Bodenpersonal kein Erfüllungsgehilfe des Reiseveranstalters

LG Frankfurt: Bodenpersonal kein Erfüllungsgehilfe des Reiseveranstalters

Der Kläger buchte eine Pauschalreise. Das Flugzeug konnte jedoch aufgrund eines technischen Defekts nicht starten, sodass der Kläger die Reise abgebrochen hat.

Eine Schadenersatzzahlung hat das Gericht dem Kläger diesbezüglich aber nicht zugesprochen.

LG Frankfurt 2-24 S 243/09 (Aktenzeichen)
LG Frankfurt: LG Frankfurt, Urt. vom 17.06.2010
Rechtsweg: LG Frankfurt, Urt. v. 17.06.2010, Az: 2-24 S 243/09
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Landgericht Frankfurt

1. Urteil vom 17. Juni 2010

Aktenzeichen 2-24 S 243/09

Leitsätze:

2. Bodenpersonal am Flughafen ist kein Erfüllungsgehilfe der Reiseveranstalterin.

Zusammenfassung:

3. Der Kläger buchte bei der Beklagten, einer Reiseveranstalterin, eine All-Inclusive-Flugpauschalreise nach Kenia.

Nach Abschluss des Boarding am Flughafen verkeilte sich die Einstiegstreppe, sodass die Flugzeugtür nicht geschlossen werden konnte und folglich das Flugzeug auch nicht abfliegen konnte. Dieser Zwischenfall ist durch das Bodenpersonal des Flughafens verschuldet worden.

Da die Reparatur geraume Zeit in Anspruch nehmen würde, hat der Kläger die Reise abgebrochen und verlangte von der Beklagten eine Schadensersatzzahlung, sowie den Ersatz entgangener Urlaubsfreude. Das Landgericht in Frankfurt hat dem Kläger diese Zahlungen nicht zugesprochen. Um die Reiseveranstalterin in Anspruch nehmen zu können, müsste diese diesen Unfall verschuldet haben.

Hierzu müsste im Konkreten Fall das Bodenpersonal des Flughafens als Erfüllungsgehilfe der Beklagten gehandelt haben. Dies ist nicht der Fall. Bodenpersonal am Flughafen ist kein Erfüllungsgehilfe der Reiseveranstalterin.

 

Tenor:

4. Die Berufung des Klägers gegen das am 03.12.2009 verkündete Urteil des Amtsgerichts Bad Homburg v. d. H., Az. 2 C 1103/09 (15), wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe:

I.

5. Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadenersatz und eine Entschädigung wegen entgangener Urlaubsfreude im Zusammenhang mit einer misslungenen Pauschalreise.

6. Der Kläger buchte bei der Beklagten für sich und seine Ehefrau eine All-​Inclusive-​Flugpauschalreise nach Kenia für die Zeit vom 20.02. – 28.02.2009 zum Reisepreis von 3.182,– Euro. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Reisebestätigung vom 23.01.2009 (Bl. 27 d. A.) Bezug genommen.

7. Der Hinflug sollte am 20.02.2009 von M über F nach Mo erfolgen. Der Zubringerflug M – F mit der L. sollte um 20.10 Uhr starten. Aufgrund einer Verspätung konnten der Kläger und seine Ehefrau um 20.50 Uhr an Bord gehen. Sodann kam es zu massiven Problemen mit der Einstiegstreppe zum Flugzeug. Mitarbeiter des Flughafen Münchens hatten die Einstiegstreppe am Flugzeug so verkeilt, dass sich die Tür nicht mehr schließen ließ. Im Folgenden kam es zu verschiedenen Reparaturversuchen. Letztendlich wurde das Problem mit der Einstiegstreppe durch die Flughafentechniker gelöst. Sodann konnte der Flug nach F starten.

8. Der Kläger und seine Ehefrau trafen gegen 23.10 Uhr in F ein. Der planmäßige Weiterflug nach Mo war jedoch bereits um 22.25 Uhr gestartet.

9. Die nächste Weiterflugmöglichkeit nach Mo bestand erst am 23.02.2009 um 20.20 Uhr. Der Kläger und seine Ehefrau brachen die Reise ab. Sie flogen am nächsten Tag zurück nach M.

10. Die Beklagte zahlte den Reisepreis an den Kläger zurück.

11. Der Kläger beansprucht nunmehr Ersatz verschiedener Schadenspositionen (unnötige Reiseaufwendungen) und weiterhin eine Entschädigung wegen entgangener Urlaubsfreude für sich und seine Ehefrau, die ihre Ansprüche an den Kläger abgetreten hatte.

12. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass sich die Beklagte die Fehler des Bedienpersonals der Einstiegstreppe zurechnen lassen müsse. Die Flughafenmitarbeiter hätten die Einstiegstreppe zu weit an das Flugzeug geschoben, wodurch es zu der Verkeilung gekommen sei. Für dieses schuldhafte Verhalten der Mitarbeiter des Flughafens, die Erfüllungsgehilfen der Beklagten seien, habe die Beklagte einzustehen.

13. Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

14. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.057,79 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.05.2009 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 359,50 Euro zu zahlen,

15. Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

16. die Klage abzuweisen.

17. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass der Vorfall mit der Einstiegstreppe ihr nicht zuzurechnen sei. Das Bodenpersonal sei weder Erfüllungsgehilfe der Beklagten noch der Fluggesellschaft.

18. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des Amtsgerichts Bad Homburg v. d. H. vom 03.12.2009 (Bl. 73/74 d. A.) gemäß § 540 I Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

19. Durch dieses Urteil hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen.

20. Das Amtsgericht hat ausgeführt, dass die Beklagte für den Vorfall mit der Einstiegstreppe nicht einzustehen habe. Das Bodenpersonal des Flughafens sei nämlich nicht Erfüllungsgehilfe der Beklagten.

21. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung (Bl. 74/75 d. A.) Bezug genommen.

22. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers.

23. Der Kläger ist weiterhin der Ansicht, dass die Beklagte sich das Fehlverhalten und das Verschulden des Bodenpersonals bzgl. der Einstiegstreppe zurechnen lasse müsse, da die Mitarbeiter des Flughafens Erfüllungsgehilfen der Beklagten seien.

24. Im Übrigen wiederholt und vertieft der Kläger sein erstinstanzliches Vorbringen.

25. Der Kläger beantragt,

26. unter Abänderung des am 03.12.2009 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Bad Homburg v. d. H., Az.: 2 C 1103/09-​15 die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.057,79 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.05.2009 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 359,50 Euro zu zahlen.

27. Die Beklagte beantragt,

28. die Berufung zurückzuweisen.

29. Die Beklagte verteidigt das amtsgerichtliche Urteil. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.

30. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

31. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

1.

32. Zutreffend hat das Amtsgericht Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte auf Schadenersatz gem. § 651 f I BGB und eine Entschädigung wegen entgangener Urlaubsfreude gem. § 651 f II BGB verneint.

33. Ansprüche gegen den Reiseveranstalter gem. § 651 f I und II BGB setzen jeweils voraus, dass der Reiseveranstalter oder ein Erfüllungsgehilfe des Reiseveranstalters im Sinne von § 278 BGB schuldhaft einen Reisemangel verursacht hat.

34. Es stellt zweifellos einen Reisemangel dar, dass der Kläger infolge der fehlerhaften Handhabung der Einstiegstreppe durch das Bodenpersonal im Hinblick auf den Zubringerflug von M nach F seinen Anschlussflug von F nach Mo verpasst hat und damit die Reise letztlich vereitelt worden ist.

35. Dieser Reisemangel beruht aber weder auf einem Fehlverhalten der Beklagten als Reiseveranstalterin selbst noch der ausführenden Fluggesellschaft als Leistungsträgerin der Beklagten. Vielmehr beruhte der Reisemangel auf einem schuldhaften Fehlverhalten (Verkeilung der Einstiegstreppe) des Bodenpersonals des Flughafen Münchens.

36. Die Problematik der vorliegenden Fallkonstellation liegt in der Frage, ob dem Reiseveranstalter schuldhafte Fehlleistungen des Bodenpersonals eines Flughafens im Rahmen der Flugabwicklung zugerechnet werden können. Es ist insoweit fraglich, ob das Bodenpersonal im Ergebnis Erfüllungsgehilfe des Reiseveranstalters im Sinne von § 278 BGB ist, für den der Reiseveranstalter einzustehen hat.

37. Eine Haftung der Beklagten kann sich vorliegend nämlich nur dann ergeben, wenn die Flughafengesellschaft in M Erfüllungsgehilfe der Beklagten bzw. Erfüllungsgehilfe der Luftfahrtgesellschaft und damit wiederum auch Erfüllungsgehilfe der Beklagten gewesen ist.

38. Ausgangspunkt ist zunächst die allgemeine Definition des Bundesgerichtshofs bzgl. eines Erfüllungsgehilfen. Danach gilt:

39. Ob jemand als Erfüllungsgehilfe eines anderen anzusehen ist, bestimmt sich nicht danach, in welchen rechtlichen Beziehungen er zu ihm oder dessen Gläubiger steht; maßgebend ist allein, ob er nach den rein tatsächlichen Vorgängen des gegebenen Falles mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung der diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird. Erfüllungsgehilfe ist also die Person, die rein tatsächlich bei der Erfüllung der Verbindlichkeit eines Schuldners mit dessen Willen tätig wird (BGHZ 35, 32, 35 m. w. N.; vgl. auch zusammenfassend Palandt/Grüneberg, BGB, 69. Aufl., 2010, § 278, Rn. 7 m. w. N.).

40. Soweit ersichtlich war die hier konkret zu entscheidende Fallkonstellation Gegenstand zweier Urteile mit vergleichbaren Fallkonstellationen.

41. Das LG Hannover (NJW-​RR 1989, 820, 820/821) hat eine Erfüllungsgehilfeneigenschaft des Bodenpersonals des Flughafens verneint. Dagegen hat das OLG Düsseldorf (NJW-​RR 1992, 1330, 1331) die Erfüllungsgehilfeneigenschaft der Angestellten der Flughafengesellschaft bejaht.

42. In der Literatur hat sowohl die Entscheidung des LG Hannover (zustimmend: Führich, Reiserecht, 5. Aufl., Rn. 104; Staudinger/Eckert, BGB, 2003, § 651 f, Rn. 30; Palandt/Sprau, BGB, 69. Aufl., 2010, § 651 a, Rn. 11; wohl auch Beck’scher Onlinekommentar/Bamberger/Roth-​Geib, BGB, Mai 2010, § 651 j, Rn. 7) als auch die Entscheidung des OLG Düsseldorf (zustimmend: MüKo-​Tonner, BGB, 5. Aufl., 2009, § 651 j, Rn. 8) Zustimmung gefunden.

43. Nach einer Gesamtwürdigung der Umstände folgt die Kammer der Auffassung, dass der Flughafenbetreiber und dessen Mitarbeiter nicht als Erfüllungsgehilfen des Reiseveranstalters anzusehen sind.

44. Zwar passt die allgemeine Definition des BGH bzgl. des Erfüllungsgehilfen dem Wortlaut nach auch auf den Flughafenbetreiber im Verhältnis zum Reiseveranstalter. Jedoch hält es die Kammer in diesen Fallkonstellationen für angezeigt, das Merkmal „Willen des Schuldners“ restriktiv auszulegen. Der Reiseveranstalter hat nämlich bei der Durchführung von Flugreisen von bestimmten Flughäfen aus keine Wahl in Bezug auf den involvierten Flughafenbetreiber. Diesen muss der Reiseveranstalter als gegeben hinnehmen, auch wenn dieser nicht seinem Willen entsprechen sollte. Insoweit sind Personen aus dem Kreis der Erfüllungsgehilfen auszunehmen, die keine vom Reiseveranstalter organisierbaren Leistungen erbringen (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 69. Aufl., 2010, § 651 a, Rn. 11).

45. Zutreffend hat das LG Hannover (a. a. O) ausgeführt, dass auch für den Flughafenbetreiber und dessen Mitarbeiter gilt, dass sie weder von einem Einzelreisenden noch von einem Reiseunternehmen ausgewählt oder sonst wie in ihrer Tätigkeit beeinflussbar sind. Ihre Leistungen sind praktisch „monopolisiert“ und müssen von allen Reisenden im grenzüberschreitenden bzw. Flugverkehr so hingenommen werden wie sie gerade angeboten werden. Typisch für das eigene Personal eines Reiseveranstalters und das seiner Leistungsträger (Hotelier, Beförderungsunternehmen, Reiseleiter usw.) ist aber gerade, dass er dieses auswählen und den Erfolg der von ihnen erbrachten Leistungen beeinflussen kann, was dann wiederum die Attraktivität eines Reiseveranstalters ausmacht. Auf die dabei organisierbaren Leistungen beschränkt sich deshalb die Gewährleistungspflicht eines Reiseveranstalters.

46. Sähe man dies anders, würde dies zu einer uferlosen Haftung des Reiseveranstalters in Bezug auf den Flughafenbetreiber führen. Der Reiseveranstalter würde nämlich für jede auch noch so geringfügige schuldhafte Fehlleistung des Flughafenbetreibers haften, und dies weltweit. Eine solche Risikoverteilung hält die Kammer für nicht mehr sachgerecht.

47. Aus den genannten Erwägungen scheidet auch eine Zurechnung des Fehlverhaltens des Bodenpersonals über die Erfüllungsgehilfenkette über die Fluggesellschaft aus. In diesen Fallkonstellationen kann das Bodenpersonal des Flughafenbetreibers nämlich auch nicht als Erfüllungsgehilfe der Fluggesellschaft im Sinne von § 278 BGB angesehen werden.

48. Nach all dem scheidet eine Haftung der Beklagten als Reiseveranstalterin aus.

2.

49. Mangels Hauptforderung scheiden auch die geltend gemachten Nebenforderungen aus.

III.

50. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO.

51. Die Revision war gem. § 543 I S. 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen, da die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Frage, ob der Flughafenbetreiber Erfüllungsgehilfe des Reiseveranstalters ist, ist – soweit ersichtlich – obergerichtlich noch nicht geklärt.

52. Des Weiteren besteht der Zulassungsgrund des § 543 II Nr. 2 ZPO, da die aufgeworfene Rechtsfrage in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet wird.

53. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

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