Defekt durch angesaugte Schraube

LG Darmstadt: Defekt durch angesaugte Schraube

Ein Reisender verlangt von seiner Airline eine Ausgleichszahlung wegen Flugverspätung. Die Airline begründet die Verspätung mit einer Schraube, die eine Turbine der Maschine noch auf dem Rollfeld beschädigt habe.

Das Landgericht Darmstadt hat die Klage abgewiesen. Ein Fremdkörper in einer Turbine sei von der Airline nicht zu kontrollieren oder vorherzusehen und stelle in der Folge einen haftungsbefreienden außergewöhnlichen Umstand dar.

LG Darmstadt 7 S 126/13 (Aktenzeichen)
LG Darmstadt: LG Darmstadt, Urt. vom 23.07.2014
Rechtsweg: LG Darmstadt, Urt. v. 23.07.2014, Az: 7 S 126/13
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Landgericht Darmstadt

1. Urteil vom 23. Juli 2014

Aktenzeichen: 7 S 126/13

Orientierungssatz

2. in Flugausfall wegen eines Fremdkörpers in der Turbine begründet einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der Fluggastrechte Verordnung.

Zusammenfassung:

3. Ein Reisender buchte bei einer Airline einen Linienflug. Auf dem Rollfeld mussten die Passagiere die Maschine jedoch wieder verlassen, weil eine Schraube in die Turbine geflogen war und diese dadurch stark beschädigt wurde. Wegen der notwendigen Reparaturzeit verspätete sich der Flug um mehrere Stunden. Der Reisende verlangt nun von seiner Fluggesellschaft eine Ausgleichszahlung im Sinne von Art. 5 der Fluggastrechteverordnung wegen erheblicher Verspätung.

Die Airline weigert sich der Zahlung. In dem Fremdkörper in der Turbine sei ein außergewöhnlicher Umstand zu sehen, der die Gesellschaft von der Haftung befreie.

Das Landgericht Darmstadt hat die Klage abgewiesen. Gemäß Art. 5 der Fluggastrechte Verordnung entfalle die Ausgleichspflicht einer Airline im Falle eines außergewöhnlichen Umstands. Ein solcher liege stets dann vor, wenn der Flug wegen Umständen, die außerhalb der Verantwortlichkeitssphäre der Luftfahrtgesellschaft lägen, einen Abflug unmöglich machen würden.
Ein Fremdkörper in der Turbine sei ein Umstand, der von der Airline nicht vorauszusehen oder zu kontrollieren sei. Wegen des fehlenden Verschuldens der Gesellschaft habe diese dem Kläger keine Ausgleichspauschale zu entrichten.

Tenor

4. Die Berufung der Klägerin zu 1) gegen das Urteil des Amtsgerichts Rüsselsheim vom 13.06.2013 (3 C 2869/12) wird zurückgewiesen.

Die Klägerin zu 1) hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Dieses Berufungsurteil und das angefochtene amtsgerichtliche Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf 1.200,-​- € festgesetzt.

Gründe

5. Die Klägerin zu 1) verlangt nach Rücknahme der zunächst auch von ihrem Ehemann eingelegten Klage und Abtretung dessen Anspruchs an sie von der Beklagen als ausführenden Luftfahrtunternehmen nunmehr Ausgleichszahlungen nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (nachfolgend „EG-​VO“) in Höhe von insgesamt 1.200,-​- € nebst Zinsen im Zusammenhang mit einem für den 07.07.2012 mit Abflug um 17.35 Uhr Ortszeit gebuchten und dann um ca. 19 Stunden erst am Folgetag verspätet durchgeführten Flug von Vancouver nach Frankfurt/Main. Die Beklagte hat dazu vorgetragen, dass bei der Abfertigung des Vorfluges von Frankfurt nach Vancouver eine Schraube in der Außenhaut des rechten Triebwerks des Fluggeräts D-​ABUL festgestellt worden sei, was eine Reparatur erforderlich gemacht habe. Hierbei habe es sich um einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der EG-​VO gehandelt, die Beklagte schulde deshalb keine Ausgleichsleistung.

6. Das Amtsgericht Rüsselsheim hat mit Urteil vom 13.06.2013 die Zahlungsklage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte sei wegen des Vorliegens eines außergewöhnlichen Umstandes gemäß Art 5 Abs. 3 der EG-​VO nicht zur Zahlung der geltend gemachten Ausgleichsleistung wegen Flugverspätung verpflichtet, weil das Gericht keine Zweifel daran habe, dass eine angesaugte Schraube das Triebwerk des für den Flug von Vancouver nach Frankfurt vorgesehene Fluggerät beschädigt hat und es deshalb zu der eingetretenen Verspätung gekommen ist.

7. Ergänzend wird gemäß § 540 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem erstinstanzlichen Urteil des Amtsgerichts Rüsselsheim Bezug genommen. Allerdings waren die Feststellungen dahingehend zu korrigieren, dass es gerade nicht unstreitig ist, dass eine Schraube in der Außenhaut durch den Kapitän festgestellt wurde, was zu der streitgegenständlichen Verspätung geführt haben soll.

8. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin zu 1) Berufung eingelegt und beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) einen Betrag von 1.200,-​- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.08.2012 zu zahlen. Sie rügt zusammenfassend, dass das erstinstanzliche Gericht fälschlicherweise davon ausgegangen sei, dass es sich bei der vorliegenden Beschädigung um einen außergewöhnlichen Umstand handele und nicht Beweis erhoben habe, ob es sich bei den vorgelegten Lichtbildern tatsächlich um die streitgegenständliche Maschine des Fluges DE 6070 handele.

9. Die Beklagte verteidigt das amtsgerichtliche Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie weist insbesondere darauf hin, dass die Bereitstellung eines Ersatzflugzeuges hier innerhalb eines Zeitrahmens von drei Stunden aus organisatorischen Gründen ausgeschlossen gewesen sei.

10. Die Berufung der Klägerin zu 1) ist form- und fristgerecht eingelegt und auch rechtzeitig begründet worden, sie ist mithin zulässig.

11. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

12. Auch nach dem weiteren Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren und insbesondere der nunmehr durchgeführten Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen Marienberg in der mündlichen Berufungsverhandlung am 18.06.2014 ist die Klage nicht begründet.

13. Die Flugverspätung erfolgte aus Umständen, die die Beklagte auch dann nicht hätte vermeiden können, wenn von ihr alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

14. Die Kammer ist davon überzeugt, dass bei dem Outside-​Check durch den Kapitän am 07.07.2012 auf dem Frankfurter Flughafen in der Membran des rechten Triebwerks des Fluggerätes Boeing D-​ABUL, welches von Toronto kommend für den Flug von Frankfurt nach Vancouver und wieder zurück und damit für den hier streitgegenständlichen Flug vorgesehen war, eine Metallgewindeschraube entdeckt worden ist. Der Zeuge M erklärte dazu im Rahmen seiner zeugenschaftlichen Vernehmung in der mündlichen Verhandlung am 18.06.2014, er sei zwar nicht vor Ort gewesen, aber er habe als zuständiger Mitarbeiter in Rufbereitschaft von den Technikern vor Ort diese Information per SMS und E-​Mail erhalten. Er habe sich nochmals bei der Technik vergewissert, dass diese Art Schraube nicht bei dem Bau einer Boeing, dem hier streitgegenständlichen Fluggerät, verwendet werde. Außerdem könne aufgrund der Bauweise einer Boeing eine Schraube, die im Bereich der Triebwerke aufgefunden wird, grundsätzlich nicht von diesem Flugzeug stammen. Um ein Ansaugen von eigenen Schrauben zu vermeiden, seien nämlich im vorderen Bereich alle Bauteile genietet; Schrauben in anderen Bereichen könnten rein physikalisch nicht angesaugt werden. Eine derartige Beschädigung müsse nach den Richtlinien auch zwingend beseitigt werden, bevor das Fluggerät wieder zum Einsatz gelangen kann.

15. Danach steht nach Auffassung der Kammer zum einen fest, dass die auf denen zur Akte gereichten Lichtbilden erkennbare Schraube in der rechten Turbine des streitgegenständlichen Flugzeuges steckte, was eine Reparatur erforderlich gemacht hat. Es steht nach Überzeugung der Kammer auch fest, dass die am 07.07.2014 in Frankfurt entdeckte Schraube nicht von diesem Fluggerät stammt, sondern bei vorhergehendem Start oder Landung von der Start- bzw. Landebahn angesaugt worden ist.

16. Nach zwischenzeitlich gefestigter Rechtsprechung stellen nicht im Zusammenhang mit der unmittelbaren Abfertigung der Maschine stehende Einwirkungen von außen auf das Flugzeug, etwa durch Vogelschlag, einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der EG-​VO Nr. 261/2004 und Nr. 14 der Erwägungsgründe dieser Fluggastrechte-​Verordnung dar, der zu einer Haftungsbefreiung des auf Ausgleichszahlung in Anspruch genommenen ausführenden Luftfahrtunternehmens führt.

17. Zwar handelt es sich vorliegend nicht um „tierische“ Einwirkungen wie ins Triebwerk eingesogene Vögel oder Bienen, die ein Staurohr verstopfen, sondern um einen mechanischen Fremdkörper (hier: Schraube), der von außen auf das Fluggerät eingewirkt und zu einem reparaturbedürftigen Beschädigung geführt hat.

18. Zwar mag diese Möglichkeit des Einsaugens von solchen Fremdkörpern als ein nicht ganz fern liegendes Risiko im Rahmen des Betriebs eines Flugzeugs zu bewerten sein. Gleichwohl stellt sich der dadurch verursachte technische Defekt bei wertender Betrachtung nicht als Teil der normalen Ausübung der Luftfahrttätigkeit dar. Selbst bei größtmöglicher Sorgfalt lassen sich derartige Vorfälle de facto nicht vermeiden. Vorbeugende Sicherungsvorkehrungen können nur von Seiten der Flughafenbetreiber, nicht aber von den Fluglinien selbst, getroffen werden. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass das Flughafenpersonal in Toronto (Start) oder Frankfurt (Landung) etwa streikbedingt die normalen Reinigungsintervalle verändert hat und die Start- und Landebahnen nicht ordnungsgemäß gewartet worden sind. Der Verlust einer Schraube o. ä., deren Verbleib auf der Piste und das Ansaugen durch ein Flugzeug lassen sich jedoch selbst bei größtmöglicher Anstrengung nicht ausschließen.

19. Das geringe Risiko des Eintritts eines derartigen Schadensfalls unterfällt daher ebenso wie das Eindringen von Vögeln und Insekten nicht (mehr) der Zurechnungssphäre des Luftfahrtunternehmens. Insofern kann nicht darauf abgestellt werden, dass technische Defekte grundsätzlich der Risikosphäre des Luftfahrtunternehmens unterfallen, denn den durch eine derartige Einwirkung von außen verursachten Defekten lässt sich durch noch so intensive Wartungsarbeiten oder andere organisatorische Mehrleistungen gerade nicht begegnen. Bei dieser Bewertung ist auch zu berücksichtigen, dass die Ausgleichszahlungsverpflichtung neben der Wiedergutmachungsfunktion der Disziplinierung der Luftfahrtunternehmen dient. Ausfall- und Verspätungsrisiken sollen durch Optimierung der organisatorischen Abläufe soweit als möglich vermieden werden. Es würde nach Auffassung der Kammer jedoch zu weit führen, die verschuldensunabhängige Haftung nach Art. 7 Abs. 1 der Fluggastrechteverordnung auch auf derartige außergewöhnliche Einwirkungen von außen zu erstrecken; Art. 5 Abs. 3 der Verordnung würde anderenfalls weitestgehend leer laufen.

20. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Haftungsausschlusses lagen daher auch nach Auffassung der Kammer hier vor.

21. Soweit in der Rechtsprechung die Ansicht vertreten wird, die Fluggesellschaft müsste darlegen, welche anderen personellen, materiellen und finanziellen Mittel ihr zur Verfügung standen, um den Flug zum geplanten Zeitpunkt durchzuführen und aus welchen Gründen es ihr gegebenenfalls nicht zumutbar war, auf diese Ressourcen zurückzugreifen, hat die Beklagte hier nachvollziehbar dargelegt, dass selbst bei Einsatz eines Ersatzflugzeuges in Frankfurt aufgrund der organisatorischen Abläufe es in jedem Fall zu einer ausgleichspflichtigen Verspätung gekommen wäre. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, dass die unternehmerischen Entscheidung getroffen worden ist, den Flug nicht zu annullieren, sondern das Fluggerät zu reparieren und damit zu einem späteren Zeitpunkt den geplanten Flug durchzuführen.

22. Die Beklagte ist auch nicht verpflichtet, ein Ersatzflugzeug in Vancouver vorzuhalten. Es ist bereits mehrfach entschieden worden, dass die Beklagte nicht auf allen von ihr planmäßig angeflogenen Flughäfen unverzüglich einsatzbereite Flugzeuge gleichsam in Reserve bereitzustellen hat, insbesondere nicht im Ausland.

23. Es ist auch nicht erkennbar, dass die Schadensbeseitigung schuldhaft verzögert erfolgte. Deshalb kann dahinstehen, inwieweit eine solche Verzögerung überhaupt beachtlich wäre, weil entgegen der genannten BGH-​Rechtsprechung auch gut vertretbar argumentiert wird, dass die zumutbaren Maßnahmen im Sinne des Art. 5 Abs. 3 EG-​VO sich nur auf den Eintritt des Ereignisses beziehen und nicht auf seine Folgen.

24. Die zulässige Berufung der Klägerin zu 1) war daher mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.

25. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Ziff. 10 ZPO, wobei eine Sicherheitsleistung nicht anzuordnen und wegen § 713 ZPO auch keine Abwendungsbefugnis einzuräumen war.

26. Die Bemessung des Gegenstandswertes folgt dem bezifferten Rechtsmittelantrag.

27. Die Revision war nicht zuzulassen, da die vorliegende Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Vielmehr handelt es sich um eine tatrichterlich zu treffende Einzelfallentscheidung, ob unter den hier gegebenen konkreten Umständen eine Haftungsbefreiung über Art. 5 Abs. 3 der EG-​VO Nr. 261/2004 gegeben ist. Für den vergleichbaren Fall des Vogelschlags ist dies, wie dargelegt, ohnehin bereits höchstrichterlich entschieden. In einer der hierzu ergangenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 24.09.2013 war von dem Vogelschlag ebenfalls der unmittelbare Vorflug betroffen.

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