Verspätung des Flugreisegepäcks

AG Köln: Verspätung des Flugreisegepäcks

Der Kläger hatte für sich und seine Familie einen Flug bei der Beklagten gebucht, um einen Aktivurlaub zu erleben. Bei Ankunft stellte sich heraus, dass das Gepäckstück des Klägers das Ziel nicht erreicht hatte. Daher nahm er Ersatzkäufe vor. Diese will er von der Beklagten erstattet haben.

Das Gericht hat dem Kläger die Erstattung teilweise zugesprochen. Aus dem Montrealer Übereinkommen folge eine Ersatzpflicht des Flugunternehmens bei Nichtbeförderung von Gepäck. Die Ersatzkäufe waren in einem angemessenen Rahmen. Allerdings befinden sich die zusätzlich gekauften Gegenstände nun im Eigentum des Klägers, weshalb nicht der volle Wert zu ersetzen sei. Dem Kläger wurde ein Anteil von 849,62 EUR zugesprochen.

AG Köln 114 C 101/15 (Aktenzeichen)
AG Köln: AG Köln, Urt. vom 29.06.2016
Rechtsweg: AG Köln, Urt. v. 29.06.2016, Az: 114 C 101/15
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Amtsgericht Köln

1. Urteil vom 29. Juni 2016

Aktenzeichen 114 C 101/15

Leitsätze:

2. Ein am Flughafen unmittelbar eingereichter Property Irregularity Report (PIR) ist als Anzeige gegenüber dem Luftfrachtführer im Sinne des Montrealer Übereinkommens anzusehen.

Bei der Bemessung des durch Ersatzkäufe erlittenen Schadens kann das Gericht in freier Würdigung die hinzugewonnenen Eigentumspositionen mit einbeziehen.

Zusammenfassung:

3. Der Kläger hatte für sich und seine Familie einen Flug bei der Beklagten von Berlin-Tegel nach Keflavik, Island, gebucht, um dort einen Aktivurlaub zu erleben. Beim Einchecken in Tegel gaben sie unter anderem den Rucksack des Klägers auf. Bei der Ankunft stellte sich heraus, dass dieses Gepäckstück das Ziel nicht erreicht hatte. Noch am Zielflughafen wurde ein Property Irregularity Report (PIR) erstellt und an die Beklagte übermittelt. Daraufhin nahm der Kläger Ersatzkäufe vor, um den Urlaub durchzuführen. Diese will er nun von der Beklagten erstattet haben.

Das Gericht hat dem Kläger die Erstattung teilweise zugesprochen. Aus dem Montrealer Übereinkommen folge eine Ersatzpflicht des Flugunternehmens bei Nichtbeförderung von Gepäck. Dafür müsse allerdings binnen 21 Tagen die Nichtbeförderung dem Luftfrachtführer angezeigt werden. Nach Ansicht des Gerichts ist dies durch den PIR hinreichend geschehen. Die Ersatzkäufe waren auch in einem angemessenen Rahmen und somit grundsätzlich ersatzfähig. Allerdings befinden sich die zusätzlich gekauften Gegenstände nun im Eigentum des Klägers, weshalb nicht der volle Wert zu ersetzen sei. Bei Gegenständen des täglichen Gebrauchs (T-Shirts, Socken) sprach das Gericht dem Kläger 30 % der Kosten zu, bei solchen, die nicht doppelt nutzbar sind (hier insbesondere ein Zelt) 60 %. Dem Kläger wurde insgesamt ein Anteil von 849,62 EUR zugesprochen.

Tenor

4. Das Versäumnisurteil vom 09.09.2015 wird aufrecht erhalten, soweit die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger 849,62 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.11.2014 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 166,60 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.05.2015 zu zahlen.

Im Übrigen wird das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 1/3 und die Beklage 2/3.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die andere Partei zuvor Sicherheit in Höhe von 110% es jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

5. Der Kläger macht Schadensersatzansprüche wegen der Verspätung seines Flugreisegepäcks geltend.

6. Der Kläger buchte bei der Beklagten für sich, seine Ehefrau, und seinen Sohn Flüge von Berlin-Tegel nach Keflavik, Island am 00.0.0000.

7. Die drei Fluggäste gaben während des gemeinsamen Eincheckens am Flughafen Berlin jeweils ein Gepäckstück auf. Das Gepäckstück, welches unter der Bag-Tag Nr. 00000000 aufgegeben wurde, wurde nicht rechtzeitig zum Flughafen Keflavik transportiert. Dabei handelte es sich um das im Eigentum des Klägers stehende Gepäckstück.

8. Der Kläger plante, in Island einen 3-wöchigen Aktivurlaub zu verbringen, bei dem Übernachtungen lediglich im Zelt vorgesehen waren. Die gesamte Campingausrüstung- und -kleidung befand sich in dem Gepäckstück des Klägers.

9. Als der Kläger die fehlende Gepäckbeförderung bemerkte, wandte er sich unmittelbar an die Gepäckermittlung im Flughafen Keflavik.

10. Dort wurde für den Kläger wurde ein sogenannter Property-Irregularity-Report (PIR) erstellt, der auch an die Beklagte übermittelt wurde.

11. Wegen des Inhalts des Reports wird auf die Anl. K 4 Bezug genommen (Bl. 76f. d.A.).

12. Der Kläger tätigte in der Folgezeit Einkäufe im Wert von mindestens 1289,29 EUR und führte seinen Urlaub wie geplant durch.

13. Wegen der einzelnen Käufe wird auf die durch den Kläger eingereichte Aufstellung Bezug genommen (Anl. K 5, Bl. 293 d.A.).

14. Am 00.0.0000 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass sein Gepäckstück aufgefunden wurde. Aufgrund der fortgeschrittenen Urlaubszeit vereinbarten die Parteien, dass eine Rücksendung an die Heimatadresse des Klägers erfolgen solle. Das Gepäckstück wurde dort am 00.00.0000 von einem Nachbarn im Empfang genommen und dem Kläger nach seiner Rückkehr übergeben.

15. Mit Schreiben- datiert auf den 00.00.0000 – forderte der Kläger bei der Beklagten den Ersatz der ihm entstandenen Kosten. Zwischen den Parteien ist streitig, wann die Absendung dieses Schreibens erfolgte.

16. Mit Schreiben vom 00.00.0000 lehnte die Beklagte eine Zahlung ab.

17. Schließlich wurde der Beklagten durch die Prozessbevollmächtigten des Klägers eine weitere Frist zur Zahlung bis zum 00.00.0000 gesetzt.

18. Der Kläger behauptet, sein Gepäckstück sei mit einem Gepäcksanhänger versehen gewesen, auf dem sein Name notiert gewesen sei.

19. Der Kläger behauptet weiterhin, er habe vor Ort nur absolute Noteinkäufe getätigt und damit den Schaden so gering wie möglich gehalten. In seinem Gepäck habe sich eine Sonnenbrille befunden, die auch als Ski-Brille benutzt werden könne.

20. Der Kläger hat mit der am 21.4.2015 bei Gericht eingegangenen Klage zunächst beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.289,29 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz sei dem 08.11.2014 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 229,08 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

21. In der mündlichen Verhandlung vom 09.09.2015 hat das Gericht ein klagestattgebendes Versäumnisurteil erlassen, gegen das die Beklagte fristgerecht Einspruch eingelegt hat.

22. Der Kläger beantragt nunmehr,

23. das Versäumnisurteil vom 9.9.2015 aufrechtzuerhalten.

24. Die Beklagte beantragt,

25. das Versäumnisurteil vom 9.9.2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

26. Die Beklagte ist der Auffassung, der am Flughafen erstellte Property Irregularity Report sei für eine Schadensanzeige nicht ausreichend.

27. Sie ist zu dem der Auffassung, es liege kein Schaden vor, da der Kläger Eigentümer der gekauften Sachen geworden ist und somit keinen Vermögensverlust erlitten habe.

28. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.

29. Das Gericht hat Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung der Zeugen T.T. und U.T.

Entscheidungsgründe:

30. Das Versäumnisurteil war in dem tenorierten Umfang aufrecht zu erhalten, da die zulässige Klage insoweit begründet ist. Im Übrigen war das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

31. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Schadensersatz gemäß Art. 19 des Montrealer Übereinkommens (MÜ) in Höhe von 849,62 EUR zu.

32. Gemäß Art. 19 MÜ hat der Luftfrachtführer den Schaden zu ersetzen, der durch Verspätung bei der Luftbeförderung von Reisenden, Reisegepäck oder Gütern entsteht.

33. Die Beklagte war Luftfrachtführerin hinsichtlich des streitgegenständlichen Fluges von Berlin Tegel nach Keflavik, Island.

34. Es liegt eine Verspätung bei der Luftbeförderung des Reisegepäcks des Klägers vor.

35. Das aufgegebene Gepäckstück des Klägers mit der BagTagNr. 00000000  -ein Rucksack mit Reiseutensilien für einen Outdoor-Camping-Urlaub – wurde nicht mitbefördert und ist daher nicht rechtzeitig am 21.7.2014 am Bestimmungsort in Keflavik eingetroffen.

36. Der Kläger ist als Vertragspartner der Beklagten aktivlegitimiert. Dabei hat es keine Auswirkung, dass beim Einchecken in Berlin das streitgegenständliche Gepäckstück unter dem Namen des Sohnes des Klägers aufgebeben wurde. Anspruchsberechtigter i.S.v. Art. 19 MÜ ist jedenfalls der Absender des Reisegepäcks als Vertragspartner des Luftfrachtfrührer. Absender war im vorliegenden Fall der Kläger. Dem Vortrag des Klägers, die Familie habe gemeinsam eingecheckt und dabei drei Gepäckstücke aufgegeben, ist die Beklagte nicht entgegengetreten. Demzufolge hing es lediglich vom Zufall ab, welches Gepäckstück auf welchen Namen eingebucht wurde.

37. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass es sich bei dem Gepäckstück um den im Eigentum des Klägers stehenden Rucksack handelt, der mit dessen Reiseutensilien bepackt war.

38. Insofern steht der Kläger als Absender und Empfänger im tatsächlichen Sinne fest.

39. Darüber hinaus ist aber auch der Eigentümer des Frachtgutes berechtigt, einen Schadensersatzanspruch geltend zu machen (vgl. Pokrant in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch 3. Auflage 2015, Art. 18 MÜ, Rn. 32 f.).

40. Der Anspruch des Klägers ist nicht gemäß Art. 31 Abs. 4 MÜ ausgeschlossen, da der am 21.7.2014 erstellte Property Irregularity Code eine rechtzeitige Schadensanzeige darstellt.

41. Gemäß Art. 31 Abs. 2 MÜ muss der Empfänger im Falle einer Verspätung binnen 21 Tagen seit dem das Gepäck zur Verfügung gestellt wurde dem Luftfrachtführer Anzeige erstatten. Wird die Anzeigefrist versäumt, so ist gemäß Art. 31 Abs. 4 MÜ jede Klage gegen den Luftfrachtführer ausgeschlossen.

42. Eine Anzeige der Verspätung erfolgte erstmalig unmittelbar nach der Landung am 00.00.0000 in Island bei der dortigen Gepäckermittlung, wo ein sog. Property Irregularity Report erstellt und unstreitig an die Beklagte weitergeleitet wurde.

43. Der Inhalt des Reports ist aus der Anl. K 4 ersichtlich.

44. Entgegen der Auffassung der Beklagten erfüllt dieser Report die Anforderungen an eine Schadensanzeige im Sinne des Übereinkommens.

45. Nach Art. 31 Abs. 3 MÜ muss die Anzeige schriftlich erstattet und binnen der Frist übergeben oder abgesandt werden. Dies ist erfolgt.

46. Aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich nicht, dass die Anzeige der konkreten Benennung einzelner Schadenspositionen bedarf.

47. Das Anzeigeerfordernis verfolgt den Zweck, dass ein Luftfrachtführer frühzeitig Kenntnis von einem Schaden erlangen soll und sich auf etwaige Schadenersatzansprüche einstellen kann (vgl. OLG Frankfurt am Main, NJW-RR 2003, 22).

48. Durch den PIR konnte der Kläger anzeigen, dass er das von ihm am Abflug aufgegebene Gepäckstück vermisst, weil es ihm bei der Gepäckausgabe am Flughafen nicht ausgehändigt wurde. Wie hoch der ersatzfähige Schaden sein würde, konnte zu diesem Zeitpunkt naturgemäß noch nicht festgestellt werden und daher auch nicht Gegenstand der Anzeige sein. Letzteres ist aber für die Anzeige im Sinne von Art. 31 MÜ auch nicht erforderlich.

49. Die Schadensanzeige muss grundsätzlich den Schadenssachverhalt konkret mitteilen und erkennen lassen, gegen wen Ansprüche geltend gemacht werden. Die Beschreibung der Beschädigung muss dabei nicht ins Detail gehen; es genügt, dass die Schäden aus der Sicht des Empfängers der Anzeige hinreichend erkennbar sind (vgl. OLG Frankfurt am Main, NJW-RR 2003, 22; Koller, TransportR, 4. Aufl., Art. 26 WarschAbk Rdnr. 12 m.w. Nachw., Pokrant in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch 3. Auflage 2015, Art. 31 MÜ, Rn. 17.).

50. All dies ist mit der vorliegenden Anzeige der Verspätung gewährleistet. Der Report lässt aufgrund der Angabe der Flugnummer erkennen, gegen wen sich etwaige Ansprüche richten werden. Auch ist der Beklagten hierdurch angezeigt worden, dass die Geltendmachung eines Verspätungsschadens auf sie zukommen könnte. Der Umstand, dass zu diesem Zeitpunkt noch nicht ersichtlich ist, ob das Gepäckstück überhaupt wieder aufgefunden wird, wie lang der Zeitraum der Verspätung sein wird und welche konkreten Verspätungsschäden dies zur Folge haben könnte, ist unbeachtlich. Diese konkreten Informationen sind zur Erfüllung des oben genannten Zwecks der Schadensanzeige nicht erforderlich. Für die Beklagte war bereits ab dem Eingang des Reports erkennbar, dass ein Schaden in Höhe der Kosten etwaiger Ersatzbeschaffungen entstehen könnte. Hierauf konnte sie sich ab diesem Zeitpunkt einstellen und etwaige Beweissicherungen vornehmen.

51. Dabei hat das Gericht nicht verkannt, dass die zitierte Rechtsprechung des OLG Frankfurt am Main den Fall der Beschädigung und nicht der Verspätung betrifft.

52. Die Beschädigung stellt einen zum Zeitpunkt der Schadensanzeige bereits abgeschlossenen Schadensfall dar, so dass bereits bei Entdeckung der Beschädigung eine hinreichend konkrete Benennung erfolgen kann. Hingegen ist bei der bloßen Anzeige einer Verspätung zum Zeitpunkt der ersten Mitteilung noch gar nicht ersichtlich, ob überhaupt ein Schaden eintreten und wie hoch dieser ausfallen wird.

53. Wird jedoch selbst für den ersten Fall eine detaillierte Schadensbeschreibung nicht verlangt, obwohl der Schaden bereits feststeht, muss dies erst recht für den Fall einer Verspätung gelten, in dem eine konkrete Schadensbenennung zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht möglich ist. Es würde den Reisenden im Falle einer Verspätung benachteiligen, wenn die Anforderung an den Inhalt der Schadensanzeige im Vergleich zu dem Fall einer Beschädigung erhöht und die Erstellung eines Property Irregularity Reports nicht ausreichen würde.

54. Es kann damit dahinstehen, ob der Kläger sein späteres Schadensersatzverlangen bereits am 00.00.0000 oder erst am 00.00.0000 an die Beklagte sendete.

55. Dem Kläger steht der geltend gemacht Schadensersatz aber nicht in voller Höhe, sondern nur anteilig in Höhe von 849,62 EUR zu.

56. Der Umfang des zu ersetzenden Schadens beurteilt sich im Rahmen von Art. 19 MÜ nach dem jeweils anwendbaren nationalen Recht unter Berücksichtigung der durch das Übereinkommen vorgesehen Einschränkungen, Art. 29 MÜ.

57. Der Kläger kann damit gemäß §§ 249 ff. BGB den Schaden ersetzt verlangen, der kausal auf der verspäteten Beförderung seines Gepäckstücks beruht.

58. Der Kläger hat unbestritten dargelegt, dass er einen 3-wöchigen Aktivurlaub geplant und sich zu diesem Zweck umfangreiche Outdoorprodukte und Funktionskleidung in seinem Gepäck befunden hat.

59. Um den Urlaub trotz des verspäteten Gepäcks durchzuführen, musste sich der Kläger veranlasst sehen, die notwendige Ausrüstung ersatzweise vor Ort zu beschaffen.

60. Diese Käufe hätte der Kläger bei rechtzeitiger Beförderung seines Reisegepäcks nicht tätigen müssen.

61. Aus der von dem Kläger als Anl. K 5 eingereichten Übersicht, die mit Rechnungen belegt sind, ergibt sich, dass der Kläger Käufe für insgesamt 1486,96 EUR getätigt hat und hierfür Kreditkartengebühren von insgesamt 22,18 EUR angefallen sind.

62. Insgesamt hat der Kläger demnach angeschafft:

3 x Socken                                           25,73 EUR

2 x lange Unterhosen              85,59 EUR

1 x Sonnenbrille                            27,07 EUR

3 x T-Shirts                                          77,38 EUR

1 x Schlafsack                            61,87 EUR

1 x Dreimannzelt                            283,77 EUR

1 x Isomatte                                           113,44 EUR

1 x Regenhose                            161,47 EUR

1 x Regenjacke                            323,00 EUR

1 x Softshell Jacke                            122,70 EUR

1 x Ground Sheet                            19,93 EUR

1 x Decke                                          185,01 EUR

63. Unter Zugrundelegung dieser konkreten Angaben, ist das Gericht berechtigt, den tatsächlich entstandenen Schaden des Klägers gemäß § 287 ZPO durch Schätzung zu ermitteln

64. „Mit dieser Vorschrift soll verhindert werden, dass eine Klage allein deshalb abgewiesen wird, weil der Kl. nicht in der Lage ist, den vollen Beweis für einen ihm erwachsenen Schaden zu erbringen, sei es, dass die Schadensberechnung Ermessenssache ist oder wegen einer hypothetischen Schadensberechnung schwer zu beziffern ist oder die Beweiserhebung über die Schadenshöhe einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde. In all diesen Fällen tritt an die Stelle des Vollbeweises der Schadenshöhe das Ermessen des Gerichts, wobei in Kauf genommen wird, dass die richterliche Schätzung unter Umständen mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt (vgl. bereits BGH, NJW 1964, 589). § 287 ZPO ist anwendbar auf die Höhe von Schadensersatzansprüchen, unabhängig davon, ob sie auf Vertrag, unerlaubter Handlung oder Gefährdungshaftungstatbeständen beruhen. Erforderlich ist nur, dass der Geschädigte in ausreichendem Maße Anknüpfungstatsachen für eine Schadensschätzung vorträgt.“

65. (Vgl. OLG Frankfurt am Main, NJW-RR 2003, 22, 23)

66. Dabei kann es nach Auffassung des Gerichts dahinstehen, ob der Kläger die konkret erworbenen Gegenstände in gleicher Qualität auch in seinem verspäteten Gepäckstück mitführte. Entscheidend ist, dass der Kläger unbestritten vorgetragen hat, für den geplanten Urlaub in vollem Umfang ausgestattet gewesen zu sein und die getätigten Käufe sämtlich dazu erforderlich waren die fehlende Ausrüstung zu kompensieren.

67. So ist es beispielsweise für die Ersatzfähigkeit der gekauften Decke nicht erforderlich, dass eine ähnliche Decke auch in dem Ursprungsgepäck vorhanden war. Eine Ersatzfähigkeit wäre vielmehr auch schon dann gegeben, wenn der Kläger einen wesentlich höherwertigen Schlafsack besaß, der eine zusätzliche Decke entbehrlich gemacht hätte.

68. Erforderlich ist aber stets, dass der Kläger den Schaden dabei möglichst gering gehalten hat und nicht etwa besonders hochwertige Produkte erworben hat, die seine ursprüngliche Ausrüstung weit übersteigen. Dementsprechend würde es sich auch nicht zu Lasten des Klägers auswirken, wenn die neu erworbene Sonnenbrille über eine zusätzliche Funktion verfügt, die bei seiner eigenen Sonnenbrille nicht vorhanden war, solange es sich nicht um ein Modell handelt, dessen Preis gänzlich außer Verhältnis zu seinen Bedürfnissen steht. Dies ist bei einer Sonnenbrille für Preis von 27,07 EUR nicht der Fall.

69. Legt man diese Grundsätze im Rahmen der Schätzung zu Grunde erscheinen die von dem Kläger aufgestellten Käufe notwendig aber auch ausreichend um einen 3-wöchigen Outdoor-Urlaub durchzuführen. Aus der Auflistung der Produkte ergibt sich nicht, dass der Kläger für den Urlaub nicht notwendige Produkte oder eine übermäßige Anzahl von Kleidung erworben hat. So hat der Kläger beispielsweise für einen 3-wöchigen Urlaub lediglich 3 T-Shirts und 3 Paar Socken angeschafft.

70. Gleichzeitig ist aber auch ersichtlich, dass der Kläger nicht lediglich „Notkäufe“ tätigte, sondern jedenfalls teilweise hochwertige und hochpreisige Produkte anschaffte.

71. Insbesondere daraus folgt, dass diese in das Eigentum des Klägers übergegangenen Waren auch nach dem Urlaub noch eine Vermögensposition für den Kläger darstellen. Auch wenn eine Vielzahl der Produkte, wie z.B. das Zelt oder der Schlafsack, nunmehr unnötigerweise doppelt vorhanden sind, kommt ihnen gleichwohl ein gewisser Wert zu, der der Vermögensseite des Klägers hinzuzurechnen ist.

72. Dieser Vorteil ist im Rahmen der Schadensschätzung mit einzubeziehen und in Abzug zu bringen.

73. Das Gericht erachtet hierbei hinsichtlich der angeschafften alltäglichen Produkte, die jede Person üblicherweise mehrfach besitzt und in regelmäßigen Abständen neu erwirbt, einen Abzug von 70 % für angemessen. Dies betrifft im konkreten Fall Socken, T-Shirts, lange Unterhosen sowie die Sonnenbrille. Diese Anschaffungen sind nach dem Urlaub für den Kläger weiter nutzbar.

74. Hinsichtlich der übrigen Einkäufe, die nunmehr doppelt vorhanden, aber nicht doppelt nutzbar sind – denen aber gleichwohl ein Weiterveräußerungswert zukommt-, erscheint ein Vorteilsausgleich von 40 % den vorliegenden Umständen ausreichend Rechnung zu tragen.

75. Hieraus ergibt nach freier Überzeugung des Gerichts gemäß § 287 ZPO sich ein Gesamtschaden in Höhe von (64,73 EUR + 762,71 EUR) 827,44 EUR.

76. Darüber hinaus sind die Kreditkartengebühren in Höhe von 22,18 EUR vollumfänglich ersatzfähig.

77. Der daraus resultierende Anspruch in Höhe von 849,62 EUR ist nicht aufgrund eines Mitverschuldens des Klägers zu reduzieren, § 254 BGB.

78. Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass der Kläger sein Gepäckstück mit einer Visitenkarte versehen hat. Die Zeugin T.T. hat zudem angegeben, dass wegen des Überzugbeutels von außen eine weitere Visitenkarte vorhanden war.

79. Das Gericht sieht keinen Anlass, an der Glaubhaftigkeit der Angaben zu zweifeln.

80. Selbst wenn man unterstellen würde, das Gepäckstück sei nicht mit einem äußeren Namensschild versehen gewesen ist fraglich, ob der Schaden andernfalls geringer ausgefallen. Die Beklagte hätte durch Öffnen des Koffers eine Zuordnung gewährleisten können. Ob den Kläger sein Gepäckstück dann jedoch rechtzeitig erreicht hätte, als er seine Tour beginnen wollte, ist nicht ersichtlich.

81. Ein Mitverschulden beruht auch nicht auf einer fehlenden Beschreibung des Gepäckstücks. Aus dem als Anl. K4 vorgelegten Report ergibt sich eine besondere Beschreibung nicht. Hierauf hat der Kläger jedoch keinen Einfluss. Weitere Möglichkeiten eine Beschreibung zur Auffindung des Gepäcks abzugeben, standen dem Kläger vor Ort nicht zur Verfügung.

82. Dass der Kläger erst am 30.7.2014 über das World Tracer System eine konkretere Beschreibung des Rucksacks „Grauer Rucksack Deuter 65+10 in weissem Plastesack“ abgegeben hat, begründet kein Mitverschulden. Zum einen ist nicht dargelegt, ob und wann der Kläger über die Funktionsweise dieses Systems informiert wurde. Die Beklagte hat nicht dargelegt, den Kläger explizit nach einer Beschreibung gefragt zu haben. Ohne einen ausdrücklichen Hinweis auf diese Möglichkeit der Gepäckbeschreibung, war der Kläger nicht verpflichtet, dass zur Verfügung stehende System hiernach zu durchsuchen.

83. Im Übrigen war dies bei ausreichender Beschriftung des Gepäckstücks aus Sicht des Klägers auch nicht erforderlich.

84. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.

85. Der Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten richtet sich nach der Höhe des zugesprochenen Anspruchs und ist demnach lediglich anhand eines Gegenstandwertes von 849,62 EUR zu berechnen. Zum Zeitpunkt der Beauftragung befand sich die Beklagte bereits im Verzug, § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB.

86. Die angefallenen Kosten sind entsprechend der klägerischen Berechnung Höhe von 166,60 EUR ersatzfähig.

87. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288, 291 BGB.

88. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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