Ausgleichszahlung bei Flugumbuchung durch den Reiseveranstalter

LG Darmstadt: Ausgleichszahlung bei Flugumbuchung durch den Reiseveranstalter

Fluggäste klagten gegen eine Luftfahrtgesellschaft wegen der Umbuchung ihres Fluges ohne ihr Einverständnis. Das Berufungsgericht wies die Klage ab, weil die nicht einvernehmliche Umbuchung vom Reiseveranstalter und nicht von der Luftfahrtgesellschaft vorgenommen worden war.

LG Darmstadt 21 S 20/06 (Aktenzeichen)
LG Darmstadt: LG Darmstadt, Urt. vom 12.07.2006
Rechtsweg: LG Darmstadt, Urt. v. 12.07.2006, Az: 21 S 20/06
AG Rüsselsheim, Urt. v. 06.01.2006, Az: 3 C 1127/05
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Landgericht Darmstadt

1. Urteil vom 12. Juli 2006,

Aktenzeichen 21 S 20/06

Leitsatz:

2. Die ausführende Fluggesellschaft haftet nicht für Änderungen, die ein Reiseveranstalter ohne Kenntnis des Reisenden vornimmt.

Zusammenfassung:

3. Vorliegend klagten Reisende gegen ein Luftfahrtunternehmen, weil ihr Rückflug nach Deutschand aus der Türkei ohne ihre Zustimmung und Kenntnis geändert worden war. Vor dem Amtsgericht Rüsselsheim erhielten sie bezüglich ihrer Ausgleichsforderungen Recht.

Jedoch wurde auf die Berufung der Beklagten vor dem Landgericht Darmstadt hin das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung führte die Kammer aus, dass die Fluggesellschaft nicht für Änderungen haftbar gemacht werden könne, die von Dritten, wie in diesem Fall dem Reiseveranstalter, vorgenommen worden sind.

Tenor:

4. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Rüsselsheim vom 06.01.2006 – Az. 3 C 1127/05 (35) – abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.686,45 Euro festgesetzt.

Gründe:

5. Die Klägerin verlangt von der Beklagten, einem Luftfahrtunternehmen, Zahlung von Ausgleichsleistungen nach Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261 / 2004.

6. Die Klägerin buchte am 24.02.2005 für sich und ihre Familie eine Flugpauschalreise mit der … in die Türkei. Der Rückflug war für den 15.7.2005 von A nach B, Startzeit 10.40 Uhr, mit Flug-​Nr. DE 5663 der Beklagten vorgesehen. Die Klägerin und ihre Familie erhielten am 12.7.2005 über ihre örtliche Reiseleiterin eine Benachrichtigung, wonach der Rückflug von dem Reiseveranstalter aus organisatorischen Gründen geändert worden sei. Sie flogen mit der Flugnummer DE 5423 der Beklagten um 11:00 Uhr nach L und wurden von dort mittels Bustransfer nach B gebracht. Der Flug DE 5663 wurde ansonsten planmäßig seitens der Beklagten durchgeführt.

7. Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagte nach Art. 3 Abs. 2 b, 4 Abs. 3, 7 der Verordnung (EG) Nr. 261 / 2004 zur Zahlung eines Ausgleichsbetrages in Höhe von insgesamt 1.600,– Euro sowie zum Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 99,75 Euro verpflichtet sei. Die Beklagte ist dagegen der Meinung, dass kein Anspruch der Klägerin bestehe, weil nicht sie eine Beförderung der Klägerin und ihrer Familie verweigert habe, sondern durch den Reiseveranstalter eine Umbuchung stattgefunden habe.

8. Ergänzend wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 ZPO).

9. Das Amtsgericht hat der Klage unter Abweisung im Übrigen in Höhe von 1.686,45 Euro stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klägerin Anspruch auf Leistung einer Ausgleichszahlung habe, weil sie und ihre Familie unstreitig mit dem Flug DE 5663 nicht befördert worden seien. Die Änderungen der Luftbeförderung durch den Reiseveranstalter unterliege in gleicher Weise wie die Verlegung des Fluges durch das Luftfahrtunternehmen dem Anwendungsbereich der Verordnung. Dies ergebe sich aus Art. 3 Abs. 2 b der Verordnung. Die Gründe für die Verlegung seien unmaßgeblich. Die Beklagte könne sich auch nicht darauf berufen, dass die Klägerin und ihre Familie sich nicht rechtzeitig, wie ursprünglich vorgegeben, am Schalter zur Abfertigung des Fluges DE 5663 eingefunden hätten. Die Klägerin hätte bei einer Vorsprache einzig in Erfahrung bringen können, dass sie – wovon sie bereits am 12.7.2005 durch Mitteilung des Reiseveranstalters in Kenntnis gesetzt wurde – von der Passagierliste gestrichen war. Die Verlegung auf einen anderen Flug entbinde analog der Bestimmung in Art. 3 Abs. 2 a der Verordnung von der Verpflichtung, sich zur ursprünglich angegebenen Zeit zur Abfertigung einzufinden. Ein freiwilliger Verzicht der Klägerin auf den Flug DE 5663 sei jedenfalls nicht erfolgt. Die Klägerin könne allerdings nur Ersatz von vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 86,45 Euro verlangen.

10. Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiterverfolgt und falsche Rechtsanwendung durch das Amtsgericht rügt. Sie ist der Auffassung, das Amtsgericht habe die Verordnung (EG) 261/04 falsch angewendet. Die Beklagte habe als ausführendes Luftfahrtunternehmen weder die Klägerin gegen ihren Willen nicht befördert noch den Flug annulliert. Der Pauschalreiseveranstalter habe sich sowohl in seinen Reise- und Zahlungsbedingungen als auch mit Übersendung der Reiseunterlagen wirksam die Änderung der Beförderungsleistungen vorbehalten. Das Amtsgericht habe Sinn und Zweck der Verordnung (EG) nicht hinreichend berücksichtigt. Es sei nicht Wille des Verordnungsgebers gewesen, dass es Reiseveranstaltern in der EU nicht mehr erlaubt sein dürfe, im Rahmen der Bedarfsluftfahrt Flugzeitänderungen und Änderungen der Beförderungsleistungen vorzunehmen. Schließlich stehe der Klägerin auch kein Anspruch auf Erstattung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu, weil sie den Anspruch nicht schlüssig dargelegt habe.

11. Die Beklagte beantragt,

12. unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

13. Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Sie beantragt,

14. die Berufung zurückzuweisen.

15. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung hat auch in der  Sache Erfolg.

16. Die Berufung ist begründet.

17. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung einer Ausgleichsleistung gem. Art. 3 Abs. 2 b, 4 Abs. 3, 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004. Denn im vorliegenden Fall hat nicht die Beklagte als ausführendes Luftfahrtunternehmen der Klägerin und ihrer Familie die Beförderung gegen deren Willen verweigert, sondern der Reiseveranstalter, bei dem die Klägerin die Reise gebucht hatte, hat eine Umbuchung vorgenommen. Dieser Fall wird von Art. 4 der Verordnung nicht erfasst. Die Verordnung (EG) Nr. 261 / 2004 bestimmt nicht, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen für Umbuchungen des Reiseveranstalters, die gegen den Willen des Reisenden erfolgen, haftet.

18. Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 bestimmt, dass ein ausführendes Luftfahrtunternehmen es zunächst zu versuchen hat, Fluggäste gegen eine entsprechende Gegenleistung unter Bedingungen, die zwischen dem betreffenden Fluggast und dem ausführenden Luftfahrtunternehmen zu vereinbaren sind, zu einem freiwilligen Verzicht auf ihre Buchung zu bewegen, wenn für dieses absehbar ist, dass Fluggästen die Beförderung zu verweigern ist. Falls sich nicht genügend Freiwillige finden, kann es nach Abs. 2 Fluggästen gegen ihren Willen die Beförderung verweigern. Dann muss es aber nach Abs. 3 unverzüglich diesen Fluggästen eine Ausgleichsleistung nach Art. 7 und die Unterstützungsleistungen nach Art. 8 und 9 erbringen. Diese dem Luftfahrtunternehmen auferlegte Vorgehensweise ergibt keinen Sinn, wenn das Luftfahrtunternehmen gar keinen Einfluss darauf hat, dass und welchen Fluggast es befördert oder nicht, sondern dies von dritter Seite, z. B. dem Reiseveranstalter, bestimmt wird. Aus dem Wortlaut der Bestimmung lässt sich nicht entnehmen, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen sich Entscheidungen des Reiseveranstalters zurechnen lassen und hierfür einstehen müsste.

19. Dies ergibt sich weiterhin nicht aus Art. 3 der Verordnung. Die Bestimmung regelt den Anwendungsbereich der Verordnung. Nach Art. 3 Abs. 2 gilt sie unter der Bedingung, dass die Fluggäste über eine bestätigte Buchung für den betreffenden Flug verfügen (Ziffer a) oder von einem Luftfahrtunternehmen oder Reiseunternehmen von einem Flug, für den sie eine Buchungen besaßen, auf einen anderen Flug verlegt wurden, ungeachtet des Grundes hierfür (Ziffer b). Nach Abs. 5 gilt diese Verordnung für alle ausführenden Luftfahrtunternehmen, die Beförderungen für Fluggäste im Sinne der Abs. 1 und 2 erbringen.

20. Art. 4 bis 6 der Verordnung regeln sodann verschiedene Leistungsstörungen, bei deren Vorliegen dem Fluggast die in Art. 79 aufgeführten Ansprüche zustehen.

21. Aus der Formulierung von Art. 3 Abs. 2 folgt, dass Fluggäste grundsätzlich nur dann Rechte aus der Verordnung herleiten können, wenn sie über eine bestätigte Buchung für den Flug, bei dem es zu einer Nichtbeförderung, Annullierung oder Verspätung kommt, verfügen. Gleichgestellt wird der Fall, dass sie zwar über eine bestätigte Buchung verfügen, aber nicht für den Flug, bei dem Leistungsstörungen auftreten, sondern auf diesen von dem Luftfahrtunternehmen oder ihrem Reiseveranstalter verlegt wurden. In diesem Fall sollen ihnen die gleichen Rechte zustehen als wenn sie über eine bestätigte Buchung für diesen Flug verfügen würden. Abs. 3 Ziffer 2 b besagt dagegen nicht, dass das ausführende Flugunternehmen für Handlungen des Reiseveranstalters, z. B. Umbuchungen ohne Willen des Reisenden, haftet. Vielmehr regelt Art. 3 Abs. 5 nur den umgekehrten Fall, dass, wenn ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, welches in keiner Vertragsbeziehung mit dem Fluggast steht, Verpflichtungen im Rahmen dieser Verordnung erfüllt, davon ausgegangen wird, dass es im Namen der Person handelt, die in einer Vertragsbeziehungen mit dem betreffenden Fluggast steht. Wenn also das ausführende Luftfahrtunternehmen Betreuungsleistungen im Sinne des Art. 9 der Verordnung erbringt, kommt dies dem Vertragspartner des Fluggastes, zum Beispiel dem Reiseveranstalter, zugute.

22. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10 ZPO.

23. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 47 GKG.

24. Die Kammer hat gemäß § 543 Abs. 2 Ziffer 1 ZPO die Revision zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Auslegung von Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 hinsichtlich des Haftungsumfangs des ausführenden Luftfahrtunternehmens hat für eine Vielzahl von Fällen Bedeutung, eine höchstrichterliche Entscheidung hierzu ist bislang noch nicht ergangen.

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