Heilbehandlung im Ausland

BGH: Heilbehandlung im Ausland

Nach 6-monatiger Krankheit verstarb eine Urlauberin in ihrem Urlaubsort. Weil ihr Versicherungsschutz nur auf die ersten sechs Wochen der Reise ausgelegt war, verweigert die Versicherung die Zahlung der Behandlungskosten an die Erben.
Dem halten diese entgegen, dass die verstorbene Urlauberin innerhalb der ersten sechs Wochen erkrankt war und lediglich aufgrund ihres krankhaften Zustandes nicht abreisen konnte.

Der Bundesgerichtshof hat der Klage stattgegeben. Den Erben könne nicht zum Nachteil gereicht werden, dass der Zustand der Verstorbenen eine Heimreise nicht zuließ.

BGH IV ZR 136/06 (Aktenzeichen)
BGH: BGH, Urt. vom 19.09.2007
Rechtsweg: BGH, Urt. v. 19.09.2007, Az: IV ZR 136/06
OLG Koblenz, Urt. v. 12.05.2006, Az: 10 U 866/05
LG Bad Kreuznach, Urt. v. 10.06.2005, Az: 2 O 547/03
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Bundesgerichtshof

1. Urteil vom 19. September 2007

Aktenzeichen: IV ZR 136/06

Orientierungssatz

2. Eine Klausel in Versicherungsbedingungen einer Reisekrankenversicherung, wonach Versicherungsschutz für eine Heilbehandlung im Ausland „während vorübergehender Reisen bis zu sechs Wochen Dauer“ besteht, ist dahingehend auszulegen, dass Versicherungsschutz auf Auslandsreisen immer und unabhängig davon gegeben ist, ob der Versicherungsnehmer die Auslandsreise für einen über sechs Wochen hinausgehenden Zeitraum geplant hatte oder nicht.

Zusammenfassung:

3. Eine Urlauberin buchte bei einem Reiseveranstalter eine Reise nach Amerika. In dem Reisepaket inbegriffen war ein umfangreicher Versicherungsschutz für eine Heilbehandlung. Dieser verpflichtet den Reiseveranstalter bei einer Reise von bis zu 6 Wochen zu einer vollumfänglichen Kostenübernahme der Behandlung.

In Amerika angekommen erkrankte die Urlauberin nach 4 Wochen und musste wegen ihres schlechten Gesundheitszustands stationär in Amerika behandelt werden. Nach einem 6 monatigen Aufenthalt verstarb die Urlauberin.
Ihre Erben fordern nun von der Versicherung eine 100 %tige Kostenübernahme. Die Beklagte weigert sich jedoch der Zahlung. Die stationäre Behandlung gehe weit über den 6-wöchigen Rahmen hinaus, den der Versicherungsschutz biete.

Der Bundesgerichtshof hat der Klage stattgegeben. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen die den Versicherungsschutz während einer 6-wöchigen Reise versprachen, seien so zu verstehen, dass der Schutz für die gesamte Dauer des krankheitsbedingten Aufenthaltes gelten müsse. Erkrankt eine Urlauberin innerhalb der sechs wöchigen Frist, so könne ihr Schutzanspruch nicht aus dem Grunde entfallen, dass ihr Gesundheitszustand einen Transport in ihr Heimatland nicht zulasse.
In der Folge steht den Erben ein Ersatzanspruch in Höhe der Gesamten Heilbehandlungskosten zu.

Tenor:

4. Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 12. Mai 2006 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

5. Die Kläger nehmen als gesetzliche Erben die Beklagte auf Erstattung von Kosten in Anspruch, die für die ärztliche Behandlung der Erblasserin während einer Reise in die USA entstanden sind.

6. Die Erblasserin hatte bei der Beklagten eine Krankenversicherung genommen, der der Tarif ES zugrunde lag, ein so genannter Ergänzungstarif für Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung. In den Tarifbedingungen heißt es in Abschnitt A I 5 u.a. wie folgt:

7. „Auslandsreisen

8. Ambulante und stationäre Heilbehandlung im Ausland während vorübergehender Reisen bis zu sechs Wochen Dauer 100%“.

9. Im selben Abschnitt heißt es nachfolgend an anderer Stelle weiter:

10. „Erfordert eine Erkrankung, für die Versicherungsschutz besteht, während des Auslandsaufenthalts über das Ende des Versicherungsschutzes hinaus Heilbehandlung, so besteht die Leistungspflicht für die Heilbehandlungskosten weiter, sofern die Rückreise wegen nachgewiesener Transportunfähigkeit nicht möglich ist. Die Kosten für die Heilbehandlung werden jedoch nur bis zum Tag der Transportfähigkeit, längstens jedoch bis zur Dauer von vier Wochen über das Ablaufdatum des Versicherungsschutzes hinaus (vorübergehende Reisen bis zu sechs Wochen Dauer) übernommen.“

11. Die Erblasserin flog am 17. Juli 2002 in die USA. Das Rückflugticket war für den 30. Oktober 2002 ausgestellt. Wenige Wochen nach ihrer Ankunft in den USA erkrankte sie und musste sich zunächst in ambulante, ab dem 6. September 2002 in stationäre ärztliche Behandlung begeben. Am 19. September 2002 verstarb sie in einem Krankenhaus in A. Die Beklagte lehnte Versicherungsschutz für Kosten der medizinischen Behandlung der Erblasserin in den USA ab. Ausweislich des Datums für den Rückflug sei eine Auslandsreise für einen längeren Zeitraum als sechs Wochen geplant gewesen; für solche Reisen bestehe nach den Bedingungen des Tarifs ES kein Versicherungsschutz.

12. Das Landgericht hat der Klage auf Freistellung von den bereits in Rechnung gestellten Behandlungskosten in Höhe von insgesamt 87.218,40 € sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für alle künftig noch geltend gemachten Kosten für den Zeitraum vom 16. August bis zum 19. September 2002 stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit ihrer Revision erstreben die Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. 

Entscheidungsgründe:

13. Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

14. Nach Ansicht des Berufungsgerichts ergibt die Auslegung von Abschnitt A I 5 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen des Tarifs ES, dass die Beklagte Versicherungsschutz für ambulante und stationäre ärztliche Behandlung nur für Auslandsreisen bis zu sechs Wochen Dauer verspreche, nicht aber für die Dauer von sechs Wochen bei Auslandsreisen beliebiger Länge. Das ergebe sich auch nicht aus der Regelung, wonach die Leistungspflicht fortbesteht, wenn eine unter den Versicherungsschutz fallende Erkrankung über das Ende des Versicherungsschutzes hinaus Heilbehandlung erfordert, sofern die Rückreise wegen nachgewiesener Transportunfähigkeit nicht möglich ist. Ob die vom Versicherungsnehmer unternommene Reise unter den Versicherungsschutz falle, könne dabei nur anhand der von ihm getroffenen Vorkehrungen entschieden werden. Maßgebend seien insoweit objektiv feststellbare Umstände hinsichtlich der beabsichtigten Reisedauer, nicht aber bloße, nach außen nicht hervorgetretene Planungen. Aus dem von der Erblasserin vorab für den 30. Oktober 2002 gebuchten Rückflug folge hier, dass die Reise deutlich länger als sechs Wochen dauern sollte, Versicherungsschutz also nicht bestanden habe.

15. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

16. Nach Abschnitt A I 5 des Ergänzungstarifs ES der Beklagten besteht Krankenversicherungsschutz auf Auslandsreisen für die ersten sechs Wochen immer und unabhängig davon, ob der Versicherungsnehmer die Reise für einen längeren Zeitraum geplant hat oder nicht. Das ergibt die Auslegung dieser Klausel.

17. Dabei kommt es auf die Sichtweise des durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse an. Da es – auch – auf seine Interessen ankommt, muss der Versicherungsnehmer zudem nicht mit Lücken im Versicherungsschutz rechnen, ohne dass ihm diese hinreichend verdeutlicht werden.

18. Über Inhalt und Umfang des Leistungsversprechens der Beklagten wird der Versicherungsnehmer durch den in Abschnitt A der Bedingungen des Tarifs ES enthaltenen Leistungskatalog unter der Überschrift „Leistungen des Versicherers“ unterrichtet. Will er sich über seinen Versicherungsschutz bei Reisen im Ausland informieren, kann er der Klausel unter I 5 entnehmen, dass die Beklagte ihn insoweit von Kosten für ambulante und stationäre Heilbehandlung während vorübergehender Reisen bis zu sechs Wochen Dauer in vollem Umfang freistellt. Dem Wortlaut dieser Klausel ist eine Einschränkung dergestalt, Versicherungsschutz während der ersten sechs Wochen einer insgesamt länger geplanten Auslandsreise sei (von vornherein) ausgeschlossen, jedenfalls nicht eindeutig zu entnehmen. Sie liegt für den Versicherungsnehmer auch nicht nahe, denn er kann nicht davon ausgehen, dass – will er sich u.a. Krankenversicherungsschutz auch für das Ausland verschaffen – dessen zeitliche Begrenzung von der Planung der Dauer seiner Reise abhängen könnte.

19. Viel näher liegt es für ihn, dass der Versicherer die Dauer des versprochenen Versicherungsschutzes von vornherein für einen festen Zeitraum festlegen, also ausgehend vom Beginn einer Reise einen bestimmten Endzeitpunkt festlegen wird. Dieses Verständnis der Klausel lässt deren Wortlaut zu. Zwar weist die Revisionserwiderung darauf hin, dass sich die Formulierung „bis zu sechs Wochen Dauer“ nach dem Sprachverständnis nur auf die vorangehenden Worte „während vorübergehender Reisen“ bezieht und nicht, wie das Landgericht angenommen hat, auf den Versicherungsschutz als solchen. Aber auch unter Berücksichtigung dieses möglichen Zusammenhangs erschließt sich dem Versicherungsnehmer jedenfalls nicht, dass es für den zeitlichen Umfang des Versicherungsschutzes darauf ankommen soll, ob er von Anfang an eine Auslandsreise bis zu sechs Wochen geplant hat oder nicht. Angesichts des vorübergehenden Charakters jeder Reise ist ohnehin zweifelhaft, ob dieser näheren Kennzeichnung des Begriffs „Reisen“ in der Klausel überhaupt ein eigenständiger Sinngehalt zukommt.

20. Unter Berücksichtigung seiner Interessen drängt sich dem Versicherungsnehmer bei Lektüre der vorstehend erwähnten Klauseln auch nicht auf, dass es für den zeitlichen Umfang des Versicherungsschutzes auf die Feststellung der beabsichtigten Reisedauer und damit auf Umstände ankommen soll, die sich aus von ihm getroffenen und nach außen erkennbaren Vorkehrungen vor Reisebeginn ergeben. Die Klausel gibt dafür weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem auch dem Versicherungsnehmer erkennbaren Zweck, das übernommene Risiko zeitlich zu begrenzen, etwas her. Sie kann in diesem Verständnis vielmehr zu Lücken und Fehleinschätzungen des Versicherungsnehmers über den Umfang des Versicherungsschutzes führen, die seinem Interesse deutlich zuwiderlaufen. Eine andere Sicht gebietet auch das dem Versicherungsnehmer erkennbare Interesse des Versicherers an einer klaren Begrenzung des Versicherungsschutzes nicht; ihm ist vielmehr gerade dann Rechnung getragen, wenn von vornherein und ohne dass es auf Art und Planung der Reise oder deren voraussichtliche Dauer ankommt, feststeht, für welchen festen Zeitraum er Versicherungsschutz zu gewähren hat.

21. Im Übrigen deutet das an die Kläger gerichtete Schreiben der Beklagten vom 5. Februar 2003 darauf hin, dass diese selbst der von ihr verwendeten Klausel jedenfalls zunächst nicht die Berechtigung entnommen hat, den Klägern die begehrte Versicherungsleistung insgesamt zu verweigern, weil die Versicherungsnehmerin von Anfang an geplant hatte, ihre Rückreise aus den USA deutlich nach Ablauf von sechs Wochen seit Reisebeginn anzutreten. Denn in diesem Schreiben weist die Beklagte im Zusammenhang mit der Rückforderung angeblich überzahlter Teilbeträge der Versicherungsleistung lediglich darauf hin, für Reisen ins Ausland bestehe Versicherungsschutz „bis zu einer Reisedauer von 6 Wochen“ und sie könne die Rechnungen für die stationäre Behandlung der Klägerin in den USA nicht ausgleichen, „da nach Ablauf der 6 Wochen ab Reisebeginn ein Leistungsanspruch nicht mehr besteht“.

22. Auch der weitere Teil der Klausel in Abschnitt A I 5 der Bedingungen des Tarifs ES, wonach dann, wenn eine unter den Versicherungsschutz fallende Erkrankung über das Ende des Versicherungsschutzes hinaus Heilbehandlung erfordert, die Leistungspflicht bei nachgewiesener Transportunfähigkeit fortbesteht, verdeutlicht dem Versicherungsnehmer weder für sich genommen noch in Zusammenhang mit dem einleitenden Teil dieser Klausel, dass Versicherungsschutz dann von vornherein nicht gegeben ist, wenn der Aufenthalt im Ausland für einen längeren Zeitraum als sechs Wochen geplant war. Bei aufmerksamer Durchsicht wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer erkennen, dass die Beklagte durch diese Klausel ihr Leistungsversprechen für den Fall einer mit Transportunfähigkeit einhergehenden Erkrankung über die Dauer von sechs Wochen hinaus erweitert, ihr Risiko jedoch dadurch begrenzen will, dass sie Versicherungsschutz nur bis zur Wiederherstellung der Transportfähigkeit gewährt, längstens bis zur Dauer von vier Wochen über das Ablaufdatum des Versicherungsschutzes hinaus. Auch hier entnimmt der Versicherungsnehmer weder dem Wortlaut noch dem erkennbaren Zweck dieser Klausel, dass die Qualifizierung einer Auslandsreise als „vorübergehend“ vom Fehlen einer nach außen erkennbaren Planung für die Rückkehr nach mehr als sechs Wochen abhängen soll. Die in dem Klammerzusatz enthaltene Einschränkung „vorübergehende Reisen bis zu sechs Wochen Dauer“, die erkennbar die Formulierung im ersten Teil der Klausel wieder aufnimmt, legt dem um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer eher den Schluss nahe, die genannte Einschränkung setze lediglich das Ende oder das Ablaufdatum des Versicherungsschutzes auf den letzten Tag einer sechswöchigen Frist nach Reiseantritt fest, lasse aber das Bestehen des Versicherungsschutzes bis zu diesem Zeitpunkt unberührt.

23. Eine abschließende Entscheidung ist dem Senat verwehrt. Das Berufungsgericht hat sich, von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig, mit der zwischen den Parteien streitigen Frage der Transportfähigkeit der Erblasserin nicht auseinandergesetzt. Dies wird nunmehr nachzuholen sein.

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