Anwendbarkeit des Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO

LG Saarbrücken: Anwendbarkeit des Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO

Ein Verbraucher erhob Gewährleistungsansprüche gegen einen französischen Fahrzeughändler.

Das Landgericht Saarbrücken setzte die Verhandlung aus, deren Ergebnis von der höchstrichterlichen Antwort abhing, ob der auf das Ausland ausgerichtete Internetauftritt ursächlich für den Vertragsschluss gewesen und dieser mit Mitteln des Fernabsatzes zustande gekommen sein muss.

LG Saarbrücken 5 S 68/12 (Aktenzeichen)
LG Saarbrücken: LG Saarbrücken, Urt. vom 17.01.2014
Rechtsweg: LG Saarbrücken, Urt. v. 17.01.2014, Az: 5 S 68/12
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Landgericht Saarbrücken

1. Urteil vom 27. April 2012

Aktenzeichen 5 S 68/12

Leitsätze:

2. Die internationale Zuständigkeit eines deutschen Gerichts bei Gewährleistungsansprüchen hängt davon ab, ob der ausländische Vertragspartner seine gewerbliche Tätigkeit auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausrichtet.

Als eine Ausrichtung der gewerblichen Tätigkeit auf einen anderen Staat kann ein Internetauftritt ausgelegt werden, wenn dieser Anfahrtsbeschreibungen, internationale Vorwahlen oder Text in der entsprechenden Sprache enthält.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat zu klären, ob für die Eröffnung des europäischen Verbraucherschutzrechts ein auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausgerichteter Internetauftritt kausal für den Vertragsschluss sein muss.

Bei Bejahung letztgenannter Frage ist weiterhin zu klären, ob ein solcher Vertragsschluss mit Mitteln des Fernabsatzes zustandegekommen sein muss.

Zusammenfassung:

3. Der Kläger schloss mit einem in Frankreich ansässigen Fahrzeughändler einen Vertrag. Hieraus machte er vor dem Amtsgericht Saarbrücken Gewährleistungsansprüche geltend, das die Klage jedoch abwies. Seine Berufung dagegen begründete der Kläger mit einer Ausrichtung der gewerblichen Tätigkeit des Beklagten auf Deutschland, die sich aus seinem Internetauftritt herleite. Der Beklagte stritt die Zuständigkeit des deutschen Gerichts ab.

Das Landgericht Saarbrücken entschied, die Verhandlung auszusetzen, da seine Zuständigkeit von der Eröffnung des Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO und dieser von der Beantwortung zweier Fragen durch den Europäischen Gerichtshof abhing. Die Ausrichtung der gewerblichen Tätigkeit des Beklagten auf den Wohnsitzstaat des Klägers sah das Gericht als gegeben an, da auf der Internetseite die internationale Vorwahl Frankreichs und eine deutsche Mobilfunknummber genannt wurden. Jedoch war höchstrichterlich zu klären, ob diese auf den Mitgliedsstaat des Verbrauchers ausgerichtete gewerbliche Tätigkeit auch kausal für den Vertragsschluss sein muss, was der Kläger bestritt. Ferner hing von der Bejahung der ersten Frage ab, ob der Vertragsschluss mit Mitteln des Fernabsatzes zustandegekommen sein muss.

Tenor

4. Das Verfahren wird ausgesetzt.

Die Kammer legt dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft folgende Frage zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts zur Vorabentscheidung vor:

Setzt Artikel 15 Absatz 1 lit. c EuGVVO in Fällen, in denen der Internetauftritt eines Gewerbetreibenden das Merkmal des Ausrichtens erfüllt, als weiteres ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal voraus, dass der Verbraucher durch die vom Gewerbetreibenden betriebene Website zum Vertragsschluss motiviert wurde, dass der Internetauftritt mithin kausal sein muss für den Vertragsschluss?

Sofern eine Kausalität zwischen dem Tatbestandsmerkmal des Ausrichtens und dem Vertragsschluss notwendig ist: Setzt Artikel 15 Absatz 1 lit. c EuGVVO außerdem einen Vertragsschluss mit Mitteln des Fernabsatzes voraus?

Gründe

I.

5. Der Beklagte betreibt in …/Frankreich unter dem Firmennamen „…“ einen Gebrauchtwagenhandel. Im Internet existierte zum streitgegenständlichen Zeitpunkt eine Website des Klägers mit folgendem Inhalt:

 

Bienvenue sur le site de … Automo­biles
Reprise possible base sur …
GARAGE AGREE PAR LE …:
Gagnez du temps
N´oubliez pas votre pièce d ´identité et justi­fi­catif de domicile et nous nous occuperons de faire votre carte grise sur place en 10 minutes (paiement sécurisé par …). …..
Tel.: …
Fax : …
Port: …
Tel D: …

 

6. Von dem Beklagten und der Möglichkeit, bei ihm ein Auto zu erwerben, erfuhr der Kläger über Bekannte, woraufhin er sich zu dessen Niederlassung in …/Frankreich begeben hatte.

7. In der Folge schloss der Kläger als Verbraucher mit dem Beklagten unter dem 13.09.2010 in dessen Geschäftsräumen in Frankreich einen schriftlichen Kaufvertrag über ein gebrauchtes Fahrzeug. Zum Vertragsinhalt wird auf die Kopie Blatt 69 d. A. Bezug genommen.

8. Mit seiner beim Amtsgericht Saarbrücken erhobenen Klage hat der Kläger gegenüber dem Beklagten Ansprüche aus Gewährleistungsrecht geltend gemacht. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, das Amtsgericht Saarbrücken sei gemäß Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe c EuGVVO international zuständig. Aus der Gestaltung der Website folge, dass der Beklagte seine gewerbliche Tätigkeit auch auf Deutschland ausrichte.

9. Der Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat die Auffassung vertreten, ein deutsches Gericht sei international nicht zuständig.

10. Das Amtsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Seine Entscheidung hat es damit begründet, dass ein Fall des Artikel 15 Absatz 1 lit. c EuGVVO nicht vorliege. Der Beklagte richte seine berufliche Tätigkeit vorliegend nicht im Sinne der Vorschrift auf den Wohnsitz des klagenden Verbrauchers, also auf Deutschland aus.

11. Diese Entscheidung greift der Kläger mit dem Rechtmittel der Berufung an. Ergänzend vertritt er die Auffassung, Artikel 15 Absatz 1 lit. c EuGVVO setze nicht voraus, dass zwischen dem „Ausrichten“ und dem Vertragsschluss ein Kausalzusammenhang bestehe, ebenso wenig sei es erforderlich, dass der Vertrag mit Mitteln des Fernabsatzes geschlossen worden sei.

12. Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung.

II.

13. Der Rechtsstreit ist gemäß § 148 ZPO auszusetzen, da die Frage der Auslegung des Artikel 15 Absatz 1 lit. c EuGVVO gemäß Artikel 234 Absatz 1 lit. a) des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Amsterdam konsolidierte Fassung) – EGV – dem Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden Europäischer Gerichtshof) obliegt. Gemäß Artikel 234 Absatz 1 lit a) EGV entscheidet dieser im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung dieses Vertrages.

14. Der Erfolg der Berufung hängt von der Beantwortung der Vorlagefragen ab.

1.

15. Gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Art. 3 Abs. 1 EuGVVO bestimmt sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte im vorliegenden Fall nach Maßgabe der Art. 5 bis 24 EuGVVO, da die Parteien ihren Sitz jeweils im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates haben und der in Frankreich wohnhafte Beklagte abweichend von Art. 2 EuGVVO vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaates, nämlich in Deutschland, verklagt wird.

16. Die Bejahung der internationalen Zuständigkeit des vom Kläger angerufenen Amtsgerichts Saarbrücken hängt davon ab, ob es sich bei dem zwischen den Parteien geschlossenen Kaufvertrag um eine Verbrauchersache nach Artikel 15 Absatz 1 lit. c EuGVVO handelt. Eine Zuständigkeit aufgrund der anderen Bestimmungen ist nicht begründet.

a)

17. Nach Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO handelt es sich um eine Verbrauchersache, wenn der Vertragspartner des Verbrauchers in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche auf irgendeinem Wege auf diesen Mitgliedstaat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Mitgliedstaats, ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.

18. Kernstück der Neuregelung in Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO ist der Begriff des Ausrichtens einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers. Hierdurch sollte neben der gezielt auf den Wohnsitzstaat des jeweiligen Verbrauchers gerichteten Werbung vor allem auch der so genannte elektronische Handel über das Internet erfasst werden, bei dem ein Vertragsschluss auf ausschließlich elektronischem Wege zustande kommt (BGH Beschluss vom 17.09.2008, Az.: III ZR 71/08, zitiert nach Juris Rn. 8; vgl. ferner Geimer/Schütze Europäisches Zivilverfahrensrecht 3. Aufl. A. 1 Art. 15 EuGVVO Rn. 37; Kropholler/ von Hein Europäisches Zivilprozessrecht 9. Aufl. Art. 15 EuGVO Rn. 23).

b)

19. Umstritten ist, unter welchen Voraussetzungen ein Gewerbetreibender, der eine Internetseite unterhält, in diesem Sinne seine Tätigkeit auf einen Mitgliedstaat ausrichtet.

20. Die bislang herrschende Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum differenzierte danach, ob der Gewerbetreibende eine aktive oder nur eine passive Website unterhält. Während Einigkeit darüber bestand, dass der Verbraucherschutzgerichtsstand des Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO jedenfalls dann gegeben ist, wenn der Gewerbetreibende eine aktive Website betreibt, bei der unmittelbar über die Internetseite, etwa durch das Anklicken eines entsprechenden Symbols, ein Vertragsschluss erfolgen kann (vgl. BGH Beschluss vom 17. September 2009 – III ZR 71/08 – Rn. 9 nach m. w. N.), wird der Betrieb einer passiven Website nur dann für ausreichend gehalten, wenn sie eine Aufforderung zum Vertragsschluss im Fernabsatz enthält und es auf diesem Weg auch tatsächlich zu einem Vertragsschluss kommt (vgl. zum Streitstand Kropholler/ von Hein Europäisches Zivilprozessrecht 9. Aufl. Art. 15 EuGVO Rn. 27; Geimer/Schütze Europäisches Zivilverfahrensrecht 3. Aufl. Art. 15 EuGVVO Rn. 37 f.).

c)

21. Der Gerichtshof der Europäischen Union (nachfolgend: Europäischer Gerichtshof) hat sich aufgrund einer Vorlage des Österreichischen Obersten Gerichtshofs in einem Vorabentscheidungsverfahren erstmals zu der Frage geäußert, unter welchen Voraussetzungen ein Gewerbetreibender durch einen Internetauftritt seine Tätigkeit auf einen anderen Mitgliedstaat i. S. v. Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO ausrichtet (Urteil vom 7. Dezember 2010 – C-​585/08 und C-​144/09 – Pammer/Schlüter und Alpenhof/Heller – ABl. EU 2011, Nr. C 55, 4-​5 = NJW 2011, 505 ff.).

22. In der von der bisher herrschenden Meinung herangezogenen Unterscheidung zwischen Websites, die eine Kontaktierung des Gewerbetreibenden per E-​Mail oder sogar einen Vertragsschluss online mittels einer sogenannten „interaktiven“ Website ermöglichen, und Websites ohne diese Möglichkeit sieht der Europäische Gerichtshof kein taugliches Kriterium für die Auslegung des Begriffs des „Ausrichtens“ im Sinne von Artikel 15 Absatz 1 lit. c EuGVVO. Diese Kontaktmöglichkeit bestehe unabhängig davon, ob der Gewerbetreibende Geschäfte mit Verbrauchern zu tätigen beabsichtige, die in anderen Mitgliedstaaten als dem seiner Niederlassung wohnhaft sind (EuGH a. a. O. Rn. 79).

23.Für die Anwendbarkeit des Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO sieht der Europäische Gerichtshof als entscheidendes Merkmal an, ob der Gewerbetreibende bereits vor dem eigentlichen Vertragsschluss seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, Geschäftsbeziehungen zu Verbrauchern eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten, darunter des Wohnsitzmitgliedstaats des Verbrauchers, herzustellen (EuGH a. a. O. Rn. 75). Deshalb sei im Fall eines Vertrags zwischen einem Gewerbetreibenden und einem bestimmten Verbraucher zu ermitteln, ob vor dem Vertragsschluss mit diesem Verbraucher Anhaltspunkte dafür vorgelegen haben, dass der Gewerbetreibende Geschäfte mit Verbrauchern tätigen wolle, die in anderen Mitgliedstaaten wohnhaft sind, darunter in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der fragliche Verbraucher seinen Wohnsitz habe, und zwar in dem Sinne, dass der Gewerbetreibende zu einem Vertragsschluss mit diesen Verbrauchern bereit gewesen sei (EuGH a. a. O. Rn. 76).

24. Anhaltspunkte dafür, dass ein Gewerbetreibender seine Tätigkeit auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers ausgerichtet hat, können sich nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs beispielsweise aus dem internationalen Charakter der Tätigkeit des Gewerbetreibenden, der Angabe von Anfahrtsbeschreibungen von anderen Mitgliedstaaten aus zu dem Ort, an dem der Gewerbetreibende niedergelassen ist oder der Verwendung einer anderen Sprache oder Währung als der in dem Mitgliedstaat der Niederlassung des Gewerbetreibenden üblicherweise verwendeten Sprache oder Währung mit der Möglichkeit der Buchung und Buchungsbestätigung in dieser anderen Sprache ergeben (EuGH a. a. O. Rn. 93; kritisch dazu Leible/Müller NJW 2011, 495, 496 f.; von Hein JZ 2011, 954, 955; Clausnitzer EuZW 2011, 104, 105).

25. Dabei obliege es dem nationalen Richter zu prüfen, ob diese Anhaltspunkte vorliegen (EuGH a. a. O. Rn. 93).

26. Die Kammer bejaht hiervon ausgehend im vorliegenden Fall das Tatbestandsmerkmal des Ausrichtens der gewerblichen Tätigkeit des Beklagten auf Deutschland. Denn insbesondere durch die Angabe der internationalen Vorwahl für Frankreich und zudem noch einer deutschen Mobilfunknummer wird der Eindruck vermittelt, dass auch außerhalb Frankreichs – insbesondere auch im angrenzenden Deutschland – ansässige Verbraucher als Kunden gewonnen werden sollen.

2.

27. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 7. Dezember 2010 verhält sich allerdings nicht zu der Frage, ob Artikel 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO in Fällen, in denen der Internetauftritt eines Gewerbetreibenden das Merkmal des Ausrichtens erfüllt, außerdem das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal voraussetzt, dass der Verbraucher durch die vom Gewerbetreibenden betriebene Website zum Vertragsschluss motiviert wurde, dass der Internetauftritt mithin kausal sein muss für den Vertragsschluss.

a)

28. Das zitierte Urteil bestätigt lediglich die schon bisher ganz herrschende Rechtsauffassung (vgl. hierzu Kropholler/von Hein Europäisches Zivilprozessrecht 9. Aufl. Art. 15 EuGVO Rn. 24 m. w. N. und die gemeinsame Erklärung des Rates und der Kommission zu den Art. 15 und 73 der Verordnung Nr. 44/2001, abgedruckt in IPRax 2001, 259, 261), dass die bloße Abrufbarkeit einer Website nicht genügt, um den Verbrauchergerichtsstand nach Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO i.V.m. Art. 16 Abs. 2 EuGVVO zu erfüllen (EuGH a. a. O. Rn. 69, 70).

b)

29. Ungeklärt bleibt nach dieser Entscheidung das Erfordernis eines Kausalzusammenhangs zwischen Ausrichten der Tätigkeit des Gewerbetreibenden und dem Vertragsschluss mit dem Verbraucher.

c)

30. Da der Wortlaut des Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO keine Hinweise auf ein Kausalitätserfordernis enthält, die Kammer allerdings dazu tendiert, ausgehend vom Zweck des Artikel 15 Absatz 1 lit. c EuGVVO, der darin besteht, den kompetenzrechtlichen Verbraucherschutz zu verbessern (vgl. hierzu auch Rauscher/Staudinger EuZPR/EuIPR [2011] Vorbem. Art. 15 – 17 Brüssel l – VO Rn. 1; Stein/Jonas/Wagner ZPO 22. Aufl. Art. 1 EuGVVO Rn. 1), der Auffassung des Bundesgerichtshofs zu folgen, wonach es für die Erfüllung des Merkmals des „Ausrichtens“ der gewerblichen Tätigkeit auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers erforderlich sein soll, dass der Verbraucher in seinem Wohnsitzstaat durch die von dem Gewerbetreibenden betriebene Website zumindest zum Vertragsschluss motiviert worden ist, auch wenn der Vertragsschluss selbst nicht in dem Wohnsitzstaat erfolge (BGH Beschluss vom 17.09.2008, Az.: III ZR 71/08 Rn. 11 nach Juris), weswegen die Vorschrift, gerade im Hinblick auf ihren Ausnahmecharakter und die Notwendigkeit einer autonomen und engen Auslegung ihrer Voraussetzungen (vgl. hierzu EuGH NJW 1993, 1251; 2005, 653, 654, Rn. 32; jew. zu Art. 13 Abs. 1 EuGVÜ; Kropholler, a. a. O., Rn. 3; Dörner, a. a. O., Rn. 8) nicht anwendbar sei, wenn ein Verbraucher „zufällig“ Verträge mit einem „Unternehmer“ abschließt (vgl. Schlosser, EU-​Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2003, Art. 15 EuGVVO, Rn. 8 a), hält die Kammer die Vorlage dieser Frage für geboten, da eine abschließende Entscheidung darüber, wie die europarechtliche Bestimmung des Artikel 15 Absatz 1 lit. c) EuGVVO auszulegen ist, dem Europäischen Gerichtshof obliegt.

31. Die Frage, wie Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO in der vorliegenden Fallkonstellation auszulegen ist, ist entscheidungserheblich. Der Beklagte hat das Fehlen der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte von Anfang an gerügt. Er rügt es auch im Berufungsverfahren.

3.

32. Ebenso wenig äußert sich das oben zitierte Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 07.12.2012 zur Frage, ob das Merkmal des „Ausrichtens“ im Sinne des Artikel 15 Absatz 1 lit. c EuGVVO zusätzlich voraussetzt, dass der mit dem Verbraucher geschlossene Vertrag mit Mitteln des Fernabsatzes zustande gekommen ist (vgl. hierzu die Entscheidungsbesprechungen von Staudinger/Steinrötter EWS 2011, 70, 73 f.; Mankowski EWiR 2011, 111, 112; Höppner jurisPR-​ITR 8/2011 Anm. 3; Clausnitzer EuZW 2011, 104, 105).

33. In der deutschen Rechtsprechung und im deutschen Schrifttum finden sich hierzu unterschiedliche Auffassungen.

34. (1) Teilweise wird vertreten, dass eine Verbrauchersache i. S. v. Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO nur unter der zusätzlichen Voraussetzung angenommen werden könne, dass es zu einer vertraglichen Bindung mit den Mitteln des Fernabsatzes gekommen sei (Kropholler/von Hein Europäisches Zivilprozessrecht 9. Aufl. Art. 15 EuGVO Rn. 27; von Hein JZ 2011, 954, 957).

35. (2) Eine andere Auffassung hält dagegen einen Vertragsschluss im Wege des Fernabsatzes nicht für zwingend erforderlich. Um eine unangemessene Ausdehnung des Anwendungsbereichs von Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO zu verhindern, sei es jedoch neben der Erfüllung des Begriffs des „Ausrichtens“ erforderlich, dass der Internetauftritt des Gewerbetreibenden für den konkreten Vertragsschluss mit dem Verbraucher zumindest ursächlich geworden ist (vgl. OLG Karlsruhe IPRax 2008, 348, 349; OLG Dresden IPRax 2006, 44, 46; LG München IPRspr. 2007 Nr. 143, 405, 406; Rauscher/Staudinger EuZPR/EuIPR [2011] Art. 15 Brüssel l – VO Rn. 18; Schlosser EuGVVO 3. Aufl. Art. 15 Rn. 8; Leible/Müller NJW 2011, 495, 497; Mankowski IPRax 2009, 238, 242 f.; Höppner jurisPR-​ITR 8/2011 Anm. 3; Staudinger/Czaplinski NZM 2010, 461, 462 f.; Musielak/Stadler ZPO 8. Aufl. Art. 15 EuGVVO Rn. 8).

36. Der Bundesgerichtshof, mit dem die Kammer dazu neigt, die Anwendbarkeit des Artikel 15 Absatz 1 lit. c EuGVVO nicht davon abhängig zu machen, dass der Vertrag mit den Mitteln des Fernabsatzes geschlossen wurde, hat dem Europäischen Gerichtshof diese Frage durch Beschluss vom 01.02.2012 – XII ZR 10/10 – bereits vorgelegt. Eine Stellungnahme des Europäischen Gerichtshofs dazu steht noch aus.

37. Sofern der Europäische Gerichtshof die erste Vorlagefrage bejahen sollte, wäre die gleiche Frage auch im hier zu entscheidenden Rechtsstreit erheblich, so dass die Vorlage dieser Frage ebenfalls geboten ist.

38. Die Beantwortung der Vorlegefragen ist damit für den Erfolg der Berufung entscheidungserheblich, da es von der Auslegung des Artikel 15 Absatz 1 lit c EuGVVO abhängt, ob ein deutsches Gericht für die Klage gegen den Beklagten international zuständig ist.

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