Haftung im Luftverkehr nach dem Warschauer Abkommen
LG Hannover: Haftung im Luftverkehr nach dem Warschauer Abkommen
Eine Flugreisende forderte Schadensersatz für eine verlorene Handtasche. Die Klage wurde abgewiesen, da sie selbst die Tasche vergessen hatte und die aus Kulanz der Fluggesellschaft veranlasste Nachsendung keinen Beförderungsvertrag darstellte.
LG Hannover | 3 O 3871/99 (Aktenzeichen) |
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LG Hannover: | LG Hannover, Urt. vom 06.04.2000 |
Rechtsweg: | LG Hannover, Urt. v. 06.04.2000, Az: 3 O 3871/99 |
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Leitsatz:
2. Nimmt der Fluggast ein Gepäckstück, dessen Transport Leistungsbestandteil des Beförderungsvertrages ist, nicht mit an Bord und es geht bei der aus Kulanz veranlassten Nachsendung verloren, muss die Fluggesellschaft nicht haften.
Zusammenfassung:
3. Eine Flugzeugreisende hatte auf dem Transfer vom Terminal zum Flugzeug in Tunesien ihre Handtasche verloren. Nach der Landung in Deutschland wendete sie sich umgehend an einen Mitarbeiter der Fluggesellschaft, der ihr daraufhin mitteilte, dass die Tasche aufgefunden worden war und sich beim tunesischen Zoll befand. Nachdem sie Auskunft über den Tascheninhalt gegeben hatte, wurde ihr aus Kulanz zugesagt, man veranlasse, dass die Tasche werde mit einem Flugzeug der Fluggesellschaft nach Deutschland befördert werde. Jedoch ging sie aus unerfindlichen Gründen entgültig verloren.
Deswegen forderte die Reisende von der Fluggesellschaft Schadensersatz für den Tascheninhalt, den sie als Summe verschiedener Wertgegenstände auf 19.196,80 D-Mark bezifferte. Die Beklagte bestritt, dass ein Beförderungsvertrag über die Tasche bestanden habe, sowie die von der Klägerin behauptete Höhe des Schadens.
Das Landgericht Hannover wies die Klage ab. In der Tat war ein Beförderungsvertrag über die Tasche nicht zustande gekommen. Die ursprünglich geschuldete Beförderung der Tasche war durch die Klägerin selbst vereitelt worden, indem sie die Tasche nicht mit an Bord gebracht hatte. Das weitere Vorgehen der Mitarbeiter der Beklagten war eine unentgeltliche Kulanzhandlung ohne Erfolgsbindung und führte nicht zu einer Haftung seitens der Beklagten nach dem Warschauer Abkommen.
Tenor:
Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Streithelferin der Beklagten trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 3.800,00 DM und für die Streithelferin der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 3.400,00 DM.
Tatbestand:
5. Am 27.4.1998 befand sich die Klägerin auf dem Flughafen D./Tunesien, um mit einem Flugzeug der Beklagten die Rückreise aus einem Erholungsurlaub anzutreten. Nachdem die Klägerin das Flugzeug der Beklagten betreten hatte, stellte sie den Verlust ihrer Handtasche fest. Diese war auf dem Weg vom Flughafengebäude zum Flugzeug, möglicherweise im Transferbus, entwendet worden oder verlorengegangen. Auf dem Zielflughafen in D. angekommen hat sich die Klägerin sogleich an den Stationsassistenten der Beklagten, den Zeugen R., gewendet.
6. Dieser hat sich wegen der im Transferbus verlorenen Handtasche mit Telefaxschreiben vom selben Tage an den Flughafen D. gewendet (Bl. 34 d. A.). Mit der Bitte um Hilfe für die Klägerin wegen der verlorenen Handtasche hat die Mitarbeiterin Tina der Beklagten das Telefax vom 18.4.1998 an den Flughafen D. gesandt (Bl. 35 d. A.). Darauf wurden Mitarbeiter der Beklagten darüber unterrichtet, dass die Tasche von einer Handling-Agentin der Tunis Air gefunden und dem tunesischen Zoll übergeben worden war. Um gegenüber dem Zoll den Inhalt der Tasche angeben zu können, sprach die Mitarbeiterin der Beklagten, die Zeugin L., mit der Klägerin und sandte das Telefax vom 29.4.1998 nach D. (Bl. 36). Nachfolgend wurde die Tasche vom tunesischen Zoll freigegeben. Sie wurde in D. der bei der Streithelferin beschäftigten Chef-Stewardess H. übergeben, die sie in einem Flugzeug der Streithelferin mit nach D. nahm. Nach der Ladung dieses Flugzeugs am 1.5.1998 ist die Tasche aufgrund ungeklärter Umstände abhandengekommen.
7. Die Klägerin begehrt Schadensersatz und behauptet, der Mitarbeiter R. habe ihr gesagt, er werde zum Auffinden der Tasche ein Telefax an den Repräsentanten der Beklagten nach D. senden. Bei dem Gespräch mit der Zeugin L. am 29.4.1998 habe sie dieser den vollständigen Inhalt der Tasche angegeben, wie er sich aus der Aufstellung Bl. 8 d. A. ergebe (u. a. ein goldenes Collier, eine goldene Halskette, eine Korallenkette und drei Perlenketten). Nach Auffinden der Tasche in D. habe die Zeugin L. als Mitarbeiterin der Beklagten den Auftrag erteilt, die Tasche in einem Flugzeug der Streithelferin nach D. zurückzutransportieren. Entsprechend sei sie von der Zeugin L. unterrichtet worden. Der Schaden durch das Abhandenkommen der Tasche betrage 19.196,80 DM, nämlich 15.280,00 DM Wert der Schmuckstücke und 3.916,80 DM Wert der weiteren persönlichen Gegenstände entsprechend der Aufstellung Bl. 9 d. A.
die Beklagte zu verurteilen, an sie 19.196,80 DM zuzüglich 4% Zinsen seit dem 22. Juli 1999 zu zahlen.
die Klage abzuweisen.
10. Sie wendet ein, dass ein Luftbeförderungsvertrag hinsichtlich der von der Klägerin im Transferbus liegen gelassenen Handtasche nicht zustande gekommen ist. Ihre Mitarbeiter hätten gegenüber der Klägerin aus Gefälligkeit gehandelt, was sie dieser gegenüber auch klar zum Ausdruck gebracht hätten. Ohne Absprache mit der Beklagten sei die vom Zoll freigegebene Handtasche in einem Umschlag von der Handling-Agentin der Tunis Air gemeinsam mit dem tunesischen Zoll der Chef-Stewardess H. der Streithelferin zum Transport nach D. übergeben worden. Mit der Behauptung, die Klägerin habe der Zeugin L. auf deren Frage den Inhalt der Tasche nur so angegeben, wie in dem Telefax vom 29.4.1998 aufgeführt sei (z. B. nur eine Goldkette), bestreitet die Beklagte auch die Höhe des von der Klägerin vorgetragenen Schadens.
11. Die Streithelferin schließt sich dem Antrag und dem Vorbringen der Beklagten an.
12. Die Kammer hat gemäß Beweisbeschluss vom 16.12.1999 (Bl. 97-99) Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 9.3.2000 (Bl. 109-112 d. A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
13. Die zulässige Klage ist in der Sache nicht gerechtfertigt. Eine Anspruchsgrundlage für den von der Klägerin gegenüber der Beklagten verfolgten Schadensersatzanspruch besteht nicht.
14. Bei der von der Klägerin im Transferbus verlorenen oder abhandengekommenen Handtasche handelte es sich zunächst – unstreitig – um Handgepäck, zu dessen Beförderung die Beklagte – zusammen mit der Klägerin – verpflichtet gewesen wäre, hätte die Klägerin die Tasche mit an Bord des Flugzeuges der Beklagten genommen. Zwar wäre dann keine Haftung aus Artikel 18 Warschauer Abkommen (WA) in Betracht gekommen, da Handgepäck nicht zu dem „aufgegebenen Reisegepäck“ im Sinne dieser Bestimmung zählt. Es wäre aber eine Haftung nach § 44 Abs. 1 Satz 2 des Luftverkehrsgesetzes möglich gewesen, welches subsidiär anwendbar ist (BGHZ 52, 213). Da die Klägerin die Handtasche bei dem Rückflug aber nicht an Bord des Flugzeuges der Beklagten genommen hat, liegen die Haftungsvoraussetzungen dieser Bestimmung nicht vor. Dass die Beklagte oder deren Mitarbeiter, deren Verschulden sich die Beklagte zurechnen lassen müsste, sonst in irgendeiner Form im Zusammenhang mit der Entwendung oder dem Liegenlassen der Handtasche vertragliche Pflichten verletzt haben, ist nicht ersichtlich. Dieses gilt auch für ein Verhalten, welches eine deliktische Haftung auslösen könnte.
15. Auch nachfolgend sind die Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten für die in Verlust geratene Handtasche nicht entstanden, da ein Luftbeförderungsvertrag hinsichtlich der Handtasche zwischen der Klägerin und der Beklagten nicht zustande gekommen ist und ohne einen derartigen Beförderungsvertrag die Handtasche nicht als „aufgegebenes Reisegepäck“ im Sinne von Artikel 18 WA gilt.
16. Dass ein Beförderungsvertrag zwischen den Parteien hinsichtlich der Handtasche nicht zustande gekommen ist, ergibt sich zur Überzeugung der Kammer aus der durchgeführten Beweisaufnahme. Danach sind die Mitarbeiter der Beklagten, der Zeuge R. und die Zeugin L., der Klägerin nur aus Gefälligkeit behilflich gewesen. Es ist auch nicht bewiesen, dass die Rückführung der Tasche in einem Flugzeug der Streithelferin von Mitarbeiterin der Beklagten in Auftrag gegeben worden ist.
17. Nachdem die Klägerin vertragsgemäß von D. nach D. zurückgeflogen war, war die Beklagte nicht verpflichtet, die in D. wieder aufgefundene Tasche nach D. zurückzutransportieren. Die Rückführung der Tasche geschah objektiv unentgeltlich. Zwar kann aus dieser Unentgeltlichkeit allein nicht gefolgert werden, dass seitens der Beklagten eine rechtliche Bindung nicht gewollt war. Denn auch Luftbeförderungsverträge können unentgeltlich abgeschlossen werden. Eine aus Gefälligkeit unentgeltliche Leistung hat dann rechtsgeschäftlichen Charakter, wenn der Leistende den Willen hat, dass seinem Handeln rechtliche Geltung zukommen solle, wenn er also eine Rechtsbindung herbeiführen will und der Empfänger die Leistung in diesem Sinne entgegennimmt. Ob ein solcher Bindungswille vorhanden ist, ist nicht nach dem nicht in Erscheinung getretenen inneren Willen des Leistenden zu beurteilen, sondern danach, ob der Leistungsempfänger aus dem Handeln des Leistenden nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte auf einen solchen Willen schließen musste. Es kommt darauf an, wie sich das Handeln des Leistenden einem objektiven Betrachter darstellt (OLG München, Versicherungsrecht 1990, 1247 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH). Die Beklagte hat durch ihre Mitarbeiter R. und L. gehandelt. Wie sich aus deren glaubhaften Zeugenaussagen ergibt, wollten diese jeweils die Beklagte gegenüber der Klägerin nicht zum Rücktransport der Tasche verpflichten, sondern der Klägerin aus Gefälligkeit helfen, dass die Tasche in D. gefunden und zurück nach D. gebracht wird. Dieses (nämlich kein Rechtsbindungswillen) hat der Zeuge R. der Klägerin auch ausreichend deutlich gemacht. Er hat seiner Aussage nach der Klägerin gesagt, dass er nicht viel machen könne, weil die Beklagte in D. keine eigenen Mitarbeiter beschäftigt. Daraus konnte und musste die Klägerin folgern, dass der Zeuge R. nicht bei der Beklagten beschäftigte Mitarbeiter um Hilfe bitten würde, was einem Rechtsbindungswillen der Beklagten hinsichtlich Auffinden der Tasche und Rückbeförderung dieser Tasche entgegensteht. Die Zeugin L. hat anschließend die anfänglichen Bemühungen des Zeugen R. fortgesetzt, so dass die Beklagte von einer anderen Rechtslage, nämlich Rechtsbindungswillen der Beklagten durch Tätigkeit der Zeugin L., nicht ausgehen konnte. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Aussage der Zeugin L., nach der die Klägerin darüber informiert war, dass die Mitarbeiter der Beklagten lediglich aus Kulanz tätig werden.
18. Schließlich ist ungeklärt, ob die Rückführung der Tasche durch die Chef-Stewardess H. in einem Flugzeug der Streithelferin auf Zufall oder konkreter Anweisung der Mitarbeiter der Beklagten beruht. Für einen Auftrag seitens der Beklagten besteht keine Vermutung unabhängig davon, dass die Zeugin H. bei ihrer Vernehmung durch die Kriminalpolizei am 27.5.1998 ausgesagt hat, sie sei in D. durch die Handling-Agentin angesprochen und gefragt worden, ob sie den Gegenstand eines Passagiers der Beklagten mitnehmen könne und sich diesbezüglich nach Rücksprache mit dem Flugkapitän einverstanden erklärt hat. Dieses steht einer Auftragserteilung seitens der Beklagten zur Rückführung der Tasche in einem Flugzeug der Streithelferin entgegen. Jedenfalls hat die Klägerin den von ihr zu führenden Beweis, Mitarbeiter der Beklagten hätten die Rückführung der Tasche in einem Flugzeug der Streithelferin beauftragt, nicht erbracht. Insgesamt können demgemäß die Voraussetzungen für eine Haftung der Beklagten aufgrund eines Beförderungsvertrages nicht festgestellt werden.
19. Deliktische Ansprüche sind nicht ersichtlich, da es sich bei den Mitarbeitern der Streithelferin nicht um Verrichtungsgehilfen der Beklagten handelt und zudem ungeklärt ist, auf welche Weise die Tasche letztlich abhanden gekommen ist.
20. Demzufolge war die Klage abzuweisen.
21. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 108 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
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