Fluggastansprüche bei Verspätung

BGH: Fluggastansprüche bei Verspätung

Vorliegend buchte der Kläger bei dem beklagten Luftfahrtunternehmen einen Flug von Frankfurt nach Toronto und zurück. Der Rückflug verspätete sich insgesamt um 25 Stunden., aufgrund eines technischen Defektes am Flugzeug. Die Kläger verlangen nun eine Ausgleichszahlung von dem ausführenden Luftfahrtunternehmen.

Der BGH entschied, dass ihnen eine Ausgleichszahlung in Höhe von 600 Euro zusteht, da die Voraussetzungen für einen solchen Anspuch erfüllt sind und kein außergewöhnlicher Umstand im Sinne der VO vorliegt.

BGH Xa ZR 95/06 (Aktenzeichen)
BGH: BGH, Urt. vom 18.02.2010
Rechtsweg: BGH, Urt. v. 18.02.2010, Az: Xa ZR 95/06
EuGH, Urt. v. 19.11.2009, Az: C-402/07
LG Darmstadt, Urt. v. 29.10.2008, Az: 7 S 200/08
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Bundesgerichtshof

1. Urteil vom 18. Februar 2010

Aktenzeichen Xa ZR 95/06

Leitsatz:

2. Ist eine Flugverspätung auf einen technischen Defekt zurückzuführen, so ist das kein außergewöhnlicher Umstand  gemäß Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger buchten bei einem Luftfartunternehmen eine Flug von Frankfurt am Main bis Toronto und zurück.Aufgrund einer technischen Störung verschob sich der Rückflug auf den folgenden Tag, was zur Folge hatte, dass die Kläger mit einer Verspätung von 25 Stunden am Zielflughafen Frankfurt am Main angekommen sind.

Die Kläger haben das Luftfahrtunternehmen verklagt und dabei eine Ausgleichszahlung von 600 € pro Person gemäß Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 .  Das beklagte Luftfahrtunternehmen wies diese Forderung jedoch mit der Begründung ab, dass es sich lediglich um eine Verspätung handelte, die auf einen technischen Defekt zurückzuführen sind und daher außergewöhnliche Umstände im Sinne der VO vorliegen. Deswegen scheide ihre  Haftung aus.

Der BGH entschied, dass den Klägern wegen erheblicher Verspätung eine Ausgleichzahlung zusteht, da die Voraussetzungen des Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 erfüllt sind. Auch liegen keine außergewöhnlichen Umstände vor. Technische Defekte, wie sie beim Betrieb eines Flugzeugs gelegentlich auftreten können, sind für sich gesehen keine außergewöhnlichen Umstände, die das Luftfahrtunternehmen von der Verpflichtung zur Zahlung der Ausgleichsleistung wegen Annullierung eines Fluges befreien können.

Tenor:

4. Auf die Revision der Kläger wird das am 12. Juli 2006 verkündete Urteil der 21. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadtaufgehoben.

Auf die Berufung der Kläger wird das am 17. März 2006 verkündete Urteil des Amtsgerichts Rüsselsheim abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, über die vom Amtsgericht zugesprochenen Leistungen hinaus an den Kläger zu 1) weitere 1.095,60 EUR und an die Kläger zu 2) und 3) jeweils weitere 565,05 EUR zu zahlen, jeweils nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. September 2005.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand:

5. Die Kläger verlangen von der beklagten Charterfluggesellschaft Condor Flugdienst GmbH unter anderem Ausgleichszahlungen nach Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/ 2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen (ABl. EG L 46 S. 1; im Folgenden: Verordnung), weil sie mit erheblicher Verspätung abgeflogen und mit erheblicher Verspätung am Zielflughafen angekommen sind.“

6. Der Kläger zu 1) und seine Ehefrau, die ihre Ansprüche an ihn abgetreten hat, buchten für sich und ihre beiden Kinder, die Kläger zu 2) und 3), bei der Beklagten einen Flug von Frankfurt am Main nach Toronto und zurück.

7. Der für den 09. Juli 2005 gebuchte Rückflug erfolgte erst am nächsten Tag. Die Kläger kamen etwa 25 Stunden später als geplant in Frankfurt an. Sie verlangen deshalb eine Ausgleichszahlung in Höhe von 600,00 EUR pro Person. Der Kläger zu 1) begehrt ferner Ersatz für Verdienstausfall und entstandene Aufwendungen in Höhe von 181,45 EUR.

8. Das Amtsgericht hat dem Kläger zu 1) lediglich die begehrten Ersatzleistungen in Höhe von 181,45 EUR sowie einen Minderungsbetrag von 104,40 EUR und den Klägern zu 2) und 3) jeweils einen Minderungsbetrag von 34,95 EUR zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen.

9. Die Berufung der Kläger, mit der sie ihre erstinstanzlichen Ansprüche mit Ausnahme eines Teils der Zinsforderung weiterverfolgt haben, ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr zweitinstanzliches Begehren in vollem Umfang weiter. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.

10. Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren mit Beschluss vom 17. Juli 2007 ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zwei Fragen zur Auslegung der Verordnung vorgelegt. Der Gerichtshof hat das Verfahren mit einem anderen Verfahren verbunden und mit Urteil vom 19. November 2009 (EuGH Urteil v. 19.11.2009, Az: Rs. C-402/07 und Rs. C-432/07) wie folgt entschieden:

11. Art. 2 Buchst. l sowie die Art. 5 und 6 der Verordnung (EG) Nr. 261/ 2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/ 91 sind dahin auszulegen, dass ein verspäteter Flug unabhängig von der – auch erheblichen – Dauer der Verspätung nicht als annulliert angesehen werden kann, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt wird.

12. Die Art. 56 und 7 der Verordnung Nr. 261/ 2004 sind dahin auszulegen, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden können und somit den in Art. 7 dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen können, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, d.h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen.

13. Eine solche Verspätung führt allerdings dann nicht zu einem Ausgleichsanspruch zugunsten der Fluggäste, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, also auf Umstände, die von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen sind.

14. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/ 2004 ist dahin auszulegen, dass ein bei einem Flugzeug aufgetretenes technisches Problem, das zur Annullierung oder Verspätung eines Fluges führt, nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, es sei denn, das Problem geht auf Vorkommnisse zurück, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind.

Entscheidungsgründe:

15. Die zulässige Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur antragsgemäßen Verurteilung der Beklagten.

16. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Voraussetzungen für die begehrten Ausgleichszahlungen nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung seien nicht erfüllt, hält der Nachprüfung nicht stand.

17. Eine Annullierung des Flugs im Sinne von Art. 5 der Verordnung hat allerdings, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, nicht stattgefunden. Nach dem Urteil des Gerichtshofs kann ein verspäteter Flug unabhängig von der – auch erheblichen – Dauer der Verspätung nicht als annulliert angesehen werden, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt wird (EuGH Urteil v. 19.11.2009, Az: Rs. C-402/07 und Rs. C-432/07, aaO Tz. 39).

18. So verhält es sich im Streitfall. Der Flug von Toronto nach Frankfurt ist trotz der eingetretenen Verzögerung entsprechend der ursprünglichen Flugplanung durchgeführt worden.Wegen des wesentlich verspäteten Abflugs kommt gleichwohl ein Anspruch auf die in Art. 7 der Verordnung vorgesehene Ausgleichszahlung in Betracht. Der Flug hat einen Tag später als geplant begonnen; die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 der Verordnung für die Annahme einer von der Verordnung erfassten (großen) Verspätung lagen daher ohne weiteres vor.

19. In einem solchen Fall steht dem Fluggast, sofern auch die weiteren Voraussetzungen für eine Ausgleichsleistung erfüllt sind, der in Art. 7 der Verordnung vorgesehene Ausgleichsanspruch zu, wenn er wegen des verspäteten Fluges sein Endziel nicht früher als drei Stunden nach der ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreicht (EuGH Urteil v. 19.11.2009, Az: Rs. C-402/07 und Rs. C-432/07, aaO Tz. 61).

20. Auch diese Voraussetzung ist ohne weiteres erfüllt, denn das Endziel der Kläger wurde mehr als 25 Stunden später als geplant erreicht. Damit liegen im Streitfall die vom Gerichtshof aufgestellten Anforderungen für einen Ausgleichsanspruch wegen einer wie eine Annullierung zu behandelnden großen Verspätung vor.

21. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, da der Rechtsstreit auf der Grundlage des vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts zur Endentscheidung reif ist.

22. Der Ausgleichsanspruch ist nicht entsprechend Art. 5 Abs. 3 der Verordnung ausgeschlossen. Die Verspätung geht nicht auf außergewöhnliche Umstände im Sinne dieser Vorschrift zurück.

23. Entgegen der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung besteht keine Veranlassung, den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um der Beklagten Gelegenheit zu geben, zu den Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung vorzutragen. Die Parteien haben in den Tatsacheninstanzen darüber gestritten, ob die Beklagte im Streitfall zu einer Ausgleichszahlung wegen Annullierung des Flugs verpflichtet ist.

24. Die Beklagte war demgemäß gehalten, auch zu den Voraussetzungen vorzutragen, unter denen die Verpflichtung zu einer solchen Ausgleichszahlung ausgeschlossen ist, und hat dies auch getan. Für den Ausgleichsanspruch wegen großer Verspätung gelten keine anderen Voraussetzungen.

25. Die Beklagte hat geltend gemacht, der Flug habe wegen nicht vorhersehbarer technischer Beanstandungen nicht pünktlich begonnen. Probleme seien an einem Triebwerk sowie an der Treibstoffanzeige aufgetreten. Damit ist kein außergewöhnlicher Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung aufgezeigt.

26. Wie der Senat im Anschluss an die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bereits entschieden hat, begründen technische Defekte, wie sie beim Betrieb eines Flugzeugs gelegentlich auftreten können, für sich gesehen keine außergewöhnlichen Umstände, die das Luftfahrtunternehmen von der Verpflichtung zur Zahlung der Ausgleichsleistung wegen Annullierung eines Fluges befreien können (BGH Urteil v. 12.11.2009, Az: Xa ZR 76/07).

27. Die Beklagte ist deshalb verpflichtet, eine Ausgleichszahlung in der in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung bestimmten Höhe von 600,00 EUR pro Person zu erbringen.

28. Unter Berücksichtigung der bereits vom Amtsgericht unter dem Gesichtspunkt der Minderung zugesprochenen Beträge stehen den Klägern die noch geltend gemachten Zahlungsansprüche zu. Der zuletzt noch verfolgte Zinsanspruch ergibt sich aus §288 Abs. 1 BGB. Soweit die Kläger in erster Instanz Zinsen bereits für die Zeit ab 17. Juli 2005 begehrt haben, ist die Entscheidung des Amtsgerichts nicht angefochten.

29. Zu der von der Beklagten angeregten erneuten Vorlage der Sache an den Gerichtshof der Europäischen Union sieht der Senat keine Veranlassung.

30. Der Bundesgerichtshof hat dem Gerichtshof die Streitsache zur Vorabentscheidung vorgelegt, weil er es nicht für zweifelsfrei gehalten hat, dass den Fluggästen eines wesentlich verspäteten Fluges, wie er im Streitfall vorliegt, nach der Verordnung kein Anspruch auf Ausgleichszahlungen zusteht.

31. Diese Unklarheit hinsichtlich der Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist dadurch beseitigt worden, dass der Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. November 2009 die Verordnung dahin ausgelegt hat, dass auch in einem solchen Fall Ausgleichsleistungen zu erbringen sind. Das Urteil selbst wirft jedenfalls keine für den Streitfall relevanten neuen Auslegungsfragen auf, die der Senat nicht ohne erneute Vorlage beantworten könnte.

32. Soweit sich das Urteil nicht ausdrücklich mit der Frage befasst, ob das vom Gerichtshof gefundene Auslegungsergebnis mit dem Montrealer Übereinkommen vereinbar ist, hat der Senat diese Frage bereits in seinem Urteil vom 10. Dezember 2009 (Xa ZR 61/ 09) bejaht; daran hält er fest. Der Gerichtshof hat dies offenbar ebenso gesehen; dass er Art. 29 MÜ übersehen hätte, kann nicht angenommen werden.

33. Der Senat hat auch keine Zweifel an der Gültigkeit der Verordnung. Der Gerichtshof hat die Gültigkeit – anders als die Generalanwältin – bejaht (EuGH Urteil v. 19.11.2009, Az: Rs. C-402/07 und Rs. C-432/07, aaO Tz. 47). Für den von der Beklagten angenommenen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nichts Substantiiertes geltend gemacht.

34. Die Kostenentscheidung beruht für die erste Instanz auf §92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, im Übrigen auf §91 Abs. 1 ZPO.

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