Abgrenzung von Annullierung und Verspätung
LG Berlin: Abgrenzung von Annullierung und Verspätung
Weil der von ihm gebuchte Flug einen Tag später als ursprünglich geplant ausgeführt wurde, verlangt ein Fluggast von seiner Airline eine Ausgleichszahlung wegen Flug-Annullierung nach Art. 7 der Verordnung 261/2004.
Das Landgericht Berlin hat die Klage abgewiesen. In einer verspäteten Durchführung des Fluges sei noch keine, zu einer Ersatzleistung berechtigende, Annullierung zu sehen.
LG Berlin | 52 S 369/06 (Aktenzeichen) |
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LG Berlin: | LG Berlin, Urt. vom 29.03.2007 |
Rechtsweg: | LG Berlin, Urt. v. 29.03.2007, Az: 52 S 369/06 |
AG Charlottenburg, Urt. v. 28.09.2006, Az: 211 C 54/06 | |
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Leitsatz:
2. Eine Annullirung liegt erst dann vor, wenn der Flug in seiner gesamten Eigenart gestrichen wird.
Zusammenfassung:
3. Ein Fluggast buchte bei einem Luftfahrtunternehmen einen Linienflug. Am Gate angekommen musste der Urlauber feststellen, dass sein Flug erst am nächsten Tag ausgeführt werden würde. Weil er nicht wie geplant befördert wurde, verlangt er nun von der Airline eine Ausgleichszahlung wegen Annullierten Fluges.
Das Landgericht Berlin hat die Klage abgewiesen. Grundsätzlich stehe Fluggästen im Falle der endgültigen Streichung ihres Fluges eines Entschädigungsleistung im Sinne von Art. 7 der VO zu. Vorliegend sei der Flug der Klägerin jedoch nicht annulliert worden, sondern habe sich lediglich um mehrere Stunden verspätet.
Maßgebliches Kriterium zur Abgrenzung von Verspätung und Annullierung sei die vollkommene Aufgabe der Airline, den Flug noch durchzuführen. Ändern sich Flugnummer, Flugzeug und die Liste der gebuchte Passagiere, so könne von einer Annullierung ausgegangen werden.
Für die Fälle einer bloßen Beförderungsverspätung seien diese Regelungen jedoch nicht anwendbar.
Tenor:
4. Die Berufung der Kläger gegen das am 28.09.2006 verkündete Urteil des AG Charlottenburg – 211 C 54/06 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
5. Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen, § 540 Abs. 1 ZPO.
Entscheidungsgründe:
6. Die zulässige Berufung ist unbegründet.
7. Zutreffend hat das AG entschieden, dass den Klägern der geltend gemachte Anspruch auf Leistung einer Ausgleichszahlung in Höhe von insgesamt 500,00 Euro gemäß 7 Abs. 1 b) VO (EG) Nr. 261/2004 nicht zusteht.
8. Denn die gemäß Art. 5 Abs. 1 c) VO (EG) Nr. 261/2004 für die Leistung einer Ausgleichszahlung vorausgesetzte Annullierung eines Fluges liegt schon nicht vor.
9. Eine Annullierung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 VO (EG) Nr. 261/2004 liegt vor, wenn der gebuchte Flug tatsächlich nicht durchgeführt wird. Dabei wird aus dem Zusammenspiel der Art. 5 und 6 sowie 7 VO (EG) Nr. 261/2004 deutlich, dass eine Verspätung durchaus auch dann vorliegen kann, „wenn die nach vernünftigem Ermessen zu erwartende Abflugzeit“ – wie hier – „erst am Tag nach der zuvor angekündigten Abflugzeit liegt“ (Art. 6 Abs. 1 ii VO (EG) Nr. 261/2004). Für diesen Fall ist der Anspruch auf Betreuungsleistungen gemäß Art. 9 Abs. 1 b) VO (EG) Nr. 261/2004 (Hotelunterbringung nebst Beförderung dorthin) vorgesehen. Daher müssen andere Abgrenzungskriterien als die Verschiebung der Abflugzeit in den nächsten Tag hinein gefunden werden. Diese hat das AG zutreffend in der Identität von Flugnummer, Flugzeug und gebuchten Passagieren gesehen. Denn die tatsächliche Nichtdurchführung eines Fluges setzt voraus, dass dieser Flug ersatzlos gestrichen wird. Hier ist aber unstreitig der gebuchte Flug am nächsten Tag mit einer Verspätung von 5 Stunden und 6 Minuten durchgeführt worden.
10. Hinzu kommt, dass die Beklagte bei einer Annullierung des Fluges verpflichtet gewesen wäre, Unterstützungsleistungen gemäß Art. 8 VO (EG) Nr. 261/2004 anzubieten (Art. 5 Abs. 1 a) VO (EG) Nr. 261/2004), was unstreitig nicht geschehen ist. Keine der Parteien trägt vor, dass den Passagieren angeboten worden wäre, ihnen die Flugscheinkosten zu erstatten oder einen Rückflug zum ersten Abflugort, anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen oder zu einem späteren Zeitpunkt zu organisieren). Nach dem Vortrag der Kläger wurden die Passagiere über Grund und Länge der Abflugverzögerung im Unklaren gelassen. Wäre demgegenüber klar gewesen, dass der Flug ersatzlos ausfällt, so hätten entsprechend Unterstützungshandlungen angeboten werden können und müssen.
11. Soweit die Kläger mit der Berufung geltend machen, §§ 631 ff. BGB seien nicht anwendbar, da die EG VO Nr. 261/04 lex specialis sei, hätte dies lediglich zur Folge, dass auch ein Anspruch gemäß § 638 Abs. 3 BGB ausschiede.
12. Auch der Hilfsantrag ist unbegründet. Auf die zutreffenden Ausführungen des AGs zur Vorlagepflicht im angefochtenen Urteil, die sich die Kammer zu eigen macht, wird Bezug genommen. Es besteht keine Veranlassung zu der begehrten Vorabentscheidung. Die Auslegung von Tatsachenfragen oder Sachverhalten und die Subsumtion unter entsprechende Begriffe (Verspätung/Annullierung) kann nicht durch den EuGH vorab entschieden werden. Vielmehr entscheidet der EuGH über Rechtsfragen. Hier geht es aber um Fragen der Rechtsanwendung im Einzelfall. Die Begriffe der Annullierung und der Verspätung sind in der VO (EG) Nr. 261/2004 eindeutig geregelt.
13. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
14. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
15. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 Abs. 2 ZPO.
16. Jedenfalls hat das AG aus zutreffenden und vollkommen überzeugenden Gründen, auf die verwiesen wird, die Vorlage abgelehnt, da die Auslegung des streitigen EU-Rechts offenkundig sei. Das AG hat in diesem Punkt alle Argumente zutreffend gewürdigt.
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