Anspruch bei Flugausfall
LG Frankfurt: Anspruch bei Flugausfall
Ein Linienflug verspätete sich um mehr als 9 Stunden, weil die eingeplante Crew wegen nötigen Umbauarbeiten am Flugzeug ihre maximale Dienstzeit überschritt und eine Ersatzcrew eingeflogen werden musste. Einer der betroffenen Fluggäste verlangt nun eine Ausgleichszahlung.
Die Airline hält dem das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände entgegen.
Das Landgericht Frankfurt hat der Klage stattgegeben. In den Umbauarbeiten sei ein außergewöhnlicher Umstand zu sehen – die Notwendigkeit der Bereitstellung einer Ersatzcrew sei allerdings vorher absehbar gewesen.
LG Frankfurt | 2-24 S 47/11 (Aktenzeichen) |
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LG Frankfurt: | LG Frankfurt, Urt. vom 02.09.2011 |
Rechtsweg: | LG Frankfurt, Urt. v. 02.09.2011, Az: 2-24 S 47/11 |
AG Frankfurt, Urt. v. 20.01.2001, Az: 32 C 1897/10-84 | |
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Leitsatz:
2. Ein Austausch der Crew ist kein außergewöhnlicher Umstand.
Zusammenfassung:
3. Ein Fluggast bucht einen Linienflug bei einem Luftfahrtunternehmen. Weil an Bord ein erkrankter Passagier befördert werden soll, ist der Einbau einer besonderen Gerätschaft notwendig, der die Crew etwa zwei Stunden lang beschäftigte. Durch die nicht eingeplante zusätzliche Arbeitszeit der Besatzung, näherte sich diese ihrer maximalen Dienstzeit und konnte den betroffenen Flug nicht ausführen. Die Airline lies eine Ersatzcrew einfliegen und führt den Flug mit 9-stündiger Verspätung durch.
In der Folge verlangt der Fluggast eine Ausgleichszahlung wegen Flugverspätung. Das beklagte Luftfahrtunternehmen weigert sich der Zahlung. Sowohl in dem notwendigen Umbau der Maschine, als auch in der Organisation einer Ersatzcrew, sei ein haftungsbefreiender außergewöhnlicher Umstand zu sehen.
Das Landgericht Frankfurt hat dem Kläger Recht zugesprochen. Grundsätzlich sei in der Beförderung eines erkrankten Passagiers sowie in der Notwendigkeit von Umbaumaßnahmen im Flugzeug ein Umstand zu sehen, der die Airline von einer Haftung befreie. Diesen Umstand für sich genommen, hätte der Kläger keinen Anspruch auf eine Zahlung.
Die für eine immense Verspätung sorgende Organisation der Ersatzcrew hingegen, sei für die Airline absehbar.
Ein vernünftig handelndes Luftfahrtunternehmen müsse seine Mittel rechtzeitig planen, um über eine gewisse Zeitreserve zu verfügen und den Flug möglichst bald nach dem Wegfall der außergewöhnlichen Umstände weiter durchführen zu können.
Ist eine Verzögerung des Flugs durch eine Überschreitung der maximalen Dienstzeit der Crew absehbar, so habe das Luftfahrtunternehmen dafür zu sorgen, dass eine Ersatzcrew zur Verfügung stehe.
Tenor:
4. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 20.1.2011 verkündete Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main – Az. 32 C 1897/10-84 – teilweise abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger zu 1. bis 3. jeweils einen Betrag von 400,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.12.2010 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
5. Von der Wiedergabe der tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts und der Darstellung etwaiger Änderungen und wird abgesehen (§§ 540 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO).
6. Die zulässige, insbesondere fristgemäß eingelegte und fristgemäß begründete Berufung der Beklagten hat in der Sache nur wegen der Nebenforderung Erfolg.
7. Hinsichtlich der Hauptforderung hat das Amtsgericht der Klage zu Recht stattgegeben.
8. Den Klägern steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung einer Ausgleichszahlung in Höhe von jeweils 400 € zu (Art. 5, 7 Abs. 1 Buchst, b EU-VO 261/2004).
9. Nach der Entscheidung des EuGH vom 19.11.2009 (Az. C-402/07, C- 432/07; RRa 09, 282 ff) stehen Fluggästen auch bei einer Verspätung eines Fluges Ausgleichszahlungen gemäß Art 7 Abs. 1 der EU-VO 261/2004 zu. Denn die Art. 5 und 7 der Verordnung Nr. 261/2004 sind dahin auszulegen, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden können und somit den in Art. 7 dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen können, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, d. h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen.
10. Eine solche Verspätung führt allerdings dann nicht zu einem Ausgleichsanspruch zugunsten der Fluggäste, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, also auf Umstände, die von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen sind.
11. Diese Voraussetzungen sind in dem vorliegenden Fall erfüllt. Der Abflug der Kläger am 3.11.2009 mit dem Flug … erfolgte entgegen der Planung nicht um 11.25 Uhr, sondern erst um 21.00 Uhr. Die Kläger erreichten das Ziel in Frankfurt am Main anstatt 14.05 Uhr erst um 23.35 Uhr, mithin mit einer Verzögerung von 9 ½ Stunden.
12. Zwar beruhte die Verzögerung auch auf außergewöhnlichen Umstände i.S.d. Art 5 Abs. 3 EU-VO 261/2004. Denn wesentlicher Grund für die Verzögerung war der Einbau eines sog. Stretchers in das Flugzeug, damit ein erkrankter Passagier in dem Flugzeug mitbefördert werden konnte.
13. Allerdings entfallt eine Entschädigungspflicht des Luftfahrtunternehmens nicht allein dadurch, dass ein außergewöhnlicher Umstand vorliegt, sondern nur dann, wenn sich die Verzögerung auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären (Art. 5 Abs. 3 EU-VO 261/2004).
14. Das bedeutet, dass das Luftfahrtunternehmen verpflichtet ist, die zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, damit die Verzögerung vermieden werden kann.
15. Nach dem zu Grunde liegenden Sachverhalt war dies jedoch nicht der Fall. Zu berücksichtigen ist, dass das Flugzeug, mit dem die Kläger nach Frankfurt am Main hätten fliegen sollen, zuvor aus Goa/Indien gekommen und in Antalya mit einer Verspätung von 49 Minuten gelandet war. Da für den Einbau des Stretchers eine Zeit von 60 Minuten erforderlich war, führte diese Verzögerung von 1 Stunde 49 Minuten dazu, dass die Crew, wäre sie mit dem Flugzeug weiter geflogen, ihre maximale Dienstzeit überschritten hätte. Deswegen musste eine Ersatzcrew eingeflogen werden, was letztlich zu der Verzögerung von 9 ½ Stunden führte.
16. Allerdings hätte die Beklagte die Verzögerung von 9 ½ Stunden vermeiden können, wenn sie dafür gesorgt hätte, dass in Antalya eine Ersatzcrew zur Verfügung steht. Denn damit hätte sich eine Verzögerung von weniger als 3 Stunden ergeben. Das Flugzeug hätte 60 Minuten nach der Landung zum Weiterflug zur Verfügung gestanden.
17. Die Beklagte hatte auch Anlass dafür anzunehmen, dass eine Ersatzcrew benötigt wird.
18. Denn die Flugzeit der Crew war ausgeschöpft mit einem zeitlichen Puffer von weniger als 1 Std. 49 Minuten.
19. Nach ihrem eigenen Vortrag wusste die Beklagte seit dem 30.10.2009 von der Notwendigkeit eines Stretcher-Einbaus. Ihr war deshalb klar, dass von dem Zeitpuffer 1 Stunde verbraucht wird durch den Einbau des Stretchers, weshalb sich der zeitliche Puffer auf weniger als 49 Min. verringerte. Bei einer Flugstrecke von Goa nach Frankfurt am Main mit einer Zwischenlandung in Antalya liegt es nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit, sondern ist vielmehr abzusehen, dass sich Verzögerungen ergeben können, die 49 Min. übersteigen werden.
20. In dieser konkreten Situation hätte die Beklagte deshalb dafür Sorge tragen müssen, in Antalya eine Ersatzcrew vorzuhalten, die mit dem Weiterflug nach Frankfurt am Main betraut wird, da eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestand, dass die Flugzeit der Crew, die aus Goa weggeflogen war, nicht für einen Weiterflug nach Frankfurt am Main ausreichen wird.
21. Das Vorhalten einer Crew in Antalya stellt auch eine zumutbare Maßnahme dar. Denn um zu vermeiden, dass jede auf dem Eintritt außergewöhnlicher Umstände beruhende Verspätung, sei sie auch geringfügig, zwangsläufig zur Annullierung oder Verspätung des Fluges führt, muss ein vernünftig handelndes Luftfahrtunternehmen seine Mittel rechtzeitig planen, um über eine gewisse Zeitreserve zu verfügen und den Flug möglichst bald nach dem Wegfall der außergewöhnlichen Umstände weiter durchführen zu können (vgl. EuGH Urt. v. 12.5.2011, Az. C-294/10, R 28, zit. nach juris).
22. Angesichts der Tatsache, dass die Notwendigkeit eines Stretcher-Einbaus bereits am 30.9.2010, mithin 4 Tage vor dem streitgegenständlichen Flug bekannt war, hätte sie eine Crew vorsorglich nach Antalya schicken können, um den sofortigen Weiterflug nach Frankfurt am Main nach dem Einbau sicherzustellen. Auch im Streitfall war es der Beklagten möglich, kurzfristig eine Crew nach Antalya einfliegen zu lassen.
23. Gegen die Höhe der Ausgleichszahlung erhebt die Beklagte in der Berufungsbegründung keine Einwendungen. Auch die Berechtigung des Klägers zu 3. wird in der Berufungsbegründung nicht mehr in Zweifel gezogen.
24. Begründet ist die Berufung jedoch im Hinblick auf die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Solche können die Kläger nicht erstattet verlangen, weil ein Anlass der Kläger, einen Rechtsanwalt mit einer vorgerichtlichen Tätigkeit zu beauftragen, nicht bestanden hat. Denn die Kläger haben sich zunächst eines Inkassoinstituts, der …, bedient, um ihre Ansprüche geltend zu machen. Diese hat mit der Beklagten eine vorgerichtliche Korrespondenz geführt, im Rahmen dessen die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 6.1.2010 Ansprüche eindeutig abgeleimt hat.
25. Auf dieser Grundlage hatten die anwaltlich beratenen Kläger hinreichenden Anlass anzunehmen, dass auch ein weiteres vorgerichtliches Schreiben nicht zu einer Zahlungsbereitschaft führt, sondern vielmehr, wie dann letztlich auch geschehen, eine Klageerhebung notwendig ist. Auf dieser Grundlage verstoßen die Kläger gegen ihre Schadensgeringhaltungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB gegenüber der Beklagten, wenn sie trotzdem ihren Prozessbevollmächtigten noch einen Auftrag für eine vorgerichtliche Tätigkeit erteilen und solche Kosten von der Beklagten erstattet verlangen.
26. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen, weil ihr Rechtsmittel nur in Bezug auf eine Nebenforderung erfolgreich war, die sich insbesondere nicht auf den Streitwert auswirkt (§§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 97 ZPO).
27. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
28. Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung besteht nicht nachdem die Beschwer für eine Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 26 Nr. 8 EGZPO in der Fassung des 2. JuMoG vom
29. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die Entscheidung beschränkt sich auf die Bewertung eines Einzelfalls unter Berücksichtigung und Anwendung der aktuellen Rechtsprechung des EuGH.
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