ab, Überkompensationen des Fluggastes zu vermeiden.

57. Soweit diesem Ziel entsprechend die Ausgleichszahlung auf Schadenpositionen angerechnet werden können sollte, die Ausdruck weiterer Unannehmlichkeiten und Komplikationen sind, die durch die Unregelmäßigkeit ausgelöst wurden (vgl. BGH, Beschl. v. 30.07.2013 – X ZR 113/12, Rn. 22 f. (BeckRS 2013, 14699)), so ist bezüglich vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten zur Geltendmachung einer Ausgleichszahlung allerdings festzustellen, dass diese Kosten kein typischer Schaden aus der Unregelmäßigkeit sind. Sie sind nicht unmittelbar auf die Verspätung, Annullierung oder Nichtbeförderung zurückzuführen. Ob sie entstehen, hängt allein davon ob, welches Vorgehen der Fluggast zur Geltendmachung seines Schadenersatzanspruchs wählt. Wenn man dem Fluggast grundsätzlich zubilligt, sich zur Durchsetzung seines Schadenersatzanspruchs rechtsanwaltlicher Hilfe zu bedienen, weil dies erforderlich und zweckmäßig war, will nicht einleuchten, warum derjenige Fluggast schlechter gestellt werden soll, der von diesem Recht Gebrauch macht. Es sei daran erinnert, dass die Fluggastrechte-Verordnung nicht einfach zu handhaben ist. Es dürfte kaum dem von der Fluggastrechte-Verordnung bezweckten Verbraucherschutz entsprechen, den Verbraucher zu benachteiligen, der sich zum Durchsteigen einer gesetzeshandwerklich nicht optimal gestalteten Verordnung rechtsanwaltlicher Hilfe bedient.

58. Mit der Flugunregelmäßigkeit steht dem Fluggast der pauschalisierte Anspruch zu. Wenn er daneben konkrete, durch die Unregelmäßigkeit entstandene Schäden geltend macht, ist es recht und billig, auf diese Schäden eine Anrechnung vorzunehmen. Wenn es aber bei dem pauschalen Anspruch bleibt, fehlt es an einem konkreten Schaden aus der Unregelmäßigkeit. Warum hierzu dann die Rechtsanwaltskosten zählen sollten, die für die Geltendmachung allein eines pauschalisierten Anspruchs anfallen, will sich nicht erschließen (a.A. LG Frankfurt am Main, Urt. v. 18.01.2018 – 2-24 S 235/17).

3.

59. Die Zinsansprüche bestehen nach § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1 BGB, allerdings nicht hinsichtlich des Befreiungsanspruchs. Ein Befreiungsanspruch ist keine Geldschuld im Sinne von § 288, § 291 BGB.

4.

60. Der Kläger zu 1) hat keinen Anspruch auf Zahlung von 1.076,80 EUR, und zwar weder gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. a, Art. 8 Abs. 1 lit. b VO (EG) 261/2004, noch aus vertraglicher Haftung.

61. Es ist nicht unter Beweis gestellt, dass die Kläger an der behaupteten Ersatzbeförderung teilnahmen. Wenn es dadurch an der Teilnahme an einer Ersatzbeförderung fehlt, sind dem Fluggast die Kosten für diese nicht in Anspruch genommene Beförderung nicht zu erstatten. Die Beförderung war dann nicht erforderlich.

ll.

62. Die Kostenentscheidung ergeht nach § 92 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO in Verbindung mit den Grundsätzen der Baumbach’schen Kostenformel.

lll.

63. Die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

IV.

64. Streitwert: 3.476,80 EUR.

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