Zusammenstoß mit Rettungswagen

KG Berlin: Zusammenstoß mit Rettungswagen

Vorliegend fuhr der Kläger einen Rettungswagen der Feuerwehr. Als er an einer Kreuzung ankam kollidierte er mit einem Fahrzeug der Beklagten, welche gerade ein Stück rückwärts fuhren. Der Kläger verlangt nun von den Beklagten Ersatz für den durch den Verkehrsunfall entstandenen Schaden.

Das Kammergericht Berlin spricht dem Kläger einen solchen Anspruch auf Schadensersatz zu, da der Rückwärtsfahrende eine besondere zu beachtende Sorgfaltspflicht habe, gemäß §9 Abs. 5 StVO.

KG Berlin 12 U 2/08 (Aktenzeichen)
KG Berlin: KG Berlin, Urt. vom 17.11.2008
Rechtsweg: KG Berlin, Urt. v. 17.11.2008, Az: 12 U 2/08
LG Berlin, Urt. v. 25.10.2007, Az: 58 O 148/07
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Kammergericht Berlin

1.Urteil vom 17. November 2008

Aktenzeichen 12 U 2/08

 Leitsatz:

2. Fährt ein Fahrzeug rückwärts und prallt mit einem anderen Fahrzeug zusammen, so spricht der Anschein für ein alleinges Verschulden des Rückwärtsfahrenden, da dabei höchste Sorgfalt zu beachten ist.

Zusammenfassung:

3. Der Kläger begehrt Ersatz für den Schaden aus den §§ 18, 7 StVG, 3 PflVersG der ihm, durch einen Verkehrsunfall mit den Beklagten, entstanden ist. Der Kläger fuhr einen Rettungswagen der Feuerwehr und prallte dabei mit den Beklagten, welche sich in ihrem Fahrzeug an einer Kreuzung befanden, zusammen. Das Fahrzeug der Beklagten fuhr zu diesem Zeitpunkt unstreitig rückwärts.

Das Kammergericht Berlin entschied, dass dem Kläger ein Anspruch auf Schadensersatz zustehe. Die Beklagte fuhr zwar nur mit geringer Geschwindigkeit und lediglich ein kleines Stück rückwärts, jedoch sei dabei immer gemäß § 9 Abs. 5 StVO die höchste erforderliche Sorgfalt zu beachten.

Mithin gelte diese Sorgfaltspflicht gegenüber dem gesamten fließenden Verkehr. Bei einer Kollision während des Zurücksetzens spreche der Anschein für ein alleiniges Verschulden des Rückwärtsfahrenden.

Tenor

4. Auf die Berufung des Klägers wird das am 25. Oktober 2007 verkündete Urteil der Zivilkammer 58 des Landgerichts Berlin – 58 O 148/07 – abgeändert:

Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger als Gesamtschuldner 2.094,53 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. Februar 2007 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagten zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

5. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers hat auch in der Sache Erfolg.

6. Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagten auf Ersatz des restlichen ihm durch den Verkehrsunfall vom 19. September 2005 entstandenen Schadens in Höhe von unstreitig 2.094,53 EUR aus den §§ 18, 7 StVG, 3 PflVersG.

7. Die Beklagten haften dem Kläger für den Schaden in voller Höhe, da die Beklagte zu 1) das alleinige Verschulden an dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall trifft und auch die von dem Fahrzeug des Klägers ausgehende Betriebsgefahr nicht zu einer Mithaftung des Klägers in Höhe von 25 % führt.

8. Nach dem Ergebnis der in der Berufungsinstanz durchgeführten Beweisaufnahme ist die Beklagte zu 1) vor dem Zusammenstoß der beiden beteiligten Fahrzeuge rückwärts gefahren und dadurch zumindest teilweise in den Fahrstreifen des klägerischen Fahrzeugs geraten.

9. Die vom Kläger benannten Zeugen … und … haben ein Rückwärtsfahren der Beklagten zu 1) unmittelbar vor dem Zusammenstoß bestätigt.

10. So hat der Zeuge … , der als Beifahrer in dem Rettungswagen der Berliner Feuerwehr fuhr, ausgesagt, dass das im mittleren Fahrstreifen befindliche Fahrzeug der Beklagten zu 1) bei ihrer Annäherung an die Kreuzung zunächst mit eingeschlagenen Rädern ein Stück vorwärts nach links gefahren sei. Kurz vor dem Passieren dieses Fahrzeuges habe er quasi aus den Augenwinkeln wahrgenommen, dass an dem Fahrzeug Rückfahrscheinwerfer aufleuchteten und unmittelbar danach sei es zum Zusammenstoß gekommen. Diesen beschrieb der Zeuge derart, dass der rechte Vorderreifen des Beklagtenfahrzeugs gegen den hinter der Fahrertür befindlichen Kofferaufbau des Rettungswagens gefahren sei. Nachdem er das Aufleuchten der Scheinwerfer wahrgenommen habe, habe er seinem Kollegen noch gewarnt, es sei aber unmittelbar zum Zusammenstoß gekommen.

11. Weiter führte der Zeuge aus, dass sich das klägerische Fahrzeug zum Zeitpunkt des Unfalls bereits im rechten Fahrstreifen befunden hatte, so dass nach seiner Auffassung ein Ausweichen des Fahrzeugs der Beklagten zu 1) auch nach links gar nicht erforderlich gewesen wäre, da der rechte Fahrstreifen frei war.

12. Diese Aussage wird bestätigt durch die Angaben des Zeugen … , der den Rettungswagen zum Zeitpunkt des Unfalls steuerte. Der Zeuge gab an, dass er die dreispurige Fahrbahn zunächst in der mittleren Spur befahren hatte und sodann in die rechte Spur gewechselt sei, da in der linken und mittleren Fahrspur vor der roten Ampel jeweils ein Fahrzeug gestanden habe. Das in der mittleren Spur befindliche Fahrzeug sei sodann mit eingeschlagenen Rädern ein Stück nach links gefahren. Unmittelbar vor dem Passieren dieses Fahrzeugs habe sein Beifahrer, der Zeuge … , plötzlich ausgerufen: „Kuck mal, da sind ja Rückscheinwerfer“, woraufhin er selbst wahrgenommen habe, dass das Fahrzeug der Beklagten zu 1) eingeschlagen zurückgerollt gekommen sei und es zu einer Streifkollision mit dem Rettungswagen gekommen sei.

13. Beide Zeugen machten in ihrer Aussage den Eindruck, sich unter zu Hilfenahme des von ihnen nach dem Unfall gefertigten Berichts noch durchaus an den Unfallhergang zu erinnern. Sie wussten beide anzugeben, dass es sich um einen Einsatz handelte, den sie auf der nur ein paar Fahrminuten entfernten Wache kurz zuvor erhalten hatten und dass sie sich dem Unfallort zunächst auf der mittleren Spur genähert hatten. Auch wussten beiden Zeugen zu berichten, dass lediglich zwei Fahrzeuge vor der roten Ampel standen. An der Glaubwürdigkeit der beiden Zeugen die ihre Aussage offen und direkt machten, bestanden keine Zweifel. Der Zeuge … berichtete, dass er nach dem Unfall ein ungutes Gefühl gehabt habe, da es für ihn belastend gewesen sei, auf einer Einsatzfahrt in einen Verkehrsunfall verwickelt zu sein.

14. Die Aussagen der Zeugen sind durch die Angaben der persönlich gehörten Beklagten zu 1) nicht entkräftet worden. Die Beklagte zu 1), die einen unsicheren Eindruck machte und mehrfach angab, sich an den genauen Hergang nicht erinnern zu können, erklärte zwar, dass sie nach ihrer Auffassung wohl vorwärts gefahren sein müsse, da für das Rückwärtsfahren ein Grund hätte vorhanden sein müssen, den sie nicht erinnere. Sie gab jedoch auch an, sich weder an die Kollision, noch den genauen Hergang erinnern zu können.

15. Gegen die Beklagte zu 1) streitet damit der Beweis des ersten Anscheins, dass sie der nach § 9 Abs. 5 StVO erforderlichen höchsten Sorgfaltspflicht beim Rückwärtsfahren nicht gerecht geworden ist. Auch wenn die Beklagte zu 1) nach den Aussagen der Zeugen … und … lediglich ein kleines Stück mit geringer Geschwindigkeit rückwärts gefahren ist, so hatte sie auch hierbei die höchstmögliche Sorgfalt zu beachten, um eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen. Dabei muss der Rückwärtsfahrende insbesondere darauf achten, dass der Gefahrraum hinter seinem Fahrzeug frei ist und von hinten wie auch von den Seiten her frei bleibt (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 9 StVO, Rn 51).

16. Es handelte sich bei dem von der Beklagten zu 1) ausgeführten Fahrmanöver auch um ein Rückwärtsfahren im Sinne von § 9 Abs. 5 StVO. Nach den Aussagen der Zeugen … und … fuhr die Beklagte zu 1) zwar derart langsam, dass diese es lediglich als Zurückrollen wahrnahmen. Der Zeuge … hat jedoch eindeutig bekundet, dass am Fahrzeug der Beklagten zu 1) die Rückwärtsscheinwerfer aufleuchten, so dass es sich nicht um ein ungewolltes Zurückrollen beim eigentlichen Anfahren in Vorwärtsrichtung gehandelt haben kann.

17. Entgegen der Annahme des Landgerichts war es für die Entscheidung auch nicht unerheblich, ob die Beklagte zu 1) vor dem Unfall rückwärts fuhr oder, wie die Beklagten behaupten, sie vorwärts in den rechten Fahrstreifen habe ausweichen wollen.

18. Der rückwärts Fahrende hat gemäß § 9 Abs. 5 StVO grundsätzlich eine besondere Sorgfaltspflicht gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern und muss deren Gefährdung ausschließen. Diese Sorgfaltspflicht gilt gegenüber dem gesamten fließenden Verkehr. Bei einer Kollision während des Zurücksetzens spricht der Anschein für ein alleiniges Verschulden des Rückwärtsfahrenden (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38 Aufl., § 9 StVO, Rn 55).

19. Diesen Anscheinsbeweis konnten die Beklagten nicht ausräumen. Allein die Tatsache, dass der Rettungswagen ebenfalls vor dem Unfall den Fahrstreifen gewechselt hatte, wobei der genaue Zeitpunkt dieses Fahrstreifenwechsels auch nach der durchgeführten Beweisaufnahme nicht feststeht, führt nicht zu einer Mithaftung des klägerischen Fahrzeugführers. Dies könnte nur dann der Fall sein, wenn für den geradeaus fahrenden Fahrstreifenwechsler im Zeitpunkt des Fahrstreifenwechsels erkennbar war oder sein musste, dass das vor ihm befindliche, zunächst an der roten Ampel stehende Fahrzeug rückwärts in den Fahrstreifen, in welchen er zu wechseln beabsichtigte, fahren würde und dies aufgrund nicht genügender Aufmerksamkeit unbemerkt blieb. Dies war nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedoch gerade nicht der Fall.

20. Der Zeuge … hat hierzu ausgeführt, dass er die Rückwärtsscheinwerfer erst wahrnahm, als sich der Rettungswagen bereits fast auf gleicher Höhe mit dem Fahrzeug der Beklagten zu 1) befand. Dass das Fahrzeug rückwärts fahren würde, sei zuvor nicht erkennbar gewesen. Auch der Zeuge … gab an, vor dem Fahrstreifenwechsel lediglich wahrgenommen zu haben, dass das Fahrzeug der Beklagten zu 1) mit eingeschlagenen Rädern nach links vorwärts fuhr als er auf die rechte Spur wechselte, da diese frei war.

21. Entgegen den Ausführungen des Landgerichts ist auch nicht davon auszugehen, dass der klägerische Fahrzeugführer seinen Sorgfaltspflichten nicht nachgekommen ist, weil er mit ca. 30 km/h den Fahrstreifen nach rechts wechselte, um sich auf diesem freien Fahrstreifen der roten Ampel zu nähern. Diese gefahrene Geschwindigkeit stellt bei der Annäherung an eine Kreuzung und dem Wechsel auf einen freien Fahrstreifen keine Sorgfaltspflichtverletzung dar, wenn sich an der Kreuzung lediglich zwei haltende Fahrzeuge befinden.

22. Der Zinsanspruch ergibt sich aus den §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. BGB.

23. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

24. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert.

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