Verschuldungsunabhängige Haftung des Hotels

AG München: Verschuldungsunabhängige Haftung des Hotels

Die Klägerin verlangt von der beklagten Hotelbetreiberin eine Entschädigung für eine zerstörte Brille, sowie ein angemessenes Schmerzensgeld für Verletzungen, die sie sich in einem Hotelbadezimmer der Beklagten zugezogen hatte. Als die Kläger im Badezimmer des gebuchten Hotelzimmers duschen gehen wollte, zerbrach die Glasscheibe der Duschkabine, woraufhin die Klägerin am Körper verletzt und auch die Brille der Klägerin zerstört wurde.

Das Amtsgericht München hält die Klage für begründet.  Die Klägerin habe gem. § 536 a Abs. 1 BGB Ansprüche auf das Schmerzensgeld, weil der Vermieter für anfängliche Mängel der Mietsache ohne Verschulden dem Mieter auf Schadensersatz haften müsse. Die Klägerin könne auch für die beschädigte Brille gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB die Reparaturkosten verlangen, die ihr durch die Neuanschaffung der Gläser entstanden sind.

AG München 111 C 31658/08 (Aktenzeichen)
AG München: AG München, Urt. vom 02.08.2011
Rechtsweg: AG München, Urt. v. 02.08.2011, Az: 111 C 31658/08
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Amtsgericht München

1. Urteil vom 02. August 2011

Aktenzeichen: 111 C 31658/08

Leitsatz:

2. Hotelbetreiber haften verschuldungsunabhängig für Verletzungen der Rechtsgüter von Hotelgästen.

Zusammenfassung:

3. Die Klägerin buchte bei der Beklagten, einer Hotelbetreiberin, eine Übernachtung in einem  Hotel in München. Als die Kläger duschen gehen wollte, zerbrach die Glasscheibe der Duschkabine – laut Aussage der Klägerin gänzlich ohne Gewalteinwirkung – woraufhin die Klägerin am Körper verletzt wurde und operiert werden musste. Nach der Operation verblieb eine Narbe. Des weiteren wurde auch die Brille der Klägerin zerstört.

Die Klägerin verlangt nun von der beklagten Hotelbetreiberin eine Entschädigung für die zerstörte Brille, sowie ein angemessenes Schmerzensgeld für die erlittenen Verletzungen. Nach Ansicht der Beklagten habe diese jedoch ihre Verkehrssicherungspflicht nicht verletzt, weil die Duschkabine den entsprechenden Sicherheitsanforderungen entsprochen habe.

Das Amtsgericht München hält die Klage für überwiegend begründet.  Die Klägerin habe sowohl Ansprüche auf das Schmerzensgeld wie auch auf Schadensersatz für die beschädigte Brille. Diese Entscheidung gründe sich auf § 536 a Abs. 1 BGB. Der Vermieter hafte demnach für anfängliche Mängel der Mietsache ohne Verschulden dem Mieter auf Schadensersatz. Die Klägerin könne auch für die beschädigte Brille gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB die Reparaturosten verlangen, die ihr durch die Neuanschaffung der Gläser entstanden sind.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.908,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 9.12.2008 zuzüglich € 402,82 € vorgerichtliche Kosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 9.12.2008 zu bezahlen.

Es wird festgestellt dass die Beklagte verpflichtet ist der Klägerin sämtlichen künftigen materiellen und immateriellen Schaden aus dem Vorfall vom 3.7.2008 zu ersetzen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte 81% und die Klägerin 19%.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert wird auf 4.908,80 € festgesetzt.

Tatbestand:

5. Mit der Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld sowie Feststellung wegen einer zerborstenen Duschkabinenglasscheibe in einem Hotelzimmer.

6. Die Klägerin, Ordinaria und Direktorin der Poliklinik für Kieferorthopädie der Universität X1., übernachtete nach vorheriger Buchung vom 2. auf den 3.7.2008 in einem Zimmer der 2. Etage des 5 Sterne-Sofitel X3. Hotels in der B.-Straße … in X2. Vor der Duschkabine des Zimmers sowie vor dem danebenliegenden WC war eine bewegliche Glasscheibe angebracht. Am Morgen des 3.7.2008 kam es im Badezimmer des Hotelzimmers zu einer Zerstörung der Duschkabinenglasscheibe, wobei die Einzelheiten zwischen den Parteien streitig sind.

7. Die Klägerin behauptet, dass sie am Morgen des 3.7.2008 die Glastür zur Dusche habe öffnen wollen, um die Dusche zu betreten. Ohne jegliche Gewalteinwirkung von ihrer Seite sei plötzlich die Glastür explosionsartig geborsten. Durch die herumfliegenden kleinen und größeren Glassplitter sei sie im Gesicht als auch an der rechten wird verletzt worden. Ihre Brillengläser hätten irreparablen Schaden genommen. Die Anschaffung neuer Gläser kostete die Klägerin unstreitig 878,80 €. Wegen der weiteren Geschehnisse nach dem Vorfall aus Sicht der Klägerin und ihre Verletzungsfolgen wird auf die Klageschrift vom 27.11.2008 Bezug genommen.

8. Die Klägerin trägt vor, dass es sich um eine minderwertige Glastür gehandelt habe, bei der die gefahrlose Benutzung nicht gegeben gewesen sei.

9. Die Klägerin meint, von der Beklagten wegen Verletzung des Beherbergungsvertrages vor allem Schadensersatz für die Brille, eine Unkostenpauschale von 30 € sowie ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von ca. 3.000 € verlangen zu können. Ihr Feststellungsinteresse ergebe sich aus der Gefahr der Verschlechterung des Zustands der vernarbten rechten Hand der Klägerin.

10. Die Klägerin beantragt zuletzt:

11. 1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 908,80 € zu zahlen zuzüglich Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.7.2008.

12. 2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes, der Höhe nach in das gerichtliche Ermessen gestelltes Schmerzensgeld zu zahlen zuzüglich Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.7.2008.

13. 3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen künftigen materiellen und immateriellen Schaden aus dem Vorfall vom 3.7.2008 zu erstatten.

14. 4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Mahnkosten von € 402,82 zu zahlen zuzüglich Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz.

15. Die Beklagte beantragt:

16. Die Klage wird abgewiesen.

17. Die Beklagte bestritt, dass es beim Öffnen der Glasschiebetür zu einem explosionsartigen Bersten gekommen sei. Die Beklagte behauptet, dass es sich um ein den DIN-Vorgaben entsprechendes Sicherheitsglas gehandelt habe, welches ein verletzungssicheres Bruchverhalten mit kleinen stumpfen Krümeln aufweise. Die von der Klägerin angeführten Schnittverletzungen seien technisch nicht erklärbar. Es könne nicht durch herumfliegende Glassplitter zu Verletzungen der Klägerin und einer Beschädigung ihrer Brille gekommen sein. Diese Folgen wurden mit Nichtwissen bestritten. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Klageerwiderung vom 29.12.2008 Bezug genommen.

18. Die Beklagte ist der Ansicht, dass sie, da ein Mangel nicht gegeben sei, nicht aus § 536 a BGB hafte. Eine Verkehrssicherungspflicht habe sie nicht verletzt.

19. Das Gericht hat Beweis erhoben durch die uneidliche Vernehmung der Zeugen Dr. A. X4. Und Frau S. X5. Hinsichtlich des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme wird verwiesen auf das Protokoll vom 2.8.2011. Gemäß Beweisbeschluss vom 29.7.2009 hat der Sachverständige X6. Am 24.1.2011 ein schriftliches Gutachten erstattet, das dieser in der Sitzung vom 2.8.2011 mündlich erläutert hat. Auf das Gutachten vom 24.1.2011 und das Protokoll vom 2.8.2011 wird Bezug genommen.

20. Die Beklagte verkündete mit Schriftsatz vom 4.5.2011 der Dorint Hotel X7. X2. Dr. E. X8. KG aus X9. den Streit. Die Streitverkündete trat dem Rechtsstreit nicht bei.

21. Im Übrigen wird auf die Schriftsätze der Parteien sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe:

22. Die zulässige Klage hat zum größten Teil Erfolg.

I.

23. Die Klage ist zulässig. Das angerufene Gericht ist insbesondere sachlich und örtlich zuständig, §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG, 3, 12, 13 ZPO. Es besteht auch ein Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO für den Klageantrag Ziff. 3. Es genügt, dass künftige Schadensfolgen auch nur entfernt möglich sind (Zimmermann, ZPO, § 256 Rn. 9 m. w. N.), ihr Art und ihr Umfang, sogar ihr Eintritt aber noch ungewiss sind (Zöller, ZPO, § 256 Rn. 9) sind. Dass der Klägerin aus der behaupteten Fingerverletzung noch in diesem Sinne Schäden an den absoluten Rechtsgütern der Gesundheit und des Körpers drohen können, wurde hinreichend von ihr behauptet. Das lediglich pauschale Bestreiten der Beklagten in der Klageerwiderung ist unbeachtlich.

II.

24. Die Klage ist zum größten Teil begründet.

25. 1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz für die beschädigte Brille und auf Schmerzensgeld für die Verletzung am Finger.

26. a) In tatsächlicher Hinsicht geht das Gericht nach der durchgeführten Beweisaufnahme davon aus, dass sich das Geschehen so zugetragen hat, wie es die Klägerin schildert. Die Angaben der beiden vernommenen Zeugen, die ruhig, sachlich und ohne Belastungseifer gegenüber dem Hotel sowie im wesentlichen widerspruchsfrei zu den bisherigen, protokollierten Angaben die von ihnen wahrgenommenen Erlebnisse schilderten, begründeten eine Anfangswahrscheinlichkeit für die persönliche Anhörung der Klägerin. Der Zeuge Dr. X4., ein Kollege der Klägerin, der ebenfalls in der Nacht vom 2. auf den 3.7.2008 in dem Hotel nächtigte, bekundete, dass er von der Klägerin am Morgen des Vorfalls angerufen worden sei und gleich darauf zu ihr geeilt sei, so dass er in unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang den physischen und aufgeregten Zustand der Klägerin sowie den Zustand des Duschbereiches sah. Die Zeugin X10., eine für die Landeszahnärztekammer beratende Rechtsanwältin, sagte aus, dass sie die Klägerin noch am Tage des 3.7.2008 gesehen und gesprochen habe, als diese zur Durchführung von Fachärzteprüfungen erschien. Insbesondere konnten die Zeugen angeben, dass sie Verletzungen bzw. einen Verband oder Pflaster bei der emotional aufgewühlten Klägerin sahen und diese von einer explodierten Glasscheibe und der Beschädigung der Brille sprach. Der Zeuge Dr. X4. hat sogar selbst die Kratzer auf den Brillengläser gesehen. Beide Zeugen sind auch deshalb für das Gericht glaubwürdig, weil sie Umstände schilderten, die die Beklagte in einem günstigen Licht erscheinen lassen, indem der Zeuge Dr. X4. von der Hilfsbereitschaft und dem Verständnis des Hotelpersonals unmittelbar nach dem Vorfall berichtete und die Zeugin X10. von der Entschuldigung und den Entschädigungsangeboten der Beklagten bei dem geführten Telefonat. Außerdem zeigen die vom Zeugen Dr. X4. gefertigten Fotos den Zustand des Badezimmers mit kleinen und größeren Glasstücken der zerstörten Glasscheibe. Nach der in sich stimmigen und im Laufe der Jahre des andauernden Prozesses sich nicht widersprechenden Darstellung der Klägerin fasste diese die Glasscheibe, die sich vor der Dusche des Hotelzimmer befand, an, um sie beiseite zu schieben, um die Dusche betreten zu können. In diesem Moment explodierte die Glasscheibe, wobei sie in größere und kleine, mehr oder minder scharf- oder stumpfkantige Stücke zersprang. Die Glasstücke fielen zum Teil auf die nur mit einer Brille bekleidete Klägerin und führten zu Kratzern auf beiden Brillengläsern, kleineren Verletzungen an den Armen und im Gesicht sowie zu einer Schnittverletzung am rechten Zeigefinger. Die Klägerin hat weiterhin die anfangs vorgenommene ärztliche Versorgung geschildert, die durch den ärztlichen Befundbericht vom 17.7.2008 (Anlage K 5) belegt wird, sowie die Entwicklung einer rosinengroßen Verhärtung am Zeigefinger, die eine für die Klägerin schmerzhafte Operation mit einer einwöchigen Arbeitsunfähigkeit nach sich zog.

27. Ausweislich des Attestes der Universitätsklinik X1. vom 12.10.2008 wurde bei der Klägerin eine Revisionsoperation am rechten Zeigefinger durchgeführt, welche den Einsatz der rechten Hand vom 6.10. bis zum 12.10.2008 im Rahmen der Arbeit der Klägerin hinderte. Damit ist das Gericht davon überzeugt, dass es bei der Klägerin zu der Schnittverletzung kam, die nicht ohne weiteres ausheilte, sondern einen operativen Eingriff drei Monate nach dem Vorfall im Hotel erforderlich machte. Der rechte Zeigefinger der Klägerin weist nach drei Jahren immer noch eine sichtbare Narbe auf, wovon sich das Gericht in der mündlichen Verhandlung vom 3.8.2011 selbst einen Eindruck verschaffte. Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass die Klägerin seit dem Vorfall ein „Trauma“ mit Glasscheiben hat und solche nunmehr meidet. Dies hat die Klägerin erst auf Nachfrage des Gerichts vorsichtig und doch in einer emotional ergriffenen Art und Weise dargelegt.

28. Die Angaben der Klägerin werden auch nicht durch das eingeholte Sachverständigengutachten widerlegt. Der Sachverständige hat anschaulich und überzeugend dargelegt, dass es zu dem geschilderten Zerspringen einer Glasscheibe, selbst wenn es sich um Einscheibensicherheitsglas handelt, kommen kann, ohne dass es einer Gewalteinwirkung, die über die gewöhnliche Benutzungsart hinausgeht, bedarf.

29. b) In rechtlicher Hinsicht ergibt sich der Anspruch aus §§ 536 a Abs. 1, 249, 253 BGB.

30. Nach § 536 a Abs. 1 BGB, der auf den vorliegenden Hotelzimmermietvertrag zwischen den Parteien anwendbar ist (vgl. BGH NJW 1963, 1449), haftet der Vermieter für anfängliche Mängel der Mietsache ohne Verschulden dem Mieter auf Schadensersatz. Das von der Klägerin gemietete Hotelzimmer wies hier bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses einen die Tauglichkeit des Hotelzimmers beeinträchtigenden Mangel auf, da die zur Benutzung bestimmte Glasschiebetür in dem Duschbereich des Zimmers eine Gefahrenquelle darstellte, indem sie aus keinem  Verletzungsausschließenden Glas bestand. Eine Gefahrenlage in der Mietsache stellt einen Mangel dar (vgl. z. B. BGH NJW 1963, 1449 und Palandt, BGB, § 536 Rn. 22 mit Beispielen). Die Gefahr hat sich dann durch die gewöhnliche Benutzung der Klägerin, die die Beklagte nach dem geschlossenen Vertrag gefahrlos schuldete, verwirklicht. Es kann offen bleiben, ob die Duschtür aus Einscheibensicherheitsglas bestand, da es jedenfalls kein verletzungsausschließendes, sondern nur verletzungsminderndes Bruchverhalten hat, wie der Sachverständige in seinem Gutachten und mündlich für das Gericht in der Sache nachvollziehbar geschildert hat. Insofern schadet es nicht, dass es laut Sachverständigen keine Regelwerke gibt, die bei Bauten mit Glasteilen Verbundscheibensicherheitsglas, welches verletzungsausschließendes Bruchverhalten hat, verlangen. Es besteht unabhängig von einer Normierung die Pflicht des Vermieters, die Mietsache nur mit solchen Gebrauchsgegenständen zu versehen bzw. mit teilen zu bauen, die bei gewöhnlicher Benutzung Verletzungsrisiken für den Mieter ausschließen. Denn es ist die vereinbarte Beschaffenheit maßgeblich – hier die gefahrlose Nutzung der Einrichtungen des Hotelzimmers –und nicht die Einhaltung bestimmter technischer Normen (vgl. Palandt, BGB, § 536 Rn. 16). Dies muss umso mehr deshalb gelten, da es sich vorliegend um ein Hotel der Luxusklasse handelte, bei dem die Gäste berechtigterweise erhöhte Ansprüche stellen dürfen. Außerdem hat der Sachverständige ausgeführt, dass eine Entwicklung dahin festzustellen sei, dass in öffentlichen Gebäuden immer mehr Verbundscheibensicherheitsglas verwendet wird. Diese Veränderung bei einem Gebäudetyp, der hinsichtlich des Gebrauchs durch eine unbestimmte Vielzahl von Personen mit einem Hotel vergleichbar ist, deutet auf die Entwicklung höherer technischer Standards hin.

31. Mangels Entscheidungserheblichkeit wurde von der Vernehmung des von der Beklagten benannten Zeugen D. abgesehen; es spielt wie dargelegt für die Entscheidung keine Rolle, ob Einscheibensicherheitsglas verwendet wurde und ob die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 15.6.2011 vorgelegten Lichtbilder tatsächlich den Zustand des Hotelzimmers gerade der Klägerin zeigen.

32. c) In Bezug auf die Rechtsfolge kann die Klägerin für die beschädigte Brille gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB die Kosten verlangen, die ihr durch die Neuanschaffung der Gläser entstanden sind. Dies waren hier unstreitig nach der vorgelegten Rechnung der Firma X11. vom 29.10.2008 (Anlage zum Schriftsatz vom 14.1.2009) 878,80 €.

33. Die Klägerin kann für den Aufwand der Schadensabwicklung ohne weitere Spezifizierung eine Unkostenpauschale von 30 € verlangen (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, § 249 Rn. 79). Die Höhe hat das Gericht geschätzt, § 287 ZPO.

34. Schmerzensgeld war der Klägerin in Höhe von 2.000 € als immaterieller Schaden gem. § 253 Abs. 2 BGB zuzusprechen. Dabei hat das Gericht folgende Umstände berücksichtigt: Zwar folgt die Haftung aus einer verschuldensunabhängigen Norm, jedoch ist es nach Schadensersatzreform von 2002 für die Bemessung des Schmerzensgeldes in der Regel gleichgültig, ob der Schädiger aus Gefährdungs- oder Verschuldenshaftung einstehen muss, da sonst der Zweck der Reform, die Vereinfachung der Schadensregulierung, verfehlt würde, wenn die für die Entscheidung über die Anspruchsgrundlagen entbehrliche Beweiserhebung über das Verschulden zur Bemessung der Schmerzensgeldhöhe doch durchgeführt werden müsste (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, § 253 Rn. 4). Die Klägerin, die in ihrem Beruf als Kieferorthopädin der Natur der Sache nach auf funktionsfähige Finger angewiesen ist, erlitt neben den Kratzern an dem Zeigefinger der rechten Hand eine Schnittverletzung, die zunächst ärztlich einfach versorgt werden konnte, dann jedoch eine rosinengroße Verdickung entwickelte, so dass eine Operation notwendig wurde, die für die Klägerin schmerzhaft war. Sie konnte eine Woche ihren Beruf nicht ausüben. An ihrem Finger ist immer noch eine Narbe zu sehen. Andererseits hat die Klägerin derzeit keine Bewegungseinschränkungen; jedoch ist der Vorfall für die Klägerin immer noch gegenwärtig, da sie Glastüren meidet, da sie ein „Trauma“ habe.

35. Ein Mitverschulden der Klägerin nach § 254 BGB ist nicht gegeben, da ihr bereits aufgrund des üblichen Bedienens der Schiebeglasscheibe, von dem Gericht nach der Beweisaufnahme überzeugt ausgeht, kein Sorgfaltsverstoß vorgeworfen werden kann.

36. 2. Der Feststellungsantrag ist begründet. Wie dargelegt, haftet die Beklagte der Klägerin auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Da angesichts der Art der Verletzung und insbesondere der Art der beruflichen Tätigkeit der Klägerin, bei der sie ständig ihre Hände für filigrane Arbeiten benötigt, zukünftige Beeinträchtigungen nicht ausgeschlossen sind, war die Einstandspflicht der Beklagten für zukünftige materielle und immaterielle Schäden festzustellen.

37. 3. Nebenforderungen kann die Klägerin von der Beklagten verlangen; allerdings nicht vollständig in dem beantragten Umfang.

38. Soweit die Klägerin Verzugszinsen in Ziff. 1 und 2 der Klageanträge ab dem 22.7.2008 verlangt, ist ein Verzug zu diesem Zeitpunkt nicht gegeben. Die Klägerin stützt sich auf ein Anwaltsschreiben vom 14.7.2008 mit Fristsetzung zum 21.7.2008, indem die Beklagte aufgefordert wurde, ihre Schadensersatzverpflichtung dem Grunde nach anzuerkennen. Dies ist keine Mahnung im Sinne von § 286 Abs. 1 S. 1 BGB, weil es an einer eindeutigen Aufforderung zur Leistung fehlt. Der vorliegende Fall ist vielmehr mit einer Aufforderung, sich über die Leistungsbereitschaft zu erklären, vergleichbar, welche gerade nicht für eine Mahnung genügt (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, § 286 Rn. 17 m. w. N.). Eine ernsthafte und endgültige Leistungsverweigerung der Beklagten im Sinne von § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB wurde nicht dargelegt. Zum einen genügt das schlichte Zurückweisen einer Haftung als „letztes Wort“ nicht aus; zum anderen wurde seitens der Klägerin kein konkretes Datum der Zurückweisung angegeben. Weiterhin wären bei einem betragsmäßig unbestimmten Anspruch – hier das Schmerzensgeld – ein Vortrag von konkreten Tatsachen zur Höhe erforderlich (Palandt-Grüneberg, BGB, § 286 Rn. 19 m. w. N.). Dass ein solcher Vortrag in dem Anwaltsschreiben erfolgte, wurde nicht dargelegt und ist auch sonst nicht ersichtlich. Zinsen kann die Klägerin daher erst ab Rechtshängigkeit aus §§ 291, 187 Abs. 1 BGB verlangen. Die Zustellung der Klage erfolgte hier ausweislich der Postzustellungsurkunde am 8.12.2008, so dass sich als Zinszeitpunkt der 9.12.2008 ergibt.

39. Die vorgerichtlichen Anwaltskosten können im Rahmen des Schadensersatzes als erforderliche Rechtsverfolgungskosten von der Beklagten verlangt werden (§ 249 BGB). Bei einem Gegenstandswert von 3.908,30 € und einer Geschäftsgebühr von 1,3 plus Auslagenpauschale plus Mehrwertsteuer, die durch das Tätigwerden des Anwalts angefallen sind, sind die beantragten 402,82 € der Klägerin zuzusprechen. Zinsen aus diesem Betrag kann die Klägerin wiederum ab Rechtshängigkeit, also ab 9.12.2008, gem. §§ 291, 187 Abs. 1 BGB verlangen. Der Antrag Ziff. 4 enthält zwar kein Datum, ab dem Zinsen gefordert werden, er ist jedoch dahin auszulegen, dass ab dem frühest möglichen Zeitpunkt Zinsen beantragt werden. Dies ist hier die Rechtshängigkeit.

40. Infolgedessen war die Klage teilweise hinsichtlich der Zinses abzuweisen. Eines Hinweises bedurfte es nicht, da es sich um Nebenforderungen handelte, § 139 Abs. 2 ZPO.

III.

41. 1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Bei Bildung eines fiktiven Streitwerts mitsamt den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten (5.311,62 €) ergibt sich ein Unterliegen der Beklagten mit 81% (4.311,62 €) und der Klägerin mit 19%.

42. 2. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

43. 3. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 3, 5 ZPO. Antrag Ziff. 1 hat einen Streitwert von 908,80 €. Antrag Ziff. 2 bemisst das Gericht mit dem geforderten Mindestbetrag von 3.000 €. Den Wert des Feststellungsantrag Ziff. 3 schätzt das Gericht unter Berücksichtigung eines Abschlags auf 1.000 €. Antrag Ziff. 4 bleibt gem. § 4 ZPO außer Betracht, da es sich um Nebenforderungen handelt.

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