Tatsächlich ausführendes Luftfahrtunternehmen

AG Frankfurt: Tatsächlich ausführendes Luftfahrtunternehmen

Die Kläger machen gegen die Beklagte, ein Luftfahrtunternehmen, Ansprüche auf Ausgleichszahlungen wegen einer Flugverspätung im Sinne des Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 geltend. Die Kläger hatten einen Flug gebucht, der erst mit einer Verspätung von rund 4,5 Stunden durchgeführt wurde. Die Beklagte sieht sich jedoch nicht haftungspflichtig, weil der Flug nicht mit einem ihrer Fluggeräte durchgeführt wurde.

Das Amtsgericht Frankfurt hält die Klage für begründet. Die Kläger hätten Anspruch auf Ausgleichszahlungen gem. Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004. Die Beklagte sei als das ausführendes Luftfahrtunternehmen gem. Artikel 2 b) VO (EG) Nr. 261/2004 zu werten, weil der Flug unter einer Flugnummer der Beklagten durchgeführt worden sei. Wem die betreffende Maschine gehörte ist dagegen unerheblich.

AG Frankfurt 31 C 2809/11 (78) (Aktenzeichen)
AG Frankfurt: AG Frankfurt, Urt. vom 29.03.2012
Rechtsweg: AG Frankfurt, Urt. v. 29.03.2012, Az: 31 C 2809/11 (78)
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Amtsgericht Frankfurt

1. Urteil vom 29. März 2012

Aktenzeichen: 31 C 2809/11 (78)

Leitsatz:

2. Bei der Durchsetzung von Ausgleichsansprüchen im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 sei auf das tatsächlich durchführende Luftfahrtunternehmen abzustellen, wobei irrelevant ist, wer Eigentümer des dazu eingesetzten Luftfahrtgerätes ist.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger buchten einen Flug bei der Beklagten, einem Luftfahrtunternehmen, welcher erst mit einer Verspätung von rund 4,5 Stunden durchgeführt wurde. Der Flug erfolgte unter einer Flugnummer der Beklagten. Daraufhin machten die Kläger ihre Ansprüche auf Ausgleichszahlungen wegen der Flugverspätung im Sinne des Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 geltend. Die Beklagte sieht sich hingegen nicht haftungspflichtig, weil der Flug nicht mit einem ihrer Fluggeräte durchgeführt wurde.

Das Amtsgericht Frankfurt hat den Klägern die Ausgleichszahlung zugesprochen und vertritt die Auffassung, dass bei der Durchsetzung der Ausgleichsansprüche auf das tatsächlichausführende Luftfahrtunternehmen gem. Artikel 2 b) VO (EG) Nr. 261/2004 abgestellt werden soll. Die Beklagte sei als das ausführende Luftfahrtunternehmen zu werten.

Entscheidend ist für diese Einschätzung, wer sich für die tatsächliche Durchführung eines Fluges verantwortlich zeigt und das operationelle Risiko trägt. Der maßgeblich Anhaltspunkt hierfür sei, unter wessen Flugnummer das Flugzeug fliegt. Vorliegend wurde der Flug unstreitig unter der Flugnummer der Beklagten durchgeführt. Wem die betreffende Maschine gehörte ist dagegen unerheblich.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1), an die Klägerin zu 2), an den Kläger zu 3) und an den Kläger zu 4) jeweils EUR 600,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz hieraus seit dem 31.07.2011 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert des Rechtsstreits wird auf EUR 2.400,00 festgesetzt.

Tatbestand:

5. Die Kläger nehmen die Beklagte auf Zahlung von Ausgleichsleistungen gemäß der EG-VO Nr. 261/2004 wegen nicht ordnungsgemäß erbrachter Flugleistungen in Anspruch.

6. Die Kläger buchten bei der Beklagten einen Flug von Frankfurt (FRA) nach Victoria (SEZ).

7. Die Buchung wurde bestätigt.

8. Geplanter Abflug war am 15.04.2011 um 20:25 Uhr.

9. Geplante Ankunft war am 16.04.2011 um 07:00 Uhr.

10. Tatsächlicher Abflug war am 16.04.2011 um 01:55 Uhr.

11. Tatsächliche Ankunft war zumindest 4 Std. 35 Min. nach der geplanten Ankunftszeit.

12. Die Entfernung zwischen Frankfurt/Main und Victoria beträgt 7.616 km.

13. Dieser Flug sollte von der Beklagten als ausführenden Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden. Insoweit etwaig – was streitig ist – der Flug sodann mit einer Maschine der Firma … durchgeführt wurde, so erfolgte dieses nur aufgrund des Umstandes, dass an dem ursprünglich vorgesehenen Fluggerät der Beklagten ein Defekt auftrat (was ebenfalls streitig ist).

14. Der Flug wurde unter einer Flugnummer der Beklagten durchgeführt.

15. Die Kläger beauftragten den Rechtsdienstleister … mit der Geltendmachung von Ausgleichleistungen. Hinsichtlich der aktuellen AGB der … wird auf die Abschrift Bl. 43 – 45 d.A. verwiesen.

16. Dieser forderte die Beklagte mit Schreiben vom 20.07.2011 zur Zahlung von EUR 2.400,00 auf.

17. Mit Schreiben vom 19.08.2011 wies die Beklagte Ansprüche zurück. Dieses Schreiben endet wie folgt: „Wir weisen vorsorglich darauf hin, dass die Ablehnung der Ansprüche endgültig ist und die Beauftragung ihrer Partneranwälte … in dieser Angelegenheit daher nicht erforderlich und zweckentsprechend wäre“.

18. Die Kläger beantragen:

19. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 1), an die Klägerin zu 2), an den Kläger zu 3) und an den Kläger zu 4) jeweils EUR 600,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz hieraus seit dem 31.07.2011 sowie je zu 1A EUR 311,19 Verzugsschaden zu zahlen.

20. Hilfsweise:

21. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 1), an die Klägerin zu 2), an den Kläger zu 3) und an den Kläger zu 4) jeweils EUR 600,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz hieraus seit dem 31.07.2011 sowie je zu 1/4 EUR 311,19 Verzugsschaden zu zahlen und die Kläger von der Forderung der … in Höhe der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG sowie der Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG von insgesamt EUR 311,19 freizustellen.

22. Die Beklagte beantragt,

23. die Klage abzuweisen.

24. Die Beklagte behauptet,

25. dass der Flug mit einem Fluggerät der Firma … durchgeführt wurde. Die Beklagte ist weiter der Ansicht, etwaige Ansprüche der Kläger seien analog Art. 7 Abs. 2a EGV 261/2004 um die Hälfte zu kürzen. Die Beklagte ist weiter der Ansicht, dass eine Beauftragung von Rechtsanwälten mit einer außergerichtlichen Geltendmachung der Forderung nicht zweckmäßig gewesen sei und Rechtsanwaltskosten aufgrund der engen Verbindung der Rechtsanwälte mit der … nicht erstattungsfähig sind. Sie ist der Ansicht, dass aufgrund der Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses mit der … den Klägern auch kein Schaden entstanden sei.

26. Die Beklagte erklärt die Anrechnung gemäß Art. 12 Abs. 1 EGVO 261/2004 hinsichtlich der geltend gemachten vorgerichtlichen Gebühren und etwaiger Schadensersatz- oder Minderungsansprüche.

27. Der Beklagten wurde im Termin am 13.02.2012 Schriftsatznachlass auf neues tatsächliches Vorbringen der Klägerseite aus deren Schriftsatz vom 06.02.2012 bewilligt. Hierauf hin bestreitet die Beklagtenseite mit Schriftsatz vom 27.02.2012 unter anderem die „Sachbefugnis“ der Kläger.

28. Nach mündlicher Verhandlung am 13.02.2012 hat die Klägerseite mit Schriftsätzen vom 05.03.2012 und 16.03.2012 (Bl. 112-119 d.A.) weiteren Vortrag gehalten.

29. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf alle Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und sonstigen Aktenbestandteile Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

30. Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.

I.

31. Das Amtsgericht Frankfurt am Main ist als Abflugsort des gegenständlichen Flugs örtlich zuständig gemäß § 29 ZPO.

32. Gemäß der Entscheidung des EUGH vom 09.07.2009 ist Art. 5 Nr. 1, lit. B zweiter Gedankenstrich der Verordnung EG Nr. 44/2001 dahin auszulegen, dass im Fall einer Beförderung von Personen im Luftverkehr von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat auf der Grundlage eines mit einer einzigen Luftfahrtgesellschaft, dem ausführenden Luftfahrtunternehmen, geschlossenen Vertrags für eine auf diesen Beförderungsvertrag und die Verordnung Nr. 261/2004 gestützte Klage auf Ausgleichszahlungen nach Wahl des Klägers das Gericht des Ortes des Abflugs oder das des Ortes der Ankunft des Flugzeugs entsprechend der Vereinbarung dieser Orte in dem Vertrag zuständig ist.

33. In Anwendung dieser Grundsätze hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 18.01.2011 (Aktenzeichen X ZR 71/10 zu finden in juris) entschieden, dass für den Fall, dass ein Ausgleichsanspruch nach der Fluggastrechteverordnung der Europäischen Union gegen ein Luftverkehrsunternehmen geltend gemacht werden soll, mit dem der Fluggast den Beförderungsvertrag geschlossen hat, unabhängig vom Vertragsstatut Erfüllungsort im Sinne des § 29 ZPO sowohl der Ort des vertragsgemäßen Abflugs als auch der Ort der vertragsgemäßen Ankunft des Flugzeugs. Denn auch der gegenständliche Anspruch ist entgegen der Ansicht der Beklagten ein Anspruch „aus einem Vertragsverhältnis“ im Sinne von § 29 ZPO.

34. Hierzu hat der Bundesgerichtshof in der angeführten Entscheidung wie folgt ausgeführt:

35. „Das Erfordernis „aus einem Vertragsverhältnis“ ist weit auszulegen (Stein/Jonas/Roth, aaO, § 29 Rn. 5) und schon dann erfüllt, wenn die Streitigkeit im Zusammenhang mit einem Vertrag steht und aus dem Vertragsverhältnis herrührt (MünchKomm/Patzina, aaO, § 29 Rn. 11). Bei den von den Klägern geltend gemachten Mindestrechten im Falle der Annullierung eines Flugs handelt es sich zwar um gesetzliche Ansprüche, die nicht aus dem Beförderungsvertrag folgen, den der Fluggast etwa mit dem Luftfahrtunternehmen abgeschlossen hat. Vielmehr richten sich die dem Fluggast eingeräumten Ansprüche gegen das ausführende Flugunternehmen, mit dem vertragliche Beziehungen nicht notwendigerweise bestehen müssen (BGH, Urteil vom 12. November 2009 – Xa ZR 76/07, RRa 2010, 34 Rn. 18; Urteil vom 28. Mai 2009 – Xa ZR 113/08, RRa 2009, 242 Rn. 9; Urteil vom 30. April 2009 – Xa ZR 78/08, RRa 2009, 239 Rn. 13). Dennoch handelt es sich um einen Anspruch auf vertraglicher Grundlage, denn Voraussetzung für die Anwendung der Verordnung ist gemäß deren Art. 3 Abs. 2 Buchst, a, dass die Fluggäste über eine bestätigte Buchung verfügen, was regelmäßig das Bestehen eines Beförderungsvertrags voraussetzt – sei es mit dem ausführenden Luftfahrtunternehmen, sei es mit einem anderen Unternehmen, für das jenes die Beförderungsleistung erbringt (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2009 – Xa ZR 61/09, RRa 2010, 90 Rn. 22; Urteil vom 12. November 2009 – Xa ZR 76/07, RRa 2010, 34 Rn. 18).“

36. Das Gericht schließt sich diesen Ausführungen vollumfänglich an.

II.

37. Die Klage ist teilweise begründet.

1.

38. Die Kläger haben gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von Ausgleichsleistung in Höhe von jeweils EUR 600,00 gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c) in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Satz 1 lit. c), Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 (VO (EG) Nr. 261/2004). Danach ist dem betroffenen Fluggast bei Annullierung eines Fluges eine Ausgleichsleistung zu erbringen, die im vorliegenden Fall aufgrund der gemäß Art. 7 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr. 261/2004 zu berechnenden Entfernung EUR 600,00 beträgt. Es kann hierbei zunächst dahinstehen, ob es sich um eine Annullierung oder große Verspätung des gebuchten Fluges handelt, denn auch bei einer großen Verspätung, welche zumindest bei einer Abflugverzögerung von über 3 Stunden – wie vorliegend – und einem Erreichen des Endziels später als 3 Stunden nach der geplanten Ankunftszeit – wie vorliegend – vorliegt, steht dem Flugpassagier ein entsprechender Ausgleichsanspruch zu (vgl. BGH Urteil vom 18.02.2010, Aktenzeichen Xa ZR 95/06 sowie EuGH Urteil vom 19.11.2009, Aktenzeichen C-402/07, jeweils zu finden in juris).

39. Eine bestätigte Buchung im Sine von Art. 2 Abs. 1 a) der VO (EG) Nr. 261/2004 liegt unstreitig vor. Die Beklagtenseite verkennt insoweit wiederholt, dass es kein Erfordernis der Schlüssigkeit einer Klage ist, dass eine bestätigte Buchung „vorgelegt“ wird, sondern, dass es dargetan wird, dass eine bestätigte Buchung „vorliegt“. Die Beklagtenseite missversteht diesbezüglich den Inhalt der von ihr herangezogenen Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf vom 16.07.2010 (Aktenzeichen 22 S 311/09) wo gerade ebenso ausgeführt wird, dass das „Vorliegen“ einer bestätigten Buchung nicht dargetan ist, was gerade auf den notwendigen Tatsachenvortrag abstellt. Keineswegs soll hiernach die „Vorlage“ einer bestätigten Buchung Anspruchsvoraussetzung sein.

40. Eine Vorlage dieser Buchungsbestätigung kann allenfalls im Fall einer Beweisbedürftigkeit dieser Tatsache von Relevanz sein.

41. Ebenso völlig unerheblich ist, ob es sich bei der von der Klägerseite angegebenen Buchungsnummer um eine Buchungsnummer der Beklagten handelt.

42. Die ebenso standardisierte allgemeine Ausführung der Beklagtenseite, dass mitgeteilt wird, dass keine Nachweise für eine angebliche Anspruchsberechtigung vorgelegt werden, ist ebenso unbehelflich, nachdem unstreitige Tatsachen gerade keines Nachweises (richtigerweise wohl Beweises) bedürfen.

43. Das erstmalige Bestreiten der Beklagten hinsichtlich einer „Sachbefugnis“ der Kläger mit Schriftsatz vom 27.02.2012 ist gemäß § 296a ZPO nicht berücksichtigungsfähig. Ein Schriftsatznachlass wurde nur zu neuem tatsächlichem Vorbringen aus dem Schriftsatz der Klägerseite vom 06.02.2012 bewilligt. Dieser enthält keinerlei neues tatsächliches Vorbringen, welches nunmehr erstmals zu einem Bestreiten der „Sachbefugnis“ führen könnte. Die entsprechenden Ausführungen der Beklagtenseite hierzu sind mangels jeglicher Substanz auch nicht verwertbar. Es ist nicht ansatzweise dargetan, wodurch die unstreitig grundsätzlich aktivlegitimierten

Kläger ihre Aktivlegitimation verloren haben könnten.

2.

44. Bei der Beklagten handelt es sich auch um das „ausführende Luftfahrtunternehmen“ im Sinne von Artikel 2 b) VO (EG) Nr. 261/2004.

45. Der pauschale Vortrag der Beklagten, dass die Firma .. „ausführender Luftfrachtführer“ sei, ist zunächst als reine rechtliche Ausführung mangels jeglichen nachvollziehbaren Tatsachenkerns unerheblich. Auf die Frage wer „ausführender Luftfrachtführer“ war, kommt es auch schlicht nicht an.

46. Die hier maßgebende Verordnung (EG) 261/2004 verwendet nicht den Begriff des „Luftfrachtführers“ oder „ausführenden Luftfrachtführers“, sondern den Begriff des „ausführenden Luftfahrtunternehmens“, welcher in Art. 2b der Verordnung ausdrücklich definiert ist (vgl. OLG Frankfurt, 16. Zivilsenat, Beschluss vom 14.02.2007, Aktenzeichen: 16 U 216/06).

47. Hiernach ist „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ ein Luftfahrtunternehmen, „dass im Rahmen eines Vertrags mit einem Fluggast oder im Namen einer anderen – juristischen oder natürlichen – Person, die mit dem betreffenden Fluggast in einer Vertragsbeziehung steht, einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt“.

48. Unstreitig war vorliegend die Beklagte persönlich zur Durchführung des gegenständlichen Fluges verpflichtet. Ebenso war eine Durchführung durch die Beklagte unstreitig auch beabsichtigt. Anderweitiges ist seitens der Beklagten weder dargetan, noch anhand der vorliegenden Buchungsunterlagen ersichtlich. Insbesondere liegt kein Fall eines sogenannten offenen codesharings vor, bei welchem es bereits bei Vertragsschluss ersichtlich und geplant ist, dass der Flug von einem anderweitigen Luftfahrtunternehmen tatsächlich durchgeführt wird. Es besteht hiernach bereits ein Anschein, dass der Flug auch tatsächlich von der Beklagten als „ausführenden Luftfahrtunternehmen“ durchgeführt wurde.

49. Entgegen dem Vorbringen der Beklagten ist es auch nicht erheblich, ob der Flug sodann nach einem Defekt an der disponierten Maschine der Beklagten mit einem Fluggerät der Firma … durchgeführt wurde. Wer Betreiber des eingesetzten Fluggerätes ist, ist für die Frage, wer den Flug im Sinne von Artikel 2 b) VO (EG) Nr. 261/2004 durchführt, nicht erheblich.

50. Entscheidend ist, wer sich für die tatsächliche Durchführung des Fluges verantwortlich zeigt und im Ergebnis das operationelle Risiko trägt. Maßgeblich Anhaltspunkt hierfür ist, unter wessen Flugnummer das Flugzeug fliegt. Vorliegend wurde der Flug unstreitig unter der Flugnummer der Beklagten durchgeführt.

51. Es ist hiernach unerheblich, ob die sodann aufgrund eines eingetretenen Defekts eingesetzte Flugmaschine von der Firma … stammt, sei es, weil diese z.B. nach einem Defekt in Form des sogenannten „Dry-Lease“ von der Firma … angemietet wurde.

52. Selbst für den Fall eines sogenannten „Wet-Lease“, welcher seitens der Beklagten trotz Hinweises der Klägerseite auf die mangelnde Substanz des Vorbringens der Beklagten nicht dargetan ist, d.h. in einem Fall, wo neben der Maschine auch das Cockpit- und Kabinenpersonal angemietet wurde, würde sich nichts anderes ergeben. Denn auch in diesem Fall würde der Flug weiter unter der Flugnummer und dem operationellen Risiko der anmietenden Fluggesellschaft durchgeführt, so dass die anmietende Fluggesellschaft weiterhin als ausführendes Luftfahrtunternehmen im Sinne von Artikel 2 b) VO (EG) Nr. 261/2004 anzusehen ist.

53. Entsprechendes folgt auch direkt aus der VO (EG) Nr. 261/2004.

54. Die Verpflichtungen der VO (EG) Nr. 261/2004 sollen gemäß deren Erwägungsgrund Ziffer 7 nämlich „dem ausführenden Luftfahrtunternehmen obliegen, das einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt, und zwar unabhängig davon, ob der Flug mit einem eigenem Luftfahrzeug oder mit einem mit oder ohne Besatzung gemieteten Luftfahrzeug oder in sonstiger Weise durchgeführt wird“.

55. Die zugesprochenen Zinsen stehen den Klägern als Verzugsschaden gemäß den §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1, 288 BGB zu.

4.

56. Ein Anspruch auf Erstattung bzw. Befreiung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten gemäß den 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1 BGB steht den Klägern jedoch nicht zu.

57. Die Beauftragung eins Rechtsanwalts mit der außergerichtlichen Forderungsbeitreibung nach dem ergebnislos gebliebenen Versuch der Beitreibung durch die … stellt keine angemessene Form der Rechtsverfolgung mehr dar. Zum Einen wurden die Ansprüche bereits vor Beauftragung der Rechtsanwälte zurückgewiesen und sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Beauftragung von Rechtsanwälten nicht erforderlich sei. In einem derartigen Fall hat auch aus der Sicht eines wirtschaftlich vernünftig denkenden Bürgers ein weiterer außergerichtlicher Beitreibungsversuch durch einen Rechtsanwalt keine Aussicht auf Erfolg und es ist in der Folge ein unbedingter Prozessauftrag zu erteilen. Wer dieses nicht tut verstößt gegen seine Pflicht zur Schadensminderung gemäß § 254 BGB (vgl. u.a. Landgericht Stuttgart, Versäumnisurteil vom 23.10.2008, Aktenzeichen 2 O 288/08, zu finden in Beck-Online).

58. Umstände, welche ungeachtet des eindeutigen Antwortschreibens der Beklagtenseite vom 10.10.2011 Erfolgsaussichten einer anwaltlichen Tätigkeit begründet hätten, sind nach dem zu Grunde zu legenden Sachverhalt nicht gegeben. Insoweit die Kläger mit Schreiben vom 05.03.2012 neue Tatsachen vortragen, welche entsprechende Erfolgsaussichten – abweichend vom Normalfall – begründen sollen, so ist dieses Vorbringen gemäß § 296a ZPO nicht berücksichtigungsfähig. Der Klägerseite war kein Schriftsatznachlass eingeräumt worden. Eine entsprechende Stellungnahmefrist ist auch, nicht beantragt worden. Aufgrund des Vorbringens der Beklagtenseite im Schriftsatz vom 27.02.2012 bestand auch keinerlei Anlass die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen. Relevanter neuer Tatsachenvortrag ist nicht erfolgt.

5.

59. Die Beklagte kann schließlich die Ausgleichsleistung auch nicht nach Art. 12 Abs. 1 S. 2 VO auf die Verzugszinsen anrechnen.

60. Mit weitergehendem Schadensersatz im Sinne von Art. 12 Abs. 1 VO sind die Schäden gemeint, die aufgrund der Annullierung, Verspätung oder Nichtbeförderung entstanden sind, nicht aber der Schaden, der sich dadurch ergibt, dass das Luftfahrtunternehmen seiner Verpflichtung zur Zahlung der Ausgleichsleistung nicht nachkommt (vgl. Landgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 15.03.2011, Aktenzeichen: 2-24 S 1/11 zu finden in juris). Hinsichtlich der Zinsen geht es um einen Schadensersatzanspruch aus Verzug, der unmittelbar darauf beruht, dass die Beklagte als Luftfahrtunternehmen den berechtigten Ausgleichsanspruch nicht bezahlt hat. Dieser Anspruch beruht gerade nicht unmittelbar darauf, dass der Flug verspätet war. Insofern liegen unterschiedliche Haftungsgründe vor. Ein anderes Ergebnis wäre auch nicht mit dem Zweck der Fluggastrechte-Verordnung, ein hohes Verbraucherschutzniveau sicherzustellen, vereinbar (vgl. Landgericht Frankfurt a.a.O.).

6.

61. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist auch keine Anspruchskürzung vorzunehmen. Das Gericht schließt sich insoweit den nachfolgenden Ausführungen des Amtsgerichts Frankfurt am Main im Urteil vom 25.05.2011, Aktenzeichen: 31 C 2/11 (16), vollumfänglich an:

62. Der Anspruch der Kläger ist entgegen der Rechtsansicht der Beklagten auch nicht „analog“ Art. 7 Abs. 2 a EGV 261/2004 um die Hälfte zu kürzen. Die Analogie greift nicht. Zum einen gibt die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v, 19.11.2009 – Rs. C-402/07 – Tenor Ziffer 2) keinen Anlass zur Annahme, dass eine Anwendung von Absatz 2 der Vorschrift auf Flugverspätungen in Betracht gezogen werden sollte. Zum anderen liegen die Voraussetzungen einer Analogie nicht vor. Dazu wäre eine Vergleichbarkeit des vorliegenden mit dem in Art. 7 Abs. 2 a EGV 261/2004 geregelten Sachverhalt erforderlich. Der dort geregelte Sachverhalt – Annullierung, aber Ersatzflug mit weniger als zwei Stunden Ankunftsverspätung – ist mit dem hier vorliegenden Sachverhalt – mehr als dreistündige Verspätung -nicht vergleichbar. Auch als „Erheblichkeitsschwelle“ kommt eine analoge Anwendung nicht in Betracht. Dass nicht jede Flugverspätung Ansprüche nach der Verordnung auslösen soll, hat der EuGH mit dem Erfordernis eines „mehr als dreistündigen Zeitverlusts“ klargestellt. Für die Einziehung einer darüber hinausgehenden, weiteren Erheblichkeitsschwelle, wie ihn die Beklagte mit ihrer Rückrechnung anstellen will, besteht demnach kein Spielraum mehr.

7.

63. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Insoweit die Klage abgewiesen wurde lag nur eine geringfügige Zuvielforderung hinsichtlich einer Nebenforderung vor, welche keine höheren Kosten verursacht hat.

64. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 11, 711, 709 S. 1 und 2 ZPO.

8.

65. Der Streitwert entspricht dem Wert der geltend gemachten Hauptforderung.

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