Fernabsatzvertragsrecht ist nicht auf Anwaltsverträge anwendbar

AG Charlottenburg: Fernabsatzvertragsrecht ist nicht auf Anwaltsverträge anwendbar

Der Kläger forderte von dem Beklagten, einem Rechtsanwalt, die Rückzahlung des Honorars. Er behauptete, dass ihm ein Widerruf aus dem Fernabsatzvertragsrecht zustehe, denn der Rechtsanwaltsvertrag wurde ausschließlich unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln erfüllt.

Das Amtsgericht Charlottenburg ist jedoch der Ansicht, dass dem Kläger die Forderung gegen den Beklagten nicht zustehe, denn das Fernabsatzvertragsrecht ist nicht auf Rechtsanwaltsverträge anwendbar. Der Gegenstand eines Rechtsanwaltsvertrages ist ein anderer (gegensätzlicher) als der eines Fernabsatzvertrages.

AG Charlottenburg 216 C 194/15 (Aktenzeichen)
AG Charlottenburg: AG Charlottenburg, Urt. vom 15.09.2015
Rechtsweg: AG Charlottenburg, Urt. v. 15.09.2015, Az: 216 C 194/15 (rechtskräftig)
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Amtsgericht Charlottenburg

1. Urteil vom 15.09.2015

Aktenzeichen: 216 C 194/15

Leitsätze:

2. Das Recht über Fernabsatzverträge findet auf Rechtsanwaltsverträge keine Anwendung.

Gegenstand eines Rechtsanwaltsvertrages ist, entgegen dem Gegenstand eines Fernabsatzvertrages, eine individuelle auf den konkreten Sachverhalt maßgeschneiderte persönliche Dienstleistung eines fachkundigen Rechtsanwalts.

Eine individuelle auf den konkreten Sachverhalt maßgeschneiderte persönliche Dienstleistung eines fachkundigen Rechtsanwalts liegt auch dann vor, wenn der Rechtsanwalt eine Vielzahl von gleichartigen Fallkonstellationen bearbeitet, denn in jedem Fall unterscheiden sich die Anspruchsberechtigten und Streitgegenstände.

Zusammenfassung:

3. Im vorliegenden Fall machte der Kläger durch den beauftragten Rechtsanwalt Ansprüche wegen Reisemängeln, sowie Ansprüche wegen einer Flugverspätung für sich und seine Ehefrau geltend. Der Kläger wurde auf den Beklagten durch das Internet aufmerksam. Nach einem Telefonat mit dem Kläger, übersandte der Beklagte dem Kläger per E-Mail eine Vollmacht, sowie Mandatsvereinbarungen und eine Vergütungsvereinbarung. Die Mandatsvereinbarungen sahen vor, dass der Beklagte die eingehenden Zahlungen aus der Durchsetzung der Ansprüche des Klägers mit noch offenen Honorarforderungen verrechnen darf. Die E-Mail enthielt den Zusatz, dass sämtliche Korrespondenz per E-Mail geführt wird. Am nachfolgenden Tag erhielt der Beklagte die unterschriebenen Dokumente in seine Kanzleiräume und unterzeichnete diese ebenfalls.

Durch die Tätigkeit des Beklagten entstand ein Anwaltshonorar in geltend gemachter Höhe. Der Rechtsanwalt nahm die Abtretung des Klägers an und rechnete mit seinen Honorarforderungen gegenüber dem Anspruch auf Auskehrung des Fremdgeld auf. Der Rechtsanwalt zog die Honorarforderungen gemäß der Mandatsvereinbarungen von den eingegangenen Zahlungen der Anspruchsgegner ab und überwies den Restbetrag an den Kläger.

Rund sieben Monate später erklärte der Kläger gegenüber dem Beklagten den Widerruf des Anwaltsvertrages. Der Anwaltsvertrag sei ausschließlich unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln geschlossen worden. Der Kläger ist der Ansicht, dass der Beklagte seine Kanzlei im Fernabsatz orientierten Vertriebssystem betreibe, sodass ihm ein Widerrufsrecht zustehe. Der Kläger forderte vom Beklagten die Rückzahlung des Honorars. Der Beklagte lehnte diese Zahlung ab.

Das Amtsgericht Charlottenburg hat die Forderungen des Klägers vollumfänglich zurückgewiesen und den Widerruf vom Rechtsanwaltvertrag nicht anerkannt.

Eine höchstrichterliche Entscheidung, ob und wann die Regelungen über den Widerruf eines Fernabsatzvertrages auf Anwaltsverträge Anwendung finden, gibt es nicht.

Eine Ansicht bejaht die Anwendung dieser Regelungen auf Anwaltsverträge, wenn der Anwalt sich die Vorteile der Fernkommunikation bei der Erbringung seiner Leistung selbst zunutze macht.

Einige Gerichte haben bisher entschieden, dass der Anwaltsvertrag auch ein Fernabsatzvertrag sein kann. Hierzu ist jedoch erforderlich, dass der Anwalt seinen Internetauftritt zur Anbahnung, Abschluss und Durchführung des Vertrages nutzt und dadurch den Anwaltsvertrag, entgegen seinem Typus, wie ein Distanzgeschäft aussehen lässt. Beispielsweise ist dies der Fall, wenn durch ein Online-Formular Daten erfasst werden, die dann zur geringfügigen Anpassung von fertigen Schriftsätzen dienen. Hierdurch erwirtschaftet die Kanzlei ihren Umsatz nicht durch ein persönlich auf den Mandanten zugeschnittenes Mandat, sondern vielmehr durch eine Vielzahl von gleichartigen Fällen.

Im vorliegenden Fall ist das Gericht der Auffassung, dass der zwischen dem Kläger und dem Beklagten geschlossene Anwaltsvertrag, nicht den Regelungen für den Fernabsatzvertrag unterfällt.

Das Widerrufsrecht soll den Verbraucher vor den typischen Gefahren des Fernabsatzes schützen. Hierzu zählt vor allem, dass der Verbraucher die Dienstleistung nicht vorher in Ausgenschein nehmen kann und sich auch nicht an eine natürliche Person wenden kann, um Informationen zu erhalten. Daraus folgt, dass ein Fernabsatzvertrag dann nicht vorliegt, wenn persönliche Dienstleistungen für die Vertragsdurchführung ausschlaggebend sind. Darüber hinaus liegt gemäß dem Erwägungsgrund (20) der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU auch kein Fernabsatzvertrag vor, wenn der Verbraucher die Dienstleistung eines Fachmanns über ein Fernkommunikationsmittel reserviert. Die Rechtsberatung kennzeichnet sich jedoch gerade durch die persönliche Erbringung einer Dienstleistung durch einen fachkundigen Anwalt. Die Tätigkeit des Anwalts ist auch eine individuelle auf den Einzelfall maßgeschneiderte Leistung. Dies gilt auch dann, wenn die Fallkonstellationen eine starke Ähnlichkeit aufweisen, denn die Anspruchsberechtigten und Streitgegenstände sind in jeder Fallkonstellation unterschiedlich.

Folglich ist das Recht über Fernabsatzverträge nicht auf Anwaltsverträge anwendbar. Daher hat auch der Kläger keinen Anspruch auf die Rückzahlung des Honorars gegen den Beklagten.

Tenor:

4. In dem Rechtsstreit des Herrn M. B., Berlin, (Kläger), Prozessbevollmächtigte: XY, gegen den Beklagten R hat das Amtsgericht Charlottenburg, Zivilprozessabteilung 216, auf die mündliche Verhandlung vom 04.08.2015 durch den Richter Raddatz für Recht erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des gegen ihn aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Gebührenstreitwert wird auf 1.019,95 € festgesetzt.

Tatbestand:

5. Mit seiner Klage verlangt der Kläger von dem Beklagten Rückzahlung von als Anwaltshonorar einbehaltenen vergleichsweise geleisteten Zahlungen nach erklärtem Widerruf des Anwaltsvertrages. Der Kläger und seine Ehefrau beabsichtigten im Jahre 2014 nach einem Urlaub auf Kuba gegen den Reiseveranstalter Thomas Cook Touristik GmbH (nachfolgend Thomas Cook) und ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, die Societé Air France S.A. (nachfolgend Air France) Ansprüche geltend zu machen. Gegenüber Thomas Cook wollte der Kläger eine Reisepreisminderung geltend machen, gegenüber der Air France Ausgleichansprüche wegen verspäteter Beförderung.

6. Der Kläger wurde über das Internet auf den Beklagten aufmerksam. Dieser betreibt in Berlin eine Rechtsanwaltskanzlei, welche im Luftverkehrs- und Reiserecht tätig ist. Der Beklagte unterhält unter www eine Internetseite. Die Seite (Screenshots in Ablichtung als Anlagen K2 und K3 Bl. 8-14 d.A) ist dabei in den Sprachen Deutsch, Englisch und Spanisch verfügbar und wirbt mit bundesweiter Vertretung im Reiserecht, Flugrecht und europäischen Luftverkehrsrecht und einem kostenlosen telefonischen Rückrufservice. Zudem existieren vorgefertigte Antragsformulare zur Mitteilung. Außerdem werden eine E-Mailadresse, eine Telefon- sowie eine Mobiltelefonnummer, eine Telefaxnummer und die Adresse der Kanzlei angegeben.

7. Der Kläger meldete sich am 02.07.2014 telefonisch bei dem Beklagten und teilte diesem mit, Rechtsrat im Hinblick auf Forderungen gegen Thomas Cook und die Air France zu benötigen. Der Beklagte erörterte mit dem Kläger die Sach- und Rechtslage im Rahmen einer Erstberatung. Am 03.07.2014 telefonierte der Kläger nochmals mit dem Beklagten. Mit E-Mail vom 03.07.2014 (in Ablichtung als Anlage K1, Bl. 4 d.A.) übersandte der Beklagte dem Kläger eine Vollmacht sowie Mandatsvereinbarungen und eine Vergütungsvereinbarung und bat ihm diese jeweils unterschrieben durch den Kläger und seine Ehefrau wieder zukommen zu lassen. Dabei teilte er mit, dass dies entweder digital/gescannt per E-Mail, per Fax oder per Brief geschehen könne und gab jeweils die hierzu notwendigen Adressen und Nummern an. Zudem enthielt die E-Mail den Zusatz, dass vereinbart sei, dass sämtlich Korrespondenz in der Angelegenheit über die Adresse @gmx.de geführt wird. Der Kläger und seine Frau unterzeichneten die Vollmacht (in Ablichtung, Bl. 75 d.A.), die Mandatsvereinbarungen (in Ablichtung, Bl. 76 f. d.A.) sowie die Vergütungsvereinbarung (in Ablichtung BI. 78 d.A.) jeweils am 03.07.2014. Diese gelangten nachfolgend am 04.07.2014 an die Kanzlei des Beklagten in Berlin, welcher die Mandatsvereinbarungen und die Vergütungsvereinbarung am selben Tag unterzeichnete.

8. Die Vergütungsvereinbarung sah einen Stundensatz von 165,00 € zzgl. 19% Umsatzsteuer vor, die Fälligkeit des Gesamthonorars wurde mit Beendigung der Tätigkeit vereinbart. Zugleich wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass mindestens die gesetzlichen Gebühren nach dem RVG zu zahlen sind und die Vergütungsvereinbarung von diesen abweicht und eine über die gesetzlichen Gebühren hinausgehende Zahlungspflicht entstehen kann. Weiter wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass die Gegner im Falle der Kostenerstattung regelmäßig nicht mehr als die gesetzliche Vergütung erstatten müssen. Ziff. 3 der Mandatsvereinbarungen sah vor, dass der Auftrag gegenüber der Air France die Anspruchsgeltendmachung von (1) Ansprüchen aus Ausgleichszahlung gem. VO (EG) Nr. 261/2004 in Höhe von 1.200,00 €; (2) Auskunftsersuchen; sowie (3) Forderungen über ausgelöste Rechtsanwaltskosten gemäß RVG und gegenüber Thomas Cook (1) Ansprüchen auf Reisepreisminderung in Hohe von 512,56 €; (2) Auskunftsersuchen; sowie (3) Forderungen über ausgelöste Rechtsanwaltskosten gemäß RVG umfasste. Ziff. 5 enthielt den Wunsch des Mandanten, die Tätigkeit durch den beauftragten Rechtsanwalt sofort aufzunehmen. In Ziff. 5 wurde vereinbart, dass die Ehefrau des Klägers weitere Auftraggeberin und zusätzliche Vollmachtgeberin sein sollte und mehrere Vollmachtgeber als Gesamtschuldner haften. In Ziff. 6 wurde festgehalten, dass die Mandatsvereinbarungen sowie die Vergütungsvereinbarung am Tage der Unterzeichnung individuell ausgehandelt und schriftlich niedergelegt worden seien. In Ziff. 15 bestätigte der Kläger umfassend und erschöpfend über die Chancen und zu erwartenden Risiken der außergerichtlichen und gerichtlichen Rechtsverfolgung aufgeklärt worden zu sein und unter anderem über die hohen Rechtsanwaltskosten im Verhältnis zum Anspruchsziel informiert und hingewiesen worden zu sein. … Ziff. 17 der Mandatsvereinbarungen sah schließlich vor, dass der Mandant sämtliche Kostenerstattungsansprüche und sonstigen Ansprüche gegen den Gegner, die Rechtsschutzversicherung(en), die Justizkasse oder andere erstattungspflichtige Dritte in Höhe der Kostenansprüche des beauftragten Rechtsanwalts an diesen abtritt und der Rechtsanwalt im gesetzlichen Rahmen eingehende Zahlungen auf sämtliche offene Honorarforderungen verrechnen darf.

9. Der Beklagte wurde für den Kläger tätig und erreichte, dass Thomas Cook am 19.08.2014 vergleichsweise einen Betrag von 500,00 € zur Abgeltung aller Forderungen anbot (Schreiben in Ablichtung Bl. 96 d.A.). Dies teilte der Beklagte dem Kläger am 19.08.2014 telefonisch und per E-Mail (in Ablichtung Bl. 99 d.A.) mit. Der Kläger erklärte in dem Telefongespräch, dass er und seine Frau den Vergleich annehmen und bestätigte dies auch per E-Mail-Antwort auf die Mail des Beklagten. Thomas Cook überwies 500,00 € an den Beklagten. Am 19.11.2014 teilte die Air France dem Beklagten mit, dass sie 1.200,00 € Entschädigung an den Kläger und seine Ehefrau zu zahlen, lehnte aber eine Erstattung von Rechtsanwaltskosten ab. Hierzu führte sie aus, der Kläger habe sich zuvor nicht direkt an die Air France gewendet (E-Mail in Ablichtung Bl. 100 d.A.). Mit E-Mail vom 20.11.2014 (in Ablichtung Bl. 101 f. d.A.) unterrichtete der Beklagten den Kläger von dem Vorschlag der Air France, der Kläger erklärte mit E-Mail-Antwort vom 22.11.2014 hierauf den Vergleichsvorschlag anzunehmen (in Ablichtung BI. 103 d.A.). Die Air France zahlte 1.200,00 € an den Beklagten.

10. Am 18.12.2014 übersandte der Beklagte dem Kläger und dessen Ehefrau eine Kostennote. Er gab dabei einen Zeitaufwand von X Minuten an, von denen er z Minuten in Rechnung stellte, sowie zusätzlich X € für Schriftsätze, Porto und Kommunikation, X € für Kopien á 0,50 € und 0,90 € für zwei Faxschreiben/Einschreiben/R. Hinzu kamen 19% Umsatzsteuer auf die gesamte Summe. Mit E-Mail vom gleichen Tag (in Ablichtung Bl. 107 d.A.) bat er den Kläger um die Angabe einer Bankverbindung zwecks Überweisung von Guthaben. P € wurden nachfolgend durch den Beklagten an den Kläger gezahlt.

11. Mit anwaltlichem Schreiben vom 25.02.2015 (in Ablichtung als Anlage K7, Bl. 20 d.A.) erklärte der Kläger gegenüber dem Beklagten den Widerruf des Anwaltsvertrages und forderte diesen unter Fristsetzung bis spätestens zum 13.03.2015 zur Zahlung von P € auf. Der Beklagte lehnte eine Zahlung ab.

12. Der Kläger behauptet, er habe den Beklagten weder persönlich gesprochen noch gesehen. Er und seine Ehefrau seien auch nie in den Kanzleiräumen des Beklagten gewesen. Der gesamte Vertragsschluss sei ausschließlich unter der Verwendung von Fernkommunikationsmitteln erfolgt. Der Beklagte habe ihm ein persönliches Gespräch, um welches er ersucht habe, verweigert. Er ist der Ansicht ihm stünde ein Widerrufsrecht zu, da der Beklagte seine Kanzlei im Rahmen eines für den Fernabsatz orientierten Vertriebssystems betreibe, dies ergebe sich bereits aus der gesetzlichen Vermutung des § 312c BGB, welche der Beklagte nicht widerlegt habe, der geführten E-Mail Korrespondenz und dem Internetauftritt des Beklagten. Wertersatz habe er wegen der Vorschrift des § 361 BGB nicht zu leisten. eine Anwendung von § 357 Abs. 8 BGB scheide mangels Belehrung über das Widerrufsrecht aus.

13. Der Kläger habe auch keine fünf Stunden Tätigkeit aufgewendet. Vielmehr habe er lediglich vorgefertigte Standardschriftsätze benutzt, um die Forderungen durchzusetzen. Von Verhandlungen mit der Gegenseite könne man nicht sprechen.

14. Der Kläger beantragt,

15. den Beklagten zu verurteilen, an ihn P € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.03.2015 zu zahlen.

16. Der Beklagte beantragt,

17. die Klage abzuweisen.

18. Der Beklagte behauptet, er habe dem Kläger die Unterlagen ausnahmsweise per E-Mail und Brief zukommen lassen, da dieser dies ausdrücklich gewünscht habe. Die Vergütungsvereinbarung, die Mandatsvereinbarungen und die Vollmacht habe der Kläger am 04.07.2014 persönlich in Begleitung seines Sohnes in den Kanzleiräumen abgegeben. Hierzu führt der Kläger aus, selbst wenn sein Sohn die Unterlagen persönlich übergegeben habe, sei dies nur als Bote geschehen und stünde somit einem Vertragsschluss per Brief gleich. Der Beklagte ist der Ansicht, der Vertrag sei nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- und Dienstleistungssystems abgeschlossen worden. Dem Kläger fehle im Übrigen bereits die Aktivlegitimation, da er nicht alleiniger Auftraggeber war. Ein Widerrufsrecht bestehe außerdem bereits deswegen nicht, weil die persönliche Erbringung der Dienstleistung ausschlaggebendes Element seiner Beauftragung gewesen sei. Zudem könne der Kläger auf Grund der Vertragsbeendigung ein etwaiges Widerrufsrecht auch nicht mehr geltend machen. Dieses würde auch nur zukünftige Leistungen entfallen lassen, für bereits erbrachte Leistungen schulde der Kläger Wertersatz, da er in mit dem sofortigen Tätigwerden unter Genehmigung aller bereits erfolgten Tätigkeiten beauftragt habe.

19. Hilfsweise erklärt der Beklagte für den Fall, dass der Kläger zumindest teilweise obsiegt, zunächst die Aufrechnung mit einem behaupteten Gegenanspruch in Höhe der Klageforderung. Hierzu führt er aus, ihm stünde auf Grund der Vergütungsvereinbarung mindestens ein Vergütungsanspruch in dieser Höhe zu, da er mehr als 618 Minuten für die Angelegenheit aufgewendet habe.

20. Er erklärt weiterhin hilfsweise die Aufrechnung mit einer behaupteten Forderung in Höhe von 1100,16 €. Diese ergebe sich aus den gesetzlichen Gebühren des RVG. Hierzu vertritt er die Ansicht, dass diese auch im Falle des wirksamen Widerrufs des Anwaltsvertrages stets geschuldet seien. Die Höhe der Forderung ergebe sich aus einer anzusetzenden 1,5-fachen Geschäftsgebühr in Höhe von 301,50 € zzgl. der Erhöhungsgebühr wegen mehrerer Auftraggeber in Höhe von 60,30 €, einer Terminsgebühr in Höhe von 241,20 €, einer Einigungsgebühr in Höhe von weiteren 301,50 € zzgl. 20,00 € Auslagenpauschale und 19% Umsatzsteuer.

21. Weiterhin erklärt der Beklagte hilfsweise die Aufrechnung mit einer Gegenforderung in Höhe von 201,70 €. Hierzu ist er der Ansicht, die Forderung stünde ihm in Form einer Geschäftsgebühr in Höhe der Klageforderung zu, weil er den klägerischen Anspruch vorgerichtlich zurückgewiesen habe.

22. Schließlich beantragt er hilfsweise für den Fall des zumindest teilweisen klägerischen Obsiegens im Wege der Widerklage den Kläger zu verurteilen, an ihn 1268,34 € nebst Zinsen in Hohe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.02.2015 zu zahlen.

23. Der Kläger hat in Bezug auf die Eventualwiderklage keinen Antrag gestellt.

24. Am 28.12.2014 schrieb der Kläger dem Beklagten: „Nach meiner Nachfrage im Telefonat bezüglich des Vergleichsvorschlages, war es in ihrer Pflicht mich über ihr Honorar bei einem Vergleich zu informieren. Sie haben mich nicht vollständig informiert und mir vorenthalten, dass Ihre Bezahlung von dem Vergleichsangebot abgezogen wird!!!! Wie kann das sein, dass die Anwaltskosten bei einem Vergleich dem geforderten Betrag mächtig überschreiten. Unter diesen Umständen hätte Ich diesen Vergleichsvorschlag nicht angenommen. Sie sind in der Informationspflicht.“.

25. Am 14.01.2015 schrieb der Kläger dem Beklagten: „Sehr geehrter Herr X. Wie ich am Telefon gesagt habe, bin Ich sehr unzufrieden mit Ihrer Informationspflicht. Ich bitte Sie daher nochmal zu überdenken, dass Sie auf ihr Honorar verzichten. Hätten Sie mich richtig beraten, dann hätten wir kein Vergleich angenommen. […] Das zeugt nicht an Seriosität.“.

26. Am 20.01.2015 schrieb der Kläger an den Beklagten: „Hiermit fordere ich Sie nochmal auf, ihr Honorar von 1020 €, zu verzichten. Es riecht sehr nach Betrug! Ich habe sonst keine anderen Möglichkeiten mich bei der Verbraucherzentrale und der Anwaltskammer zu melden“.

27. Der Beklagte forderte den Kläger daraufhin mit Schreiben vom 20.01.2015 (in Ablichtung, Bl. 110 d.A.) auf, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung im Hinblick auf die getätigten Äußerungen abzugeben und 1068,34 € Rechtsverfolgungskosten bis zum 28.01.2015 zu zahlen. Der Kläger gab die Unterlassungserklärung ab, zahlte jedoch.

28. Der Beklagte beantragte daraufhin den Erlass eines Mahnbescheides wegen der geforderten Rechtsverfolgungskosten. Dieser wurde dem Kläger am 17.02.2015 zugestellt. Dieser legte gegen den Mahnbescheid Gesamtwiderspruch ein, welcher am 02.03.2015 bei dem Mahngericht einging.

29. Der Beklagte ist der Ansicht, die Äußerung des Klägers stellten einen rechtswidrigen und schuldhaften Angriff auf seine Ehre und seine Persönlichkeitsrechte dar, zudem handele es sich um eine Beleidigung in Form der Schmähkritik, üble Nachrede. Kreditgefährdung, versuchte Erpressung und falsche Verdächtigung. Die geltend gemachte Forderung stünde ihm daher basierend auf einem Streitwert von 5.000,00 € wegen der erfolgten Abmahnung zu.

30. Der Kläger ist der Ansicht, solange der Beklagte den Antrag auf Erlass eines Mahnbescheides nicht zurücknehme, stehe der Zulässigkeit der Eventualwiderklage eine anderweitige Rechtshängigkeit entgegen.

31. Die Klage ist dem Beklagten am 02.06.2015 zugestellt worden.

32. Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen gewechselten Schriftsätzen nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

33. Die Klage ist zulässig aber unbegründet.

34. Der Kläger hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Zahlung gegen den Beklagten. Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus § 812 Abs. 1 Alt. 2 BGB. Denn der Beklagte hat durch die Zahlung von insgesamt 1.700,00 € durch Thomas Cook und die Air France nicht einen p € übersteigenden Betrag in sonstiger Weise auf Kosten des Klägers ohne rechtlichen Grund erlangt. Denn in Höhe der Klageforderung besteht ein Rechtsgrund für das Behaltendürfen in Form des zwischen den Parteien geschlossenen Geschäftsbesorgungsvertrages. Denn aus diesem folgt zum einen die Forderung des Beklagten wie er sie in der Kostennote vom 18.12.2014 dargelegt hat. Dies ergibt sich aus der unstreitig erfolgten Tätigkeit des Beklagten und der Vergütungsvereinbarung. Soweit der Kläger einwendet, die Stunden seien nicht erbracht worden, handelt es sich um nicht ausreichend konkreten Vortrag, zudem ist er beweisfällig geblieben. Denn den Kläger trifft bei Vorlage einer Stundenaufstellung die Darlegungs- und Beweislast, dass für einzelne Stunden kein Rechtsgrund vorliegt (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 17.12.2008 – 4 U 3/08 Rn 91 ff.). Die abgerechneten fünf Stunden erscheinen vor dem Hintergrund, dass es sich um zwei Anspruchsgegner handelte und angesichts der mitgeteilten unstreitig erfolgten Gespräche und der E-Mail Kommunikation für eine über vier Monate dauernde Tätigkeit auch nicht ungewöhnlich hoch.

35. Dieser Rechtsgrund ist auch nicht in Folge des durch den Kläger erklärten Widerrufs rückwirkend entfallen. Denn dem Kläger stand kein Widerrufsrecht zu. Ein solches ergibt sich nicht aus § 312c Abs. 1 BGB. Denn die Norm findet auch den zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag keine Anwendung.

36. Es ist höchstrichterlich noch nicht entschieden, ob und wann die Regelungen über den Widerruf von Fernabsatzverträgen auf Anwaltsversträge Anwendung finden.

37. In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass dies zumindest dann der Fall sein soll, wenn sich der Anwalt die Vorteile der Fernkommunikation bei der Leistungserbringung selbst zunutze macht, etwa in Form einer so genannten „Anwaltshotline“ (Wendehorst, in: MüKo-BGB, 6. Aufl. 2012, § 312b BGB, Rn 58).

38. Einzelne Gerichte haben bisher entschieden, dass auch Anwaltsverträge grundsätzlich Fernabsatzverträge sein können. Ein bloßer Internetauftritt würde dabei allerdings nicht als ausreichend angesehen, vielmehr soll erforderlich sein, dass die betroffene Kanzlei den Internetauftritt sowohl für Anbahnung, Abschluss und Durchführung des Vertrages nutzt und dadurch durch systematisches Nutzen von Fernkommunikation den eigentlichen Charakter des Anwaltsvertrages, der normalerweise kein typisches Distanzgeschäft darstellt, aufhebt (AG Hildesheim, Urteil vom 08.08.2014 – 84 C 91/14; AG Offenbach, Urteil vom 09.10.2013 – 380 C 45/13). Dies soll insbesondere immer dann der Fall sein, wenn mittels Onlineformulare Daten gesammelt werden, welche dann zu nur geringen individuellen Anpassungen unterliegenden Schriftsätzen führen, weil dann die Anwaltskanzlei nicht durch das persönliche auf den Mandanten zugeschnitten Mandat, sondern durch eine Vielzahl von gleich gelagerten Fällen mit nur geringen individuellen Abweichungen ihren Umsatz erwirtschafte.

39. Das Gericht ist der Auffassung, dass die geschilderten Umstände es nicht rechtfertigen, den Anwaltsvertrag dem Fernabsatzvertragsrecht zu unterwerfen. Dies ergibt auch nach Auffassung des Gerichts sowohl aus dem Zweck der Vorschriften über den Fernabsatzvertrag als auch aus den Erwägungsgründen des Verordnungsgebers. Sinn und Zweck des Widerrufsrechtes ist es den Verbraucher vor den typischen Risiken des Fernabsatzvertrages zu schützen. Diese bestehen vor allem darin, dass er die Ware oder Dienstleistung nicht vorher in Augenschein nehmen kann und sich an keine natürliche Person wenden kann, um Informationen zu erhalten (BGH NJW 2004, 3699). Daraus folgt, dass immer dann, wenn die persönliche Dienstleistung im Vordergrund steht, die typische Situation des Fernabsatzvertrages nicht gegeben ist. Dem trägt auch Erwägungsgrund (20) der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU Rechnung, welcher bestimmt, dass der Begriff des Fernabsatzvertrages zumindest „keine Reservierungen eines Verbrauchers über ein Fernkommunikationsmittel im Hinblick auf die Dienstleistung eines Fachmanns, wie beispielsweise eines Telefonanrufes eines Verbrauchers zur Terminvereinbarung mit einem Friseur einschließen [soll]“.

40. Bei der Rechtsberatung handelt es sich aber gerade um eine Dienstleistung die durch die persönliche Erbringung durch einen Rechtsanwalt gekennzeichnet ist. Es handelt sich auch stets um eine individuelle auf den Einzelfall bezogene Leistung. Dies gilt auch dann, wenn die Fälle gleich gelagert sind oder sich Synergieeffekte ergeben, wie dies etwa im Kapitalanlage- oder Reise- und Luftverkehrsrecht oftmals der Fall ist. Die Ähnlichkeiten der einzelnen Fallkonstellationen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass immer noch eine maßgeschneiderte Leistung erbracht werden muss. Dies ergibt sich bereits aus den individuell verschiedenen Anspruchsberechtigten und den unterschiedlichen Streitgegenständen. Gerade diese und die dem Begriff des Streitgegenstands vorgelagerten Begriffe der Angelegenheit und des Gegenstandes zeigen, dass es im Bereich der Rechtsberatung keine vorgefertigte Massenware gibt. Es handelt sich eben gerade nicht um die gleiche Ware oder eine identische Dienstleistung, da die beteiligten Personen dem zu prüfenden Rechtsverhältnis erst seine Eigenheit geben. Recht selbst lässt sich in diesem Zusammenhang als die Struktur des Verhältnisses von Personen beschreiben. Das individuell angepasste Dienstleistungen nicht im Zielbereich der Vorschriften über den Fernabsatzvertrag liegen, zeigt schließlich auch die Ausnahmevorschrift des § 312 Abs. 2 Nr. 1 BGB, welche nicht vorgefertigte Waren, welche individuell ausgewählt werden und auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten Waren vom Widerrufsrecht ausnimmt. Und zwar ungeachtet dessen, ob der Vertrag ausschließlich unter der Anwendung von Fernkommunikationsmitteln im Rahmen eines besonderen Vertriebssystems geschlossen wird. Diese Besonderheiten werden von der vorzitierten Rechtsprechung ja auch insofern anerkannt als dass sie bereit ist den Anwaltsvertrag grundsätzlich immer dann von den Vorschriften des Fernabsatzvertrages auszunehmen, so lange der betroffene Rechtsanwalt sich bei der Vertragsdurchführung nicht ausschließlich der Fernkommunikation bedient.

41. Diesen Ansatz vermag das Gericht allerdings nicht zu teilen. Die Vorschriften stellen ersichtlich nach ihrem Wortlaut nur auf den Vertragsschluss ab. Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb die Vertragsdurchführung nachträglich darüber entscheiden sollte, ob bei Vertragsschluss ein Widerrufsrecht entstanden ist oder nicht. Zumal sich dann die Frage stell, ob bei hinzutretendem persönlichen Kontakt im Stadium der Vertragsausführung ein einmal entstandenes Widerrufsrecht rückwirkend entfallen kann.

42. Im Ergebnis scheint es dem Gericht daher angemessen den Rechtsanwaltsvertrag, welcher stets individuelle Rechtsberatung des Rechtssuchenden beinhaltet und daher auf dessen Person vor dem Hintergrund des zu beurteilenden Lebenssachverhaltes individuell zugeschnitten ist, aus dem Anwendungsbereich des Fernabsatzvertragsrechtes auszunehmen, da es sich um eine durch einen Fachmann individuell zu erbringende Leistung handelt.

43. Im Ergebnis kann es daher dahinstehen, ob der Anwaltsvertrag zwischen den Parteien ausschließlich durch Fernkommunikationsmittel geschlossen worden ist und ob der Internetauftritt des Beklagten als ein auf den Fernabsatz ausgerichtetes Vertriebe- und Dienstleistungssystem anzusehen ist.

44. Ein Zahlungsanspruch des Klägers ergibt sich auch nicht aus anderen Anspruchsgrundlagen. Eine Fehlberatung ist weder konkret vorgetragen noch ersichtlich. Der Kläger hat in den Mandatsvereinbarungen und der Vergütungsvereinbarung selbst bestätigt über die Kostenrisiken und -folgen umfassend aufgeklärt worden zu sein.

45. Da dem Kläger kein Zahlungsanspruch gegen den Beklagten zusteht, kann er von diesem auch keine Verzugszinsen gem. §§ 288, 286 BGB verlangen.

46. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

47. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

48. Der Gebührenstreitwert entspricht dem Wert der geltend gemachten Forderung. Die Hilfsaufrechnungen und die Eventualwiderklage wirkten sich nicht streitwerterhöhend aus, da die innerprozessuale Bedingung des (teilweisen) Obsiegens des Klägers auf Grund der Klageabweisung bereits nicht eingetreten ist und daher über die Aufrechnungen nicht zu entscheiden war und die Widerklage nicht erhoben wurde, vgl. § 45 GKG.

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