Herstellerfehler ist kein außergewöhnlicher Umstand

AG Rüsselsheim: Herstellerfehler ist kein außergewöhnlicher Umstand

Eine Reiseunternehmerin wurde verklagt, weil ein Defekt am Flugzeug zur Reiseverspätung führte.

Das Amtsgericht Rüsselsheim sprach den Klägern eine Schadensersatzzahlung zu.

AG Rüsselsheim 3 C 734/10 (32) (Aktenzeichen)
AG Rüsselsheim: AG Rüsselsheim, Urt. vom 24.02.2011
Rechtsweg: Amtsgericht Rüsselsheim, Urt. v. 24.02.2011, Az: 3 C 734/10 (32)
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Amtsgericht Rüsselsheim

1. Urteil vom 24. Februar 2011

Aktenzeichen: 3 C 734/10 (32)

Leitsatz:

2. Verspätet sich der Flug wegen eines Defekts am Flugzeug, so ist das Reiseunternehmen als Schuldner der Leistung in Verzug.

Zusammenfassung:

3. Im vorliegenden Fall wird eine Reiseunternehmerin auf Schadensersatz verklagt, weil ein Defekt an einem Flugzeug zur Reiseverspätung führte.

Die Kläger begehen von dem Reiseunternehmen den Schadensersatz nebst Zinsen.

Das Amtsgericht in Rüsselsheim hat den Klägern den Schadensersatz zugesprochen und entschied, dass es sich bei einem Flug um ein Fixgeschäft handelt. Der Flug muss dann erfolgen, wie zuvor bei der Buchung vereinbart wurde. Verspätet sich der Abflug, so kommt das Luftfahrtunternehmen in Verzug und macht sich dem Fluggast gegenüber schadensersatzpflichtig.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger jeweils 600,– € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.04.2010 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der zu vollstreckenden Summe abzuwenden, wenn nicht zuvor die Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand:

5. Die Kläger begehren Ausgleichszahlungen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 261/2004.

6. Die Kläger hatten einen Flug für den 08.04.2010 von den Malediven nach Frankfurt am Main gebucht, der von der Beklagten mit einer Verspätung von über 24 Stunden am 09.04.2010 durchgeführt wurde.

7. Die für den Umlauf vorgesehene Maschine hatte einen Defekt, der bereits am 06.04.2010 aufgetreten ist. Die Maschine musste daher nach Frankfurt zurückkehren, wo sie untersucht wurde. So waren an einem APU-Generator zwei Bolzen gebrochen.

8. Mit Schriftsatz vom 14.04.2010 hat der Kläger zu 1 unter seinem Rechtsanwaltsbriefkopf die Beklagte vergeblich unter Fristsetzung bis zum 23.04.2010 zur Zahlung von 1.800,– € aufgefordert.

9. Vorprozessual haben die Kläger vom Reiseunternehmen Zahlungen wegen Minderung erhalten und die Beklagte hat insoweit die Anrechnung gemäß Artikel 12 Abs. 1 der VO erklärt.

10. Die Kläger beantragen,

an die Kläger zu 1 – 3 jeweils 600,– € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.04.2010 zu zahlen und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger außergerichtliche Kosten in Höhe von 102,88 € zu zahlen.

11. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

12. Sie behauptet, dass der Bruch der Bolzen ein Herstellerfehler sei und sie daher gemäß Artikel 5 Abs. 3 der VO nicht hafte.

13. In der mündlichen Verhandlung vom 07.12.2010 wurde mit Zustimmung der Parteivertreter das schriftliche Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO angeordnet. Auf den Hinweis des Gerichts, dass die Beklagte nicht vorgetragen hat, warum kein Ersatzflugzeug eingesetzt worden ist, erhielt sie eine Schriftsatznachlassfrist bis 13.01.2011. Schriftsätze sollten berücksichtigt werden, die bis zum 01.02.2011 bei Gericht eingehen.

14. Am 27.01.2011 ging ein Schriftsatz der Beklagten bei Gericht ein. Das am 28.01.2011 eingehende Original nebst Doppel für die Gegenseite wurde am 31.01.2011 an den Klägervertreter versandt.

15. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

16. Die Klage ist hinsichtlich der Hauptforderung begründet.

17. Den Klägern steht gemäß Artikel 7 Abs. 1 c der Verordnung (EG) 261/2004 eine Ausgleichszahlung in Höhe von je 600,– € gegen die Beklagte zu. Diese hat den Flug von den Malediven nach Frankfurt am Main mit einer Verspätung von über 24 Stunden durchgeführt. Diese begründet einen Anspruch auf Ausgleichszahlung, obwohl keine Annullierung vorliegt (BGH Xa ZR 95/06 mit Hinweisen auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs).

18. Unabhängig von der Frage, ob tatsächlich, wie von der Beklagten behauptet, ein Herstellerfehler vorliegt und eine Enthaftung gemäß Artikel 5 Abs. 3 der VO eingreift, hat die Beklagte nicht dargelegt, dass sich die Verspätung auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Denn die Beklagte wusste schon zwei Tage vor dem planmäßigen Abflug von dem Problem mit der für den Umlauf vorgesehenen Maschine und hätte insoweit ein Ersatzflugzeug schicken müssen.

19. Abgesehen davon, dass der Schriftsatz der Beklagten vom 27.01.2011 gemäß den §§ 283 Satz 2, 296 ZPO verspätet war, hat die Beklagte in diesem Schriftsatz auch nicht konkret dargelegt, warum man nicht einen Subcharterer schneller als in einem Zeitraum von 48 Stunden hätte finden können. Außerdem ist es der Beklagten auch zumutbar, im Rahmen solcher dramatischer Verspätungen ein Ersatzflugzeug an ihrer Basis in Frankfurt in einem deutlich schnelleren Zeitrahmen zur Verfügung zu stellen.

20. Der zu spät eingereichte Schriftsatz vom 27.01.2011 hätte auch bei Berücksichtigung zu einer Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits geführt, da der Beklagten eine neue Erwiderungsfrist hätte eingeräumt werden müssen und damit auch der Verkündungstermin zu verschieben gewesen wäre.

21. Eine Anrechnung gemäß Artikel 12 der VO hat nicht zu erfolgen, da unabhängig von der Frage, ob ein vertraglicher Minderungsanspruch als weitergehender Schadensersatzanspruch im Sinne des vorgenannten Artikels anzusehen ist, eine gewährte Ausgleichsleistung auf einen Schadensersatzanspruch angerechnet werden kann und nicht umgekehrt, ganz abgesehen davon, dass der Schadensersatzanspruch nicht von der Beklagten, sonder von einer Dritten, nämlich dem Reiseunternehmen, geleistet wurde.

22. Der Zinsanspruch ist gemäß den §§ 286, 288 Abs. 1 BGB begründet, jedoch erst ab dem 24.04.2010, da die Zahlungsfrist erst mit Ablauf des 23.04.2010 endete und damit zuvor kein Verzug eingetreten war.

23. Die vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren sind nicht erstattungsfähig. Der anwaltliche Schriftsatz des Klägers erfolgte zu einem Zeitpunkt, als sich die Beklagte noch nicht in Verzug befand, so dass die Voraussetzungen der §§ 280, 286 BGB für die Erstattung der Rechtsanwaltsgebühren nicht gegeben waren. Dies wäre nur der Fall gewesen, wenn der Kläger zu 1 zunächst privat die Beklagte aufgefordert und dann gegebenenfalls als Rechtsanwalt seiner Forderung Nachdruck gegeben hätte.

24. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

25. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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