Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung durch Verpassen des Vorfluges

AG Frankfurt: Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung durch Verpassen des Vorfluges

Die Kläger hatten bei der Beklagten einen Flug mit Zwischenlandung gebucht. Nach einer Verspätung des ersten Teilflugs wurden sie in den zweiten Flug nicht eingecheckt. Sie verlangen Ausgleichszahlung.

Das Gericht gab der Klage statt. Die Beklagte habe nicht ausreichend dargelegt, wieso ihr eine Beförderung der verspäteten Passagiere unmöglich gewesen sei.

AG Frankfurt 30 C 1462/06 (Aktenzeichen)
AG Frankfurt: AG Frankfurt, Urt. vom 12.04.2007
Rechtsweg: AG Frankfurt, Urt. v. 12.04.2007, Az: 30 C 1462/06
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Amtsgericht Frankfurt

1. Urteil vom 12. April 2007

Aktenzeichen 30 C 1462/06

Leitsatz:

2. Bei der Verspätung eines Teilfluges muss das Luftfahrtunternehmen detailliert darlegen, inwiefern ein Check-In verspäteter Passagiere nicht mehr möglich ist, um Ausgleichszahlungen zu vermeiden.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger hatten bei der Beklagten einen Flug mit Zwischenlandung gebucht. Nach einer Verspätung des ersten Teilflugs wurden sie in den zweiten Flug nicht eingecheckt, obwohl dieser noch nicht gestartet war. Sie wurden erst am nächsten Tag weiterbefördert. Daher verlangen sie Ausgleichszahlung.

Das Gericht gab der Klage statt. Die Kläger hätten sich rechtzeitig am Flughafen des ersten Teilflugs eingefunden. Damit hätten sie ihre Pflichten erfüllt. Die Beklagte hingegen habe nicht ausreichend dargelegt, wieso ihr eine Beförderung der verspäteten Passagiere unmöglich gewesen sei.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an jeden Kläger jeweils 600,- Euro nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.5.2006 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Tatbestand: 

5. Die Kläger buchten für den 26.11.2006 bei der Beklagten eine Flugreise von F. … nach … Daraufhin stellte die Beklagte für jeden der beiden Kläger ein Flugschein für die Strecke F. … und zurück aus. Die Kläger sollten um 10.40 Uhr in F. starten und … 12.00 Uhr erreichen. Von … sollten sie um 13.30 Uhr weiterfliegen und um 18.35 Uhr in … landen. Der Flug von F. nach … startete mit etwa dreistündiger Verspätung, das Flugzeug landete in … um 15.42 Uhr, der Ausstieg begann um 16.13 Uhr.

6. Betreffend den Anschlussflug nach … war Boarding-Ende um 16.50 Uhr, die Maschine selbst startete um 17.59 Uhr.

7. Eine Weiterbeförderung der Kläger durch die Beklagte mit dem Anschlussflug nach … erfolgte nicht.

8. Stattdessen wurden die Kläger in einem Hotel untergebracht und erst am nächsten Tag durch die Beklagte nach … befördert.

9. Auf dem Flughafen in … wurde den Klägern von Mitarbeitern der Beklagten mitgeteilt, das Flugzeug nach … sei vor 15 Minuten vollbesetzt abgeflogen.

10. Die Kläger meinen, die Beklagte sei verpflichtet, ihnen eine Ausgleichszahlung in Höhe von jeweils 600,- Euro gemäß Artikel 7 i. V. m. Artikel 4 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 (nachfolgend VO genannt) zu zahlen. Sie behaupten hierzu, der Grund für die Nichtbeförderung mit dem Anschlussflugzeug sei nicht etwa die verspätete Ankunft der Maschine aus F. in … gewesen, sondern, wie sich auch aus der Mitteilung der Mitarbeiterin der Beklagten auf dem … Flughafen ergebe, die Tatsache, dass der Flug von … nach … überbucht gewesen sei.

11. Sie beantragen,

12. die Beklagte zur Zahlung von 1.200,- Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins ab dem 1.5.2006 zu verurteilen.

13. Die Beklagte beantragt,

14. die Klage abzuweisen.

15. Sie meint, die Voraussetzungen für einen Ausgleichsanspruch nach der VO seien nicht gegeben. Aufgrund schlechter Wetterbedingungen in … hätten Starts und Landungen erheblich reduziert werden müssen mit der Folge, dass der Flug von F. nach … erst so spät habe eintreffen können, dass eine Weiterbeförderung der Kläger mit dem Anschlussflug nach … nicht mehr möglich gewesen sei. Von einer Überbuchung der Maschine könne keine Rede sein. Auch sei es der Beklagten nicht möglich gewesen, den Klägern nach ihrer Ankunft in … das Einchecken auf den Flug nach … zu ermöglichen. Die Kläger hätten hierzu noch einmal sämtliche Sicherheitsüberprüfungen und sonstige Kontrollmaßnahmen einschließlich der Identitätsüberprüfung übergehen lassen müssen; dies sei jedoch nicht möglich gewesen, da das hierfür notwendige Personal einschließlich des Sicherheitspersonals bereits abgezogen und für andere Tätigkeiten eingesetzt worden sei.

16. Wegen des Parteivorbringens im Einzelnen wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe: 

17. Die Klage ist begründet.

18. Soweit die Kläger beantragt haben, an sie 1.200,- Euro zu zahlen, ist der Antrag im Zusammenhang mit der Klagebegründung dahingehend auszulegen, dass eine Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des jeweiligen Ausgleichsbetrags von 600,- Euro an jeden der Kläger begehrt wird.

19. Diese Ansprüche der Kläger sind gemäß Artikel 7 Abs. 1 lit. c) VO gegeben.

20. Gemäß Artikel 4 Abs. 3 VO ist das Luftfahrtunternehmen zur Erbringung von Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 VO verpflichtet, wenn Fluggästen gegen ihren Willen die Beförderung verweigert wird. Unter Nichtbeförderung i. S. des Artikel 4 VO ist gemäß Artikel 2 lit j) „die Weigerung, Fluggäste zu befördern“ zu verstehen, „obwohl sie sich unter den in Artikel 3 Abs. 2 genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden haben, sofern keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung gegeben sind, z. B. im Zusammenhang mit der Gesundheit oder der allgemeinen oder betrieblichen Sicherheit oder unzureichenden Reiseunterlagen“. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Gemäß Artikel 3 Abs. 2 lit. a) VO haben sich die Kläger zur Beförderung über … nach … rechtzeitig zur Abfertigung des Flugs F. nach … als erster Teilstrecke der von der Beklagten geschuldeten Gesamtbeförderung nach … eingefunden. Sie haben damit ihre Verpflichtungen zur Mitwirkung bei der Beförderung über … nach … erfüllt. Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass sie sich für den Anschlussflug in … nicht rechtzeitig am Check-In-Schalter haben einfinden können. Denn dies geschah aus Gründen, die sich jedenfalls dem Einflussbereich der Kläger völlig entzog, vielmehr allein mit der verspäteten Beförderung von F. nach … zusammenhing. Die Nichtbeförderung der Kläger durch die Beklagte von … nach … ist auch auf eine „Weigerung“ der Beklagten zur (Weiter-)beförderung der Kläger i. S. des Artikel 2 lit. j) VO zurückzuführen. Hieran ändert auch nichts, dass nach dem Vorbringen der Beklagten eine Weiterbeförderung der Kläger nach deren Ankunft in … aufgrund der aus ihrer Sicht gegebenen Unmöglichkeit, die Kläger in der verbliebenen Zeit noch abzufertigen, unterblieben sei. Ebenso wie die Nichtbeförderung wegen Überbuchung, der praktisch wohl häufigste Fall der Nichtbeförderung i. S. des Artikel 4 VO, stellt auch die Nichtabfertigung der um 15.42 Uhr in … gelandeten Kläger zum Weiterflug nach … eine „Weigerung“ dar, die Kläger auf ihrem gebuchten Weiterflug zu befördern, ohne dass es hier darauf käme, aus welchen Gründen sich die Beklagte an einer Abfertigung gehindert sieht.

21. Daher ist zunächst einmal festzustellen, dass sich die Beklagte i. S. des Artikel 4 Abs. 3 i. V. m. Artikel 2 lit. j) VO geweigert hat, die Kläger in … weiter zu befördern.

22. Damit steht den Klägern im Hinblick auf die Entfernung … (mehr als 3.500 Kilometer) ein Ausgleichsanspruch i. S. des Artikel 7 Abs. 1 lit. c) VO zu.

23. Anders als in Artikel 5 Abs. 3 VO für den Fall der Annullierung eines Fluges, der hier nicht vorliegt, ist es der Beklagten auch nicht möglich, sich auf außergewöhnliche Umstände zu berufen, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Eine solche Exculpationsmöglichkeit ist gegenüber dem Anspruch auf einen Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung durch die VO nicht eingeräumt. Soweit in Artikel 2 lit. j) VO eine „Nichtbeförderung“ dann vorliegen soll, wenn „keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung gegeben sind, z. B. im Zusammenhang mit der Gesundheit oder der allgemeinen oder betrieblichen Sicherheit oder unzureichenden Reiseunterlagen“, werden durch diese Einschränkung nur solche Fälle tatbestandlich von einem Ausgleichsanspruch ausgenommen, bei denen die Ursache für die Nichtbeförderung in der Regel beim Passagier liegt und/oder dem ausführenden Luftfährtunternehmen die Beförderung nicht zumutbar ist (Staudinger, Neuregelung über Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste, NJW 2004, 1797 f.).

24. Nachdem die VO selbst, wie dargelegt, eine Exculpationsmöglichkeit für die Beklagte nicht vorsieht, kommt mithin ein Ausgleichsanspruch nur dann nicht mehr in Betracht, wenn die „Weigerung“ i. S. des Artikel 2 lit. j) VO einschränkend dahingehend ausgelegt wird, dass dem Luftfahrtunternehmen die Nichtabfertigung des Passagiers auf einen gebuchten Flug unmöglich gewesen ist. Es kommt mithin im vorliegenden Fall nicht darauf an, ob die verspätete Ankunft des Flugzeugs aus F. durch die nicht beherrschbaren Wetterbedingungen in … verursacht war, sondern allein darauf, ob die Nichtabfertigung der Kläger zum Weiterflug nach … der Beklagten unmöglich gewesen ist. Hierzu hat die Beklagte nicht substantiiert vorgetragen. Der gerichtlichen Auflage zum Vortrag, aus welchen Gründen es der Beklagten nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen sein soll, die Passagiere von dem F.er Zubringerflug in die Maschine nach … einzuchecken, die erst um 17.59 Uhr startete und aus welchen Gründen es möglicherweise außerhalb der Einflusssphäre der Beklagten gelegen haben soll, den Abflugzeitpunkt des Flugs … nach … kurzfristig zu verschieben, hat sich die Beklagte nur in allgemeiner Form dahingehend geäußert, die für die Abfertigung des Flugs nach … eingesetzten Mitarbeiter hätten nach Abschluss des regulären Check-Ins anderswo eingesetzt werden müssen, im übrigen habe die Beklagte keinen Einfluss auf die Organisation des Sicherheitsdienstes. Mit diesem Vorbringen ist nach Ansicht des hier erkennenden Gerichts nicht hinreichend dargelegt, warum der Beklagten die Weiterbeförderung der Kläger unmöglich gewesen sein soll. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die verspätete Ankunft der Zubringermaschine aus F. der Beklagten zu jedem Zeitpunkt bekannt war. Es sind jedoch keine von der Beklagten nicht organisierbare oder jedenfalls beeinflussbare Abfertigungsabläufe vorgetragen, die belegen würden, dass der Beklagten trotz frühzeitiger Kenntnis der verspäteten Ankunft der Maschine aus F. eine Abfertigung der Kläger auch noch für den Anschlussflug nach … nicht möglich gewesen sein sollte.

25. Zu Recht können die Kläger einen Ausgleichsanspruch gemäß Artikel 7 Abs. 1 lit. c) VO geltend machen.

26. Der Zinsanspruch ist unter dem Gesichtspunkt der Verzugszinsen gemäß §§ 284288 BGB begründet, da sich die Beklagte aufgrund der endgültigen Zahlungsverweigerung gemäß Schreiben vom 25.4.2006 jedenfalls seit dem 1. Mai 2006 in Verzug befindet.

27. Die Beklagte hat, da sie unterlegen ist, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 91 Abs. 1 ZPO.

28. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Ziff. 11711 ZPO.

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