Streik durch die Flugbegleitergewerkschaft als außergewöhnlicher Umstand

LG Frankfurt: Streik durch die Flugbegleitergewerkschaft als außergewöhnlicher Umstand

Die Flugreisenden forderten eine Ausgleichszahlung, weil ihr Flug aufgrund eines Streiks der Flugbegleiter der beklagten Airline annulliert worden war.

Das Landgericht Frankfurt bestätigte auf die Berufung der Kläger hin die erstinstanzliche Klageabweisung, da der Streik einen außergewöhnlichen Umstand darstellte.

LG Frankfurt 2-24 S 136/16 (Aktenzeichen)
LG Frankfurt: LG Frankfurt,, Urt. vom 11.05.2017
Rechtsweg: LG Frankfurt, Urt. v. 11.05.2017, Az: 2-24 S 136/16
AG Frankfurt, Urt. v. 11.07.2016, Az: 29 C 1375/16 (44)
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Landgericht Frankfurt

1. Urteil vom 11. Mai 2017

Aktenzeichen 2-24 S 136/16

Leitsätze:

2. Streikt das eigene Personal eines Luftfahrtunternehmens, liegt ein außergewöhnlicher Umstand vor.

Für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände bei Streik ist dessen Rechtmäßigkeit irrelevant.

Zusammenfassung:

3. Die Flugreisenden forderten eine Ausgleichszahlung, weil ihr Flug aufgrund eines Streiks des Kabinenpersonals der beklagten Fluggesellschaft annulliert worden war. Nachdem das Amtsgericht Frankfurt die Klage aufgrund außergewöhnlicher Umstände abwies, gingen die Kläger vor dem Landgericht Frankfurt in Berufung.

Die Kläger wiesen daraufhin, dass es das eigene Personal der Beklagten war, das aufgrund einer Schlechterstellungsmaßnahme in Streik getreten war. Das Gericht wies dieses Argument zurück, da Streik dennoch nicht beherrschbar sei und „von außen“ auf den Betriebsablauf gezielt störend einwirke. Überdies sei die Rechtmäßigkeit einer Arbeitskampfmaßnahme nicht relevant für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände.

Durch Erstellung eines Notfallplanes und  Aktivierung aller nicht streikwilligen Mitarbeiter hatte die Beklagte zudem alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um Annullierungen zu vermeiden.  In Anbetracht der Kurzfristigkeit des Streiks war der Rahmen des Zumutbaren zugunsten der Beklagten zu fassen sei. Die Berufung wurde zurückgewiesen und die Beklagte von der Ausgleichspflicht befreit.

Tenor:

4. Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens je zur Hälfte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

5. Die Parteien streiten um Ansprüche aus der VO (EG) 261/2004 (nachfolgend: „FluggastrechteVO“) wegen Annullierung eines Fuges.

6. Die Kläger hatten bei der Beklagten für den 07.11.2015 einen Flug von Istanbul nach Frankfurt am Main (Flugnummer …) gebucht. Der Flug wurde weniger als zwei Wochen vor dem planmäßigen Abflugzeitpunkt annulliert. Der Grund war ein Streik durch die Flugbegleitergewerkschaft … Hierbei wurde am 07.11.2015 das Drehkreuz Frankfurt am Main und die Langstrecke in Düsseldorf von morgens 6:00 Uhr bis 23:00 Uhr bestreikt. Diese konkreten Streikzeiten wurden der Beklagten seitens der Gewerkschaft … am 06.11.2015 bekannt gegeben. Aufgrund Personalknappheit musste die Beklagte mehrere 100 Flüge annullieren. Darunter fiel auch der streitgegenständliche Flugumlauf … von Frankfurt am Main nach Istanbul und … von Istanbul nach Frankfurt am Main. Die Beklagte hatte anlässlich des Streiks einen Notfallplan aufgesetzt und dabei sämtliche streikunwillige Flugbegleiter sowie Flugbegleiter der Tochtergesellschaften sowie Bodenmitarbeiter, die über eine entsprechende Ausbildung und Typengenehmigung für die jeweiligen Fluggeräte verfügt haben, eingesetzt. Es standen der Beklagten 112 Flugbegleiter und 48 Purser zur Verfügung. Die Beklagte hatte 9589 Kontinental- und 1239 Interkontinentalflüge geplant. Es mussten aufgrund des Streiks 4111 Kontinental- und 693 Interkontinentalflüge annulliert werden.

7. Gegenstand des Streiks war die Verlängerung der Arbeitszeit der Mitarbeiter der Beklagten von 55 auf 60 Jahre.

8. Wegen der Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main (im Folgenden „Amtsgericht“) vom 11.07.2016 (Bl. 83 ff. d.A.) Bezug genommen.

9. Die Kläger sind erstinstanzlich insbesondere der Ansicht gewesen, dass es sich hier wegen der Besonderheiten des Streiks nicht um einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO gehandelt habe.

10. Die Kläger haben erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1) einen Betrag in Höhe von 400,00 EUR und an den Kläger zu 2) einen Betrag in Höhe von 400,00 EUR, jeweils nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-​Punkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

11. Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

12. Die Beklagte ist erstinstanzlich insbesondere der Ansicht gewesen, dass sie wegen des Streiks nach Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO entlastet sei.

13. Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 11.07.2016 die Klage abgewiesen mit der Begründung, es liege ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO vor, und die Beklagte habe alle zumutbaren Maßnahmen getroffen, um die Annullierung zu vermeiden.

14. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung (Bl. 85 ff. d. A.) Bezug genommen.

15. Gegen das ihnen am 18.07.2016 zugestellte Urteil haben die Kläger am 16.08.2016 Berufung eingelegt und diese nach verlängerter Frist am 17.10.2016 begründet.

16. Mit der Berufung verfolgen die Kläger ihr erstinstanzliches Begehren (Zahlung von je 400,00 EUR) weiter.

17. Die Kläger wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie sind insbesondere der Ansicht, der Streik sei durch die Beklagte beherrschbar gewesen, denn die Beklagte habe aktiv Vertragsbedingungen ihrer Mitarbeiter abändern wollen.

18. Die Kläger beantragen,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts Frankfurt am Main, Az. 29 C 1375/16 (44), vom 11.07.2016, den Prozessbevollmächtigten der Kläger zugestellt am 18.07.2016, zu verurteilen, an die Kläger jeweils 400,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%- Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

19. Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

20. Sie verteidigt das Urteil des Amtsgerichts und wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.

21. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

22. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

23. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zahlung von jeweils 400,00 EUR aus Art. 5 Abs. 1 lit c. i.V.m. Art. 7 Abs. 1 S. 1 lit. b) FluggastrechteVO, da die Annullierung des streitgegenständlichen Fluges durch ein außergewöhnliches Ereignis im Sinne des Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO verursacht wurde. Nach dieser Vorschrift ist ein ausführendes Luftverkehrsunternehmen nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 FluggastrechteVO zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

24. Rechtsfehlerfrei hat das Amtsgericht zunächst angenommen, dass der Streik eigenen Personals einen außergewöhnlichen Umstand darstellt. Dies steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH, Urteil vom 21.08.2012, AZ. X ZR 138/11). In dieser Entscheidung hat der BGH klargestellt, dass sofern – wie im Streitfall – ein Streik in Rede steht, komme es dabei – jedenfalls im Grundsatz – nicht darauf an käme, ob der Betrieb des Luftverkehrsunternehmens durch eine Tarifauseinandersetzung zwischen Dritten, beispielsweise durch einen Streik von Beschäftigten des Flughafenbetreibers oder eines mit betriebswesentlichen Aufgaben wie etwa der Sicherheitskontrolle beauftragten anderen Unternehmens, oder dadurch beeinträchtigt wird, dass eigene Mitarbeiter des ausführenden Luftverkehrsunternehmens, wie Bodenpersonal oder fliegendes Personal, in den Ausstand treten. Weder der Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO noch Erwägungsgrund 14 der FluggastrechteVO oder der Sinn und Zweck der Vorschrift biete für eine solche Unterscheidung einen Anhaltspunkt. Auch der Streik eigener Mitarbeiter gehe typischerweise von einer Gewerkschaft aus, die von dem auf der Gegenseite stehenden Tarifpartner, der Arbeitgeber der Mitarbeiter, aber auch eine Arbeitgeberorganisation sein kann, verbesserte Arbeitsbedingungen oder höhere Löhne erstreiten will. Zu diesem Zweck rufe sie ihre Mitglieder zur Teilnahme am Arbeitskampf auf. Ein solcher Arbeitskampf sei Mittel der unionsrechtlich geschützten Koalitionsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 und Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union [ABl. C 364/1 ff. vom 18. Dezember 2000, vgl. hierzu Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., Art. 28 GR-​Charta, Rn. 4]) und suspendiere, jedenfalls soweit zur Ermöglichung des Arbeitskampfes erforderlich, die sonst bestehenden Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag. Der Streikaufruf wirke – auch soweit er zu einem Ausstand der eigenen Beschäftigten führt – „von außen” auf das Luftverkehrsunternehmen ein und sei nicht Teil der normalen Ausübung seiner Tätigkeit. Denn er ziele gerade darauf ab, als Kampfmittel der Auseinandersetzung um einen neuen oder anderen Tarifvertrag die „normale Ausübung der Tätigkeit“ zu beeinträchtigen und wenn möglich vollständig lahmzulegen. Er betreffe demgemäß in aller Regel auch nicht nur einen einzelnen oder einzelne Flüge, sondern typischerweise die gesamte oder zumindest wesentliche Teile der Tätigkeit des Luftverkehrsunternehmens. Der Zweck der FluggastrechteVO, die Fluggäste – auch durch die Pflicht zu Ausgleichszahlungen – vor dem „Ärgernis“ (EuGH, IATA und ELFAA Rn. 69; Wallentin-​Hermann/Alitalia Rn. 18) – grundsätzlich – vermeidbarer Annullierungen zu schützen, komme bei einem solchen Streik ebenso wenig zum Tragen wie in denjenigen Fällen, in denen ein externer Arbeitskampf oder ein sonstiges Ereignis dazu führe, dass die normale Betriebstätigkeit eines Luftverkehrsunternehmens ganz oder zu wesentlichen Teilen zum Erliegen kommt (BGH, Urteil vom 21. August 2012 – X ZR 138/11 -, Rn 20, 21).

25. Zu Recht geht das Amtsgericht weiterhin davon aus, dass es dabei keine Rolle spielen kann, dass der streitgegenständliche Streik nicht der Durchsetzung eines „Mehrbegehrens“ der Arbeitnehmer, sondern der Verhinderung einer Schlechterstellung der Arbeitnehmer diente. Zu Recht hat das Amtsgericht angenommen, dass die FluggastrechteVO (Erwägungsgrund Nr. 14 der FluggastrechteVO) nicht zwischen den Zweckrichtungen eines Streiks unterscheidet. Es kann hierbei folgerichtig auch keine Rolle spielen, ob der Streik die Folge eines aktiven Tuns des Luftfahrtunternehmens ist oder eines Unterlassens.

26. Insoweit war der Streik auch nicht von der Beklagten beherrschbar. In aller Regel kann eine außergewöhnliche Umstände ausschließende Beherrschbarkeit der Situation bei einer Tarifauseinandersetzung nicht angenommen werden. Die Entscheidung, einen Streik durchzuführen, wird von der Arbeitnehmerseite im Rahmen der ihr zukommenden Tarifautonomie getroffen und damit außerhalb des Betriebs des ausführenden Luftverkehrsunternehmens. Daraus folgt, dass das Luftverkehrsunternehmen regelmäßig auch bei eigenen Mitarbeitern keinen rechtlich erheblichen Einfluss darauf hat, ob gestreikt wird oder nicht. Dabei verfängt das Argument nicht, das ausführende Luftverkehrsunternehmen habe es bei betriebsinternen Streiks in der Hand, den Forderungen nachzukommen und dadurch den Streik abzuwenden. Damit würde von dem Luftverkehrsunternehmen verlangt, auf seine unionsrechtlich geschützte Koalitionsfreiheit zu verzichten und sich im Arbeitskampf von vornherein in die Rolle des Unterlegenen zu begeben. Dies wäre weder dem Luftverkehrsunternehmen zumutbar, noch läge es im längerfristigen Interesse der Fluggäste (BGH, Urteil vom 21. August 2012 – X ZR 138/11 -, Rn 26).

27. Weiterhin kann es ex-​post auch keine Rolle spielen, ob die von der Gewerkschaft UFO ausgerufene Arbeitskampfmaßnahme rechtmäßig war oder nicht, denn wie das Amtsgericht zu Recht festgestellt hat, unterscheidet die Verordnung nicht zwischen arbeitsrechtlich zulässigen und unzulässigen Maßnahmen.

28. Das Amtsgericht hat zu Recht angenommen, dass es in der vorliegenden Konstellation nicht an dem Merkmal des „Außergewöhnlichen“ fehlt, denn ein Streik ist nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens, sondern zielt gerade darauf ab, diese Tätigkeit lahm zu legen. Hierbei kommt es auch nicht darauf an, dass es sich um den dritten Streik in 2 Wochen gehandelt habe. Dieser Umstand ist gegebenenfalls im Rahmen der zumutbaren Maßnahmen, welche von dem Luftfahrtunternehmen zu ergreifen wären, zu berücksichtigen. Letztlich hat die Beklagte erst am Vortag über die konkreten Streikzeiten Kenntnis erlangt und hatte keine wesentliche Zeit zur Organisation des Streiktages. Es war auch nicht erschwerend zu berücksichtigen, dass zuvor bereits 13 weitere Streiks stattgefunden haben, denn diese Streiks gingen seitens der Piloten-​Gewerkschaft aus und nicht von der Flugbegleitergewerkschaft UFO (vgl. die Berichte Bl. 44 ff.).

29. Die Beklagte hat nach Auffassung des erkennenden Gerichts hinreichend dargelegt, dass sie alle zumutbaren Maßnahmen im Sinne des Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO ergriffen hat, um die Annullierung des von den Klägern gebuchten Fluges zu vermeiden.

30. Welche Maßnahmen einem ausführenden Luftverkehrsunternehmen zuzumuten sind, also in persönlicher, technischer und wirtschaftlicher Hinsicht erwartet werden können, um zu vermeiden, dass außergewöhnliche Umstände zur Annullierung eines bestimmten Fluges führen, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls zu diesem Zeitpunkt (EuGH, Wallentin-​Hermann/Alitalia Rn. 42; Urteil vom 12. Mai 2011 – Rs. C-​294/10, NJW 2011, 2865 = RRa 2011, 125 Rn. 25, 29 f. – EglTtis und Ratnieks). Der Europäische Gerichtshof geht von einem flexiblen und vom Einzelfall abhängigen Begriff der zumutbaren Maßnahme aus, wobei es Sache des nationalen Gerichts ist zu beurteilen, ob in dem ihm vorliegenden Fall angenommen werden kann, dass das Luftverkehrsunternehmen die der Situation angemessenen Maßnahmen getroffen hat (EuGH, EglTtis und Ratnieks, Rn. 30). Auch bei einer streikbedingten Beeinträchtigung des Flugplans sind demgemäß die konkreten Umstände des Einzelfalls maßgeblich (BGH, Urteil vom 21. August 2012 – X ZR 138/11 -, BGHZ 194, 258-​271, Rn. 29).

31. Die Beklagte hat hinreichend dargelegt, dass sie anlässlich des Streiks einen Notfallplan aufgesetzt hat und sämtliche streikunwillige Flugbegleiter sowie Flugbegleiter der Tochtergesellschaften sowie Bodenmitarbeiter, die über eine entsprechende Ausbildung und Typengenehmigung für die jeweiligen Fluggeräte verfügt haben, am 07.11.2015 eingesetzt hat, und anlässlich des Streiks trotzdem 42,9% der Kontinental- und 55,9% der Interkontinentalflüge aufgrund der Personalknappheit annullieren musste. Darunter fiel auch der streitgegenständliche Flugumlauf … von Frankfurt am Main nach Istanbul und … von Istanbul nach Frankfurt am Main. Demnach ist seitens der Beklagten hinreichend dargetan, alles Zumutbare zur Vermeidung der Annullierung des streitgegenständlichen Fluges unternommen zu haben.

32. Der BGH hat in seiner Entscheidung von 21. August 2012 – X ZR 138/11 – festgelegt, was im Rahmen der Darlegung der Beklagten zu berücksichtigen ist: Lassen außergewöhnliche Umstände besorgen, dass dem Luftverkehrsunternehmen demnächst ein erheblicher Teil seiner Mitarbeiter, in diesem Fall seiner Flugbegleiter, nicht zur Verfügung stehen wird, können an die Darlegung der Gründe, warum ein bestimmter Flug annulliert worden ist, keine hohen Anforderungen gestellt werden. In einer solchen Situation steht das Luftverkehrsunternehmen vor der Aufgabe, den Betriebsablauf möglichst schon im Vorfeld entsprechend zu reorganisieren. Hierbei hat es vor allem darauf hinzuwirken, dass die Beeinträchtigung für die Gesamtheit der Fluggäste möglichst gering ausfällt und dass nach dem Wegfall der Beeinträchtigungen möglichst schnell wieder der Normalbetrieb aufgenommen werden kann. Schöpft das Luftverkehrsunternehmen unter Einhaltung dieser Anforderungen die ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen in dem gebotenen Umfang aus, kann die Nichtdurchführung eines einzelnen Fluges in der Regel nicht allein deshalb als vermeidbar angesehen werden, weil stattdessen ein anderer Flug hätte annulliert werden können (BGH, Urteil vom 21. August 2012 – X ZR 138/11 -, BGHZ 194, 258-​271, Rn. 33). Dies gilt selbst dann, wenn das für einen annullierten Flug eingeplante konkrete Flugpersonal am Streiktag zur Verfügung gestanden hätte.

33. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH geht das erkennende Gericht ebenfalls von der Prämisse aus, dass in Anbetracht der knapp zur Verfügung stehenden Zeit für die Umorganisation, der komplexen Entscheidungssituation, bei der eine Vielzahl von Flügen sowie deren Verknüpfung untereinander zu berücksichtigen sind, dem Luftverkehrsunternehmen ein erforderlicher Spielraum bei der Beurteilung der zweckmäßigen Maßnahmen zuzubilligen ist (BGH, Urteil vom 21. August 2012 – X ZR 138/11 -, BGHZ 194, 258271, Rn. 33) und demnach die Durchführung eines bestimmten Fluges von der Beklagten nicht verlangt werden kann. Die Beklagte darf eine autonome Entscheidung treffen, die durch das Gericht nur in Grenzen zu überprüfen ist.

34. Zu Recht hat das Amtsgericht angenommen, dass keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es der Beklagten früher möglich gewesen wäre, gegen den Streik arbeitsgerichtlich vorzugehen.

35. Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Kläger zu tragen, weil ihr Rechtsmittel erfolglos war (§§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO).

36. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

37. Die Revision war zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO vorliegen, denn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Aus dem 15. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 261/2004 geht hervor, dass sich die „außergewöhnlichen Umstände“ nur auf „ein einzelnes Flugzeug an einem bestimmten Tag“ beziehen dürfen (vgl. EuGH (3. Kammer), Urt. v. 4.10. 2012 – C-​22/11 (Finnair Oyj/Timy Lassooy, in NJW 2013, 361, beck-​online). Es stellt sich deshalb die Frage, ob trotz des vom Bundesgerichtshof dem Luftfahrtunternehmen eingeräumten Spielraums bei der Beurteilung der zweckmäßigen Maßnahmen ein Flug durchzuführen wäre, wenn das für einen annullierten Flug eingeplante konkrete Flugpersonal am Streiktag zur Verfügung gestanden hätte.

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