Kollision des Flugzeugs mit einem Frachtfahrzeug

Kollision des Flugzeugs mit einem Frachtfahrzeug

Ein Flugzeug in Parkposition wurde von einem nicht abgesicherten, umher rollenden Frachtfahrzeug (Gepäckwagen) beschädigt. Die Fluggesellschaft verweigerte jedoch Ausgleichszahlungen an die Fluggäste, die erhebliche Verspätungen hinnehmen mussten bis ein Ersatzflugzeug verfügbar war.

Die Fluggäste klagten auf die Auszahlung und das Gericht gab ihnen recht. Es handele sich bei dem Unfall, anders als die Fluggesellschaft behauptete, nicht um einen außergewöhnlichen Umstand, weshalb eine Ausgleichspflicht gegenüber den Fluggästen bestehe. Der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil und wies eine Berufung ab.

BGH X ZR 76/15 (Aktenzeichen)
BGH: BGH, Urt. vom 20.12.2016
Rechtsweg: BGH, Urt. v. 20.12.2016, Az: X ZR 76/15
LG Frankfurt, Urt. v. 25.06.2015, Az: 24 S 66/15
AG Frankfurt, Urt. v. 09.03.2015, Az: 29 C 3725/14
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Bundesgerichtshof

1. Urteil vom 20.12.2016

Aktenzeichen X ZR 76/15

Orientierungssatz:

2. Es ist nicht als außergewöhnlicher Umstand zu sehen, wenn es dadurch zu einer Flugverspätung kommt, dass das vorgesehene Flugzeug in Parkposition steht und ein unzureichend abgesicherter Gepäckwagen mit ihm kollidiert.

Dies gilt ungeachtet der Tatsache ob Flugzeug oder Gepäckwagen zum Zeitpunkt der Kollision im Einsatz sind.

Zusammenfassung:

3. Ein für einen Flug vorgesehenes Flugzeug wurde auf dem Parkplatz beschädigt, als ein Gepäckwagen, der von der Turbine eines anderen Flugzeuges ins Rollen gebracht worden war, mit ihm kollidierte. Die Fluggesellschaft vertrat die Meinung, es handele sich bei diesem Unfall um außergewöhnliche Umstände und verweigerte den Fluggästen, die durch das Warten auf eine Ersatzmaschine erhebliche Verspätungen in Kauf nehmen mussten, eine Ausgleichszahlung.

Das Gericht verurteilte die Fluggesellschaft zur Zahlung, da ein derartiger Unfall nicht als außergewöhnlicher Umstand anzusehen sei. Ein außergewöhnlicher Umstand seien lediglich solche Ereignisse, die nichts mit dem allgemeinen Flughafenbetrieb zu tun hätten und somit von den Fluggesellschaften unmöglich zu verhindern seien. Eine Kollision von Gepäckwagen und Flugzeug, beides Fahrzeuge, die zum Flughafen gehören, läge durchaus im Verantwortungs- bzw. Risikobereich der Fluggesellschaft.

Tenor:

4. Die Revision gegen das Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 25. Juni 2015 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Tatbestand:

5. Die Kläger begehren von der Beklagten eine Ausgleichsleistung wegen Verspätung eines Flugs von Frankfurt am Main nach Windhoek.

6. Der von den Klägern gebuchte Flug sollte planmäßig am 1. Juni 2014 um 20:10 Uhr starten und am Tag darauf um 5:30 Uhr landen. Die tatsächliche Ankunftszeit war 18:30 Uhr. Als Grund für die Verzögerung gab die Beklagte an, das eingesetzte Flugzeug sei am Tag des geplanten Abflugs beschädigt worden, als es in Frankfurt auf einer Parkposition gestanden habe und zwei Gepäckwagen mit ihm kollidiert seien, die nicht hinreichend gegen unkontrolliertes Wegrollen gesichert und durch den Turbinenstrahl eines anderen Flugzeugs in Bewegung versetzt worden seien. Wegen der Beschädigung habe sie ein anderes Flugzeug einsetzen müssen, das erst am 2. Juni in Frankfurt eingetroffen sei.

7. Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von insgesamt 1.200 Euro nebst Verzugszinsen verurteilt. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter. Die Kläger treten dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:

8. Die zulässige Revision ist unbegründet.

9. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

10. Die geltend gemachten Ausgleichsansprüche seien in entsprechender Anwendung von Art. 5 Abs. 1 Buchst. c, Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c der Fluggastrechteverordnung begründet. Sie seien nicht nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung ausgeschlossen.

Der von der Beklagten vorgetragene Sachverhalt liege nicht außerhalb dessen, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden sei. Hierbei sei unerheblich, ob das Frachtfahrzeug im Zeitpunkt der Kollision eine flughafentypische Aufgabe wahrgenommen habe. Auch der ruhende Verkehr von Flugzeugen und Fahrzeugen stelle einen Teil des Betriebs dar. Dies gelte jedenfalls für Fahrzeuge, die vom Betreiber des Flughafens für Flughafendienstleistungen eingesetzt würden. Unerheblich sei ferner, dass das Flugzeug auf einer Außenposition fernab des Terminals gestanden habe; auch dieser Bereich gehöre zum Flughafen.

Bei der Abgrenzung der Pflichtenkreise und Verantwortungssphären sei zudem die Regressmöglichkeit der Beklagten gegenüber dem Flughafenbetreiber zu berücksichtigen. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass sie die Kollision nicht habe beherrschen können. Sie habe die Möglichkeit gehabt, den Flughafenbetreiber anzuweisen, das Fahrzeug ausreichend gegen Wegrollen zu sichern oder in ausreichendem Abstand zum Flugzeug abzustellen.

11. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Das Berufungsgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass den Klägern ein Ausgleichsanspruch wegen Verspätung zusteht und dass dieser Anspruch nicht nach Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung ausgeschlossen ist.

12. Außergewöhnliche Umstände, die nach Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung einem Ausgleichsanspruch wegen Annullierung oder erheblicher Verspätung entgegenstehen können, sind Umstände, die außerhalb dessen liegen, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist oder verbunden sein kann. Dies sind Ereignisse, die nicht zum Luftverkehr gehören, sondern als jedenfalls in der Regel von außen kommende besondere Umstände dessen ordnungs- und planmäßige Durchführung beeinträchtigen oder unmöglich machen können. Umstände, die im Zusammenhang mit einem dem Luftverkehr störenden Vorfall wie einem technischen Defekt auftreten, können nur dann als außergewöhnlich im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung qualifiziert werden, wenn sie auf ein Vorkommnis zurückgehen, das wie die in Erwägungsgrund 14 der Verordnung aufgezählten Ereignisse nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens und aufgrund seiner Natur oder Ursache von diesem tatsächlich nicht zu beherrschen ist (EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2008 – C-​549/09, NJW 2009, 347 = RRa 2009, 35 Rn. 23 – Wallentin-​Hermann/Alitalia; Urteil vom 19. November 2009 – C-​402/07, Slg. 2009, I-​10923 = NJW 2010, 43 = RRa 2009, 282 Rn. 70 – Sturgeon/Condor; Urteil vom 31. Januar 2013 – C-​12/11, NJW 2013, 921 = RRa 2013, 81 Rn. 29 – McDonagh/Ryanair; Beschluss vom 14. November 2014 – C-​394/14, RRa 2015, 15 Rn. 18 – Siewert/Condor; Urteil vom 17. September 2015 – C-​257/14, NJW 2015, 3427 = RRa 2015, 287 Rn. 36 – van der Lans/KLM). Der Bundesgerichtshof hat hieraus abgeleitet, dass technische Defekte, wie sie beim Betrieb eines Flugzeugs typischerweise auftreten, grundsätzlich keine außergewöhnlichen Umstände begründen, sondern Teil der normalen Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind (BGH, Urteil vom 12. November 2009 – Xa ZR 76/07, NJW 2010, 1070 = RRa 2010, 34 Rn. 23; Urteil vom 21. August 2012 – X ZR 138/11, BGHZ 194, 258 Rn. 16; Urteil vom 24. September 2013 – X ZR 160/12, NJW 2014, 861 = RRa 2014, 25 Rn. 10; Urteil vom 12. Juni 2014 – X ZR 121/13, NJW 2014, 3303 = RRa 2014, 293 Rn. 11). Die Prüfung, ob ein technisches Problem auf ein Vorkommnis zurückzuführen ist, das nicht Teil der normalen Ausführung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist, obliegt dem nationalen Richter (EuGH – Wallentin-​Hermann/Alitalia Rn. 27); sie ist grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters (BGHZ 194, 258 Rn. 17; BGH NJW 2014, 861 Rn. 11; NJW 2014, 3303 Rn. 11).

13. Bei Anlegung dieses Maßstabs ist die angefochtene Entscheidung rechtlich nicht zu beanstanden.

14. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Kollision eines Flugzeugs mit einem Treppenfahrzeug als ein Vorkommnis anzusehen, das Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens ist. Ausschlaggebend dafür ist der Umstand, dass solche Fahrzeuge bei der Beförderung von Fluggästen im Luftverkehr notwendigerweise eingesetzt werden, so dass die Luftfahrtunternehmen regelmäßig mit Situationen konfrontiert sind, die sich aus dem Einsatz solcher Treppenfahrzeuge ergeben (EuGH – Siewert/Condor Rn. 19).

15. Für den hier zu beurteilenden Fall einer Kollision mit einem Gepäckwagen gilt nichts anderes. Auch solche Fahrzeuge werden bei der Beförderung von Fluggästen im Luftverkehr notwendigerweise eingesetzt. Ein Luftfahrtunternehmen ist deshalb in vergleichbarer Weise regelmäßig mit Situationen konfrontiert, die sich aus dem Einsatz solcher Fahrzeuge ergeben.

16. Entgegen der Auffassung der Revision gilt dies unabhängig davon, ob das beschädigte Flugzeug oder das mit ihm kollidierende Fahrzeug zum Zeitpunkt der Kollision in Einsatz waren.

17. Zu den typischen Situationen, die sich aus dem Einsatz von Flugzeugen und den zur Abfertigung eingesetzten Fahrzeugen auf einem Flughafen ergeben können, gehören nicht nur die Vorgänge, bei denen diese Gegenstände in Einsatz sind oder für einen Einsatz vorbereitet werden. Zum typischen Betrieb gehören vielmehr auch Situationen, in denen ein Fahrzeug oder Flugzeug auf dem Flughafengelände abgestellt, aber dennoch den typischen Gefahren eines Flughafenbetriebs ausgesetzt ist. Eine solche Situation war bei dem von der Beklagten vorgetragenen Geschehensablauf gegeben.

18. Dass Flughafenbetreiber und Luftfahrtunternehmen in der Regel bestrebt und häufig auch verpflichtet sein werden, eine Beschädigung von Flugzeugen oder sonstigen Betriebsmitteln zu vermeiden, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Auch insoweit besteht kein grundlegender Unterschied zwischen Situationen, in denen diese Gegenstände in Einsatz sind oder für einen Einsatz vorbereitet werden, und Situationen, in denen sie zwischen zwei Einsätzen auf dem Flughafengelände abgestellt sind. In beiden Konstellationen kann es erfahrungsgemäß trotz aller Sorgfaltsbemühungen zu Beschädigungen kommen.

19. Entgegen der Auffassung der Revision kommt der Frage, wie groß die Wahrscheinlichkeit war, dass es gerade zu dem konkret eingetretenen Schadensverlauf kommen würde, keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Auch das Auftreten von unerwarteten technischen Defekten gehört zu den typischen Gefahren des Flugbetriebs (EuGH – van der Lans/KLM Rn. 41). Ob etwas anderes zu gelten hat für gänzlich fernliegende Kausalverläufe, die völlig außerhalb jeder Lebenserfahrung liegen, kann dahingestellt bleiben. Der von der Beklagten vorgetragene Sachverhalt mag nicht alltäglich sein. Er liegt aber nicht außerhalb jeder Lebenserfahrung.

20. Entgegen der Auffassung der Revision ist eine abweichende Beurteilung nicht deshalb geboten, weil die Gepäckwagen durch den Turbinenstrahl eines anderen Flugzeugs in Bewegung versetzt wurden.

21. Die Beschädigung eines Flugzeugs beruht allerdings auf außergewöhnlichen Umständen, wenn sie durch einen außerhalb der normalen Flughafendienstleistungen liegenden Akt verursacht worden ist. Hierzu zählen von außen einwirkende Umstände, insbesondere ein Sabotageakt oder eine terroristische Handlung (EuGH – Wallentin-​Hermann/Alitalia Rn. 26; Siewert/Condor Rn. 19; van der Lans/KLM Rn. 38), Naturereignisse wie etwa ein Vulkanausbruch (EuGH – McDonagh/Ryanair Rn. 34) oder eine Kollision mit Vögeln (BGH NJW 2014, 861 Rn. 13), aber ein auch den Betrieb beeinträchtigender Streik (BGHZ 194, 258 Rn. 7 ff.; BGH NJW 2014, 3303 Rn. 14) oder eine behördliche Anordnung, die Auswirkungen auf den Flugbetrieb hat (EuGH – Wallentin-​Hermann/Alitalia Rn. 26).

22. Mit solchen Ereignissen sind die vom Betrieb eines anderen Flugzeugs ausgehenden Einwirkungen indes nicht vergleichbar. Die Begegnung mit anderen Flugzeugen auf dem Gelände eines Flughafens ist vielmehr eine Situation, die in gleicher Weise typisch ist für den Einsatz eines Flugzeugs wie die Konfrontation mit Treppen- oder Gepäckfahrzeugen. Demgegenüber mag der von der Revision als vergleichbar angesehene Fall des Vogelschlags zwar ebenfalls häufig eintreten. Er hat seine Ursache aber in einem von außen einwirkenden Umstand, der nicht durch den Flugbetrieb geschaffen ist, sondern allenfalls durch Gegenmaßnahmen des Flughafenbetreibers in gewissem Umfang neutralisiert werden kann. Der Einsatz von Treppen- und Gepäckfahrzeugen und der Einsatz anderer Flugzeuge sind hingegen Umstände, die ihren Grund gerade im Flugbetrieb haben. Deshalb gehören sie zur normalen Ausführung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens.

23. Die Frage, ob die Beklagte den konkreten Schadensfall durch Anweisungen an den Flughafenbetreiber hätte verhindern können, ist für die Entscheidung des Streitfalls nicht erheblich. Technische Defekte, die beim Betrieb eines Flugzeugs typischerweise auftreten können, sind auch dann noch Teil der normalen Ausführung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens, wenn sie im Einzelfall nicht zu verhindern waren.

24. Nichts anderes gilt für die Frage, ob die Beklagte den Flughafenbetreiber wegen der ihr entstandenen Schäden in Regress nehmen kann. Der Umstand, dass ein bestimmtes Ereignis typischerweise zu Ersatzansprüchen des Luftfahrtunternehmens gegen Dritte führt, kann zwar für die Frage, ob ein außergewöhnlicher Umstand vorliegt, von Bedeutung sein (EuGH – Sturgeon Rn. 68; van der Lans/KLM Rn. 46). Der Entschädigungsanspruch des Fluggasts hängt aber nicht davon ab, ob dem Luftfahrtunternehmen im jeweiligen Einzelfall solche Regressansprüche zustehen.

25. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Einholung einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union nicht veranlasst. Der Gerichtshof hat die Voraussetzungen, unter denen ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung zu bejahen ist, in den oben angeführten Entscheidungen geklärt. Die Anwendung dieser Grundsätze auf Einzelfälle obliegt, wie der Gerichtshof ebenfalls bereits entschieden hat, den Gerichten der Mitgliedstaaten.

26. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

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