Fehlerhafte medizinische Versorgung auf einer Kreuzfahrtreise

AG Offenbach: Fehlerhafte medizinische Versorgung auf einer Kreuzfahrtreise

Die Klägerin hatte bei der Beklagten eine Reise gebucht, in deren Verlauf sie sich in die Behandlung des Schiffsarztes begeben hat. Wegen angeblicher Falschbehandlung verlangt sie Reisekosten von der Beklagten ersetzt.

Das Gericht wies die Klage ab. Die Beklagte hafte schon nicht für das Verhalten des Arztes, da dieser nicht Erfüllungsgehilfe gewesen sei. Auch sei eine Falschbehandlung nicht ersichtlich.

AG Offenbach 38 C 415/04 (Aktenzeichen)
AG Offenbach: AG Offenbach, Urt. vom 23.03.2005
Rechtsweg: AG Offenbach, Urt. v. 23.03.2005, Az: 38 C 415/04
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Amtsgericht Offenbach

1. Urteil vom 23. März 2005

Aktenzeichen 38 C 415/04

Leitsätze:

2. Weist ein Kreuzfahrtveranstalter darauf hin, dass die Leistungen des Schiffsarztes nicht vom Reisevertrag umfasst sind, so ist dieser nicht als Erfüllungsgehilfe anzusehen.

Dennoch muss der Reiseunternehmer den Schiffsarzt nachvollziehbar auswählen.

Zusammenfassung:

3. Die Klägerin hatte bei der Beklagten eine Kreuzfahrtreise gebucht, in deren Verlauf sie sich in die Behandlung des Schiffsarztes begeben hat. Dieser wies die Klägerin mit Verdacht auf Herzinfarkt ins Krankenhaus ein, weshalb sie die Reise unterbrechen musste. Der Verdacht bestätigte sich nicht. Wegen dieser angeblichen Falschbehandlung verlangt sie anteilig Reisekosten von der Beklagten ersetzt.

Das Gericht wies die Klage ab. Die Beklagte hafte schon nicht für das Verhalten des Arztes, da dieser nicht Erfüllungsgehilfe gewesen sei. Dies ergebe sich einerseits aus dem Hinweis in den Vertragsbedingungen, dass die Leistungen des Arztes nicht umfasst seien, andererseits aus der Weisungsunabhängigkeit des Arztes. Die Beklagte habe den Arzt auch nachvollziehbar ausgewählt. Ein deutschsprachiger Arzt müsse nicht gestellt werden. Auch sei eine Falschbehandlung nicht ersichtlich, da die Symptome der Klägerin den Verdacht des Arztes nahelegten. Damit bestehe kein Ersatzanspruch gegen die Beklagte.

Tenor

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreites hat die Klägerin zu tragen.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 115 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

5. Die Klägerin verlangt von der Beklagten Teilrückerstattung des Reisepreises.

6. Die Klägerin (Jahrgang 1939) buchte bei der Beklagten eine Schiffsreise vom 26.04. bis zum 08.05.2004 (Kreuzfahrt Kanaren/Westafrika). Bezüglich eventueller ärztlicher Behandlungen an Bord heißt es in den Reisebedingungen u. a.: „… Die Leistungen des Schiffsarztes sind nicht Bestandteil des Reisevertrages. … berechnet der Schiffsarzt für seine Inanspruchnahme ein Honorar gemäß der an Bord ausliegenden Gebührenordnung sowie die Kosten für Arzneimittel. …“

7. Die Klägerin ließ sich ab dem 29.04.2004 von dem Schiffsarzt behandeln, die Einzelheiten sind umstritten. Der Schiffsarzt vermutete u. a. einen Herzinfarkt. Jedenfalls wurde die Klägerin zwei Mal in ein Krankenhaus eingewiesen, insofern mußte sie die Reise unterbrechen. Ein besorgniserregender Befund konnte nicht erhoben werden. So setzte die Klägerin die Reise wiederum fort. Der Hausarzt der Klägerin bescheinigte ihr im August 2004, daß sie zu keiner Zeit wegen Herz-/Kreislaufbeschwerden behandelt worden sei, Risikofaktoren bestünden keine.

8. Die Klägerin behauptet, sie habe lediglich versehentlich Mundwasser verschluckt. Dieses Wasser sollte aus hygienischen Gründen allerdings grundsätzlich nicht getrunken werden. Aufgrund dieses Vorfalls bzw. der damit einhergehenden Besorgnis habe sie eine Panikattacke bekommen, und zwar mit Atemnot und Stechen in der Brust. Der Schiffsarzt, angeblich ein weder englisch noch deutsch sprechender Orthopäde, habe sie daraufhin völlig falsch behandelt und überflüssigerweise die Einweisung in die Krankenhäuser veranlaßt. Auch von dem weiteren Personal an Bord sei sie schlecht behandelt worden. Nach diesem Vorfall sei die Reise für sie praktisch wertlos geworden. Die Klägerin verlangt daher den Reisepreis für zehn Tage sowie Übernachtungskosten zurück.

9. Die Klägerin beantragt,

10. die Beklagte zu verurteilen, an sie 3.000,– Euro nebst Zinsen seit dem 21.05.2004 zu zahlen.

11. Die Beklagte beantragt,

12. die Klage abzuweisen.

13. Sie behauptet, bei dem Schiffsarzt habe es sich um einen approbierten Mediziner mit langjähriger Erfahrung als Schiffsarzt gehandelt. Dieser habe sich sachgerecht und ordnungsgemäß verhalten. Die Klägerin habe im übrigen mehrfach von sich aus den Arzt aufgesucht und auch einen Notruf getätigt.

14. Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

15. Die Klage ist nicht begründet. Die Klägerin kann die Beklagte unter den hier vorliegenden Umständen nicht für ein mögliches Fehlverhalten des Arztes verantwortlich machen. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

16. Gemäß den Reisebedingungen umfaßt der Reisevertrag ausdrücklich nicht die medizinische Betreuung an Bord. Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte kommen daher insoweit nicht in Betracht.

17. Gegen diese Regelung in den Reisebedingungen bestehen auch keine Bedenken. Dies deswegen nicht, weil die Beklagte für den Arzt überhaupt nicht nach § 278 BGB haften würde. Zwar haftet der Schuldner (hier die Beklagte) gemäß dieser Vorschrift für alle Personen, die er zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit einsetzt; der Arzt ist aber nicht als ihr Erfüllungsgehilfe aus dem Reisevertrag anzusehen. Ein Schiffsarzt ist aus mehreren Gründen nicht Erfüllungsgehilfe des Reiseunternehmers.

18. Zum einen erstreckt sich die vertragliche Verpflichtung des Reiseunternehmers – wie gesehen – nicht auf die ärztliche Betreuung als solche. Daraus folgt automatisch, daß eine Einstandspflicht für Fehlverhalten des Arztes nach § 278 BGB nicht gegeben ist (so auch OLG Celle NJW-RR 2004, 562).

19. Zum anderen ist der Schiffsarzt deswegen kein Erfüllungsgehilfe, weil er nicht Hilfsperson des Reiseunternehmers ist, sondern für dieses selbständig tätig wird. Das Reiseunternehmen kann dem Arzt keine medizinische Weisung erteilen, da es hierfür in keiner Weise kompetent ist. Genauso kann das Reiseunternehmen im umgekehrten Fall sich einer Anordnung des Arztes nicht widersetzen, weil ihm auch dafür die Kompetenz fehlt. Eine Weigerung des Reiseunternehmens, eine ärztliche Anordnung zu befolgen, könnte sogar eine Haftung des Unternehmens aufgrund grober Vertragsverletzung rechtfertigen, weil sich das Reiseunternehmen dann Kenntnisse anmaßen würde, die es gar nicht haben kann. Derartige selbständige Hilfspersonen sind gerade keine Erfüllungsgehilfen.

20. Schließlich ist der Schiffsarzt weiterhin kein Erfüllungsgehilfe, weil es sich hier um eine Verbindlichkeit handelt, bei der der Schuldner bestenfalls dazu verpflichtet ist, einen Dritten zu beauftragen, die Verpflichtung erstreckt sich dann aber nur auf die Beauftragung und nicht mehr auf die Tätigkeit des Dritten. Dies ist bei Ärzten regelmäßig der Fall (vgl. z. B. Palandt/Heinrichs, BGB, 64, Aufl., § 278 Rn. 17; Erman/H. P. Westermann, BGB, 11. Aufl., § 278 Rn. 21).

21. Aus den vorstehenden Gründen kann letztlich dahingestellt bleiben, ob der Schiffsarzt hier richtig behandelt hat oder nicht. Im übrigen sei auf folgendes hingewiesen: Ärztliche Diagnosen können nicht immer sicher sein. Die Diagnosemöglichkeiten an Bord sind naturgemäß begrenzt. Bei den vorhandenen Symptomen lag die gestellte Diagnose durchaus nahe. Der Arzt muß aber vorsichtshalber immer den sichersten Weg gehen. Es gilt daher der Grundsatz: Besser einmal eine überflüssige Einweisung in das Krankenhaus angeordnet als eine zu wenig. Es wäre jedenfalls fast ein Skandal geworden, wenn der Arzt die Beschwerden der Klägerin abgetan hätte und sich dann wirklich herausgestellt hätte, daß ein Befund vorgelegen hätte.

22. Allerdings kommen der Beklagten im Zusammenhang mit Schiffsärzten durchaus auch Pflichten zu. Der Arzt muß selbstverständlich überwacht werden. Wenn sich merkwürdige Vorkommnisse häufen, muß die Beklagte aktiv werden. Es ist aber vorliegend nichts dafür ersichtlich, daß der Schiffsarzt in besonderer Weise verdächtig auffällig geworden ist.

23. Desgleichen muß die Beklagte den Schiffsarzt nachvollziehbar auswählen. Es muß jedenfalls sichergestellt werden, daß keine völlig inkompetente Person diese Aufgabe versieht. Diese Verpflichtungen der Beklagten ergeben sich als Nebenpflicht aus dem Reisevertrag. Aufgrund der von der Beklagten noch vorgelegten Unterlagen vermag das Gericht aber nicht davon auszugehen, daß hier eine inkompetente Person ausgewählt worden ist. Der Arzt ist in der seinerzeitigen Sowjetunion examiniert worden. Er ist offensichtlich schon einige Zeit als Schiffsarzt tätig. Seine Tätigkeiten wurden bisher nicht beanstandet. Dies ist ausreichend. Es handelt sich jedenfalls nicht, wie die Klägerin behauptet hat, um einen Orthopäden. Das Reiseunternehmen ist insbesondere nicht verpflichtet, im Ausland einen deutschen Standard vorzuhalten oder gar deutsche Ärzte zu beschäftigen (OLG Celle NJW-RR 2004, 562). Im übrigen ist anzumerken, daß es auch in Deutschland schlechte Ärzte gibt.

24. Allein in der Tatsache, daß der Arzt möglicherweise weder deutsch noch englisch gesprochen hat, kann ein Auswahlverschulden noch nicht gesehen werden. Der Reisende kann nicht mehr verlangen, als die örtlichen Verhältnisse hergeben (OLG Düsseldorf NJW-RR 1991 825, 826). Auch bleibt im hier zu beurteilenden Zusammenhang völlig offen, ob sich dann an seiner Diagnose etwas geändert hätte. Aufgrund der geschilderten Symptome lag im übrigen die Vermutung nahe, daß die Klägerin möglicherweise Herzprobleme gehabt haben könnte. Außerdem dürfte es auch auf einem Schiff Wörterbücher geben. Schließlich legt der in englischer Sprache verfaßte Arztbericht (Anlage K 1, Bl. 4) es nahe, daß der Arzt wohl zumindestens Englisch konnte.

25. Alles in allem muß daher festgehalten werden, daß der gesamte Verlauf der Angelegenheit ausgesprochen bedauerlich ist, die Klägerin daraus jedoch keine Haftung der Beklagten herleiten kann. Eine grundsätzliche Haftung der Beklagten für den Arzt kommt nicht in Betracht und von einem Auswahlfehler kann nicht ausgegangen werden.

26. Darüber hinaus vermutet das Gericht, daß die Maßnahmen des Schiffsarztes wohl auch sachgerecht waren. Die Klägerin selbst hat von Panikattacken mit Atemnot und Stechen in der Brust gesprochen. Diese Umstände stellen – wie allgemein bekannt ist – klassische Symptome eines Herzinfarktes dar. Wie aus dem Doctors’s Report (Anlage K 1, Bl. 4) ersichtlich ist, hat der Arzt auch das entsprechende Spray unter die Zunge gespritzt. Auch dies ist, wenn sonst nichts zur Verfügung steht, das klassische „Erstmittel“.

27. Die Kosten des Rechtsstreites waren der Klägerin aufzuerlegen, da sie im Prozeß unterlegen war (§ 91 I 1 ZPO).

28. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

29. Der Streitwert beträgt 3.000,– Euro.

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