Verantwortlichkeit des Luftfrachtführers für eingeschaltetes Bodenverkehrsunternehmen

OLG Frankfurt: Verantwortlichkeit des Luftfrachtführers für eingeschaltetes Bodenverkehrsunternehmen

Die Klägerin beauftrage die Beklagte zur Beförderung von Frachtstücken per Flugzeug. Während der Entladung des Flugzeugs wurde der Verlust des Frachtgutes gemeldet.
Die Klägerin verklagt die Beklagte auf Zahlung von 18.230,00 US-Dollar nebst 5% Rechtshängigkeitszinsen.

Das OLG Frankfurt gibt der Klägerin Recht. Die Beklagte haftet unbeschränkt auf 18.230,00 US-Dollar nebst 5% Rechtshängigkeitszinsen.

OLG Frankfurt 5 U 210/96 (Aktenzeichen)
OLG Frankfurt: OLG Frankfurt, Urt. vom 21.04.1998
Rechtsweg: Oberlandesgericht Frankfurt, Urt. v. 21.04.1998, Az: 5 U 210/96
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Oberlandesgericht Frankfurt

1. Urteil vom 21.04.1998

Aktenzeichen: 5 U 210/96

Leitsatz:

2. Speditionsunternehmen haften für verletzte Obhutspflichten beim Entladen der Ware.

Zusammenfassung:

3. Die Klägerin beauftrage die Beklagte – eine Speditionsfirma – zur Beförderung von Frachtstücken per Flugzeug. Während der Entladung des Flugzeugs am Zielort wurde der Verlust des Frachtgutes gemeldet. Aus den Bescheinigungen geht hervor, dass es am Abflughafen eingeladen wurde und sich im Flugzeug befand.
Die Klägerin verklagt die Beklagte daher auf Zahlung von 18.230,00 US-Dollar nebst 5% Rechtshängigkeitszinsen.

Das OLG Frankfurt gibt der Klägerin Recht. Die Beklagte haftet unbeschränkt auf 18.230,00 US-Dollar nebst 5% Rechtshängigkeitszinsen. Als Begründung führt das Gericht aus, dass zwar nicht die Beklagte selbst, sondern durch ein von ihr wiederum beauftragtes Speditionsunternehmen handelte. Die Beklagte hat das Subunternehmen aber nicht sorgsam ausgesucht und war auch nicht bei der Entladung zugegen. Sie hat damit ihre Obhutspflichten gegenüber der Klägerin verletzt und hafte daher unbeschränkt.

Tenor:

4. Auf die Berufung der Klägerin wird das am 23. September 1996 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des LGs Frankfurt am Main abgeändert. Der Klageanspruch wird dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.

Die Revision wird zugelassen. Der Wert der Beschwer wird für beide Parteien auf 25.879,31 DM festgesetzt.

Tatbestand:

5. Die Klägerin verlangt Schadensersatz für das Abhandenkommen zweier Frachtstücke auf dem Flughafen in … ,die je einen gebrauchten Kleinrechner („Laptop“) und eine Platine enthielten.

6. Die als Spediteur tätige … GmbH (im folgenden nur: … erhielt von der Klägerin den Versendungsauftrag und beauftragte hiermit die Beklagte. Es wurde ein Luftfrachtbrief auf den Namen der Klägerin als Absenderin ausgestellt, auf den zu den Einzelheiten Bezug genommen wird (Anlage K 1 zur Klage, Bl. 4 d.A.). Wie nun unstreitig ist, waren die Frachtstücke bei Landung in … noch an Bord des Flugzeuges. Nach der Entladung, bei der der Stationsleiter der Beklagten in … anwesend war, wurde durch die örtliche Flughafengesellschaft, die den Bodenverkehr und den Umschlag durchführen sollte, der Verlust gemeldet. Die Flughafengesellschaft ist die … (im folgenden nur: …, ein Monopolunternehmen.

7. Die Klägerin hat behauptet, die Geräte hätten einen Wert von 18.230,00 US-Dollar dargestellt. Sie hat die Ansicht vertreten, die Beklagte hätte Einlassungsobliegenheiten zur Aufklärung des Sachverhalts nicht genügt und müsse deshalb unbeschränkt haften.

8. Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 18.230,00 US-Dollar nebst 5% Rechtshängigkeitszinsen zu zahlen.

9. Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

10. Die Beklagte hat die Aktivlegitimation der Klägerin bestritten. Sie hat die Ansicht vertreten, aus der Stellung der … als Spediteur folge, daß diese im eigenen Namen aufgetreten sei. Sie hat weiter die Ansicht vertreten, für die … nicht einstehen zu müssen. Weitere Auskünfte könne sie nicht leisten.

11. Das LG hat die Klage abgewiesen, weil die Klägerin nicht nachgewiesen habe, daß ihr überhaupt ein Schaden entstanden sei.

12. Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens in erster Instanz und der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil des LGs Bezug genommen (Bl.62-65 d.A.).

13. Gegen das am 27.9.1996 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, die am 17.10.1996 bei Gericht eingegangen und mit am 6.11.1996 eingegangenem Schriftsatz gerechtfertigt worden ist.

14. Die Klägerin wiederholt das erstinstanzliche Vorbringen und stellt nun, nachdem der Inhalt der Frachtstücke unstreitig geworden ist, deren Wert unter Sachverständigenbeweis. Aus in der Nähe des Flughafengeländes gefundenem Verpackungsmaterial folge das äußere Bild eines Diebstahls.

15. Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 25.879,31 DM nebst 5% Rechtshängigkeitszinsen zu zahlen.

16. Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

17. Sie verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt im wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen.

18. Wegen des weiteren Parteivorbringens im Berufungsverfahren wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 5.11.1996 (Bl.83-87 d.A.), 25.8.1997 (Bl.105-107 d.A.) und 4.12.1997 (Bl.116-117 d.A.) sowie die Schriftsätze der Beklagten vom 27.6.1997 (Bl.93-95), 26.9.1997 (Bl.108-111) und 1.12.1997 (Bl.114-115 d.A.) verwiesen. Mit Zustimmung der Parteien ist das schriftliche Verfahren angeordnet worden.

Entscheidungsgründe:

19. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das Rechtsmittel hat dem Grunde nach Erfolg, weil die Beklagte für den Verlust der Fracht unbeschränkt haftbar ist.

20. Der Klägerin steht ein Schadenersatzanspruch aus Art. 18 Abs. 1 des Abkommens zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr in der Fassung von Den Haag 1955 (im folgenden nur: WA) zu.

21. Die Klägerin beauftragte, vertreten durch die … die Beklagte als Luftfrachtführer mit der Luftbeförderung von zwei Frachtstücken, die — wie nun unstreitig ist — zwei gebrauchte transportable Datenverarbeitungsgeräte („Laptops“) und zwei zugehörige Platinen enthielten.

22. Die Klägerin wurde durch das Handeln der T. verpflichtet und berechtigt. Nachdem die Klägerin als Absender im Luftfrachtbrief eingetragen war (vgl. Anl. K 1 zur Klage, Bl.4 d.A.) und die Person des Absenders von dessen Beweisvermutung umfaßt ist (Art. 11 Abs. 1 WA, vgl. auch Koller, Transportrecht, 3. Aufl. 1995, Rz.17 zu Artt.5-11 WA 1955), hätte die Beklagte der Aktivlegitimation entgegenstehende Umstände vortragen und erforderlichenfalls nachweisen müssen. Das ist nicht geschehen.

23. Allerdings trat gegenüber der Beklagten die … auf, die als Spediteur von der Klägerin beauftragt war, und es entspricht der in der Rechtsprechung vorherrschenden Ansicht, daß der beauftragte Frachtführer auch dann nicht auf ein Handeln in fremden Namen schließen darf, wenn der ihn beauftragende Spediteur den Namen des Versenders offenlegt oder diesen gar als Absender bezeichnet (vgl. OLG Köln TranspR 1986, 195; OLG München NJW-RR 1989, 803; Koller, wie vor, § 407 Rz.4). Denn Kaufleute müssen wissen, daß Spediteure im eigenen Namen auftreten. Die Stellung der … allein reicht jedoch nicht aus, um im Wege der Auslegung einen Willen erkennen zu lassen, sie wolle im eigenen Namen auftreten. Dazu hätte nämlich die Beklagte bei Vertragsschluß erkennen müssen, daß die Handelnde Spediteur war. Dazu hat sich die Beklagte nicht erklärt. Die Auslegungsregel kann nur Anwendung finden, wenn erkennbar ein Spediteur auftritt (vgl. Koller, wie vor, Rz.4 zu § 407 HGB).

24. Aus dem Speditionsvertrag der Klägerin mit der … folgen auch keine Umstände, aus denen sich entgegen der Wirkung des Art. 11 WA das Fehlen einer Vertretungsmacht ergäbe. Daß mit einem Speditionsauftrag üblicherweise eine Vollmacht nicht verbunden ist, schließt eine abweichende Vereinbarung im Einzelfall nicht aus. Im übrigen liegt in der Klage die konkludente Genehmigung eines eventuell vollmachtlosen Handelns.

25. Für den Luftfrachtvertrag ist das WA anzuwenden, weil der Vertrag auf eine internationale Luftbeförderung gerichtet war und sowohl die Russische Föderation als auch Deutschland Vertragsstaaten sind (vgl. Koller, wie vor, Rz.11 zu Art.1 WA 1955).

26. Die Sendung geriet in Verlust, denn die Beklagte kann dem Empfänger nicht mehr den Besitz verschaffen (Müller-Rostin in Giemulla/Schmid, Warschauer Abkommen, Loseblattsammlung Stand 1997, Art.18 Rz.10 mwN.). Der Schaden trat bei der Luftbeförderung ein (Art. 18 Abs. 1 und Abs. 2 WA), nämlich — wie nun unstreitig ist — auf dem Flughafen in …. Der Obhutszeitraum schließt einen eventuellen Gewahrsam des dortigen Umschlagunternehmens, der …, ein. Der Senat hat bereits bei früherer Gelegenheit (NJW 1975, 1604, 1605) darauf hingewiesen, daß der Obhutsbereich des Luftfrachtführers den Gewahrsam des Bodenverkehrsunternehmens einschließt, auch wenn es sich dabei um ein Monopolunternehmen handelt (ebenso LG Stuttgart ZLW 1994, 240, 241; LG Hamburg TranspR 1995, 76; Koller, wie vor, Rz.19 zu Art.20; Müller-Rostin TranspR 1989, 121,124). An dieser Ansicht hält der Senat fest. Sinn des Art. 18 Abs. 2 WA ist es nämlich, die Haftung auf Schadensfälle außerhalb des Fluges auszudehnen, bei denen sich das Frachtgut — vor Ablieferung — so im Einflußbereich des Luftfrachtunternehmers befindet, daß dieser es dem Wesen der Obhutspflicht entsprechend vor Verlust oder Beschädigung schützen kann (BGH MDR 1979, 288). Nur der Luftfrachtunternehmer hat es in der Hand, über das Frachtgut Bestimmungen dahingehend zu treffen, ob er es dem Bodenverkehrsdienst oder dem Umschlagunternehmen überläßt, weil er das Frachtgut dort als ausreichend sicher ansieht. Nur er, nicht aber der Absender oder Empfänger, unterhält eine Rechtsbeziehung zu Flughafendiensten (vgl. Senat NJW 1975, 1605).

27. Die Beklagte vermochte sich nicht nach Art. 20 WA zu entlasten. Sie hat nicht ausreichend dargestellt, daß sie oder ihre Leute, zu denen die … gehört, alle erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung des Schadens getroffen hatten oder daß sie diese Maßnahmen nicht treffen konnten. Die Beklagte hat für ihren eigenen Obhutsbereich nicht dargetan, wie ihr Stationsleiter, der überwachend bei der Entladung des Flugzeugs der Beklagten in … anwesend war, seine Aufgabe wahrnahm, insbesondere, wie er das Vorhandensein der Frachtstücke an dieser Schnittstelle der Transportarten kontrollierte.

28. Hinsichtlich der Frachtbehandlung durch die … weiß man zum Nachteil der Beklagten nichts über die Verbringung und Zwischenlagerung der Frachtstücke, insbesondere zu welchem Zeitpunkt des Umschlagvorgangs Bestandskontrollen erfolgten.

29. Die … gehörte zu den Leuten der Beklagten iSd. Art. 20 WA, weil sich, wie dargestellt, der Obhutsbereich der Beklagten auf deren Gewahrsam erstreckte. Auf eine intensive Weisungsbefugnis kommt es demgegenüber nicht an (vgl. auch Koller, wie oben, Rz.19 zu Art.20 WA 1955).

30. Die Beklagte haftet ohne die Beschränkungen des Art. 22 Abs. 2 WA, weil die Klägerin im Sinne des Art. 25 S. 1 WA „nachgewiesen“ hat, dass der Schaden durch ein Verhalten der Beklagten entstand, das leichtfertig und von dem Bewusstsein der Schadenswahrscheinlichkeit getragen war.

31. Allerdings hat die Klägerin vordergründig ihrer Last nicht genügt, diese Tatbestandsmerkmale durch den Vortrag subsumtionsgeeigneter Tatsachen auszufüllen. Dies oblag ihr grundsätzlich, weil sie für das Vorliegen des Ausnahmetatbestands die Beweislast trägt (vgl. BGH NJW 1979, 2474, 2476; Koller, wie oben, Rz.9 zu Art.25 WA; Ruhwedel, Der Luftbeförderungsvertrag, 3. Aufl., 6.1 Rz.411 mit zahlreichen Nachweisen in Fn.23).

32. Angesichts des in der Nähe des Flugplatzes gefundenen Verpackungsmaterials wäre die Behauptung eines Diebstahls durch Arbeitnehmer der … nicht nach § 138 Abs. 1 ZPO unzulässig „ins Blaue“ erfolgt (vgl. dazu Baumbach/Hartmann, ZPO, 56. Aufl., Rz.17 zu § 138). Tatsächliche Anhaltspunkte bestanden immerhin und weitere Aufklärungsbemühungen waren der Klägerin unzumutbar. Die Klägerin hat dazu vor dem Senat zwar vorgetragen, es bestehe das äußere Bild eines Diebstahls. Zu einer hierauf bezogenen Behauptung, der Verlust habe sich in dieser Weise tatsächlich zugetragen, ist es jedoch nicht gekommen.

33. Die Behauptungslast der Klägerin wird hier auch nicht durch Sätze der Lebenserfahrung verkürzt und erleichtert. Einen Anscheinsbeweis für die außergewöhnlich gesteigerte Sorgfaltswidrigkeit gibt es nicht.

34. Es liegen jedoch eine Reihe von unstreitigen oder sich aus dem Prozeßverhalten der Beklagten ergebende Hilfstatsachen vor, die im Einzelfall den Schluß auf das qualifizierte Verschulden zulassen und den ausdrücklichen Vortrag der Haupttatsache ersetzen.

35. Dabei ist u.a. das Verhalten der Beklagten zur Abwehr des Klageanspruchs heranzuziehen. Das folgt bereits zwanglos aus § 286 Abs. 1 ZPO, denn das Prozessverhalten ist Teil des „gesamten Inhalts der Verhandlungen“.

36. Für das Transportrecht außerhalb des Warschauer Abkommens hat sich dieser allgemeine Gedanke zu einer Argumentationsfigur verfestigt, die in höchstrichterlichen Entscheidungen vielfach zu finden ist (vgl. zur ADSp BGH VersR 1995, 604, 606; zur CMR OLG München NJW-RR 1991, 230 und TranspR 1991, 138; zu GüKUMT BGH VersR 1995, 320, 322). So ist etwa in der zuerst genannten Entscheidung ausgeführt, aus einer mangelnden Mitwirkung des Obhutspflichtigen könne „je nach den Einzelumständen“ der Schluss auf ein qualifiziertes Verschulden gerechtfertigt sein (BGH VersR 1995, 606, reSp. oben).

37. Die nachteilige Berücksichtigung der unterlassenen Aufklärung durch den ehemals Obhutspflichtigen setzt jedoch dessen Handlungspflicht voraus, einschließlich der Möglichkeit und Zumutbarkeit der geforderten Aufklärung. Es kann hier dahinstehen, ob diese Pflicht aus dem Prozessrecht folgt (so etwa Gran in Festschrift für Piper, 1996, S.847, 853; OLG Köln TranspR 1996, 26) oder aus materiellem Frachtrecht (so AG Frankfurt TranspR 97, 348) bzw. aus Geschäftsbesorgung (§§ 675, 666 BGB — vgl. BGH NJW 1995, 606 für ADSp oder Ruhwedel, wie vor, Rz.525). Dies kann deshalb dahinstehen, weil eine materiell-rechtliche Erklärungspflicht hier aus deutschem nationalen Recht folgt, das nach Art. 28 Abs. 1 EGBGB anzuwenden ist. Art. 28 Abs. 4 EGBGB kommt nicht zum Zuge, weil Verladeort und Sitz des Absenders nicht mit dem Hauptsitz des Beförderers übereinstimmen.

38. Diese Grundsätze verstoßen nicht gegen die Regelungen des WA (so im Ergebnis auch OLG Köln TranspR 1996, 26; LG Frankfurt am Main TranspR 97, 237; AG Frankfurt am Main TranspR 1997, 346 mit Anm. Gran; Koller, wie oben, Rz. 9 zu Art.25; Ruhwedel, wie oben, Rz.528; zur Vorsicht mahnend: Kronke MüKoHGB, 1997, Rz.38 zu Art. 25 WA 1955; Giemulla/Schmid, Art. 25 Rz. 51). Ordnet man die Erklärungspflicht dem Prozessrecht zu, folgt dies aus Art. 28 Abs. 2 WA. Will man stattdessen die Auskunftspflicht auf materielles Recht stützen, bleibt sie durch das WA nach dessen Art. 24 Abs. 1 unberührt, denn sie stellt keinen Anspruch auf Schadensersatz dar. Die sich an die Nichterfüllung der materiell-rechtlichen Pflicht anschließenden Schlussfolgerungen betreffen wiederum das Verfahren, nämlich die Feststellung der zur Beurteilung heranzuziehenden Tatsachen (Art. 28 Abs. 2 WA).

39. Die Anwendung der vorgenannten Grundsätze lässt nicht befürchten, dass durch Ausgestaltungen des Verfahrens Intentionen der vertragsschließenden Staaten des Haager Protokolls unterlaufen werden. Diese Gefahr besteht allerdings, wenn generalisierend nicht oder nur schwer erfüllbare Darlegungsanforderungen erhoben werden und bereits wegen der Nichterfüllung einer Einlassungsobliegenheit die Rechtsfolge des Art. 25 WA — die Durchbrechung der Haftungsbeschränkung — angenommen wird. Sinn der Neufassung des Warschauer Abkommens war nämlich die Verschärfung der Anforderungen an eine unbegrenzte Haftung, abgemildert durch eine Erhöhung der Haftungssumme (vgl. etwa Guldimann, Internationales Lufttransportrecht, 1961, S.169; BGHZ 74, 168; Schw.BG ZLW 1988, 96, 100). Der Gefahr einer Entwertung dieser Absicht der Parteien des völkerrechtlichen Vertrags ist jedoch ausreichend vorgebeugt, wenn in konsequenter Umsetzung der obengenannten Grundsätze die Prüfung in zwei Schritten erfolgt, nämlich in einem ersten Schritt hinsichtlich einer Erklärungspflicht und der Möglichkeit und Zumutbarkeit ihrer Erfüllung, in einem zweiten Schritt zu den aus der Nichterfüllung sich ergebenden, einzelfallbezogenen Schlussfolgerungen für das vorsatznahe qualifizierte Verschulden.

40. Dies führt hier dazu, dass die Beklagte unbeschränkt einzustehen hat.

41. Eine Aufklärungspflicht bestand, denn die Klägerin hat keinen Einblick in die Verhältnisse der Flughafenorganisation in …. Sie weiß nicht, an welchen Stellen die Fracht im Flugzeug gelagert war, wie die Entladung und die diesbezüglichen Kontrollen durchgeführt wurden und wo und wie das entladene Frachtgut bis zur Feststellung des Verlusts verwahrt wurde. Es ist auch unklar, ob der Verlust noch auf dem Rollfeld oder erst nach Verbringung der Fracht in Räumlichkeiten der … bekanntgegeben wurde.

42. Auf diese Information ist die Klägerin aber angewiesen, weil sie ohne diese ihrer — primären — Darlegungslast gemäß Art. 25 WA nicht genügen kann.

43. Die Beklagte hat diese Auskünfte nicht erteilt. Dies war ihr aber möglich und zumutbar. Sie hat ausgeführt, grundsätzlich sei bei der Entladung ihr Stationsleiter anwesend (Schriftsatz vom 17.6.1996, S.4, Bl.18 d.A.) und dieser sei auch im konkreten Einzelfall tatsächlich bei der Verladung zugegen gewesen (Schriftsatz vom 17.6.1996, S.6, Bl.20 d.A.: „trotz Anwesenheit“ … „gleichsam unter seinen Augen“.). Dann hätte die Beklagte aber ohne weiteres den Entladevorgang weiter darstellen können. Sie hätte angeben können, wann das Abhandenkommen ihr gemeldet wurde. Die Angabe, dies sei nach der Entladung geschehen, ist nicht aussagekräftig, weil sie alle späteren Vorgänge einschließt. Die Beklagte hätte auch wenigstens in allgemeiner Form vortragen können, in welcher Art mit der Fracht nach Abtransport vom Rollfeld verfahren wird und wie die Fracht dann gegen Verlust geschützt wird.

44. Die Beklagte hat aber erklärt (Schriftsatz vom 8.8.1996, S.7, Bl. 44 d.A.), mehr nicht vortragen zu können. Dies machte auch einen Hinweis des Senats nach § 139 ZPO entbehrlich.

45. Diese Umstände begründen die Überzeugung, dass die Beklagte leichtfertig und im Bewusstsein der Schadenwahrscheinlichkeit handelte.

46. Denn aus dem mangelnden Vortrag von Kontrollmaßnahmen und der ergänzenden Erklärung der Beklagten, mehr nicht vortragen zu können, obwohl ihr Beauftragter vor Ort war, kann der naheliegende Schluss gezogen werden, dass systematische Kontrollen nicht vorhanden waren und bei der P. keine ausreichenden Verlustsicherungen bestanden. Leichtfertig handelt aber jedenfalls derjenige, der rücksichtslos auf der Hand liegende Sicherungsmaßnahmen missachtet (vgl. Koller, wie oben, Rz.5 zu § 25 mwN.).

47. Diese Umstände legen es überzeugungsbildend nahe, dass die Beklagte in dem Bewusstsein handelte, ein Schaden werde wahrscheinlich entstehen. Ihr leichtfertiges Verhalten musste ihr die Erkenntnis aufdrängen, es werde wahrscheinlich ein Schaden entstehen. Es gab nämlich keinen Grund, darauf zu vertrauen, dass das Fehlen von Kontrollen dennoch Dritte oder Arbeitnehmer der P. ausnahmsweise nicht ermutigen werde, Frachtstücke zu entwenden. Die Wirksamkeit der allgemeinen Strafverfolgung vermag dem nicht vorzubeugen, ohne dass es auf Besonderheiten im osteuropäischen Raum ankäme.

48. Das qualifizierte Verschulden braucht sich nicht auf den konkreten Verlust der zwei Packstücke zu beziehen (vgl. BGH VersR 1960, 1062). Dessen ungeachtet hat es die Beklagte dem Zufall überlassen, an welchen Frachtstücken sich der erwartete Schaden verwirklichen werde.

49. Die Entscheidung durch Grundurteil (§ 304 ZPO) ist geboten, weil der Wert des Frachtguts noch weiterer Aufklärung bedarf. Der Schwerpunkt der Auseinandersetzung kann mit dieser Vorabentscheidung dem Streit entzogen werden.

50. Die nachgereichten Schriftsätze vom 2.4.1998, 7.4.1998 und 15.4.1998 veranlassen keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 156 ZPO).

51. Eine Kostenentscheidung erfolgt nicht, weil die Instanz durch das Zwischenurteil über den Grund nicht abgeschlossen ist. Ein Vollstreckbarkeitsausspruch findet nicht statt (vgl. Anders/Gehle, Handbuch für das Zivilurteil, 2. Aufl., Anm. C 7). Dies ergibt sich aus einer vergleichenden Betrachtung der §§ 304 Abs. 2 und 302 Abs. 3 ZPO. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung einer entsprechenden Anwendung der Darlegungsregeln des sonstigen Transportrechts im Bereich des Art. 25 WA hat der Senat die Revision zugelassen (§ 546 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

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