Flug mit anderer Airline nach Stornierung durch gebuchte Airline

OLG Hamm: Flug mit anderer Airline nach Stornierung

Eine Flugreisende verklagte eine Fluggeselschaft auf Schadensersatz wegen der Annulierung eines Fluges und Kosten, die ihr durch den Erwerb eines neuen Tickets bei einer anderen Airline entstanden.

Sie reichte die Klage am Amtsgericht des Ankunftsortes ein, das sich zunächst für nicht zuständig erklärte, dessen Zuständigkeit jedoch überinstanzlich festgestellt wurde.

OLG Hamm 32 SA 76/16 (Aktenzeichen)
OLG Hamm: OLG Hamm, Urt. vom 09.01.2017
Rechtsweg: OLG Hamm, Urt. v. 09.01.2017, Az: 32 SA 76/16
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Oberlandesgericht Hamm

1. Urteil vom 09. Januar 2017

Aktenzeichen 32 SA 76/16

Leitsatz:

2. Bei einer reinen Flugreise ist der Ankunftsort auch als Erfüllungsort anzusehen.

Zusammenfassung:

3. Ein Fluggast machte Ansprüche gemäß ihrer Fluggastrechte geltend, weil eine Airline einen gebuchten Flug annullierte und sie in der Folge bei einer anderen Fluggesellschaft ein Ticket erwerben musste. Sie reichte ihre Klage am Amtsgericht des Ankunftsortes ein. Dieses erklärte sich jedoch für unzuständig und verwies den Fall an ein zweites Amtsgericht, welches wiederum seine Zuständigkeit nicht gegeben sah.

Dadurch oblag die Zuständigkeitsentscheidung dem Oberlandesgericht Hamm. Dieses stellte die Zuständigkeit des Amtsgerichts am Ankunftsort des Fluges fest, weil dieser als Erfüllungsort anzusehen sei. Daraus ergibt sich der besondere Gerichtstand des Amtsgerichts, den es in seinem Verweisungsbeschluss missachtet hatte.

Tenor:

4. Zuständig ist das Amtsgericht Q.

Gründe:

I.

5. Die Klägerin hat beim Amtsgericht Q Klage erhoben und die Beklagte aus Fluggastrechten in Anspruch genommen: Sie habe ein Ticket für einen Flug der Beklagten am 29.05.2016 von Palma de Mallorca nach Q gehabt. Erst am 28.05.2016 habe sie erfahren, dass die Beklagte diesen Flug storniert habe. Mangels Angebots einer Alternativbeförderung sei sie am 29.05. mit einer anderen Fluggesellschaft geflogen. Sie vertritt die Auffassung, dass ihr deshalb ein Ausgleichsanspruch nach Art. 7 Abs. 1 S. 1 a), Art. 5 Abs. 1 c) VO (EG 261/2014) zustehe.

6. In einer Hinweisverfügung vom 28.09.2016 hat das Amtsgericht Q die Auffassung vertreten, nicht zuständig zu sein. Der Gerichtsstand sei nicht an den Ankunftsort des Fluges als Erfüllungsort anzuknüpfen. Zwar habe der Bundesgerichtshof im Urteil vom 18.01.2011 (X ZR 71/10) entschieden, dass Ausgleichsansprüche nach der FluggastrechteVO auch am Ort der vertragsgerechten Ankunft des Fluges geltend gemacht werden könnten, die Entscheidung sei allerdings nicht einschlägig. Denn obwohl es sich vorliegend um einen Sachverhalt mit Auslandsbezug handele, sei der besondere Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 lit b EuGVVO nicht gegeben, da mit der Beklagten keine Person in einem anderen Staats als ihrem Wohnsitzstaat verklagt werden solle. Deshalb sei allein an den  allgemeinen Gerichtsstand der Beklagten in N anzuknüpfen. Auf diesen Hinweis hat die Klägerin unter Zitierung mehrerer erstinstanzlicher Entscheidungen ausgeführt, dass im Falle der Personenbeförderung im Luftverkehr Abflug und Ankunftsort gleichermaßen als Erfüllungsort anzusehen seien. Hilfsweise hat sie die Verweisung beantragt.

7. Mit Beschluss vom 27.10.2016 hat das Amtsgericht Q sich unter Bezugnahme auf seine Hinweisverfügung, an der es auch angesichts der weiteren Ausführungen der Klägerseite festhalte, für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht N verwiesen. Dieses hat sich im Beschluss vom 10.11.2016 ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und die Sache dem Oberlandesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Die Verweisung durch das Amtsgericht Q sei objektiv willkürlich erfolgt.

8. Die Parteien haben im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren keine Stellungnahme abgegeben.

II.

9. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Verschiedene ordentliche Gerichte, die Amtsgerichte Q und N, haben sich jeweils für unzuständig erklärt. Das Oberlandesgericht Hamm ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO zur Entscheidung berufen, da das im Verhältnis zu beiden Amtsgerichten nächst höhere Gericht der Bundesgerichtshof ist und das im hiesigen befindliche Amtsgericht in Q als erstes mit der Sache befasst war.

10. Für die Entscheidung des Rechtsstreits ist das Amtsgericht Q zuständig.

11. Dies ergibt sich aus § 29 ZPO. Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einem Vertragsverhältnis im Sinne von § 29 ZPO geltend (vgl. hierzu bei der Inanspruchname von Fluggastrechten BGH, Urt. v. 18.01.2011 – X ZR 71/10 – zitiert nach juris, dort Tz. 26). Dies hat das Amtsgericht Q, das sich ausdrücklich auf die vorgenannte Entscheidung des Bundesgerichtshofs bezieht, auch nicht in Abrede gestellt. Erfüllungsort im Sinne von § 29 ZPO ist bei einer reinen Flugreise auch der Zielort des jeweiligen Fluges (vgl. nur Zöller/Vollkommer, 31. Aufl. 2016, § 29 ZPO Rn. 25 „Beförderungsvertrags“ und „Reisevertrag“, jeweils m.w.N.; Musielak/Voit, 13. Aufl. 2016, § 29 ZPO Rn. 32).

12. Eine Zuständigkeit des Amtsgerichts N folgt auch nicht aus dem Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Q, da dieser nicht bindend gemäß § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO ist. Die Bindungswirkung wird zwar nicht schon durch die bloße Unrichtigkeit der Beurteilung der Zuständigkeitsfrage infolge eines einfachen Rechtsirrtums des verweisenden Gerichts in Frage gestellt, wie etwa beim Übersehen eines besonderen Gerichtsstands, der sich nicht aufdrängte und von den Parteien nicht thematisiert wurde. Unbeachtlich ist ein solcher Beschluss aber, wenn er schwere offensichtliche Rechtsmängel aufweist oder gar jeder Rechtsgrundlage entbehrt und aus diesen Gründen objektiv willkürlich ist. Ein solcher Fall liegt hier vor:

13. Das Amtsgericht hat den besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsorts gem. § 29 ZPO, auf den die Klägerin eindeutig und mehrfach hingewiesen hat, mit einer nicht nachvollziehbaren Begründung verneint und sich mit Gegenargumenten der Klägerin nicht auseinandergesetzt.

14. Nicht zu beanstanden ist die Auffassung des Amtsgerichts Q, dass Art. 7 EuGVVO vorliegend nicht anwendbar ist, da die Beklagte, die nach dem Vortrag der Klägerin einen Sitz in Deutschland hat, in Deutschland und nicht in einem anderen Mitgliedsstaat verklagt werden soll. Dies bedeutet jedoch nur, dass sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nicht aus dieser Norm herleiten lässt, was im Ergebnis völlig unschädlich ist, weil sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte zwanglos aus Art 4 Abs. 1 EuGVVO herleiten lässt. Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich nach dem autonomen Recht des international zuständigen Staates, hier also nach den §§ 12 ff. ZPO (Zöller/Geimer, 31. Aufl. 2016, Anh I, Art 4 EuGVVO Rn. 52).

15. Nicht nachvollziehbar und nicht im Ansatz begründet ist aber, weshalb der Umstand, dass die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nicht auf Art. 7 EuGVVO gestützt werden kann, dazu führen soll, dass für die Bestimmung des innerhalb Deutschlands zuständigen Gerichts nicht mehr auf den Erfüllungsort, also nicht mehr auf § 29 ZPO abgestellt werden kann. Ein solcher Zusammenhang ist insbesondere nicht der vom Amtsgericht Q herangezogenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 18.01.2011 – X ZR 71/10 – zitiert nach juris) zu entnehmen; diese Entscheidung bestimmt den Erfüllungsort gem. § 29 ZPO außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 7 EuGVVO.

16. Fragen der Zuständigkeit bei Fällen mit Auslandsberührung sind zwar regelmäßig anspruchsvoll. Hätte sich das Amtsgericht Q aber mit dem nach dem Hinweis auf eine mögliche Unzuständigkeit erfolgten Vortrag der Klägerin inhaltlich auseinandergesetzt, hätte es die Fehlerhaftigkeit seiner Rechtsauffassung unschwer erkennen und vermeiden können und müssen. Zum einen hat die Klägerin im Schriftsatz vom 13.10.2016 auf den Grundsatz hingewiesen, dass sich die örtliche Zuständigkeit ausschließlich nach der ZPO bestimmt. Hätte das Amtsgericht Q diesen Ansatz verfolgt, hätte es erkannt, dass die wohl angenommene Sperrwirkung nicht existiert. Dass das im klägerischen Schriftsatz hierzu angeführte Zitat ins Leere führt, ist bedauerlich, entband das Amtsgericht Q aber nicht von der Verpflichtung, dem dargestellten Ansatz nachzugehen. Zudem zitiert der Schriftsatz mehrere Entscheidungen, die die Zuständigkeit am Gericht des Abflug- oder Ankunftsort gem. § 29 ZPO auch in Fällen annehmen, deren einziger internationaler Bezug – wie im vorliegenden Fall – darin liegt, dass Fluggastrechte aus einem grenzüberschreitenden Flug geltend gemacht werden (z.B. AG Düsseldorf, Urt. v. 30.06.2011 – 40 C 1745/11; AG Frankfurt am Main, Urt. v. 134.12.2012 – 29 C 655/12 (11) – jeweils zitiert nach juris) .

17. Nach alledem kann der Verweisungsbeschluss keinen Bestand haben, das Amtsgericht Q ist und bleibt zuständig.

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