Flugpreisminderung wegen mangelhafter Sitzplatzgestaltung

AG Frankfurt: Flugpreisminderung wegen mangelhafter Sitzplatzgestaltung

Der Kläger buchte bei einem Luftfahrtunternehmen Hin- und Rückflug. Auf dem Rückflug wurde der Kläger durch einen vor ihm sitzenden übergewichtigen Passagier in seiner Beinfreiheit um fünf bis zehn Zentimetern eingeschränkt.  Die Einschränkung der Beinfreiheit entstand durch ein Zurückbiegen des materialschwachen Sitzes über das technisch Vorgesehene hinaus.

Das Amtsgericht Frankfurt sprach dem Kläger einen Anspruch auf Minderung des Flugpreises in Höhe von 50% zu und stellte fest, dass das Zurückbiegen des Vordersitzes über das technisch Vorgesehene hinaus einen Sachmangel darstellen kann.

AG Frankfurt 31 C 4210/14 (Aktenzeichen)
AG Frankfurt: AG Frankfurt, Urt. vom 25.02.2015
Rechtsweg: AG Frankfurt, Urt. v. 25.02.2015, Az: 31 C 4210/14
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Amtsgericht Frankfurt

1. Urteil vom 25. Februar 2015

Aktenzeichen 31 C 4210/14

Leitsätze:

2. Ein Fluggast hat einen Anspruch auf Minderung des Flugpreises in Höhe von 50%, wenn seine Beinfreiheit um fünf bis zehn Zentimeter auf einem Langstreckenflug in der Premium Economy-​Klasse durch einen übergewichtigen Passagier in der Sitzreihe vor ihm eingeschränkt wurde.

Ein Passagier muss nicht mit derart materialschwachen Sitzen in einem Flugzeug rechnen, welche sich bei Benutzung durch einen übergewichtigen Passagier um fünf bis zehn Zentimeter über das technisch Vorgesehene hinaus biegen lassen.

Zusammenfassung:

3. Im vorliegenden Fall buchte der Kläger einen Hin- und Rückflug für zwei Personen zu einem Preis von 2187,96 €. Der Hinflug wurde vertragsgemäß und mängelfrei erbracht. Auf dem Rückflug wurde der Kläger jedoch durch einen vor ihm sitzendenden Passagier in der Beinfreiheit eingeschränkt. Die Einschränkung ergab sich dadurch, dass durch das Übergewicht der vor ihm sitzende Person, sich der materialschwache Sitz über das technisch Vorgesehene hinaus bog. Das Luftfahrtunternehmen hatte mithin derart materialschwache Sitze eingebaut, welche eine solche Überschreitung der technischen Vorgaben überhaupt ermöglichte.

Daraus schloss das Amtsgericht Frankfurt, dass der Rückflug für eine Person mit einem Sachmangel im Sinne des § 633 Abs. 2 BGB vorlag. Dadurch stand es dem Kläger einen Anspruch auf Minderung in Höhe von 50% auf die Teilleistung – Rückflug für eine Person – zu. Das Luftfahrtunternehmen muss dem Kläger somit einen Betrag in Höhe von 273,50 € erstatten.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 273,50 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.12.2014 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

5. – abgesehen gemäß § 313 a ZPO

Entscheidungsgründe:

6. Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.

Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung von 273,50 € gemäß § 638 Abs. 1 u. 4 BGB.

7. Die Parteien waren durch einen Luftbeförderungsvertrag verbunden. Der Luftbeförderungsvertrag ist ein Werkvertrag (BGH NJW 1974, 852; 2009, 2743). Das Luftfahrtunternehmen hat die Beförderungsleistung frei von Sach- und Rechtsmängel zu verschaffen (§ 633 Abs. 1 BGB). Das Luftfahrtunternehmen haftet dem Fluggast deshalb für Mängel der Werkleistung nach §§ 633 ff. BGB. Dazu zählen auch mangelhafte Sitzplätze (vgl. Dezernatsurteil vom 15.01.2014, Az. 31 C 2283/13 (17)).

8. Die Beförderungsleistung der Beklagten auf dem Rückflug war mangelhaft. Es bestand ein Sachmangel in Form unzureichender Sitzplatzgestaltung.

9. Zwar ist nicht erwiesen, dass der Kläger eine bestimmte Sitzplatzreihe in der Premium Economy reserviert hatte. Ausweislich der Buchungsbestätigung war nur die Premium Economy-​Klasse als solches gebucht, nicht aber eine bestimmte Sitzplatzreihe. Die Zeugin … ist nicht zu vernehmen. Da der Kläger nicht näher darlegt, wie er eine entsprechende Reservierung vorgenommen haben will, wäre die Vernehmung der Zeugin eine unzulässige Ausforschung.

Es ist auch nicht dargelegt, wieso der Kläger, wenn er eine bestimmte Sitzreihe reserviert haben will, dann nicht beim Check-​in auf die Zuweisung eines entsprechenden Platzes gedrängt hat, beziehungsweise warum ihm von der Beklagten ein nicht der Reservierung entsprechender Platz zugeteilt worden sein soll.

10. Doch auch wenn der Kläger keinen Anspruch auf einen Sitzplatz in einer bestimmten Reihe hatte, muss er Beeinträchtigungen auf dem zugewiesenen Sitzplatz nicht grenzenlos hinnehmen.

11. Da abgesehen von der Beförderungsklasse eine besondere vereinbarte Beschaffenheit zum Sitzplatz des Klägers (§ 633 Abs. 2 S. 1 BGB) fehlte und es auch keine besondere nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung (§ 633 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 BGB) gab, war der Flug frei von Sachmängeln, wenn er sich für die gewöhnliche Verwendung eignete und eine Beschaffenheit aufwies, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art des Werkes erwarten kann (§ 633 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 BGB). Das ist zu verneinen. Der Flug wies für den Kläger keine Beschaffenheit auf, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und er nach der Art des Werkes erwarten konnte.

12. Grundsätzlich sind Unzulänglichkeiten bei Service und Komfort zwar keine Mängel im Sinne des Gewährleistungsrechts (vgl. Führich, ReiseR, 6. Aufl. 2012, Rn. 314 h m. w. N.). Das heißt aber nicht, dass es für das Luftfahrtunternehmen genügt, den Fluggast einfach nur von A nach B zu transportieren. Der Fluggast ist nicht verpflichtet, jegliche Leistung des Luftfahrtunternehmens von problematischer Qualität hinzunehmen.

13. Der Fluggast an Bord eines Passagierflugzeugs darf davon ausgehen, dass er einen Sitzplatz zugewiesen bekommt, der ihm ein Mindestmaß an Bewegungsfreiheit erlaubt, um insbesondere einen Langstreckenflug wie hier einigermaßen beschwerde- und schmerzfrei verbringen zu können. Andererseits hat das Luftfahrtunternehmen ein berechtigtes Interesse, möglichst viele Fluggäste in einem Flugzeug transportieren zu können, so dass ein besonders hoher Komfort in niedrigen Beförderungsklassen nicht erwartet werden kann. Insbesondere müssen Passagiere mit überdurchschnittlichen Körpermaßen, wozu auch der Kläger mit behaupteten 1,95 m Körpergröße gezählt werden kann, einkalkulieren, dass ihren besonderen Bedürfnissen in der Economy- oder auch Premium Economy-​Klasse nicht Rechnung getragen werden kann.

14. Allerdings war es hier so, dass die Lehne des vorderen Sitzes fünf bis zehn Zentimeter weiter zurückgebogen war als technisch vorgesehen. Das ist unstreitig; die Beklagte bestreitet nur, dass die Sitzlehne tiefer verstellbar gewesen sei als technisch vorgesehen. Das trägt der Kläger aber nicht vor. Er macht eine über die technische Verstellbarkeit hinausgehende Biegung wegen des hohen Körpergewichts des anderen Fluggasts geltend.

15. Wenn ein Luftfahrtunternehmen in sein Fluggerät Sitze einbauen lässt, die derart materialschwach sind, dass ein übergewichtiger Passagier die Sitzlehne weiter zurückbiegt als eigentlich technisch vorgesehen, dann muss der dahinter sitzende Fluggast dies nicht erwarten. Der bereits angesprochene grundsätzlich knappe Platz in Passagierflugzeugen verlangt dem durchschnittlich großen Fluggast bereits einige Toleranz ab, gerade in der Economy-​Klasse. Der Fluggast braucht deshalb nicht damit zu rechnen, dass das regelmäßig ohnehin nicht übermäßig großzügige Platzangebot zusätzlich dadurch verkleinert wird, dass der Vordersitz den technisch vorgesehenen Bewegungsspielraum überschreitet. Das kann auch das Luftfahrtunternehmen vorhersehen, da übergewichtige Passagiere bei einer tendenziell mehr und mehr korpulent werdenden Gesellschaft keine Seltenheit sind, mit der im Luftbeförderungsalltag nicht gerechnet zu werden braucht. Nur wenn ein Fluggast extrem übergewichtig ist, so dass mit einer entsprechend massiven Gewichtseinwirkung nicht zu rechnen ist, wird man der gewählten Sitzkonfiguration keinen Mangel zusprechen können, weil ein Luftfahrtunternehmen sich nicht auf alle, auch seltenste Eventualitäten vorzubereiten braucht. Ein extremes Übergewicht wäre aber von der Beklagten darzulegen gewesen.

16. Soweit es darauf ankommt, ob der im vorderen Sitz sitzende Passagier überhaupt übergewichtig war, bestreitet die Beklagte das Körpergewicht unzulässig mit Nichtwissen (§ 138 Abs. 4 ZPO). Ihr Kabinenpersonal war ja an Bord und muss den Passagier wahrgenommen haben. Also besteht bei der Beklagten zurechenbare Kenntnis von seiner Leibesfülle. Der klägerische Vortrag ist auch hinreichend substantiiert, weil die um fünf bis zehn(!) Zentimeter übergebogene Sitzlehne denklogisch ein entsprechend hohes, das Durchschnittsmaß deutlich übersteigendes Körpergewicht erfordert, um diesen Zustand zu erreichen.

17. Kein Mangel liegt indes darin, dass der Kläger seinerseits den Sitz nicht zurückstellen konnte. Das ist nach seinem eigenen Vortrag auf das Verhalten des hinter ihm sitzenden Fluggastes zurückzuführen und der Beklagten deshalb nicht zuzurechnen.

18. Der Kläger hatte danach deutlich mehr als bloße Unannehmlichkeiten zu erdulden.

19. Unabhängig von den bestrittenen Folgen, die der Kläger nach dem Flug erlitten haben will, konnte er während des Langstreckennachtfluges auch wegen der Sitzlehne des vorderen Sitzes unstreitig nicht schlafen und hatte nicht die Kniefreiheit, die er aufgrund des größeren Sitzabstandes in der Premium Economy-​Klasse erwartet hatte und erwarten durfte. Insofern hatte die Beklagte auf die erläuternden Ausführungen des Klägers in den Schriftsätzen vom 28. und 29.01.2015, weshalb die Sitzlehne Auswirkungen auf die Kniefreiheit habe, nichts mehr erwidert, so dass das Vorbringen unstreitig wurde (§ 138 Abs. 2 u. 3 ZPO).

20. Eine Fristsetzung war hier entbehrlich, da für den streitgegenständlichen Flug entweder nur eine sofortige Abhilfe durch Umplatzierung in Betracht kam, die das vom Kläger angesprochene Personal aber nicht vornahm, oder eine Mängelbeseitigung durch Vollbelegung ausgeschlossen war.

21. Der Mangel des Sitzplatzes berechtigt den Kläger zu einer Minderung des Werklohns.

22. Der Kläger hatte für Hin- und Rückflug für sich und seine Ehefrau 2187,96 € bezahlt. Weil lediglich der Rückflug betroffen war, kann nur die anteilige Vergütung dieses Fluges einer Minderung zugeführt werden. Mangels anderer Anhaltspunkte beträgt die anteilige Vergütung die Hälfte des Gesamtpreises, also 1093,98 €. Eine weitere Halbierung ist vorzunehmen, weil sich der Flugpreis auf zwei Personen aufteilte, mithin 546,99 €. Abzüge wegen Steuern und dergleichen sind nicht geboten, weil sich der Preis der Werkleistung jedenfalls hier nach dem richtet, was der Kläger an die Beklagte insgesamt gezahlt hat. Soweit in der Buchungsbestätigung „Steuern, Gebühren und sonstige Zuschläge“ gesondert ausgewiesen sind, ist deren Erläuterung in den „Details“ vollkommen intransparent und nicht nachvollziehbar, da die einzelnen Positionen jeweils nur mit einer Aneinanderreihung von kryptischen Buchstabenkürzeln beschrieben werden.

23. Das Verhältnis, in dem die Vergütung gemäß § 638 Abs. 3 BGB herabzusetzen ist, bemisst das Gericht aufgrund der qualitativen und der quantitativen Ausgestaltung des Mangels mit 50 %, was 273,50 € entspricht. Anders als etwa in der Entscheidung vom 15.01.2014 muss gesehen werden, dass die Leiden des Klägers quasi den vollständigen Rückflug überdauerten, was eine höhere Minderungsquote rechtfertigt.

24. Da der Kläger die volle Vergütung bereits geleistet hat, ist die Beklagte zur Rückzahlung verpflichtet (§ 638 Abs. 4 S. 2, § 346 Abs. 1 BGB).

25. Zinsen sind ab Rechtshängigkeit geschuldet (§ 291, § 288 BGB).

26. Warum Verzug zum 03.09.2014 vorgelegen haben soll, ist nicht ersichtlich; der lapidare Vortrag einer Fristsetzung zum 02.09.2014 genügt jedenfalls nicht, um ihn einer rechtlichen Würdigung zuzuführen. Dasselbe gilt für die bloß pauschale Darlegung einer Anspruchsablehnung am 24.09.2014.

27. Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 92 Nr. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 708 Nr. 11, § 713 ZPO.

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