Verspätung des Zubringerfluges
OLG Frankfurt: Verspätung des Zubringerfluges
Im vorliegenden Fall buchte der Kläger einen Flug bei der Beklagten, welcher aus zwei Teilflügen bestand. Der erste Teilflug sollte um 17.15 Uhr starten. Tatsächlich startete er erst um 19.15 Uhr. Durch die Verspätung des Zubringerfluges erreichte er den Anschlussflug nicht rechtzeitig und kam erst 13 Stunden später am Zielort an. Er verlangt nun von der Beklagten eine Ausgleichszahlung nach der VO wegen „Nichtbeförderung“.
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main sprach ihm einen solchen Anspruch nicht zu, da trotz rein faktischer Nichtbeförderung, keine „Nichtbeförderung“ im Sinne der VO vorliegt.
OLG Frankfurt | 16 U 178/07 (Aktenzeichen) |
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OLG Frankfurt: | OLG Frankfurt, Urt. vom 29.05.2008 |
Rechtsweg: | OLG Frankfurt, Urt. v. 29.05.2008, Az: 16 U 178/07 |
AG Frankfurt, Urt. v. 08.06.2007, Az: 30 C 1062/07 | |
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Leitsatz:
2. Eine rein faktische „Nicht-Weiter-Beförderung“, z.B. wegen Verspätung des Zubringerfluges, reicht nicht aus, eine Nichtbeförderung im Sinne des Art. 2 j EuFlugVO anzunehmen.
Zusammenfassung:
3. Vorliegend buchte der Kläger bei der Beklagten einen Flug, wodurch die Parteien einen Luftbeförderungsvertrag schlossen. Der Zubringerlug hatte eine Verspätung von 2 Stunden, sodass der Kläger den Anschlussflug verpasste und insgesamt 13 Stunden später am Zielort ankam. Der Kläger verlangt nun von der Beklagten eine Ausgleichszahlung wegen Flugannullierung bzw. Flugverspätung nach der Fluggastverordnung.
Das Amtsgericht Frankfurt am Main sprach dem Kläger einen Anspruch auf Ausgleichzahlung nach der Fluggastverordnung zu. Zur Begründung hat das AG ausgeführt, dass nicht nur eine Verspätung, sondern wegen des nicht mehr erreichten Weiterflugs eine Nichtbeförderung vorliege. Die Beklagte ging gegen dieses Urteil in Berufung.
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hingegen entschied anders. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Ausgleichszahlungen vor, da es sich hier nicht im eine Nichtbeförderung im Sinne der VO handelt. Dazu hätte die Beklagte die Passagiere, die sich rechtzeitig zur Flugbfertigung eingefunden haben, bewusst zurückweisen müssen. Dies ist hier jedoch nicht geschehen. Eine rein faktische „Nicht-Weiter-Beförderung“, z.B. wegen Verspätung des Zubringerfluges, reicht indessen nicht aus, eine Nichtbeförderung im Sinne des Art. 2 j EuFlugVO anzunehmen.
Tenor:
4. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 08. Juni 2007 verkündete Urteil des AGs Frankfurt am Main – Az.: 30 C 1062/07- 68 – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 250,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. März 2007 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten der ersten Instanz haben die Parteien je zur Hälfte zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe:
5. Der Kläger verlangt eine Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 Abs. 1 a i. V. m. Art. 4 Abs. 3 der EU-Verordnung Nr. 261/04 (im Folgenden: EuFlugVO).
6. Der Kläger buchte bei der Beklagten einen Flug für den …. Oktober 2006 von 01 nach O2 über O3. Die geplante Abflugzeit war 17:15 Uhr, die tatsächliche Abflugzeit 19:15 Uhr. Den um 20:25 Uhr planmäßig startenden Anschlussflug von O3 nach O2 konnte der Kläger aufgrund der Verspätung des Zubringerfluges nicht mehr erreichen. Die Beklagte buchte daraufhin den Kläger auf den Folgetag um, so dass er sein Ziel erst am 4. Oktober 2006 gegen 11:00 Uhr, also mit 13 Stunden Verspätung, erreichte. Hierfür macht der Kläger eine Ausgleichszahlung in Höhe von 250,00 EUR geltend.
7. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
8. Das AG hat der Klage stattgegeben und dem Kläger die gemäß Art. 4 Abs. 3 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 a EuFlugVO vorgesehene Ausgleichszahlung von 250,00 EUR zugebilligt. Zur Begründung hat das AG ausgeführt, dass nicht nur eine Verspätung, sondern wegen des nicht mehr erreichten Weiterflugs eine Nichtbeförderung vorliege. Nach Ansicht des AGs kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sich der Kläger nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 a der Verordnung spätestens 45 Minuten vor der veröffentlichten Abflugzeit zur Abfertigung eingefunden habe, weil er bereits in 01 zugleich für den Weiterflug die Boarding-Pässe erhalten habe.
9. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten der AGlichen Begründung wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
10. Gegen das ihr am 12. Juni 2007 zugestellte Urteil des AGs Frankfurt am Main vom 08. Juni 2007 hat die Beklagte mit einer am 26. Juni 2007 eingegangenen Schrift – wie vom AG zugelassen – Berufung eingelegt, die mit einer am 24. Juli 2007 eingegangenen Schrift begründet worden ist.
11. Die Berufung beschränkt sich auf die zugebilligte Ausgleichszahlung für den Flug des Klägers am … Oktober 2006 von 01 über O3 nach O2.
12. Die vom AG ebenfalls zugebilligte Ausgleichszahlung wegen Annullierung des Rückflugs vom 06. Oktober 2006 von O3 nach 01 ist nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens.
13. Die Beklagte rügt Rechtsfehler und ist der Ansicht, hinsichtlich des Hinfluges am … Oktober 2006 von 01 nach O3 liege lediglich eine Verspätung und keine „Nichtbeförderung“ vor.
das am 08. Juni 2007 verkündete Urteil des AGs Frankfurt am Main – 30 C 1062/07- 68 – aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit die Beklagte zu mehr als 250 EUR verurteilt worden ist.
die Berufung zurückzuweisen.
16. Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.
17. Hinsichtlich weiter Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
18. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig.
19. Das OLG Frankfurt ist das gemäß §119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG zuständige Gericht, da es sich um Streitigkeiten über Ansprüche handelt, die gegen eine Partei erhoben werden, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in erster Instanz außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes hatte. In Deutschland gibt es nämlich lediglich eine Zweigniederlassung der Beklagten.
20. Die Berufung ist auch begründet.
21. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Ausgleichszahlung gemäß Art. 4 Abs. 3 i. V. m. Art 7 Abs. 1 a EuFlugVO zu.
22. Zwar ist diese Verordnung gemäß Art. 3 Abs. 2 b EuFlugVO anwendbar. Nach Auffassung des Senats liegt jedoch keine „Nichtbeförderung“ im Sinne des Art. 4 EuFlugVO vor.
23. Nach der Definition des Begriffs in Art. 2 j EUFlugVO setzt eine „Nichtbeförderung“ die Weigerung voraus, Fluggäste zu befördern, obwohl sie sich unter den in Art. 3 Abs. 2 genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden haben, sofern keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung gegeben sind, z.B. im Zusammenhang mit der Gesundheit oder der allgemeinen oder betrieblichen Sicherheit oder unzureichenden Reiseunterlagen.
24. Eine rein faktische „Nicht-Weiter-Beförderung“, z.B. wegen Verspätung des Zubringerfluges, reicht indessen nicht aus, eine Nichtbeförderung im Sinne des Art. 2 j EuFlugVO anzunehmen.
25. Das ist bereits aufgrund des Wortlauts der Fall, da der Begriff der „Weigerung“ ein bewusstes Zurückweisen der Passagiere impliziert, die sich mit einer bestätigten Buchung und rechtzeitig zur Flugabfertigung eingefunden haben. Darüber hinaus spricht auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift für eine Beschränkung auf die Fälle einer Zurückweisung der Fluggäste wegen Überbuchung des Fluges.
26. Die EG-VO 261/04 hat die EG-VO Nr. 295/91 abgelöst. Sie hat zwar den Anwendungsbereich der alten Verordnung erweitert, jedoch nicht auf die Fälle des Nichterreichens des Anschlussfluges wegen verspäteten Eintreffens des Zubringerfluges. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Die alte Verordnung hat ausschließlich die Fälle der Nichtbeförderung wegen Überbuchung erfasst, wie der BGH in seiner Entscheidung vom 12. Juli 2006 (BGH Beschluss v. 12.07.2006, Az: X ZR 22/05: Ausgleichsleistung und Entschädigung durch Fluggesellschaft wegen Nichtbeförderung) ausdrücklich festgestellt hat. Auch wenn in der neuen Verordnung der Begriff „Überbuchung“ im Gegensatz zur alten Verordnung nicht genannt wird, ist aus den Erwägungsgründen auf den Willen des Verordnungsgebers zu schließen, es bei den Anwendungsfällen der Überbuchung zu belassen, auch wenn jetzt nur allgemein von „Nichtbeförderung“ die Rede ist.
27. In dem dritten Erwägungsgrund wird nämlich darauf hingewiesen, dass zwar ein grundlegender Schutz für die Fluggäste geschaffen worden, die Zahl der gegen ihren Willen nicht beförderten Fluggäste aber immer noch zu hoch sei. Nach Erwägungsgrund 4 sollte die Gemeinschaft deshalb die mit der genannten Verordnung festgelegten Schutzstandards erhöhen, um die Fluggastrechte zu stärken. Dementsprechend sieht Erwägungsgrund 9 vor, dass die Zahl der gegen ihren Willen nicht beförderten Fluggäste dadurch verringert werden sollte, dass von dem Luftfahrtunternehmen verlangt wird, Fluggäste gegen eine entsprechende Gegenleistung zum freiwilligen Verzicht auf ihre Buchungen zu bewegen, anstatt Fluggästen die Beförderung zu verweigern, und denjenigen, die letztlich nicht befördert werden, eine vollwertige Ausgleichsleistung zu erbringen.
28. Diese Erwägung ist dann mit der Vorschrift des Art. 4 umgesetzt worden, nach dessen Abs. 1 ein Luftfahrtunternehmen zunächst versuchen muss, Fluggäste gegen eine entsprechende Gegenleistung zum freiwilligen Verzicht auf ihre Buchung zu bewegen, und nach dessen Abs. 2 Fluggästen gegen ihren Willen die Beförderung verweigern kann, wenn sich nicht genügend Freiwillige finden, wobei nach Abs. 3 diesen unverzüglich eine Ausgleichsleistung zu erbringen ist. In der Einführung von Art. 4 Abs. 1 und 2 EuFlugVO liegt daher bereits eine erhebliche Stärkung der Fluggastrechte. Dem Verbraucherschutzgedanken ist darüber hinaus dadurch stärker Rechnung getragen worden, dass die Tatbestände der „Annullierung“ und „Verspätung“ eingeführt worden sind, also weitere entschädigungspflichtige Tatbestände geschaffen wurden; auch wurden Charterflüge in den Anwendungsbereich einbezogen.
29. Anhaltspunkte dafür, dass der Tatbestand der „Nichtbeförderung“ neu definiert werden sollte und nicht nur im Fall der „Überbuchung“, sondern auch bei Nichterreichung des Anschlussfluges wegen Verspätung des Zubringerfluges erfüllt sein sollte, finden sich hingegen nicht in den Erwägungsgründen.
30. Dabei wäre es – bei einem entsprechenden Willen des Verordnungsgebers – ohne Weiteres möglich gewesen, die Nichtbeförderung neu und anders, und zwar als jede Form des misslungenen (Weiter-)Transports der Fluggäste zur ursprünglich gebuchten Flugzeit zu definieren. Das aber wollte der Verordnungsgeber offensichtlich nicht.
31. Dafür spricht auch die Systematik des Art. 4, dessen Absätze in ihrem Regelungsgehalt aufeinander aufbauen. Da die Absätze 1 und 2 unmissverständlich die Fälle der Überbuchung im Blick haben, muss sich auch der Regelungsgehalt von Abs. 3, der die Konsequenzen aus dem Verhaltenskodex der Abs. 1 und 2 beinhaltet, auf die Fälle der Überbuchung beschränken.
32. Der Senat verkennt nicht, dass die Frage der Anwendbarkeit von Art. 4 Abs. 3 EuFlugVO überwiegend anders bewertet wird (so z. B. OLG Hamburg, RRa 2008, 139 ff.; LG Berlin, RRa 2008, 42 ff.; AG Bremen, Urteil vom 8. Mai 2007, 4 C 7/07 (Juris); Führig RRa 2007, 58 ff., 59; Schmid, NJW 2006, 1841 ff., 1842; wohl auch Müller-Rostin, NZV 2007, 221 ff., 223).
33. Aufgrund des Wortlauts und der Entstehungsgeschichte der Verordnung verbietet es sich jedoch, allein aus dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes und der Erwägung, dass der Fluggast bei jeder faktischen Nichtbeförderung keine Wahlfreiheit genießt und ohne eigenes Verschulden nicht – wie geplant – weiter transportiert wird, eine Nichtbeförderung im Sinne des Art. 4 EuFlugVO anzunehmen. Denn entscheidend ist, dass nach Auffassung des Senats aus den genannten Gründen der Regelungsgehalt von Art. 4 Abs. 3 EuFlugVO diese über den Fall der Überbuchung hinausgehenden Fälle der unterbliebenen Beförderung nicht erfasst und nicht erfassen wollte, mag dies aus der Sicht des Verbrauchers auch zu beklagen sein.
34. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
35. Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Denn andere Gerichte, u. a. auch das OLG Hamburg (RRa 2008, 139 ff.), sind in ähnlich gelagerten Fällen von einer „Nichtbeförderung“ im Sinne des Art. 4 Abs. 3 EuFluggastVO ausgegangen.
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