Versicherungsregress wegen Verlustes einer Kameraausrüstung

OLG Frankfurt: Versicherungsregress wegen Verlustes einer Kameraausrüstung

Ein Gepäckversicherer forderte von einer Fluggesellschaft die Erstattung eines Versicherungsbetrages, den sie an einen Versicherten für nach Gepäckverspätung entwendete Kameraausrüstung gezahlt hatte. Die Beklagte musste zahlen, da aufgrund nicht genügter Beweislast von einem qualifizierten Verschulden ihrerseits auszugehen war.

OLG Frankfurt 16 U 85/14 (Aktenzeichen)
OLG Frankfurt: OLG Frankfurt, Urt. vom 26.02.2015
Rechtsweg: OLG Frankfurt, Urt. v. 26.02.2015, Az: 16 U 85/14
LG Frankfurt, Urt. v. 06.05.2014, Az: 9 O 29/13
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Oberlandesgericht Frankfurt am Main

1. Urteil vom 26. Februar 2015

Aktenzeichen 16 U 85/14

Leitsatz:

2. Die Haftungsbegrenzung nach dem Montrealer Übereinkommen findet keine Anwendung, wenn nachgewiesen wird, dass der Schaden durch eine Handlung oder Unterlassung des Luftfrachtführers oder seiner Leute verursacht worden ist, die entweder in der Absicht, Schaden herbeizuführen, oder leichtfertig und in dem Bewusstsein begangen wurde, dass wahrscheinlich ein Schaden eintreten wird.

Zusammenfassung:

3. Eine Gepäckversicherung verklagte eine Fluggesellschaft auf die Erstattung eines Versicherungsbetrages, den sie an einen Versicherten für eine gestohlene Kameraausrüstung gezahlt hatte. Die Beklagte hatte den Schaden zunächst nur im Rahmen der Haftungsbegrenzung gemäß dem Montrealer Übereinkommen gezahlt, die Klägerin forderte jedoch die Übernahme der vollen Kosten.

Der Klage wurde zunächst vom Landgericht Frankfurt stattgegeben. Das Landgericht hatte ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten angenommen. Die Beklagte hatte der bei ihr liegenden Beweislast nicht genügt, nachzuweisen, dass der Schaden nicht von ihr bzw. ihren Leuten absichtlich oder fahrlässig herbeigeführt worden war, sodass die Haftungsbegrenzung aufgehoben war.

Daraufhin ging die Beklagte vor dem Oberlandesgericht in Berufung. Dieser wurde nur hinsichtlich des zu zahlenden Betrages geringfügig stattgegeben, da von einem Mitverschulden des Versicherten auszugehen war, denn er hätte einige Teile der Ausrüstung im Handgepäck transportieren können. Im Übrigen wurde die Berufung abgewiesen.

Tenor:

4. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt – 9. Kammer für Handelssachen – vom 6. Mai 2014, Az. 3 – 09 O 29/13, teilweise abgeändert.

Die Beklagte bleibt verurteilt, an die Klägerin 5.686,27 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. Oktober 2012 sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von 661,16 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. März 2013 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die weitergehende Berufung zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 47 % und die Beklagte 53 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

5. Die Parteien streiten über Schadensersatz wegen des Verlusts einer Kameraausrüstung.

6. Die Klägerin ist der Reisegepäckversicherer ihres Versicherungsnehmers, des Zeugen X, und erstattete diesem die Kosten für eine Kameraausrüstung, die ihm bei einem Flug der Beklagten von A via Z nach B aus dem von ihm aufgegebenen und ihm erst verspätet ausgelieferten Koffer entwendet worden sein soll. Die Klägerin begehrt von der Beklagten, die den Schaden nur in Höhe ihrer beschränkten Haftung nach dem Montrealer Übereinkommen (MÜ) reguliert hat, aus übergegangenem und abgetretenem Recht ihres Versicherungsnehmers Ersatz der vollen Kosten.

7. Wegen der Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 152 f. d.A.) Bezug genommen.

8. Das Landgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen X der Klage in der Hauptsache stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin Anhaltspunkte für ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten nach Art. 22 Abs. 5 MÜ vorgetragen habe, so dass die Beklagte eine sekundäre Darlegungslast getroffen habe, der sie nicht nachgekommen sei. Die Beklagte hafte deshalb unbeschränkt. Der Schaden sei in der geltend gemachten Höhe entstanden. Ein Mitverschulden des Versicherungsnehmers der Klägerin sei nicht zu berücksichtigen.

9. Auf die Entscheidungsgründe (Bl. 153 ff. d.A.) wird verwiesen.

10. Gegen dieses ihr am 8. Mai 2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 22. Mai 2014 eingegangenen anwaltlichen Schriftsatz Berufung eingelegt, die sie mit einem am 8. Juli 2014 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.

11. Die Beklagte, die weiterhin vollständige Klageabweisung begehrt, rügt Rechtsverletzungen und eine Verletzung der Hinweispflicht.

12. Zu Unrecht habe das Landgericht eine Haftungsbeschränkung nach Art. 22 Abs. 2 MÜ im Hinblick auf Art. 22 Abs. 5 MÜ abgelehnt. Nach dem Wortlaut des Art. 22 Abs. 5 MÜ obliege es dem Anspruchsteller, die Anspruchsvoraussetzungen eines qualifizierten Verschuldens darzulegen. Zu Unrecht nehme das Landgericht eine Beweislastumkehr an, die nur in Ausnahmefällen in Betracht komme. Das Landgericht habe es genügen lassen, dass der Fluggast behaupte, etwas sei aus seinem Gepäck verschwunden; es habe nicht einmal tatsächliche Beraubungsspuren gefordert. Damit werde aber die gesetzliche Beweislastverteilung ins Gegenteil verkehrt. Das Landgericht habe verkannt, dass keine Beraubungsspuren vorgelegen hätten und das Gepäck durch den Zoll gegangen sei, es sich damit nicht durchgehend in der Obhut der Beklagten befunden habe. Hinzu käme, dass die Klägerin zunächst Beraubungsspuren behauptet habe, am Ende des Verfahrens aber habe eingestehen müssen, dass es solche nicht gegeben habe.

13. Das Landgericht habe bei der Beweiswürdigung das finanzielle Interesse des Zeugen außer Acht gelassen. Zudem sei der Koffer mit einem Spezialschloss verschlossen gewesen, das grundsätzlich nur von dem Kläger selbst oder vom Zoll mit einem Spezialschlüssel habe geöffnet werden können; dies würde – wenn überhaupt – auf eine Beraubung durch einen Täter außerhalb des Einflussbereichs der Beklagten hindeuten.

14. Rechtsfehlerhaft habe das Landgericht Frankfurt zudem ein Mitverschulden des Zeugen verneint. Das Landgericht habe übersehen, dass die umfangreiche Kameraausrüstung aus diversen Einzelteilen bestanden habe, die zumindest teilweise im Handgepäck hätten mitgeführt werden können, zumal nach der Rechtsprechung des 16. Zivilsenats der Reisende stets mit der Möglichkeit des Verlusts des Reisegepäcks rechnen müsse. Außerdem sei unklar geblieben, ob das Gepäckstück überhaupt ordnungsgemäß verschlossen gewesen sei. Auch habe das Landgericht ein Mitverschulden trotz des unstreitigen Unterlassens der Angabe des hohen Wertes der angeblich im Gepäckstück vorhandenen Gegenstände abgelehnt, obwohl aus dem Grundsatz von Treu und Glauben die Obliegenheit bestehe, einen Luftfrachtführer rechtzeitig über einen außergewöhnlich hohen Wert des Transportguts und des damit verbundenen Schadensrisikos aufzuklären. Insoweit rügt die Beklagte einen Verstoß gegen die Hinweispflichten nach § 139 ZPO.

15. Zu Unrecht habe das Landgericht die gesamte Klageforderung zugesprochen, obwohl es selbst die Klageforderung als nicht schlüssig bezeichnet habe. Auch stütze es sein Urteil unter anderem auf die Anlage K9, die nach eigenen Angaben der Klägerin fehlerhaft sei. Die geltend gemachte Schadenshöhe ergebe sich nicht aus den von dem Landgericht angeführten Unterlagen der Klägerin. Das Landgericht habe auch nicht berücksichtigt, dass allein der Zeitwert in Höhe von 7.581,- € abzüglich der von der Beklagten geleisteten Zahlung maßgeblich sei.

16. Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Frankfurt vom 6. Mai 2014, Az. 3 – 09 O 29/13, die Klage abzuändern.

17. Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

18. Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.

19. Dass die Beklagte den Inhalt des streitgegenständlichen Koffers bestreite, sei unerheblich, da sie ihre Haftung für den streitgegenständlichen Schaden in Höhe der sich nach dem ergebenden Regelhaftung durch die als Anlage K14 und K 16 eingereichten Schreiben und die anteilige Schadensregulierung anerkannt habe. Bereits aufgrund des Schadensbildes stehe zwingend ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten fest, da es nur dadurch erklärlich sei, dass Dritte unter Eröffnung des Schlosses mit einem Nachschlüssel vorsätzlich und rechtswidrig Zugriff auf den Inhalt des Koffers genommen haben. Für ein entsprechendes Verschulden ihrer Leute habe die Beklagte einzustehen. Dazu zählten auch die Personen, welcher sich die Beklagte zur Gepäckabfertigung, der verspäteten Ausrollung des Gepäcks pp. bedient habe. Zudem indiziere bereits der Umstand, dass das Gepäck verspätet an den Versicherungsnehmer der Klägerin ausgeliefert wurde, den besonders schweren Fall des Diebstahls. Das Landgericht habe auch zutreffend darauf abgehoben, dass ein qualifiziertes Verschulden zu vermuten sei.

20. Dem Versicherungsnehmer der Klägerin sei auch kein Mitverschulden anzulasten, zumal er gegenüber der Beklagten ausdrücklich darum gebeten habe, das Gepäckstück mit in die Kabine nehmen zu dürfen, was ihm jedoch verwehrt worden sei. Es sei während einer Flugreise auch nicht möglich, die hier interessierenden Ausrüstungsgegenstände einzeln in die Hosentasche zu stecken.

21. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

22. Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.

23. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch aus Art. 17 Abs. 2 S. 1, 22 Abs. 5 Montrealer Übereinkommen (MÜ), § 86 Abs. 1 VVG, § 398 BGB in Höhe von 5.687,27 €. Zwar haftet die Beklagte unbeschränkt; der Schadensersatzanspruch der Klägerin ist aber aufgrund eines ihr zuzurechnenden Mitverschuldens ihres Versicherungsnehmers geschmälert.

24. Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass die aus Art. 17 Abs. 2 S. 1 MÜ folgende Haftung der Beklagten nicht auf den Betrag nach Art. 22 Abs. 2 MÜ beschränkt ist, sondern die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen ist und nach Art. 22 Abs. 5 MÜ unbeschränkt haftet. Die dagegen von der Berufung vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.

25. a) Nach Art. 22 Abs. 5 MÜ findet die Haftungsbegrenzung des Art. 22 Abs. 1 MÜ keine Anwendung, wenn nachgewiesen wird, dass der Schaden durch eine Handlung oder Unterlassung des Luftfrachtführers oder seiner Leute verursacht worden ist, die entweder in der Absicht, Schaden herbeizuführen, oder leichtfertig und in dem Bewusstsein begangen wurde, dass wahrscheinlich ein Schaden eintreten wird. Dabei hat – wovon das Landgericht zutreffend ausgegangen ist – grundsätzlich der Anspruchsteller die Voraussetzungen für den Wegfall der zugunsten des Frachtführers bestehenden gesetzlichen oder vertraglichen Haftungsbegrenzungen darzulegen und zu beweisen. Die dem Anspruchsteller obliegende Darlegungs- und Beweislast kann jedoch dadurch gemildert werden, dass der Frachtführer angesichts des unterschiedlichen Informationsstands der Vertragsparteien nach Treu und Glauben gehalten ist, soweit möglich und zumutbar, zu den näheren Umständen des Schadensfalls eingehend vorzutragen. Eine solche sekundäre Darlegungslast des Anspruchsgegners ist zu bejahen, wenn der Klagevortrag ein qualifiziertes Verschulden mit gewisser Wahrscheinlichkeit nahelegt oder sich Anhaltspunkte für ein derartiges Verschulden aus dem unstreitigen Sachverhalt ergeben. Insbesondere hat der Frachtführer in diesem Fall substantiiert darzulegen, welche Sorgfalt er zur Vermeidung des eingetretenen Schadens konkret angewendet hat. Kommt er dem nicht nach, kann nach den Umständen des Einzelfalls der Schluss auf ein qualifiziertes Verschulden gerechtfertigt sein.

26. Diese Grundsätze hat die Rechtsprechung für den Fall des Verlusts von Transportgut entwickelt (vgl. nur BGH, Urteil vom 13.6.2012, I ZR 87/11 = MDR 2012, 1423). Sie gelten regelmäßig auch bei einer während des Transports eintretenden Beschädigung des Frachtguts. Liegt ein qualifiziertes Verschulden aufgrund des Parteivorbringens nahe, muss der beklagte Frachtführer Angaben zu den näheren Umständen der Schadensentstehung machen, wobei ihn eine Recherchepflicht trifft (BGH, aaO.). Dabei kann je nach Art der Beschädigung diese einen Rückschluss auf ein qualifiziertes Verschulden des Frachtführers zulassen (BGH, aaO.)

27. b) Ohne Erfolg rügt die Beklagte, das Landgericht habe zu geringe Anforderungen an den Klagevortrag zu einem qualifizierten Verschulden gestellt und zu Unrecht eine Ausnahme von der alleinigen Darlegungs- und Beweislast des Anspruchstellers angenommen.

28. Das Landgericht hat sich zur Begründung einer Ausnahme entgegen der Argumentation der Berufung nicht mit der alleinigen Behauptung des Fluggastes begnügt, dass Gegenstände aus seinem Gepäck verschwunden seien; vielmehr ist es aufgrund der Beweisaufnahme davon ausgegangen, dass der Koffer des Zeugen mit einem Spezial-Ziffernschloss geschlossen war, die Reißverschlüsse bei Aufgabe des Gepäcks ordnungsgemäß in die vorgesehenen Verschlusshalterungen eingehängt waren und sich bei Aushändigung des Reisegepäcks einer der Reißverschlüsse nicht mehr in der Halterung befand. Der Klägervortrag enthält also nicht nur lediglich die Behauptung eines Verlusts, sondern auch ausreichende Anhaltspunkte für den dem Verlust zugrunde liegenden Geschehensablauf (= Öffnen des Schlosses). Dieser legt zugleich ein qualifiziertes Verschulden mit gewisser Wahrscheinlichkeit nahe, da das Schadensbild eines nicht mehr in der Halterung befindlichen Reißverschlusses den Rückschluss darauf zulässt, dass die nicht mehr aufgefundenen Gegenstände aus dem Koffer entwendet wurden.

29. Dabei ist unerheblich, dass es keine gewaltsamen Beraubungsspuren gab, wie die Klägerin zunächst – nicht näher spezifiziert – behauptet hat. Wird eine Verpackung während des Transports geöffnet, ihr Inhalt teilweise herausgenommen und die Verpackung wieder verschlossen, beruht der eingetretene teilweise Verlust auf einem vorsätzlichen Verhalten entweder eines Dritten oder eines vom Frachtführer eingeschalteten Bediensteten bzw. einer anderen von ihm beauftragten Person (BGH, aaO.). Entgegen der Auffassung der Berufung hat der Bundesgerichtshof in dem angeführten Urteil für die Begründung der sekundären Darlegungslast des Frachtführers auch nicht auf offensichtliche Beraubungsspuren abgestellt, sondern allein darauf, dass eine Verpackung während des Transports geöffnet und nach Entnahme eines Teils ihres Inhalts wieder verschlossen wurde.

30. Soweit die Berufung rügt, dass das Landgericht bei seiner Beweiswürdigung, mit der es das Öffnen des Schlosses als erwiesen angesehen hat, das finanzielle Interesse des Zeugen außer Acht gelassen habe und dazu schweige, warum der Zeuge glaubwürdig und sein Vortrag glaubhaft sei, fehlt es an einem Vortrag zu konkreten Anhaltspunkten, die Zweifel an der Richtigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen würden. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass der Zeuge bereits bei seiner ersten Schadensmeldung gegenüber der Beklagten vom 18. Juni 2012 (Anlage K4) – anders als die Klägerin – nicht von einem aufgebrochenen Koffer gesprochen hatte, sondern wie in seiner Zeugenvernehmung davon, dass einer der beiden Reißverschlusshalter außerhalb des Koffers gehangen habe. Von daher ist kein Grund für die Annahme ersichtlich, der Zeuge habe die Unwahrheit gesagt.

31. c) Der Annahme, dass der Klagevortrag ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten oder „ihrer Leute“ nahelegt, steht nicht entgegen, dass es sich bei dem Schloss, mit dem der Versicherungsnehmer der Klägerin seinen Koffer verschlossen hatte, um ein Spezialschloss handelte, das grundsätzlich nur von ihm selbst und vom Zoll mit einem speziellen Schlüssel geöffnet werden kann.

32. Die Beklagte kann sich insoweit – wie erstmals in der Berufung erfolgt – nicht darauf berufen, dass das Gepäckstück des Versicherungsnehmers durch den Zoll gegangen sei und sich damit nicht durchgehend in ihrer Obhut befunden habe. Grundsätzlich übernimmt ein Luftfrachtführer die Obhut des Gepäcks beim Check-in und gibt die Obhut mit der Entgegennahme des Gepäcks durch den Reisenden am Gepäckband des Bestimmungsorts wieder auf (Führich, Reiserecht, 6. A., Kap. 9 Rn. 1090); dabei befand sich vorliegend das Gepäck nach den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts auch während der Anschlusslieferung durch einen Kurier in der Obhut der Beklagten. Im Übrigen endet die Obhut erst dann, wenn der Luftfrachtführer den Gewahrsam ohne eigene Mitwirkung verliert und keine tatsächlichen und rechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten auf das Frachtgut mehr besitzt (BGH, Urteil vom 24.2.2011, I ZR 91/10 = MDR 2011, 1231; Urteil vom 21.9.2000, I ZR 135/98 = BGHZ 145, 170). Dies wird beispielsweise im Fall eines – vorliegend nicht vorgetragenen – staatlichen Hoheitsakts einer Zollbehörde bejaht (BGH, Urteile vom 24.2.2011 und 21.9.2000, aaO.). Demgegenüber wird die Obhut nach Auffassung des Senats nicht allein dadurch beendet, dass das Frachtgut den Zoll durchläuft, da auch der Zoll grundsätzlich dem Luftfrachtführer gegenüber zum Schutz und zur Herausgabe des Gutes verpflichtet ist (Koller, Transportrecht, Art. 18 MÜ Rn. 6; Ruhwedel, Der Luftbeförderungsvertrag, 3. A., Rn. 443). Die Beklagte hatte deshalb auch im Fall eines möglichen Durchlaufens des Koffers des Versicherungsnehmers der Klägerin durch den Zoll diesen weiterhin in ihrer Obhut.

33. Unabhängig davon handelt es sich zwar bei Mitarbeitern des Zolls nicht um „Leute“ des Luftfrachtführers (Führich, aaO., Kap. 9 Rn. 1105), so dass die Beklagte bei einem durch einen Mitarbeiter des Zolls begangenen Diebstahl nicht unbeschränkt haften würde. Dies spricht aber nicht gegen eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten.

34. Zum einen erscheint nämlich die Annahme, dass Mitarbeiter des Zolls die Kameraausrüstung entwendet haben, nicht wahrscheinlicher als die Annahme, dass andere Personen, für die die Beklagte einzustehen hat, mit Hilfe beispielsweise eines entwendeten Spezialschlüssels den Koffer geöffnet haben, so dass der Klagevortrag auch unter Berücksichtigung der Besonderheit des Schlosses ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten und ihrer Leute mit gewisser Wahrscheinlichkeit nahelegt. Zum anderen ist allein die Beklagte in der Lage, zur Aufklärung des in ihrer Obhut erfolgten Diebstahls beizutragen, während diese Möglichkeit für die Klägerin bzw. ihren Versicherungsnehmer, der außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs steht und keine Kenntnisse von den näheren Umständen des Schadensfalls hat, nicht besteht. Gerade dies rechtfertigt es, von der Beklagten zu verlangen, sich im Rahmen des ihr Möglichen und Zumutbaren um Aufklärung des Diebstahls zu bemühen und entsprechende Erkenntnisse mitzuteilen. Die Beklagte hat aber nicht einmal dazu vorgetragen, welchen Weg der Koffer überhaupt genommen hat und durch welchen Zoll er gegangen sein soll. Sie hat damit der Klägerin die Möglichkeit genommen, zum Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 22 Abs. 5 MÜ vorzutragen. Dies rechtfertigt nach der Rechtsprechung den Schluss auf ein qualifiziertes Verhalten der Beklagten und ihrer Leute.

35. Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Unaufklärbarkeit zu Lasten des Anspruchstellers gehe, wenn dieser keine ausreichenden Indizien dafür beizubringen vermöge, dass einzig und allein ein grobes Organisationsverschulden des Luftfrachtführers als Ursache für die Unaufklärbarkeit in Betracht komme. Auch eine solche zu Lasten des Anspruchstellers gehende Unaufklärbarkeit setzt zunächst voraus, dass der Inanspruchgenommene im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren zu den näheren Umständen aus seinem Betriebsbereich vorgetragen hat (OLG Köln, Urteil vom 11.8.1998, 15 U 12/98 = RRa 1999, 144). Daran fehlt es vorliegend völlig.

36. Nach alledem haftet die Beklagte unbeschränkt.

37. Hinsichtlich der Schadenshöhe ist zunächst mit dem Landgericht davon auszugehen, dass die Gegenstände entwendet wurden, die in der Anlage K 11 in Verbindung mit dem Gutachten Anlage K 10 angeführt sind; dagegen wendet die Berufung nichts ein, so dass es auch nicht darauf ankommt, ob – wie die Klägerin meint – die Beklagte mit zwei Schreiben und der anteiligen Regulierung des Schadens anerkannt hat, dass sich in dem Koffer des Versicherungsnehmers die streitgegenständlichen Gegenstände befunden haben. Im Übrigen sind die Feststellungen des Landgerichts zur Schadenshöhe zwar insofern widersprüchlich, als es sich sowohl auf die Anlage K 9 als auch auf die Anlage K 10 bezieht, obwohl die beiden Anlagen bei den Pos. 3 und 4 betreffend Neupreis und Zeitwert unterschiedliche Werte enthalten. Allerdings hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 26. November 2013 klargestellt, dass die Anlage K 10 maßgeblich sei; aus ihr ergibt sich in Verbindung mit den Anlagen K 20 (Bl. 109) und K 21 (Bl. 110), dass dem Versicherungsnehmer ein Gesamtschaden von 12.052,61 € entstanden ist, wobei die Klägerin der Entschädigung des Versicherungsnehmers zu den Pos. 1 bis 10 den „Neupreis“ und zu den Pos. 11 bis 14 eine Pauschale von 80,- € zugrunde gelegt hat. Da die Beklagte 1.236,- € gezahlt hat, ergibt sich der Betrag in Höhe der geltend gemachten 10.726,61 €. Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich demnach die Schadenshöhe auch rechnerisch den Unterlagen entnehmen.

38. Zu Unrecht macht die Beklagte – ohne weitere Begründung – geltend, es sei allenfalls der Zeitwert geschuldet. Zwar wird grundsätzlich bei einer Reisegepäckversicherung nur der Zeitwert erstattet (vgl. Ziff. 4 Besondere Vertragsbedingungen für die Reisegepäckversicherung). Allerdings hat zum einen die Klägerin dargelegt, den „Neupreis“ erstattet zu haben, wobei den Ausführungen in dem Privatgutachten Anlage K 10 entnommen werden kann, dass es sich bei dem „Neupreis“ um den Wiederbeschaffungswert handelt. Zum anderen macht die Klägerin Ansprüche aus übergegangenem und abgetretenem Recht des Versicherungsnehmers geltend. Ist – wie hier – inländisches Recht anwendbar, ergibt sich der Umfang des nach dem zu erstattenden Schadens aus §§ 249 ff. BGB (Führich, aaO., Rn. 1108 für den Umfang des Verspätungsschadens nach dem MÜ). Da bei dem Verlust einer Sache nach § 249 Abs. 2 BGB grundsätzlich der Wiederbeschaffungswert zu erstatten ist, hatte der Versicherungsnehmer gegen die Beklagte einen entsprechenden Schadensersatzanspruch, der auf die Klägerin übergegangen ist.

39. Die Ersatzpflicht der Beklagten ist allerdings nach Art. 20 S. 1 und 3 MÜ wegen eines Mitverschuldens des Versicherungsnehmers der Klägerin beschränkt, das sich die Klägerin anrechnen lassen muss, und zwar entgegen der Auffassung der Klägerin auch vor dem Hintergrund eines vorsätzlichen Verhaltens der Beklagten bzw. ihrer Leute (vgl. BGH, Urteil vom 13.6.2012, aaO. bei nach Art. 29 CMR unbeschränkter Haftung).

40. a) Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt allerdings nicht bereits deshalb ein Mitverschulden vor, weil der Versicherungsnehmer der Klägerin eine Wertdeklaration unterlassen hat.

41. Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass die Annahme, der Versicherungsnehmer habe durch Unterlassen der Wertdeklaration zu den geltend gemachten Schäden beigetragen, die Feststellung voraussetzt, dass der Frachtführer bei richtiger Wertangabe seine Sorgfaltspflichten besser erfüllt hätte und es hierdurch zumindest zu einer Verringerung des Verlustrisikos gekommen wäre (BGH, Urteil vom 1.12.2005, I ZR 284/02 = TranspR 2006, 202). Zugleich hat es zutreffend darauf hingewiesen, dass die Beklagte Entsprechendes nicht vorgetragen hat. Soweit die Beklagte insoweit einen Verstoß gegen die Hinweispflicht rügt, fehlt es an einem Vortrag dahingehend, was sie auf einen entsprechenden Hinweis vorgetragen hätte, so dass ein fehlender Hinweis nicht entscheidungserheblich geworden wäre.

42. b) Ein Mitverschulden des Versicherungsnehmers lässt sich entgegen der Argumentation in der Berufung auch nicht damit begründen, dass offen geblieben sei, ob der Koffer ordnungsgemäß verschlossen gewesen sei oder nicht. Aufgrund der Beweisaufnahme steht fest, dass der Koffer verschlossen war. Zudem ist die Beklagte für ein Mitverschulden darlegungs- und beweispflichtig; Unklarheiten gingen also zu ihren Lasten.

43. c) Der Versicherungsnehmer hat aber dadurch gegen eigene Obliegenheiten verstoßen, dass er nicht zumindest einige besonders wertvolle Teile der Kameraausrüstung im Handgepäck mit sich geführt hat.

44. Bei dem heutigen Massenverkehr muss der Reisende stets mit der Möglichkeit des Verlusts von aufgegebenem Gepäck rechnen, so dass es grundsätzlich einen groben Verstoß gegen die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten darstellt, wenn wertvolle Gegenstände im Reisegepäck und nicht im Handgepäck transportiert werden (OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.6.2012, 16 U 66/12 = RRa 2012, 229). Zwar mag es – worauf das Landgericht abgestellt hat – dem Versicherungsnehmer nicht möglich gewesen sein, die gesamte umfangreiche Kameraausrüstung als Handgepäck mitzuführen; dies schließt jedoch nicht aus, der Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten dadurch nachzukommen, dass zumindest besonders wertvolle Teile im Handgepäck mitgeführt werden. Als Handgepäck dürfen immerhin Taschen u.ä. bis zu einem Gewicht von 8 kg und Maßen von 55 cm x 40 cm x 20 cm mitgenommen werden. Von daher war es dem Versicherungsnehmer zuzumuten, beispielsweise die beiden Spiegelreflexkameras, deren Wert fast die Hälfte des Schadens ausmacht, im Handgepäck mitzunehmen, zumal sich aus der Aussage des Zeugen entnehmen lässt, dass er sogar über einen mit Kamerateilen bepackten Rucksack verfügte, den er in den Koffer gelegt hatte. Zumindest ihn hätte er als Handgepäck mitführen können. Soweit die Klägerin mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 5. Februar 2015 behauptet hat, der Versicherungsnehmer habe bereits ein Gepäckstück bei sich geführt, ist dieser von der Beklagten bestrittene Vortrag nicht zu berücksichtigen (§ 296a ZPO). Auch kann die Klägerin nicht damit gehört werden, dass es sich um eine aufwändig zu verpackende Highend-Fotoausrüstung gehandelt habe, die man nicht einfach in einen Rucksack „schmeißen“ könne. Es ist nicht ersichtlich, dass es nicht möglich wäre, zwei Spiegelreflexkameras unbeschadet im Handgepäck zu transportieren.

45. Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin in der Berufungserwiderung darauf, sie habe dargelegt und unter Beweis gestellt und es sei zwischenzeitlich auch unstreitig, dass ihr Versicherungsnehmer unter Verweis auf den Inhalt des Gepäckstücks und dessen Wert gegenüber der Beklagten ausdrücklich darum gebeten habe, das Gepäckstück mit in die Kabine nehme zu dürfen, was dem Zeugen von der Beklagten ausdrücklich verwehrt worden sei. Unzutreffend ist, dass Entsprechendes unstreitig sei. Die Beklagte hat den dazu gehaltenen Vortrag der Klägerin – der zumindest im Hinblick auf den angeblichen Hinweis auf den Wert des Gepäcks eher dürftig ist – stets bestritten. Im Übrigen hat der Versicherungsnehmer in seinem Anspruchsschreiben gegenüber der Beklagten (Anlage K4) angegeben, der aufgegebene Koffer habe ein Gewicht von 31 kg gehabt; dass ein solches Gepäck wohl kaum mit in die Kabine genommen werden kann, liegt auf der Hand. Außerdem hätte eine entsprechende Weigerung der Beklagten den Zeugen nicht davon abhalten dürfen, aus Gründen der Gefahr- und Schadensminimierung zumindest wertvolle Teile im Handgepäck mitzuführen.

46. Da der Zeuge zumindest die beiden Spiegelreflexkameras mit im Handgepäck hätte transportieren können, ist der Ersatzanspruch der Klägerin um den auf die beiden Kameras entfallenden Betrag von 5.040,34 € zu kürzen.

47. Der Ersatzanspruch der Klägerin berechnet sich danach wie folgt: 12.052,61 € (= ursprünglich geltend gemachter Schaden) abzgl. 5.040,34 € (= zwei Spiegelreflexkameras) abzgl. 1.326,- € (Zahlung der Beklagten) = 5.686,27 €. Hinzu kommen Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. Oktober 2012 aus Verzug.

48. Der Anspruch auf Erstattung vorprozessualer Rechtsanwaltskosten aus Art. 17 Abs. 2, 22 Abs. 5 MÜ, § 249 Abs. 1 BGB berechnet sich auf der Grundlage eines Gegenstandswerts von 12.052,61 € abzgl. 5.040,34 € = 7.012,27 € und beträgt 661,16 € (535,60 € Gebühr VV 2300 zzgl. 20,- € Postpauschale und 105,56 € MWSt.). Hinzu kommen Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.

49. Nach alledem war das Urteil wie erfolgt abzuändern.

III.

50. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Ziff. 10, 713 ZPO, § 26 Ziff. 8 EGZPO.

51. Die Revision war nicht gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert.

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