100 %-ige Stornokostenpauschale
OLG Nürnberg: 100 %-ige Stornokostenpauschale
Ein Verein für Verbraucherschutz klagt gegen einen privaten Reiseunternehmer auf Unterlassung. Der Beklagte hatte in seinen AGB einen Pauschalbeitrag für den Rücktrittsfall festgeschrieben. Der Kläger ist der Ansicht, diese Forderung benachteilige den Verbraucher auf unzumutbare Weise.
Das Oberlandesgericht Nürnberg hat dem Kläger Recht zugesprochen. Im Falle eines Reiserücktritts dürfe dem Verbraucher keine pauschale Gebühr auferlegt werden. Vielmehr müsse ihm die Möglichkeit gegeben werden, zu den Umständen des Rücktritts Stellung zu nehmen.
OLG Nürnberg | 3 U 1559/99 (Aktenzeichen) |
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OLG Nürnberg: | OLG Nürnberg, Urt. vom 20.07.1999 |
Rechtsweg: | OLG Nürnberg, Urt. v. 20.07.1999, Az: 3 U 1559/99 |
LG Nürnberg, Urt. v. 31.03.1999, Az: 3 O 8828/98 | |
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Leitsatz:
2. Die Forderung einer 100%-tigen Stornopauschale ist unzulässig.
Zusammenfassung:
3. Ein Verein zum Schutz von Verbraucherinteressen verklagt einen privaten Reiseveranstalter. Der Unternehmer nutzt in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Klausel, die es ihm erlaubt, im Falle eines Reiserücktritts durch den Urlauber, eine pauschale Stornierungsgebühr in Höhe von 100% einzufordern.
Der Kläger hält dieses Bedingung für unzulässig, da sie den Verbraucher ohne Rücksicht auf etwaige Rechtfertigungsgründe zur vollen Zahlung des Reisepreises verpflichte. Der Beklagte betrachtet die Klausel als rechtmäßig und sieht in ihr eine zulässige Mäglichkeit zur Schadensbegrenzung bei kurzfristigem Rücktritt.
Das Oberlandesgericht Nürnberg hat der Klage stattgegeben. Die Einforderung von Stornierungsgebühren sei grundsätzlich rechtmäßig und schütze den Unternehmer vor willkürlich herbeigeführten Vermögensschäden durch den Verbraucher. Die betroffene Klausel setze vorliegend allerdings eine Höhe von 100% des Reisepreises von vornherein fest.
Hiermit verstoße sie gegen § 11 Nr. 5 b AGB-Gesetz, denn sie schneide dem Kunden den Nachweis ab, daß ein Schaden oder eine Wertminderung überhaupt nicht entstanden oder wesentlich geringer als die Pauschale ausgefallen sei.
Sie widerspreche darüberhinaus der gesetzlichen Wertung des § 651 i Abs. 2, Abs. 3 BGB und benachteilige somit den Verbraucher entgegen dem Gebot von Treu und Glauben.
Tenor:
4. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des LGs Nürnberg-Fürth vom 31. März 1999 abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt,
es bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 500.000,–DM oder von Ordnungshaft bis zu 6 Monaten – Ordnungshaft auch für den Fall, daß das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann -, zu vollziehen an der Geschäftsführerin der Komplementärin der Beklagten,
zu unterlassen,
in Bezug auf Reiseverträge in Allgemeinen Geschäftsbedingungen die folgende oder eine ihr inhaltsgleiche Klausel zu verwenden, sofern dies nicht gegenüber einem Kaufmann im Rahmen seines Handelsgeschäfts geschieht:
„Unser pauschalierter Anspruch auf Rücktrittsgebühren beträgt pro Person: …. bei Nichtantritt 100 %“.
Dem Kläger wird die Befugnis zugesprochen, die Urteilsformel gemäß Ziffer I mit der Bezeichnung der Beklagten auf deren Kosten im Bundesanzeiger bekannt zu machen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte ist mit 3.300,– DM beschwert.
Der Streitwert des Verfahrens beträgt 3.300,–DM, zusammengesetzt aus
– Unterlassungsanspruch 3.000,–DM,
– Veröffentlichungsbefugnis 300,–DM.
Tatbestand:
5. Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe:
6. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des LGs Nürnberg-Fürth vom 31. März 1999 ist zulässig und begründet.
7. Die von der Beklagten als Veranstalter von Busreisen beim Abschluß von Reiseverträgen verwendete Klausel „Unser pauschalierter Anspruch auf Rücktrittsgebühren beträgt pro Person: … bei Nichtantritt 100 %“ stellt eine unangemessene Benachteiligung der Kunden dar. Sie weicht von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, nämlich von § 651 i BGB ab und ist daher gemäß § 9 Abs. 1, 2 Nr. 1 AGBG unwirksam.
8. Gemäß § 651 i BGB ist der Partner eines Reisevertrages berechtigt, jederzeit, also auch unmittelbar vor Antritt der Reise, vom Reisevertrag zurückzutreten. Macht er hiervon Gebrauch, verliert der Reiseveranstalter seinen Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis. An seine Stelle tritt eine angemessene Entschädigung. Anders als bei § 649 BGB fällt also der vertragliche Vergütungsanspruch weg. Daraus ist zu entnehmen, daß Pauschalen nach § 651 i Abs. 3 BGB im allgemeinen niedriger angesetzt werden müssen als bei einem Werkvertrag (vgl. Brandtner/Ulmer/Hensen, AGB-Gesetz, 8. Auflage, Anhang zu §§ 9 bis 11, Rd. 589). Der Reiseveranstalter muß sich nicht nur den böswillig unterlassenen, sondern jeden möglichen anderweitigen Erwerb sowie die ersparten Aufwendungen anrechnen lassen. Dies ist bereits bei der Bemessung der Pauschale zu berücksichtigen und nicht etwa erst bei zuzulassenden Einwendungen des Reisenden.
9. Die 100 %-ige Pauschale bewirkt in ihrer Konsequenz, daß die Beklagte abweichend von der gesetzlichen Regelung des § 651 i BGB ihren vollen Vergütungsanspruch für die Reise behält. Auch wenn dies nur für den Fall des Rücktritts von der Reise am Tage des vorgesehenen Reiseantritts gilt, stellt dies eine unangemessene Benachteiligung des Reisenden dar. Die Pauschalierung enthält keinerlei Differenzierung nach Haupt-, Zwischen- oder Nebensaison sowie nach der Beliebtheit des Reiseziels. Sie enthält auch keine Unterscheidung dahingehend, ob nur ein Zielort angefahren wird oder ob es sich um eine Rundreise mit mehreren Übernachtungsstätten handelt. Sie enthält schließlich auch keine Differenzierung bezüglich der einzelnen Kostenfaktoren, obwohl diese teilweise von der Zahl der tatsächlichen Reiseteilnehmer abhängen können. So dürften zwar die reinen Fahrtkosten (Bus und Fahrer) regelmäßig auch bei kurzfristigem Rücktritt einzelner Reisender gleichbleiben.
10. Dies gilt jedoch nicht mehr bei Kosten, die an den einzelnen Zielorten anfallen und von der Größe der Reisegruppe abhängen (z.B. Eintrittsgelder für Besichtigungen; Stadtführungen, Skipässe bei Fahrten in Wintersportorte u.ä.). Führungen und Eintritte mögen zwar in der Regel vorher bestellt werden, wie das LG annimmt. Daß sie aber schließlich unabhängig von der tatsächlichen Größe der Gruppe an Ort und Stelle auch entlohnt werden müßten, entspricht nicht den Kenntnissen des Senats. Schließlich erscheint es auch nicht vorstellbar, daß es der Beklagten als Reiseveranstalter bei einer Reise an einen beliebten Zielort etwa zur Hauptsaison nicht möglich sein sollte, auch kurzfristig Zimmerbestellungen zu stornieren. Dies wird insbesondere für Rundreisen hinsichtlich der zuletzt anzufahrenden Ziele der Fall sein.
11. Schließlich macht es der in den letzten Jahren sprunghaft steigende Anteil der „last-minute“ Buchungen wahrscheinlich, daß gelegentlich auch ganz kurzfristig stornierte Reisen vom Veranstalter noch anderweitig verwertet werden können (vgl. von Westphalen/Kappus, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Reise- und Hotelaufnahmebedingungen, Rd. 30). Daß diese Überlegungen nicht nur theoretischer Natur sind, zeigt die nicht angegriffene Pauschale von 55 % bei einem Rücktritt bis zu einem Tag vor dem Reiseantritt. Aus ihr folgt, daß es der Beklagten bei einem Rücktritt noch am Vortage des Reisebeginns möglich ist, Aufwendungen in nicht unerheblicher Höhe zu ersparen. Warum diese Möglichkeit völlig wegfallen sollte, sofern er einen Tag später, nämlich am Reisetag erklärt wird, ist nicht nachvollziehbar.
12. Die ohne jedwede Differenzierung versehene, auf volle Erstattung des Reisepreises ausgerichtete Pauschale benachteiligt somit den Reisenden in unangemessener Weise (vgl. hierzu MünchKomm./Tonner, 3. Auflage, § 651 i, Rd. 12). Sie ist gemäß § 9 Abs. 1 AGBG unwirksam.
13. Für den klägerischen Anspruch ist es unerheblich, daß die Beklagte die streitgegenständliche, allein auf Busreisen bezogene AGB nicht mehr verwendet. Regelmäßig – so auch hier – entfällt die Wiederholungsgefahr nur bei Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung. Diese wurde jedoch von der Beklagten nicht abgegeben.
14. Die Veröffentlichungsbefugnis des Klägers ergibt sich aus § 18 Satz 1 AGBG.
15. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
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