Verspätete Beförderung von Kreuzfahrtreisenden
OLG Frankkfurt: Verspätete Beförderung von Kreuzfahrtreisenden
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen eines verspäteten Zubringerfluges. Die Parteien vereinbarten vertraglich, dass die Beklagte 54 Passagiere befördere, damit diese rechtzeitig die Abfahrt eines Kreuzfahrtschiffes erreichen können. Der Zubringerflug verspätete sich wegen eines Feueralarms am Triebwerk erheblich. Die Passagiere verpassten folglich die Abfahrt des Schiffes.
Das Oberlandesgericht entschied, dass die Beklagte zu 70% für den Schaden aufkommen müsse, da sie nicht für einen Ersatzflug gesorgt habe.
OLG Frankfurt | 21 U 11/03 (Aktenzeichen) |
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OLG Frankfurt: | OLG Frankfurt, Urt. vom 18.02.2004 |
Rechtsweg: | OLG Frankfurt, Urt. v. 18.02.2004, Az: 21 U 11/03 |
LG Frankfurt, Urt. v. 19.12.2002, Az: 10 O 74/02 | |
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Leitsätze:
2. Wird zur Beförderung von Personen vertraglich vereinbart, dass bei Verspätung des Fluges ein besonders hoher Schaden drohe, so ist besondere Sorgfalt zu beachten.
Dies erfordert, dass für den möglichen Ausfall des Zubringerflugs für ausreichend Ersatz gesorgt sein muss.
Zusammenfassung:
3.Die Klägerin buchte für 54 Personen einen Zubringerflug bei der Beklagten, wodurch die Passagiere zu einem Kreuzfahrtschiff befördert werden sollten. Aufgrund einer Feuerwarnung an einem Triebwerk verspätete sich der Zubringerflug erheblich, sodass die Passagiere die Abfahrt des Schiffes verpassten. Die Klägerin verlangt nun von der Beklagten Ersatz für den entstandenen Schaden.
Das Landgericht Frankfurt am Main entschied, dass die Beklagte für den entstandenen Schaden zu 70% aufkommen müsse, da sie genügend Zeit gehabt hätte, einen Ersatzflug zu organisieren. Die Parteien gingen gegen dieses Urteil in Berufung.
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main wies die Berufung zurück und stimmt der Entscheidung des Landgerichts zu. Die Beklagte hafte zu 70% für den entstandenen Schaden gemäß Art. 19, 20 Warschauer Abkommen (WA). Die Beklagte hätte für den möglichen Ausfall des Fluges für ausreichend Ersatz sorgen müssen. Es wurde vertraglich vereinbart, dass die Passagiere rechtzeitig die Abfahrt des Kreufahrtschiffes erreichen müssten und dadurch besondere Sorgfalt seitens der Beklagten zu beachten sei, da ansonsten ein besonders hoher Schaden drohe.
Tenor:
4. Die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin gegen das am 19.12.2002 verkündete Urteil der 10. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main – 3/10 O 74/02 – werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagte 70 %, die Klägerin 30 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die vorläufige Vollstreckung kann durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwendet werden, wenn nicht die Vollstreckende Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Gründe:
5. (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO):
6. Die Klägerin verlangt Schadensersatz, weil 54 Passagiere, für die sie bei der Beklagten einen Zubringerflug von Frankfurt am Main nach V… (…, planmäßiger Abflug: 30.09.00, ….25, planmäßige Ankunft: …15 Uhr, jeweils Ortszeit) zu einer Kreuzfahrt nach H… gebucht hatte, die Abfahrt des Schiffes von V… (planmäßig: 30.09.00, 17.00 Uhr Ortszeit) verpassten, weil der von Frankfurt am Main gestartete Flug wegen einer Feuerwarnung an einem Triebwerk abgebrochen wurde und ein Start mit einer Ersatzmaschine erst am nächsten Tag erfolgte.
7. Die Parteien streiten über die Anspruchsgrundlage, das Verschulden der Beklagten und ein Mitverschulden der Klägerin.
8. Zum Vortrag der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom Bezug genommen.
9. Das Landgericht hat die Parteien darauf hingewiesen, die Anwendung von Art. 19, 20 WA komme in Betracht, außerdem könne im Rahmen des Art. 20 WA eine Rolle spielen, ob die Beklagte Kenntnis davon gehabt habe, dass die Abfahrt des Schiffes bis 24.00 Uhr oder auch bis 3.00 Uhr des nächsten Tages hinausgezögert werden könne. Die Parteien haben hierzu Stellung genommen.
10. Durch das angefochtene Urteil hat das Landgericht die Klage in Höhe von 70 % des berechtigten Schadens für gerechtfertigt erklärt.
11. Es liege ein Verspätungsschaden im Sinne von Art 19 WA vor, keine Unmöglichkeit, da es sonst keinen denkbaren Fall einer Verzögerung mehr gäbe. Zwar sei der Defekt nicht zu verhindern, die Rückkehr erforderlich gewesen, es sei aber genug Zeit gewesen, für eine Ersatzmaschine zu sorgen. Die Beklagte mit Hauptsitz in Frankfurt am Main hätte dartun müssen, weshalb eine solche nicht hätte eingesetzt werden können.
12. Die Beklagte treffe ein Mitverschulden von 30 %, weil die Klägerin bei der Planung der Ankunft der Maschine um 14.15 Uhr Ortszeit in V… und der vorgesehenen Abfahrt des Schiffes um 17.00 Uhr eine immer mögliche Verspätung nicht ausreichend berücksichtigt habe.
13. Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird verwiesen.
14. Mit der Berufung wendet sich die Beklagte weiterhin gegen die vom Landgericht angenommene Anspruchsgrundlage und macht geltend, sie habe alles ihr zumutbare getan, um die Verspätung oder Unmöglichkeit zu verhindern. Auf den möglichen Einsatz einer Ersatzmaschine komme es, wie sie meint, im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität nicht an. Dieser vom Landgericht herausgestellte Aspekt sei überraschend.
15. Tatsächlich habe sie sogar mehr als die übliche Reserve vorgehalten.
16. Üblich sei ein Reservefaktor von 0,6, während sie für diese Teilflotte einen Reservefaktor von 0,75 einhalte, was 6 Reserven pro Woche entspreche; während sich die Mindestreserve aus Anzahl der Flugzeuge einer Teilflotte x 0,6= Anzahl der Reserven pro Woche errechne, hier also 8 x 0,6 = 4,8.
17. Als Ersatz seien nur X… in Betracht gekommen, da nur Langstreckenmaschinen dieses Typs hätten eingesetzt werden können und auch nur für diese das Start- und Landerecht (Slot) bestanden habe. Von den 8 Maschinen ihrer Flotte seien 6 unterwegs gewesen- einschließlich der hier eingesetzten, bei der sich der Defekt herausgestellt habe. Eine Maschine …, im Folgenden „Y…“, sei gerade in der Wartung gewesen, die nicht kurzfristig habe abgebrochen werden können; diese Maschine habe dann den Flug …/… am 1.10.02 um 6.49 Uhr durchgeführt. Eine Maschine, im Folgenden „Z…“ sei die eigentliche Reserve gewesen, sie sei jedoch wegen eines unvorhergesehenen technischen Defekts – Tank Nr. 4 Beanstandung „aircraft on ground“- belegt gewesen. Deshalb habe die übliche Ersatzmaschine nicht zur Verfügung gestanden. Eine ausreichende Personalreserve sei vorhanden gewesen.
18. Sämtliche Wartungen seien ordnungsgemäß durchgeführt worden.
19. Ersatzflüge, auch solche mit anderen Gesellschaften, hätten nicht zur Verfügung gestanden. Die Flüge … (Ankunft ….45 Uhr) und … (Ankunft ….55 Uhr) seien ausgebucht gewesen. Hierzu legt sie die „Flight- Leg- Steckbriefe“ Bl. 185 ff d. A. vor.
20. Mit der Anschlussberufung wendet sich die Klägerin gegen das ihr vom Landgericht angerechnete Mitverschulden. Im Übrigen verteidigt sie das landgerichtliche Urteil.
21. Sie bestreitet die ordnungsgemäße Wartung der Flugzeuge und ein ausreichendes Bemühen der Beklagten um einen Ersatzflug. Auch wenn die späteren Flüge ausgebucht gewesen seien, so habe den Passagieren, die rechtzeitig ihre Kreuzfahrt antreten wollten, der Vorrang gegenüber den anderen gebührt. Ausreichenden Ersatz habe sie ebenfalls nicht vorrätig gehalten.
22. Der Senat hat die Parteien darauf hingewiesen, dass es der Beklagten nach Art. 20 WA (aber auch nach § 325 BGB) obliege, sich zu entlasten.
23. Um eine Entlastung nach Art. 20 WA zu ermöglichen, sei nicht nur die ordnungsgemäße Wartung der zum Einsatz vorgesehenen Flugzeuge erforderlich, sondern auch die Bereithaltung ausreichenden Ersatzes, der sich nicht nach der Üblichkeit, sondern nach der Erforderlichkeit richte; bei der hier vereinbarten Vertragspflicht des Transports zahlreicher Passagiere zu einer Kreuzfahrt mit bekanntem Abfahrtstermin sehe der Senat jedenfalls als erforderlich mindestens eine ständig einsatzbereite Ersatzmaschine an.
24. Es sei zu klären, ab wann die Maschine Y… in Wartung gewesen sei und bis wann diese ggf. hätte zurückgestellt werden können, des weiteren, wann der Defekt an der Ersatzmaschine Z… festgestellt worden und welche Maßnahmen darauf hin veranlasst worden seien, ggf. andere Maschinen – auch anderer Gesellschaften- als Ersatz bereit zu halten.
25. Zum Vortrag ordnungsgemäßer Wartung der vorgesehenen Maschine … und der Ersatzmaschinen Y… und Z… gehöre die Vorlage entsprechender Dokumentationen z. B. von Wartungsabnahmeprotokollen. Die Beklagte möge außerdem mitteilen, wer die Liste der möglichen Ersatzflüge- auch anderer Gesellschaften- zusammengestellt habe und auf welchen Informationen die Liste beruhe, des weiteren wer die Buchungen der Flüge … und … wann überprüft habe.
26. Auch ein Mitverschulden der Klägerin komme in Betracht. Dieses sei, falls das angegebene Zeitfenster bis 3.00 Uhr morgens bestanden habe, weniger in der Buchung des vorgesehenen Fluges als darin zu sehen sein, dass der Beklagten dieses längere Zeitfenster möglicherweise unbekannt gewesen sei; wann, wie und durch wen die Klägerin nach ihrer Darstellung die Beklagte informiert habe, sei unklar.
27. Die Klägerin hat dazu im Wesentlichen ausgeführt:
28. Es seien nur 2 Maschinen für die Ersatzbeförderung in Frage gekommen:
29. …, im Folgenden „Y…“: Für diese sei am 30.09.00 ein ganztägiger Wartungsturnus vorgesehen gewesen. Die turnusmäßigen Wartungsarbeiten seien durch drei durchlaufzeitkritische Einzelaufträge, deren Abarbeitung bereits in der Nacht vom 29. zum 30. 09.2000 begonnen habe, erschwert und verlängert worden. Bei Bekanntwerden der Feuerwarnung in der in der Luft befindlichen Maschine … des Flugs … sei ein Abbruch der Abarbeitung der bereits begonnenen Arbeitsaufträge nicht mehr möglich gewesen.
30. …, im Folgenden „Z…“: Sie sei am Morgen von einem Flug zurückgekehrt; für den 30.09.00 sei der routinemäßige Wochencheck/S- Check) vorgesehen gewesen. Während des Fluges sei eine Meldung über eine Undichtigkeit an einem Tank erfolgt; dies habe umfangreiche Arbeiten veranlasst.
31. Auch auf Maschinen von Wettbewerbern habe sie nicht kurzfristig zurückgreifen können.
32. Ihre Maschinen seien ordnungsgemäß gewartet worden.
33. Die Flüge … und … seien vollständig ausgebucht gewesen, für … sei auch der Check- In bereits abgeschlossen gewesen. Für … nach L… mit 7 freien Plätzen hätten zum Weiterflug nach V… neue Dokumente ausgestellt und eine längere Umsteigezeit berücksichtigt werden müssen.
34. Die Klägerin behauptet, sie habe die Beklagte darüber informiert, dass ihre Zentrale in O1 die Ankunft eines Alternativfluges erfragt habe; sie habe kein Zeitlimit gesetzt, sondern gefragt, wie lange man warten müsse. Schon innerhalb etwa einer Stunde nach Rückkehr des Flugzeugs sei von der Beklagten der Bescheid gekommen, man könne nicht genügend Ersatzplätze anbieten.
35. Auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.
36. (§ 540 I Nr. 2 ZPO)
37. Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung und die ebenfalls zulässige Anschlussberufung haben keinen Erfolg.
38. Die Klage ist zu 70 % dem Grunde nach gerechtfertigt.
39. Die Haftung der Beklagten folgt aus Art. 19, 20 Warschauer Abkommen (WA).
40. Es wird zwar vertreten, die Haftungsregeln des WA auch wegen Verzögerung (Art. 19 WA) setzten voraus, dass sich ein luftfahrttypisches Risiko verwirklicht habe. Dies beruht auf der Entscheidung des BGH vom 28.09.1978, NJW 1979, 495 f, die lediglich zu Recht zwischen der eigentlichen Verzögerung des gebuchten Fluges und der Verzögerung bzw. Unmöglichkeit wegen Überbuchung unterscheidet. Dass eine Überbuchung kein vom WA erfasstes Risiko darstellt, erschließt sich von selbst. Der Satz, die Regeln des WA würden nur Schadensersatzansprüche regeln, die sich aus den dem Luftverkehr eigentümlichen Gefahren ergeben könnten (II, 1., 2. Abs.) (so auch Giemulla- Schmid, Frankfurter Kommentar zum Luftrecht, Art. 19 WA Rdnr. 18a), darf aber nicht aus diesem Zusammenhang gerissen und verselbständigt werden. So ordnet das OLG Düsseldorf (TranspR 1997, 150 f) eine Verspätung wegen eines Triebwerkschadens nicht dem WA zu: Es sei kein typisches Risiko i.S. v. Art. 19 WA, weil derartige Situationen bei jedem anderen Beförderungsmittel auch eintreten könnten. Hierauf kann es aber nach Auffassung des Senats nicht allein ankommen. Dass sich bestimmte Gefahren in gleicher Weise wie beim Luftverkehr auch bei anderen Verkehrsmitteln verwirklichen können, schließt nicht aus, dass diese auch „dem Luftverkehr eigentümlich“ sind. Zahlreiche Risiken bestehen bei Verkehrsmitteln in der Luft genauso wie auf der Straße, der Schiene oder auf dem Wasser: Gerade vom BGH als typisch angesehene wetterbedingte Einflüsse (a.a.O.) sind auch bei anderen Verkehrsmitteln typische Gefahr. Sie sind als typische Verkehrsgefahr mithin auch dem Luftverkehr „eigentümlich“.
41. Bei der Personenbeförderung kommt es entscheidend darauf an, ob es sich noch um eine Verspätung bei der Luftbeförderung handelt. Das wird man wohl dann ablehnen können, wenn es zur Luftbeförderung überhaupt nicht gekommen ist.
42. Hier fand der Flug aber statt. Er wurde abgebrochen und dann – unter der vorgesehenen Flugnummer, wenn auch verspätet – durchgeführt.
43. Damit gelten die Verspätungsregeln de WA.
44. Ob ein Fixgeschäft vorliegt oder nicht, ist im Geltungsbereich des WA unerheblich. Wenn man eine Verspätung in Anwendung nationalen Rechts als Unmöglichkeit definiert und dann hieran andere Folgen knüpft, stellt dies eine Umgehung des das nationale Recht insoweit verdrängenden WA dar (Art. 24 WA).
45. Eine erhebliche Verzögerung ist hier eingetreten.
46. Die Beklagte stellt zwar in Abrede, überhaupt verpflichtet gewesen zu sein, termingerecht die Beförderung durchzuführen. Aus der Kopie der Buchung vom 10.08.1999 (Bl. 78 d. A.), die auch erörtert worden ist, geht aber deutlich hervor, dass die Klägerin die Buchung bei der Gruppenabteilung der Beklagten unter Hinweis auf die Abfahrt des Schiffes um 17.00 Uhr von V… vorgenommen hat.
47. Selbst wenn man von einem Fixgeschäft ausginge und § 325 BGB der hier anzuwendenden alten Fassung heranzöge, ergäbe sich nichts anderes: Auch aus diesem Gesichtspunkt wäre die Beklagte haftbar, soweit sie sich nicht vom Verschulden entlasten könnte.
48. Die Beklagte hat sich nicht entlastet.
49. Der Ansicht der Beklagten, sie sei zur Ersatzbeschaffung nicht verpflichtet gewesen, stimmt der Senat nicht zu.
50. Die Pflicht der Beklagten zur rechtzeitigen Beförderung endete nicht mit dem Start der Maschine, sondern sie wäre erst mit rechtzeitiger Ankunft erfüllt gewesen. Bis dahin war die Beklagte verpflichtet, alle zur Verfügung stehenden zumutbaren Mittel zur rechtzeitigen Durchführung des Fluges einzusetzen, also auch eine erreichbare Ersatzmaschine zur Verfügung zu stellen.
51. Soweit die Beklagte nunmehr im Einzelnen zur Bereithaltung von Ersatzmaschinen und Personal vorträgt, ist der Vortrag gemäß §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Nr. 2 und 3 ZPO zu berücksichtigen.
52. Zwar ist grundsätzlich die Frage, ob Ersatz bereit oder zu beschaffen war, nicht so fern liegend, dass die Beklagte nicht von selbst hierzu hätte vortragen können. Das Landgericht hat jedoch durch seinen Hinweisbeschluss vom 1.08.2002 das Augenmerk der Parteien auf bestimmte Gesichtspunkte gelenkt, zu denen die Parteien auch entsprechend Schriftsätze eingereicht haben. Die Bereithaltung von Ersatzmaschinen war demgegenüber kein Erörterungspunkt, jedenfalls ist ein entsprechender Hinweis nicht aus der Akte ersichtlich (§ 139 Abs. 4 ZPO).
53. Der Vortrag reicht zur Entlastung aber nicht aus, und zwar unabhängig davon, ob Art. 19, 20 WA oder §§ 325, 278 BGB Anwendung finden.
54. Wie der Senat bereits im Hinweisbeschluss vom 19.11.2003 ausgeführt hat, war die Beklagte bei einer Gruppenbuchung für 54 Kreuzfahrtpassagiere, die ihre Abfahrt rechtzeitig erreichen sollten, zur Vermeidung eines ansonsten drohenden hohen Schadens zu besonderer Sorgfalt verpflichtet, um dieses vertraglich festgelegte Ziel nicht zu gefährden.
55. Dazu gehört, dass auch ein ausreichender Ersatz vorgesehen ist, um einen Ausfall eines Flugzeuges, mit dem auch bei sorgfältiger Wartung zu rechnen ist, innerhalb noch vertretbarer Zeit kompensieren zu können. Von der Notwendigkeit einer Reserve geht die Beklagte auch selbst aus, wenn sie auch angibt, ein Faktor von 0,6 sei üblich und ein solcher von 0,75 werde von ihr eingehalten.
56. Tatsächlich war ein einsatzfähiges Ersatzflugzeug nicht vorhanden, aber auch nicht vorgesehen. Denn die Beklagte räumt jetzt selbst ein, dass weder die Y…, noch die …, die als Ersatz hätten dienen sollen, tatsächlich verfügbar waren, sondern für Wartungsarbeiten vorgesehen waren. Auch wenn man der Beklagte zugestehen will, bei nicht für den Flug eingesetzten Maschinen die Zeit am Boden für Kontrollen zu nutzen, können sie jedenfalls dann nicht mehr als Ersatzpotential gesehen werden, wenn planmäßig umfangreiche Arbeiten vorgenommen werden, die in absehbarer Zeit nicht abgebrochen werden können. Andererseits lag die Meldung über die Undichtigkeit am Tank der Z… bereits am Morgen des 30.09.00 vor. Diese Maschine stand damit für die Beklagte nicht als Ersatz zur Verfügung.
57. Damit war eine Verschiebung oder der Abbruch der noch nicht zwingend gebotenen Wartung der Y… mit der Verzögerung durch die ebenfalls nicht dringenden 3 „zeitlaufkritischen Einzelaufträge“ veranlasst, nicht erst bei Bekanntwerden der Rückkehr der zum Flug … gestarteten … wegen der Feuerwarnmeldung. Dann hätte zeitnah eine Maschine zur Verfügung gestanden.
59. Da – für die Beklagte offensichtlich – der Klägerin ein besonders hoher Schaden drohte, wenn ihre 54 Passagiere die mitgeteilte Abfahrt des Kreuzfahrtschiffes nicht erreichen würden, war die Beklagte auch gehalten, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, einen rechtzeitigen Flug doch noch zu ermöglichen. Dazu hätte auch gehört, bei Passagieren der nachfolgenden Flüge – es gab noch mindestens 2, wenn nicht 3 Flüge der Beklagten selbst, die das Schiff noch erreicht hätten – den Passagieren der Klägerin Priorität einzuräumen. Dazu war sie mindestens gehalten, Passagieren, die gebucht oder auch schon eingecheckt hatten, aber nicht termingebunden waren, ein angemessenes Entgelt für den Rücktritt von der Buchung anzubieten.
60. Dass die Abfahrt des Schiffes noch einen gewissen Zeitraum verzögert werden konnte und das Schiff auf 54 Passagiere noch so lange wie – ohne komplette Umstellung des Fahrplanes -möglich warten würde, war auch für die Beklagte ersichtlich, auch wenn ihr das hier mögliche Zeitfenster nicht konkret genannt wurde.
61. Welche der ihr zumutbaren Bemühungen die Beklagte tatsächlich unternommen, die Passagiere noch rechtzeitig zum Schiff zu bringen, hat sie nicht vorgetragen. Sie aber war gehalten, darzutun, dass sie und „ihre Leute“ alles Zumutbare getan haben, um den Schaden zu vermeiden (Art. 20 WA; 325 BGB i.V.m. § 278 BGB).
62. Angesichts dessen hat das Landgericht zu Recht die Haftung der Beklagten für den Schaden dem Grunde nach als gegeben angesehen.
63. Auf die weitere Frage, ob die Wartungen stets ordnungsgemäß durchgeführt wurden, um technische Mängel an den Flugzeugen wie die hier vorliegenden zu vermeiden, kommt es mithin nicht an.
64. Zutreffend hat das Landgericht auch ein Mitverschulden der Klägerin in Höhe von 30 % gemäß Art. 21 WA – bzw. § 254 BGB – angerechnet.
65. Die Planung der Klägerin mit einer Ankunftszeit um 14.15 Uhr und einer Abfahrtzeit um 17.00 Uhr berücksichtigt angesichts des nötigen Transfers vom Flughafen zum Hafen und der Dauer des Eincheckens mögliche Verspätungen nicht ausreichend, selbst wenn von dem von ihr geltend gemachten Zeitfenster ausgegangen wird, das aber bereits erhöhte Kosten wegen gesteigerten Treibstoffverbrauchs einbezieht.
66. Zudem ist der Klägerin vorzuhalten, dass sie die Beklagte über das Zeitfenster bis um 3.00 Uhr des nächsten Tages nicht konkret informiert hat, auch wenn diese ihrerseits nicht danach gefragt, sondern gleich fehlende Ersatzmöglichkeit mitgeteilt hat. Es ist nicht auszuschließen, dass die Beklagte bei Kenntnis der möglichen Abfahrtsverschiebung mit einem größeren Spektrum an Möglichkeiten ernsthaftere Bemühungen um einen Ersatz unternommen hätte.
67. Der Senat bewertet das Mitverschulden der Klägerin jedoch geringer als das Verschulden der Beklagten, der grundsätzlich die vertragliche Leistungspflicht oblag; auch der Senat hält die Quote von 70 % zu Lasten der Beklagten und 30 % zu Lasten der Klägerin für gerechtfertigt.
68. Die Kosten der beiderseits erfolglosen Berufung haben die Parteien anteilig nach § 97 Abs. 2 ZPO zu tragen, und zwar unabhängig vom Ausgang des Betragsverfahrens, so dass bereits jetzt darüber entschieden werden kann.
69. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 1o, 711 ZPO.
70. Die Zulassung der Revision (§ 543 II ZPO) ist nicht veranlasst. Zwar werden über den Einzelfall hinausgehende zum Teil unterschiedlich beurteilte Rechtsfragen behandelt, auf sie kommt es aber im Ergebnis wegen der hier vorliegenden konkreten Tatsachen und der dazu vorgetragenen Umstände des Einzelfalles nicht an.
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