Erbringung von Betreuungsleistungen

AG Nürnberg: Erbringung von Betreuungsleistungen

Ein Fluggast verklagt eine private Airline auf Schadensersatz. Wegen eines Vulkanausbruchs hatte der Flug des Klägers mehrere Stunden Verspätung. Während der Wartezeit ließ die Gesellschaft dem Kläger keinerlei Betreuungsleistungen zukommen. Die Aufwendungen für die Selbstversorgung verlangt dieser nun ersetzt.

Das Amtsgericht Nürnberg hat dem Kläger Recht zugesprochen. Im Falle einer verschuldeten Flugverspätung treffe die Airline die Obliegenheit, den Fluggast mit Nahrung, Getränken und ggf. einer Unterkunft für die Nacht auszustatten. Habe der Kläger eigene notwendige Ausgaben getätigt, so seien ihm diese zu ersetzen.

AG Nürnberg 18 C 6053/11 (Aktenzeichen)
AG Nürnberg: AG Nürnberg, Urt. vom 14.09.2011
Rechtsweg: AG Nürnberg, Urt. v. 14.09.2011, Az: 18 C 6053/11
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Amtsgericht Nürnberg

1. Urteil vom 14. September 2011

Aktenzeichen: 18 C 6053/11

Leitsatz:

2. Airline trifft Betreuungspflicht im Falle eines verspäteten Fluges.

Zusammenfassung:

3. Ein Reisender buchte bei einem Luftfahrtunternehmen einen Linienflug. Wegen eines Vulkanausbruchs konnte dieser jedoch nicht wie geplant starten. Die hierdurch entstandene mehrstündige Wartezeit verbrachte der Kläger am Flughafen. Die entstandenen Verpflegungskosten verlangt er nun von der Airline ersetzt.

Diese weigert sich der Zahlung. Sie müsse für die Ausgaben des Klägers bereits deshalb nicht aufkommen, weil in dem Ausbruch des Vulkans ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne von Art. 5 der Fluggastrechte Verordnung zu sehen sei, der sie von einer möglichen Haftung befreie.

Das Amtsgericht Nürnberg hat dem Klägerbegehren entsprochen. Nach Art. 9 der Verordnung 261/2004 sei eine Fluggesellschaft grundsätzlich dazu verpflichtet, ihre Fluggäste im Falle einer Verspätung mit Verpflegung und einer Unterkunft zu versorgen.
Ein von der Beklagten geltend gemachte außergewöhnlicher Umstand im Sinne von Art.5 der Verordnung  liege immer dann vor, wenn Ereignisse oder Zustände eingetreten sind, die von der Gesellschaft weder vorherzusehen, noch zu kontrollieren sind. In einem Vulkanausbruch sei unstreitig ein solcher Umstand zu sehen.

Dieser befreie die Airline allerdings lediglich von ihrer Ersatzpflicht wegen der Flugverspätung. Die Obliegenheit zur Betreuung der wartenden Fluggäste bleibe hiervon unberührt.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 327,98 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.08.2010 zu bezahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 102,28 € zu bezahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert wird auf 327,98 € festgesetzt.

Tatbestand:

5. Von der Abfassung konnte gemäß § 313 a ZPO abgesehen werden.

Entscheidungsgründe:

6. Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.

7. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist eine Zuständigkeit des AGs Nürnberg gegeben. Insoweit wird auf die zutreffende Begründung des AGs Frankfurt a. Main mit Beschluss vom 05.04.2011 (Blatt 74 der Akte) Bezug genommen.

8. Das AG Frankfurt a. Main hat den Rechtsstreit bindend an das AG Nürnberg verwiesen.

9. Den Klägern steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch gemäß § 280 Abs. 1 BGB iVm. Art. 9 Satz 1 lit. a, lit. b der Verordnung (EG) NR. 261/2004 (im folgenden VO) zu.

10. Art. 9 VO findet im konkreten Fall gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. b VO Anwendung, da der Flug von Miami nach Paris am 16.04.2010 aufgrund einer Störung des Flugverkehrs durch einen Vulkanausbruch in Island annulliert wurde.

11. Gemäß Art. 9 VO hatte die Beklagte Betreuungsleistungen unentgeltlich den Klägern anzubieten, insbesondere für eine Verpflegung und eine Hotelunterbringung zu sorgen. Dies ist unstrittig durch die Beklagte nicht erfolgt. Die Beklagte hat damit ihre Verpflichtung zur Erbringung von Betreuungsleistungen gemäß Art. 9 VO verletzt und hat daher gemäß § 280 BGB Schadensersatz zu leisten, so auch AG Simmern, Urteil vom 20.04.2007, Az. 3 C 8688/06 sowie AG Rüsselsheim, Urteil vom 11.01.2011, Az. 3 C 1698/10.

12. Die Verpflichtung zur Erbringung von Betreuungsleistungen ist auch nicht aufgrund außergewöhnlicher Umstände entfallen. Die Sperrung des Luftraums aufgrund des Vulkanausbruchs und der damit verbundenen Vulkanasche im Luftraum sind zwar außergewöhnliche Umstände im Sinne des Art. 5 Abs. 3 VO. Aus Art. 5 Abs. 3 VO ergibt sich jedoch eindeutig, dass „außergewöhnliche Umstände“ bei einer Annullierung die Fluggesellschaften lediglich von Ausgleichzahlungen gemäß Art. 7 VO befreien, nicht aber von den in Art. 5 Abs. 1 VO aufgeführten Unterstützungsleistungen nach Art. 9 VO. Hierzu stellt zwar die Begründungserwägung Nr. (14) in der Verordnung eine Abweichung dar, in der es heißt, dass „wie nach den Übereinkommen von Montreal die Verpflichtungen für Luftfahrtunternehmen in den Fällen beschränkt oder ausgeschlossen sind, in denen ein Vorkommnis auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht(…)“. Diese Erwägungen sind jedoch im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des Art. 5 VO unbeachtlich. Insoweit hat der EuGH in seinem Urteil vom 10.01.2006, RS C-344/04, NJW 2006, S. 351, 357 Rn. 76 bereits entschieden, dass die Begründungserwägungen eines Gemeinschaftsrechtsaktes zwar dessen Inhalt präzisieren können, es aber nicht erlauben, von den Regelungen des Rechtsaktes abzuweichen.

13. In der gleichen Entscheidung hat der EuGH entschieden, dass die Regelung, dass die Fluggesellschaften Unterstützungs- und Betreuungsleistungen für die Fluggäste zu leisten haben, als standardisierte sofortige Maßnahme nicht zu den Maßnahmen gehören, die das Montrealer Übereinkommen festlegt. Die Regelung der Verordnung tritt somit neben die Regelungen des Übereinkommens von Montreal. Soweit sich die Beklagte auf die Entlastungsmöglichkeit nach Art. 19 des Montrealer Übereinkommens (im folgenden MÜ) beruft, findet diese Vorschrift somit keine Anwendung. Art. 19 MÜ findet nur Anwendung auf die individualisierte Wiedergutmachung und regelt nicht die standardisierte Wiedergutmachung nach der Fluggastrechteverordnung, vgl. EuGH, aaO, S. 357 Rn. 73 sowie BGH, NJW 2010, S. 1526.

14. Das Gericht hat keinen Anlass, den Rechtsstreit im Hinblick auf das Vorabentscheidungsersuchen des Dublin Metropolitan District Court vom 10.01.2011, Az. C-12/11, an den EuGH bis zu dessen Entscheidung auszusetzen.

15. Nach Auffassung des Gerichts gibt es keinen Zweifel daran, dass die Fluggesellschaften nach Art. 9 VO in jedem Fall zur Erbringung von Betreuungsleistungen verpflichtet sind. Es bestehen keine Zweifel, wie Art. 9 VO auszulegen ist. Auch hat das Gericht keine Zweifel an der Gültigkeit der Vorschrift.

16. Ein über außergewöhnlichen Umstand iSd der Verordnung (EG) 261/2004 hinausgehendes Ereignis ist in dem Vulkanausbruch nicht zu sehen. Die Verordnung nennt in ihrem Erwägungsgrund Nr. (14) als außergewöhnliche Umstände gerade mit der Durchführung eines Fluges nicht zu vereinbaren Wetterbedingungen. Dies war hier mit der Vulkanasche der Fall. Es ist daher nicht ersichtlich, weshalb im vorliegenden Fall ein über außergewöhnliche Umstände hinausgehende Ereignis vorliegen soll. Der klare Wortlaut der Verordnung ergibt, dass die Fluggesellschaften auch bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände zur Erbringung von Betreuungsleistungen verpflichtet sind. Diese Regelung hat der EuGH in seinem Urteil vom 10.01.2006 (aaO) geprüft und für gültig befunden.

17. Insbesondere hat der EuGH klargestellt, dass die Fluggastrechteverordnung neben den Regelungen des Montrealer Übereinkommens steht, nicht diskriminierend ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Der EuGH, der sich in seinem Urteil ausführlich mit der Verpflichtung der Fluggesellschaften zur Erbringung von Betreuungsleistungen auch im Fall des Vorliegens von außergewöhnlichen Umständen auseinandergesetzt hat, konnte keine Ungültigkeit der Vorschriften erkennen. Dementsprechend geht auch das erkennende Gericht von einer Gültigkeit der Verordnung aus.

18. Eine Aussetzung bis zur Entscheidung des Vorabentscheidungsersuchens ist daher nicht veranlasst.

19. Nach Art. 9 Abs. 1 lit. b VO hatte die Beklagte den Klägern unentgeltlich eine Hotelunterbringung anzubieten. Nachdem dies nicht geschehen ist, haben die Kläger gemäß § 280 BGB einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe der verauslagten Hotelkosten. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass es sich hierbei um nicht erstattungsfähige Luxusaufwendungen handelt.

20. Ebenfalls haben die Kläger gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. a VO einen Anspruch auf ein unentgeltliches Angebot von Mahlzeiten und Erfrischungen. Die Kläger haben daher Anspruch auf Schadensersatz der verauslagten Kosten hierfür in Höhe von 50,07 €. Soweit die Beklagte einwendet, dass es sich hierbei um „sowieso“ Kosten handelt, ist dieser Einwand unbegründet. Aufwendungen für Mahlzeiten und Erfrischung stellen zwar generell ersparten Eigenaufwendungen dar. Dessen ungeachtet wollte der Verordnungsgeber diese jedoch dennoch ersetzt sehen. Im Übrigen ist auch zu bedenken, dass eine Verpflegung an einem fremden Ort in der Regel teurer ist als zu Hause.

21. Das Gericht war gemäß § 308 ZPO an den Klageantrag in Höhe von 327,98 € gebunden.

22. Ebenfalls unter Schadensersatzgesichtspunkten sind den Kläger die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 102,82 € zuzusprechen. Diesbezüglich wird auf die zutreffende Berechnung in der Klageschrift Bezug genommen.

23. Die Schadensersatzforderung ist aus Verzugsgesichtspunkten gemäß §§ 286, 288 mit 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.08.2010 zu verzinsen.

24. Nach alledem war der Klage vollumfänglich stattzugeben.

25. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

26. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit erging aufgrund §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.

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