Verkehrssicherungspflichtverletzung bei einem Treppensturz eines Reisenden in einer Hotelanlage

LG Frankfurt: Verkehrssicherungspflichtverletzung bei einem Treppensturz eines Reisenden in einer Hotelanlage

Ein Reisender stürzt am vorletzten Tage seines Aufenthalts in einem Hotel auf Kreta auf einer Treppe, die von seinem Hotel zum Strand führt. Er fügt sich dabei gravierende Verletzungen zu und verklagt anschließend den Reiseveranstalter auf Schmerzensgeld, weil dieser seiner Verkehrssicherungspflicht in Bezug auf die Treppe nicht ordnungsgemäß nachgekommen sei.

Das Landgericht Frankfurt weist die Klage des Reisenden ab. Dieser habe es versäumt, den Mangel an der Treppe zu Anfang des Uralubs – der Kläger befand sich zum Zeitpunkt des Urteils bereits zwölf Tage in dem Hotel – beim Reiseveranstalter zu melden und diesem damit nicht die Möglichkeit zur Beseitigung des Schaden gegeben. Außerdem habe der Kläger die Treppe zum Unfallzeitpunkt bereits so oft genutzt, dass ihn die Gefahr hätte klar sein müssen.

LG Frankfurt 2-21 O 40/98 (Aktenzeichen)
LG Frankfurt: LG Frankfurt, Urt. vom 21.07.1998
Rechtsweg: LG Frankfurt, Urt. v. 21.07.1998, Az: 2-21 O 40/98
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Landgericht Frankfurt

1. Urteil vom 21. Juli 1998

Aktenzeichen 2-21 O 40/98

Leitsatz:

2. Der Reiseveranstalter haftet bei einem Unfall im Hotel nicht, wenn der Mangel an einer Einrichtung des Hotels, der den Unfall verursachte, vom Reisenden nicht rechtzeitig angezeigt wurde und dieser die Einrichtung zuvor nachweislich bereits genutzt hat.

Zusammenfassung:

3. Am vorletzten Tage seines Aufenthalts in einem Hotel auf Kreta stürzt ein Reisender auf einer Treppe, die von seinem Hotel zum Strand führt und verletzt sich dabei. Er verklagt den Reiseveranstalter auf Schmerzensgeld. Dieser sei seiner Verkehrssicherungspflicht in Bezug auf die Treppe nicht ordnungsgemäß nachgekommen und müsse deshalb für den Schaden haften.

Das LG Frankfurt urteilt, dass hier ein Anspruchsausschluß vorliegt. Dem Kläger konnte überwiegendes Mitverschulden nachgewiesen werden, weil er den Schaden an der Treppe nicht frühzeitig gemeldet hatte, obwohl er diese zum Unfallszeitpunkt erwiesenermaßen bereits vielfach benutzt hatte. Die Pflicht des Reiseveranstalters besteht in der Auswahl und regelmäßigen Kontrolle der Leistungsträger, wobei bei einer Hotelanlage sich diese Kontrolle unter anderem darauf erstreckt, ob der notwendige Sicherheitsstandard eingehalten wir.

Tenor:
4. Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 2.650,– DM vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

5. Der Kläger buchte bei der Beklagten eine Pauschalreise vom 28.08.1997 – 11.09.1997 nach Kreta; der Aufenthalt erfolgte im Kurhotel R M in Thalasso.

6. Am 10.09.1997 wollte der Kläger nochmals zum hoteleigenen Sandstrand gehen und benutzte hierfür eine Steintreppe, die von der Hotelanlage zum Sandstrand führt, der nur den Hotelgästen vorbehalten ist. Wegen der Konstruktion der Treppenanlage wird auf Bl. 20 d.A. (oberes Lichtbild) verwiesen.

7. Als der Kläger das Podest der unteren Stufe betrat und – in Gedanken und Eindrücken versunken – hiervon mit einem Bein auf den Strand treten wollte, trat er – da das Podest der untersten Stufe ca. 80 cm über dem Niveau des Sandstrandes endete – ins Leere, verlor dadurch das Gleichgewicht und stürzte.

8. Die Verletzungs- bzw. Unfallfolgen sind zwischen den Parteien streitig.

9. Der Kläger begehrt – unter Anrechnung einer Mithaftung von 50 % – von der Beklagten Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 12.000,– DM, Verdienstentgang aus abgetretenem Recht in Höhe eines Betrages von 14.633,18 DM sowie Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm, dem Kläger, jeglichen künftigen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit er nicht auf Versicherungsträger oder Dritte übergegangen ist.

10. Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte habe die ihr obliegenden Verkehrssicherungspflichten verletzt, da die Treppenanlage – wie das Lichtbild Bl. 20 d.A. erkennen lasse – mangelhaft gewesen sei. Er, der Kläger, sei, obwohl er die Konstruktion der Treppenanlage gekannt habe, in der entspannten Urlaubsatmosphäre sich der Gefahrensituation nicht bewußt gewesen; seine eigene Fahrlässigkeit lasse jedoch die grobe Verletzung der Sicherungspflichten durch die Beklagte nicht zurücktreten.

11. Der Kläger behauptet, er habe infolge des Sturzes eine schwere offene Unterschenkelspiralfraktur mit Auswirkungen auf das Sprunggelenk und Weichteilverletzungen erlitten. Er sei von Kreta in das Klinikum Großhadern in München überführt und dort 17 Tage in stationärer Behandlung gewesen. Bis Anfang Dezember 1997 habe er sich nur unter äußersten Schmerzen an Krücken fortbewegen können, bis heute sei er nach wie vor bewegungsbehindert. Es bestehe ein ständiger sehr schmerzhafter Zustand. Des weiteren sei er zweimal wöchentlich in ärztlicher und krankengymnastischer Behandlung und habe ab Beginn des Jahres 1998 mit einer ambulanten Rehabilitation begonnen, wobei er sich dreimal in der Woche dieser Behandlung unterziehen müsse. Die Schadensprognose sei unsicher, es werde in jedem Fall ein erheblicher Dauerschaden zurückbleiben. Die Metallentfernung sei für Ende 1998 vorgesehen.

12. Der Kläger beantragt,

13. 1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 12.000,– DM nebst 4 % Zinsen seit 10.10.1997 zu bezahlen,

14. 2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 14.633,18 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu bezahlen,

15. 3. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger jeglichen weiteren zukünftigen materiellen Schaden, soweit nicht auf Versicherungsträger oder Dritte übergegangen und den zukünftigen immateriellen Schaden zu ersetzen, der aus dem Unfall des Klägers vom 10.09.1997 in dem Kurhotel R M in Thalasso/Kreta resultiert unter Berücksichtigung einer Mithaftung des Klägers von 50 %.

16. Die Beklagte beantragt,

17. die Klage abzuweisen.

18. Sie ist der Ansicht, seitens des Reiseveranstalters bestehe keine Verpflichtung, sämtliche denkbaren Gefahrenquellen zu beseitigen; dies gelte insbesondere für solche Gefahrenquellen, die für den Reisenden – wie vorliegend – ohne besondere Mühe erkennbar seien. Insofern sei auch zu berücksichtigen, daß sich der Kläger – unstreitig – schon 14 Tage in der Anlage aufgehalten und die Situation der Treppenanlage gekannt und wahrgenommen habe.

19. Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger müsse sich ein Verschulden gegen sich selbst in Höhe von 100 % anrechnen lassen. Das Fehlverhalten, d.h. die Unaufmerksamkeit des Klägers, sei derart gravierend, daß ein überwiegendes Mitverschulden vorliege.

20. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst den beigefügten Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

21. Die Klage ist unbegründet.

22. Dem Kläger steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gegenüber der Beklagten zu.

23. Ein Anspruch auf Schadensersatz gegenüber der Beklagten gemäß §§ 651 f, 278, 398 BGB ist nicht gegeben.

24. Ein Anspruch gemäß § 651 f BGB scheitert schon daran, daß der Kläger die mangelhafte Konstruktion der zum hoteleigenen Sandstrand führenden Treppenanlage, die während des gesamten Urlaubsaufenthaltes bestanden hat, nicht angezeigt, bzw. deren Abhilfe verlangt hat.

25. Zwar ergibt sich das Erfordernis einer Mängelanzeige bzw. eines Abhilfeverlangens nicht aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 651 f BGB. Jedoch ist hiervon unter Berücksichtigung der schon bei Minderungsrechten der §§ 651 c – e BGB bestehenden Obliegenheiten des Reisenden als einer ungeschriebenen, selbstverständlichen Voraussetzung auch des Schadensersatzanspruches nach § 651 f BGB auszugehen, es sei denn, Abhilfe ist unmöglich, oder ein Schaden ist auch bei erfolgreicher Abhilfe nicht zu vermeiden (BGH NJW 1985, 132). Wie sich aus dem weiterhin von dem Kläger vorgelegten Lichtbild Bl. 20 d.A. ergibt, war die Schaffung von Abhilfe durchaus möglich; desweiteren ist davon auszugehen, daß bei entsprechender Abhilfe der Schaden nicht eingetreten wäre.

26. Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten weiterhin kein Anspruch auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld aus unerlaubter Handlung zu.

27. Durch die gegebene Treppenkonstruktion ist zwar eine Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten als Reiseveranstalter gegeben, da derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahr für Dritte schafft oder andauern läßt, grundsätzlich auch verpflichtet ist, zumutbare Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu vermeiden. Als Zustandsverantwortlichkeit trifft diese Verkehrssicherungspflicht den jeweiligen Eigenbesitzer oder Unterhaltspflichtigen, im vorliegenden Fall den Leistungsträger der Beklagten als Reiseveranstalter, mithin den örtlichen Betreiber der fraglichen Hotelanlage Royal Mare in Thalasso/Kreta.

28. Zwar haftet für dessen unerlaubte Handlung die Beklagte deliktsrechtlich nicht, da die Leistungsträger von Reiseveranstaltern im allgemeinen nicht als deren Verrichtungsgehilfen angesehen werden, weil es an der dafür erforderlichen Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit fehlt (BGH NJW 1988, 1380).

29. Unabhängig davon besteht jedoch eine eigene Verkehrssicherungspflicht der Beklagten als Reiseveranstalter, für deren Verletzung sie einzustehen hat. Die Pflicht der Beklagten besteht in der Auswahl und regelmäßigen Kontrolle der Leistungsträger, wobei bei einer Hotelanlage sich diese Kontrolle unter anderem darauf erstreckt, ob der notwendige Sicherheitsstandard eingehalten wird (BGH NJW 1988, 1380).

30. Eine Haftung der Beklagten scheitert jedoch unter dem Gesichtspunkt des dem Kläger anzulastenden Mitverschuldens (§ 254 BGB), das nach den Umständen des vorliegenden Falles so schwer wiegt, daß der von der Beklagten zu vertretende Verursachungsanteil demgegenüber vollständig zurücktritt.

31. Der Umstand, daß ein Podest das Niveau des Sandstrandes um bis zu ca. 80 cm überragt, bildet für sich genommen keine rechtlich relevante Gefahrenquelle. Jeder, der das Podest nutzen möchte, wird – wenn er nicht völlig sorglos ist – diesen Höhenunterschied wahrnehmen und sein Verhalten darauf einstellen. Demgegenüber ergab sich die Gefährlichkeit der zum Sandstrand führenden Treppenanlage daraus, daß der Benutzer einer Treppe üblicherweise eine gleichmäßige Stufenhöhe erwartet, die Gehbewegung darauf einrichtet und nicht ohne weiteres damit rechnet, daß die nach unten führende Treppe gleichsam mit einem Podest abschließt.

32. Dieses Risiko, das zur Wiederherstellung der Verkehrssicherheit Schutzvorkehrungen oder wenigstens ein Warnschild nötig gemacht hätte, bestand jedoch für den Kläger am Unfalltag nicht mehr.

33. Der Kläger hatte sich bis zum Unfall bereits 13 Tage in der Anlage aufgehalten und die Treppe schon mehrfach benutzt. Er wußte, daß von der untersten Stufe aus – in dem von oben kommend linksseitigen Bereich – bis zum Betreten des Sandstrandes ein nicht unerheblicher Höhenunterschied zu überwinden war und daß man deshalb besondere Vorsicht walten lassen mußte. Wenn er diese ihm bekannte Gefahrensituation in dem hier entscheidenden Moment nicht beachtet hat, weil er in Gedanken versunken war, so lag darin eine Form der Unaufmerksamkeit, vor deren Folgen auch verkehrssichernde Maßnahmen nicht vollständig schützen können.

34. Die gemäß § 254 BGB vorzunehmende Abwägung ergibt daher im vorliegenden Fall, daß eine Haftung der Beklagten in vollem Umfang entfällt.

35. Da der Kläger unterlegen ist, hat er die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO).

36. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 ZPO.

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