Versäumung der Ausschlussfrist für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen

AG Hannover: Versäumung der Ausschlussfrist für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen

Die Klägerin hatte bei der Beklagten eine Reise mit Hotelaufenthalt gebucht. Bei einer Abendveranstaltung stürzte die Klägerin und verletzte sich an der Schulter. Sie verlangt Schmerzensgeld.

Das Gericht hat der Klage stattgegeben.

AG Hannover 506 C 6988/13 (Aktenzeichen)
AG Hannover: AG Hannover, Urt. vom 08.08.2014
Rechtsweg: AG Hannover, Urt. v. 08.08.2014, Az: 506 C 6988/13
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Amtsgericht Hannover

1. Urteil vom 08. August 2014

Aktenzeichen 506 C 6988/13

Leitsätze:

2. Die Ausschlussfrist für Ansprüche aus einem Reisevertrag ist schuldhaft verletzt, wenn eine Reisende trotz anhaltender Schmerzen keine Ansprüche geltend macht, da sie noch von einer harmlosen Verletzung ausgeht.

Einen Reiseveranstalter trifft die Pflicht, unter Vertrag genommene Hotels nicht nur eingangs, sondern kontinuierlich auf ihre Sicherheit zu überprüfen.

Zusammenfassung:

3. Die Klägerin hatte bei der Beklagten eine Reise mit Hotelaufenthalt in der Türkei gebucht. Bei einer abendlichen Animationsveranstaltung stürzte die Klägerin und verletzte sich an der Schulter. Dies lag daran, dass eines ihrer Stuhlbeine in ein für sie nicht sichtbares Gitter geriet und sie so das Gleichgewicht verlor. Eine unmittelbar durchgeführte Röntgenuntersuchung zeigte keine Fraktur. Nach mehrmonatig anhaltend Schmerzen unterzog sie sich einer weiteren Untersuchung, die einen Sehnenriss feststellte. Sie verlangt Schmerzensgeld.

Das Gericht hat der Klage stattgegeben. Ein Anspruch aus dem Reisevertrag ergebe sich nicht mehr, weil insofern die Ausschlussfrist versäumt sei. Die Klägerin habe diese auch schuldhaft versäumt, da sie trotz anhaltender Schmerzen keine Ansprüche geltend machte. Die Beklagte hafte aber deliktisch, weil sie eine Verkehrssicherungspflicht verletzt habe, indem sie die Hotelanlage nicht ausreichend auf ihre Sicherheit überprüft habe. Insofern müsse ein Reiseveranstalter unter Vertrag genommene Hotels nicht nur eingangs, sondern kontinuierlich auf ihre Sicherheit überprüfen. Daher bestehe der Schmerzensgeldanspruch.

Tenor

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,- EUR nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2013 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren der Kanzlei …, … und … in Höhe von 256,62 EUR freizustellen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

5. Die Klägerin buchte am 14.06.2012 bei der Beklagten eine Reise in das Hotel C. L. W. in der Türkei vom 10.10.2012 bis zum 24.10.2012. Der Reisepreis betrug 3.234,- EUR. Die Reisebestätigung lautete insoweit:

6. „Reisebedingungen des Veranstalters, die Ihnen vor der Buchung vollständig ausgehändigt wurden, sind Vertragsbestandteil. Sie beinhalten u.a. auch Obliegenheiten und Pflichten des Kunden, insbesondere in Fällen von Stornierung und Leistungsmängeln; auf die folgenden Obliegenheiten wird besonders hingewiesen: …

7. – Einhaltung der Ausschlussfrist für die Geltendmachung eventueller Ansprüche: Ziff. 14.1 …“

8. Ziff. 14.1 der Reisebedingungen lautete:

9. „Ansprüche wegen nicht vertragsgemäßer Erbringung der Reise (§§ 651 cf BGB) sind spätestens innerhalb eines Monats nach der vertraglich vorgesehenen Beendigung der Reise gegenüber dem Veranstalter (Anschrift siehe unten nach Ziff. 17.) geltend zu machen. Dies sollte im eigenen Interesse schriftlich geschehen. Nach Fristablauf kann der Reisende Ansprüche nur noch geltend machen, wenn er ohne Verschulden gehindert war, die Frist einzuhalten. Der Tag des Reiseendes wird bei der Berechnung der Monatsfrist nicht mitgerechnet.“

10. Die Kläger trat mit ihrem Ehemann die Reise an. Am Abend des 21.10.2012 fand in dem Hotel eine Animationsveranstaltung statt. Dazu waren auf der Hotelanlage vor einer Bühne Plastikstühle aufgebaut.

11. Die Klägerin behauptet, während der Veranstaltung auf die Schulter gefallen zu sein.

12. Noch während der Veranstaltung begab sich die Klägerin in ein Krankenhaus. Dort wurde die Schulter geröntgt. Eine Fraktur der Schulter konnte nicht festgestellt werden. Der Vorfall wurde dem Hotelmanager mitgeteilt.

13. Am 06.12.2012 begab sich die Klägerin in ärztliche Behandlung. Am 14.12.2012 wurde eine MRT-Untersuchung durchgeführt. Dabei wurde festgestellt, dass in der Schulter der Klägerin zwei Sehnen gerissen sind.

14. Aufgrund eines behaupteten Sturzes forderte der Prozessvertreter der Klägerin mit Schreiben vom 11.01.2013 die Beklagte zur Zahlung eines Schmerzensgeldes auf. Die Beklagte wies mit Schreiben vom 18.01.2013 sämtliche Ansprüche zurück.

15. Die Klägerin behauptet, dass sie sich am Abend des 21.10.2012 auf einen der vor der Bühne aufgestellten Stühle gesetzt habe. Die Stühle seien so dicht gestellt worden, dass ein freies Verschieben nicht möglich gewesen sei. Als sie sich gesetzt habe, sei eines der hinteren Stuhlbeine in ein Gitter eines Abflussschachtes geraten, so dass sie mit dem Stuhl umgekippt sei. Dabei sei sie dann auf die Schulter gefallen. Bei dem Gitter habe eine Strebe gefehlt, so dass der Stuhl dort hinein geraten konnte. Nach dem Sturz sei das Gitter zugeschweißt worden.

16. Die Klägerin sei von einer harmlosen Prellung ausgegangen. Nach dem Urlaub haben jedoch die Schmerzen nicht nachgelassen, sondern noch zugenommen.

17. Die Klägerin leide noch heute unter Schmerzen im Bereich der Schulter. Zudem sei die Beweglichkeit des rechten Arms eingeschränkt. Eine Operation der Sehne sei nicht möglich.

18. Die Klägerin hält ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,- EUR für angemessen.

19. Die Klägerin beantragt,

20. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2013

21. ferner die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 256,62 EUR vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

22. Die Beklagte beantragt,

23. die Klage abzuweisen.

24. Die Beklagte behauptet, die Klägerin habe den Stuhl selbst auf das Gitter gestellt.

25. Die Beklagte bestreitet mit Nichtwissen, dass die nunmehrigen Beeinträchtigungen auf den behaupteten Sturz zurückzuführen sind.

26. Ferner behauptet die Beklagte, dass durch ihre Mitarbeiter das Hotel auf seine Sicherheit untersucht worden sei, als es unter Vertrag genommen wurde.

27. Die Beklagte ist zudem der Ansicht, dass die Klägerin die Ausschlussfrist gemäß § 651g Abs. 1 BGB nicht gewahrt habe.

28. Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung des Zeugen T… Insoweit wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.07.2014 verwiesen (Bl. 108 ff. d.A.)

Entscheidungsgründe

29. Die zulässige Klage ist in Höhe von 5.000,- EUR in der Hauptsache begründet.

I.

30. Ein Anspruch auf Schmerzensgeld ergibt sich nicht aus § 651f Abs. 2 BGB. Es kann dahin gestellt bleiben, ob die Reise mangelbehaftet war, jedenfalls ist ein Anspruch der Klägerin gemäß § 651g Abs. 1 S. 1 BGB ausgeschlossen.

31. Gemäß § 651g Abs. 1 S. 1 BGB muss der Reisende Ansprüche innerhalb eines Monats nach der vertraglich vorgesehenen Beendigung der Reise gegenüber dem Reiseveranstalter geltend machen. Vorliegend wurde die Reise am 24.10.2012 beendet, die Ansprüche wurden jedoch gegenüber der Beklagten erst mit Schreiben vom 11.01.2013 geltend gemacht.

32. Die Geltendmachung erfolgte auch nicht rechtzeitig gemäß § 651g Abs. 1 S. 3 BGB. Danach können Ansprüche nach der Frist geltend gemacht werden, wenn der Reisende ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert war.

33. Vorliegend ist ein Verschulden nicht bereits aufgrund einer fehlerhaften Belehrung gemäß § 6 Abs. 2 Nr.8 BGB-InfoV ausgeschlossen.

34. Nach § 6 Abs. 2 Nr.8 BGB-InfoV muss die Reisebestätigung, die der Reiseveranstalter dem Reisenden bei oder unverzüglich nach Vertragsschluss auszuhändigen hat (§ 6 Abs. 1 InfoV), unter anderem Angaben über die nach § 651g BGB einzuhaltenden Fristen enthalten. Dies ist vorliegend der Fall gewesen. Die Beklagte hat in der Reisebestätigung auf die Ausschlussfrist hingewiesen. Bereits die Ausführungen in der Reisebestätigung machten hinreichend deutlich, dass eine Ausschlussfrist vorhanden ist. Insoweit war es dann möglich, auf die Reisebedingungen zu verweisen. Diese Verweisung war aufgrund der Angabe der Ziffer auch hinreichend nachvollziehbar (vgl. dazu BGH NJW 2007, 2549, 2551 Rdn. 28).

35. Die verzögerte Anmeldung ist auch nicht im Übrigen entschuldigt.

36. Nach der Rechtsprechung des BGH ist die Gefahr einer verspäteten Anspruchsanmeldung nur bei Kenntnis oder Erkennbarkeit des Schadensersatzanspruchs vorhersehbar. Unkenntnis des anspruchsbegründenden Schadens ist daher ein Entschuldigungsgrund. Dies muss auch für gesundheitliche Spätschäden gelten, wenn dem Verletzten zwar die ursprüngliche Verletzung vor Fristablauf bekannt war, er aber die Folgeschäden persönlich nicht vorhersehen konnte. Denn ein Reisender handelt weder sich selbst noch dem Reiseveranstalter gegenüber fahrlässig, wenn er im Glauben, die ihm bekannte Verletzung sei folgenlos ausgeheilt, den scheinbar harmlosen Unfall nicht aufbauschen will und deshalb auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen zunächst verzichtet. Wollte man von dem Reisenden verlangen, auch wegen einer nach seinen persönlichen Erkenntnismöglichkeiten geringfügigen, folgenlos ausgeheilten Verletzung Schadensersatzansprüche anzumelden, würde man dem Reisenden nicht nur eine überzogene Sorgfalt gegenüber sich selbst aufbürden, sondern wäre auch dem Reiseveranstalter nicht gedient, der dann mit einer Vielzahl ansonsten unterbleibender, im Ergebnis unnötiger Schadensersatz- und Feststellungsansprüche überzogen und zu einer Verwaltungskosten verursachenden Aufklärung des jeweiligen Sachverhalts gezwungen würde (so BGH NJW 2007, 2549, 2551 Rdn. 40).

37. Vorliegend hat die Beweisaufnahme ergeben, dass die Klägerin durchgängig seit dem Urlaub an Schmerzen litt, die nicht schwächer wurden, sondern vielmehr mit der Zeit Zunahmen. Insoweit war der Klägerin bewusst, dass sie aufgrund des behaupteten Sturzes Schmerzen hatte. Ihr war zwar nach ihren Behauptungen unklar, dass ein ernsthafter Schaden vorlag, jedoch hätten auch bereits Schmerzen von mehreren Wochen aufgrund der vermuteten Prellung zu Ansprüchen führen können. Die Verletzung war nicht folgenlos ausgeheilt, sondern dauerte an. Dann wäre es bei der Klägerin gewesen, die Beklagte davon in Kenntnis zu setzen. Für ein Verschulden ist es nicht erforderlich, dass der Reisende die genaue Ursache der Schmerzen kennt, ihm müssen vielmehr nur die Symptome bewusst sein.

II.

38. Der Klägerin steht jedoch gemäß § 253 Abs. 2 BGB iVm § 823 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Schmerzensgeld zu.

1.

39. Die Klägerin hat eine Verletzung ihres Körpers aufgrund der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte erlitten.

a)

40. Das Gericht geht nach der durchgeführten Beweisaufnahme davon aus, dass die Klägerin am Abend des 21.10.2012 in der gebuchten Hotelanlage gestürzt ist, indem beim Setzen auf einen Stuhl das hintere Stuhlbein in ein Abflussgitter geraten ist.

41. Dies ergibt sich aus der Vernehmung des Ehemanns der Klägerin und den vorgelegten Fotos. Der Ehemann der Klägerin hat als Zeuge bestätigt, dass sich die Klägerin an dem fraglichen Abend auf einen Stuhl vor der Animationsbühne gesetzt habe und dann umgefallen sei. Nach dem Sturz habe er gesehen, dass ein Stuhlbein in dem Gitter des Abflussschachtes steckte.

42. Die Aussage des Zeugen war in sich schlüssig und glaubhaft. Sie wurde durch die vorgelegten Bilder sowie das unstreitige Nachverhalten der Klägerin bestätigt.

43. Durch die Klägerin wurden Fotos des Gitters des Abflussschachtes vorgelegt. Die Beklagte hat nicht mehr bestritten, dass es sich um Fotos des fraglichen Gullys handelt. Aus den Fotos ist ersichtlich, dass an dem Gitter im hinteren Bereich eine größere Lücke zwischen den Streben vorhanden war, möglicherweise damit dieser besser angehoben werden kann. Insoweit war es nachvollziehbar, dass die auf den Bildern sichtbaren Plastikstühle in den Spalt geraten konnten. Es handelt sich um handelsübliche Gartenstühle, die leicht zum Stürzen neigen.

44. Da von der Beklagten unstreitig gestellt wurde, dass sich die Klägerin am fraglichen Abend in ein Krankenhaus begeben hat und dort die Schulter hat röntgen lassen, sieht das Gericht die Aussage des Zeugen T durch die übrigen Umstände als bestätigt an.

b)

45. Die Beklagte hat vorliegend eine Verkehrssicherungspflicht verletzt.

46. Nach der Rechtsprechung des BGH trifft den Reiseveranstalter bei der Vorbereitung und Durchführung der von ihm veranstalteten Reisen eine eigene Verkehrssicherungspflicht. Bei der Ausübung eines Gewerbes sind diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der jeweiligen Berufsgruppe für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind (vgl. BGH NJW 2006, 3268, 3269 Rdn. 20; NJW 2007, 2549, 2550 Rdn. 13).

47. Für die deliktsrechtliche Haftung des Reiseveranstalters wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten ist von Bedeutung, welche rechtlichen Verpflichtungen ihm obliegen. Der Reiseveranstalter übernimmt gemäß seinem Angebot die Planung und Durchführung der Reise, haftet insoweit für deren Erfolg und trägt grundsätzlich die Gefahr des Nichtgelingens. Deshalb darf der Reisende darauf vertrauen, dass der Veranstalter alles zur erfolgreichen Durchführung der Reise Erforderliche unternimmt. Dazu gehört nicht nur die sorgfältige Auswahl der Leistungsträger, insbesondere der Vertragshotels, sondern der Reiseveranstalter muss diese auch überwachen. Somit ist er für die Sicherheit der Hotels selbst mitverantwortlich, mag auch die Verkehrssicherungspflicht in erster Linie den Betreiber treffen. Nimmt ein Reiseveranstalter ein Hotel unter Vertrag, so muss er sich zuvor vergewissern, dass es einen ausreichenden Sicherheitsstandard bietet. Ist das Vertragshotel einmal für in Ordnung befunden worden, so befreit dies den Veranstalter nicht von der Pflicht, es regelmäßig durch einen sachkundigen und pflichtbewussten Beauftragten daraufhin überprüfen zu lassen, ob der ursprüngliche Zustand und Sicherheitsstandard noch gewahrt ist (vgl. BGH NJW 2006, 3268, 3269 Rdn. 21 mwN).

48. Vorliegend hat die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflichten verletzt. Es kann dahin gestellt bleiben, ob die Prüfung des Hotels durch die Beklagte überhaupt substantiiert dargelegt wurde. Jedenfalls ist diese vorliegend nicht ausreichend erfolgt, da die Gefahrenquelle des Abflussschachtgitters nicht erkannt und beseitigt wurde.

49. Die Beklagte war vorliegend auch verpflichtet, diese konkrete Gefahrenquelle zu beseitigen.

50. Nimmt ein Reiseveranstalter ein Hotel als Leistungsträger unter Vertrag, so muss er sich zuvor vergewissern, dass es nicht nur den gewünschten oder angebotenen Komfort, sondern auch ausreichenden Sicherheitsstandard bietet. Dabei mag er im Inland weitgehend auf die bau-, feuer- und gesundheitspolizeiliche Genehmigung und Überwachung vertrauen und sich auf Stichproben beschränken dürfen, wenngleich ihn solche behördliche Kontrolle nicht ohne weiteres entlastet. Im Ausland jedoch kann er sich darauf erfahrungsgemäß keinesfalls verlassen, weil dort vielfach sowohl für die Vorschriften als auch für die behördliche Überwachung andere Maßstäbe gelten. Dort muss er sich davon überzeugen, dass z. B. von Treppen und Aufzügen, elektrischen Anlagen und sonstigen Einrichtungen keine Gefahren für die von ihm unterzubringenden Hotelgäste ausgehen (BGH NJW 1988, 1380, 1382).

51. Nach der Rechtsprechung des BGH gilt zudem nicht der Grundsatz, dass den Reiseveranstalter grundsätzlich nach sorgfältiger Auswahl der Ferienunterkünfte keine eigenständige Verkehrssicherungspflicht treffe, es sei denn, Sicherungsmängel seien offensichtlich oder ihm mitgeteilt worden (BGH NJW 1988, 1380, 1382).

52. Vorliegend war eine gesteigerte Gefahr gegeben, da sich der Abflussschacht unmittelbar vor der Animationsbühne befand. Dies ergibt sich aus den vorgelegten Fotos. Aus den Fotos war auch ersichtlich, dass dort Plastikstühle gestapelt wurden, die offensichtlich dazu verwendet wurden, dem Publikum Sitzgelegenheiten zu bieten. Insoweit war es für jeden objektiven Beobachter erkennbar, dass vorliegend das Risiko bestand, dass die Stühle vor der Bühne aufgebaut werden. Dann wäre es jedoch Aufgabe der Beklagten gewesen, sicher zu stellen, dass gerade in diesem Bereich keine Gefahrenquellen vorhanden sind. Dies war jedoch durch das Gitter des Abflussschachtes offensichtlich der Fall.

53. Die Beklagte hat geltend gemacht, dass sie nicht verpflichtet sei, dass gesamte Hotelgelände nach Stolperfallen abzusuchen. Es kann dahingestellt bleiben, ob eine solche Pflicht besteht. Jedenfalls ist der Reiseveranstalter verpflichtet, Bereiche, in denen sich gehäuft Publikum aufhält, nach Gefahrenquellen zu untersuchen. Dabei ist dann darauf abzustellen, ob ein verständiger Beobachter davon ausgehen kann, dass ein Umstand eine besondere Gefahrenquelle darstellt.

54. Dies ist vorliegend zu bejahen. Wie sich aus den vorgelegten Fotos ergeben hat, hatte das Abflussschachtgitter an sich schon sehr breite Zwischenräume zwischen den Streben. Der Zwischenraum zwischen der letzten Strebe und dem Rand war zudem noch vergrößert. Zudem stand das Gitter an einer Seite auch noch hoch. Da das Gitter aufgrund der Farbunterschiede zum Pflaster gut erkennbar war, war auch die Gefahrenquelle ohne weiteres erkennbar.

c)

55. Der Beklagten fällt hinsichtlich der Verletzung des Verkehrssicherungspflicht zumindest einfache Fahrlässigkeit zur Last, da hier die Gefahrenquelle ohne weiteres erkennbar war und nach dem Zustand des Gitters nicht davon auszugehen ist, dass dieser Zustand erst kurz zuvor eingetreten ist, sondern vielmehr die Gefahrenquelle konstruktionsbedingt war.

d)

56. Das Gericht geht nach der durchgeführten Beweisaufnahme davon aus, dass die von der Klägerin geltend gemachten Schmerzen und Bewegungseinschränkungen auf den Sturz zurückzuführen sind.

57. Der Ehemann hat nachvollziehbar geschildert, dass seine Frau seit der Reise unter anhaltenden Schmerzen litt. Insoweit ist nicht erkennbar, dass durch einen weiteren Sturz die Schmerzen verursacht wurden.

58. Mangels entsprechender Indizien für eine unwahre Aussage des Ehemanns war es nicht erforderlich, ein Sachverständigengutachten zur Frage der Kausalität einzuholen.

e)

59. Der Klägerin steht ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,- EUR zu.

60. Die Schmerzensgeldhöhe ist unter umfassender Berücksichtigung aller für die Bemessung maßgeblichen Umstände festzusetzen und hat in einem angemessenen Verhältnis zu Art und Dauer der Verletzung zu stehen. Zudem kommt dem Gedanken, dass für vergleichbare Verletzungen unabhängig vom Haftungsgrund annähernd gleiche Schmerzensgelder zu gewähren sind, besondere Bedeutung zu (so zuletzt OLG Oldenburg NJW-RR 2007, 1468; Grüneberg, in: Palandt, BGB, 73. Auflage 2014, § 253 Rdn. 15 mwN).

61. Vorliegend hält das Gericht ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,- EUR für gerechtfertigt. Die Klägerin hat dargelegt, dass sie bis Weihnachten unter erheblichen Schmerzen gelitten habe. Diese seien auch noch heute nicht abgeklungen. Zudem könne sie den Arm nur eingeschränkt heben. Dieses Leiden sei zum nicht reversibel, da eine Operation der Sehnen aufgrund ihres Alters nicht mehr möglich sei.

62. Das Gericht geht nach der durchgeführten Beweisaufnahme und dem persönlichen Eindruck von der Klägerin davon aus, dass die geschilderten Beeinträchtigungen vorliegen.

63. Aufgrund der Dauer der Schmerzen und der weiteren Beeinträchtigung sieht das Gericht ein Schmerzensgeld im mittleren unteren Bereich als angemessen an (vgl. dazu OLG Schleswig SP 2013, 73; Urteil vom 01.03.2012, 7 U 95/11).

f)

64. Der Anspruch der Kläger ist nicht gemäß § 254 Abs. 1 BGB um ein Mitverschulden zu kürzen.

65. Da es nach der nachvollziehbaren Aussage des Zeugen T während der Veranstaltung im Zuschauerraum dunkel war, ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin hätte erkennen können, dass der Stuhl nicht ordnungsgemäß stand.

III.

66. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Freistellung von den geltend gemachten Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 256,62 EUR zu.

67. Es kann dahingestellt bleiben, ob sich die Beklagte zum Zeitpunkt des Anschreibens am 11.01.2013 in Verzug befand. Die Klägerin kann jedenfalls die Rechtsanwaltsgebühren als Schadensposition gemäß § 823 Abs. 1 BGB iVm § 249 Abs. 2 BGB geltend machen.

68. Vorliegend war es für die Klägerin erforderlich, einen Rechtsanwalt zu mandatieren, um die Höhe eines etwaigen Anspruchs bestimmen zu können. Die Materie des Schmerzensgeldes ist derart komplex, dass es der Klägerin nicht zuzumuten war, dieses zunächst ohne anwaltliche Hilfe geltend zu machen. Wäre der Klägerin ein Schmerzensgeld angeboten worden, hätte diese als Laie nicht beurteilen können, ob dieses unter Berücksichtigung der Rechtsprechung angemessen ist.

69. Der Klägerin steht allerdings lediglich ein Freistellungsanspruch zu, da sie trotz Ankündigung in der mündlichen Verhandlung die Kontoauszüge nicht vorgelegt hat, aus denen sich die bestrittene Zahlung ergeben sollte. In dem Zahlungsantrag ist als Minus der Freistellungsanspruch enthalten.

IV.

70. Der geltend gemachte Zinsanspruch ergibt sich hinsichtlich der Hauptforderung aus § 288 Abs. 1 S. 2 BGB. Da die Klägerin lediglich 5% Zinsen über dem Basiszinssatz beantragt hat, war die Beklagte auch nur insoweit zu verurteilen.

V.

71. Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 709, 711 ZPO.

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