Verkehrssicherungspflicht des Veranstalters

OLG Düsseldorf: Verkehrssicherungspflicht des Veranstalters

Weil er sich am Hotelpool an einer Strandliege verletzte, verlangt ein Reisender von seinem Veranstalter eine Schadensersatzzahlung und ein Schmerzensgeld.

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat die Klage abgewiesen. Ein Reiseveranstalter habe grundsätzlich eine Fürsorgepflicht, diese gehe jedoch nicht so weit, dass jeder einzelne Gegenstand mit geringem Gefahrenpotenzial vom Veranstalter untersucht werden müsse.

OLG Düsseldorf 21 U 67/14 (Aktenzeichen)
OLG Düsseldorf: OLG Düsseldorf, Urt. vom 16.12.2014
Rechtsweg: OLG Düsseldorf, Urt. v. 16.12.2014, Az: 21 U 67/14
LG Düsseldorf, Urt. v. 18.01.2014, Az: 1 O 403/10
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Oberlandesgericht Düsseldorf

1. Urteil vom 16. Dezember 2014

Aktenzeichen: 21 U 67/14

Orientierungssatz

2. Die Überprüfungspflicht eines Reiseveranstalters geht nicht so weit, dass jeder einzelne Einrichtungsgegenstand ständig auf seine Funktionsfähigkeit zu überprüfen ist.

Zusammenfassung:

3. Ein Reisender buchte bei einem Reiseveranstalter einen Hotelurlaub. Auf dem Hotelgelände angekommen nutzte der Urlauber eine der vom Hotel gestellten Badeliegen. Beim zurückstellen der Kopfstütze löste sich die Verankerung und trennte dem Kläger einen Teil seiner Fingerkuppe ab. Wegen dieser Verletzung verlangt der Urlauber nun eine Schadensersatzleistung und ein Schmerzensgeld vom Reiseveranstalter.

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat die Klage abgewiesen. Eine Schadensersatzzahlung aufgrund eines Reisemangels scheide bereits aus dem Grund aus, dass kein anspruchsbegründender Reisemangel vorliege. Gemäß §651 c BGB sei eine Reise stets dann mangelhaft, wenn sie mit Fehlern behaftet ist, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder dem nach dem Vertrag vorausgesetzten Nutzen aufheben oder mindern. Von einer solchen Minderung der Tauglichkeit sei vorliegend nicht auszugehen.

Auch eine Schmerzensgeldzahlung stehe dem Kläger nicht zu. Zwar habe der Veranstalter für die Sicherheit der Urlauber auf dem Hotelgelände zu sorgen, diese Fürsorgepflicht reiche aber nicht so weit, dass jeder einzelne Gegenstand regelmäßig überprüft werden müsse. Die Funktionsfähigkeit einer einzelnen Hotelliege sei im Zweifelsfall vom Reisenden selbst zu überprüfen.

Tenor

4. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Gründe

5. Von der Wiedergabe des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

6. Die zulässige Berufung ist unbegründet.

7. Die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche scheitern daran, dass die Reise nicht mangelhaft im Sinne des § 651c Abs. 1 BGB war.

8. Gemäß § 651c Abs. 1 BGB ist der Reiseveranstalter verpflichtet, die Reise so zu erbringen, dass sie nicht mit Fehlern behaftet ist, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder dem nach dem Vertrag vorausgesetzten Nutzen aufheben oder mindern. Ein Reisemangel liegt hierbei immer dann vor, wenn die vom Reiseveranstalter erbrachte Reiseleistung von der im Vertrag vorgesehenen oder der nach allgemeiner Verkehrsauffassung gewöhnlichen objektiven Beschaffenheit so abweicht, dass hierdurch der vertraglich festgesetzte Zweck und Nutzen der Reise beeinträchtigt wird. Der Umfang und die Beschaffenheit der von dem Reiseveranstalter geschuldeten Leistung werden darüber hinaus von Obhuts- und Fürsorgepflichten des Reiseveranstalters gegenüber dem Reiseteilnehmer ergänzt. Daher kann auch die Verletzung von Obhuts- und Fürsorgepflichten des Reiseveranstalters gegenüber dem Reiseteilnehmer, unter die auch Verkehrssicherungspflichten fallen, ein reisevertragliche Ansprüche auslösender Reisemangel sein.

9. Die Verpflichtung des Reiseveranstalters und der Leitung des jeweiligen Vertragshotels als dessen Erfüllungsgehilfe, § 278 BGB, beinhaltet, die Hotelgäste vor schweren Gesundheitsschäden zu bewahren. Ein Reisemangel liegt demzufolge auch dann vor, wenn von der Einrichtung des vom Reiseveranstalters ausgewählten Hotels eine Gefahr für die Sicherheit des Reisenden ausgeht, mit der er nicht zu rechnen braucht. Der Veranstalter hat deshalb alle sicherheitsrelevanten Teile der Hotelanlage in regelmäßigen Abständen während der Vertragsdauer durch einen sachkundigen und pflichtbewussten Beauftragten im Hinblick auf solche Risiken, die sich bei genauem Hinsehen jedermann offenbaren, überprüfen zu lassen.

10. Der Kläger sieht den Mangel darin, dass er seiner Behauptung nach durch ein defektes Kopfteil einer Liege verletzt worden sei, als dieses plötzlich nach hinten weggeklappt sei und dabei seine Fingerkuppe abgetrennt habe.

11. Zwar obliegen dem Reiseveranstalter auch, wie ausgeführt, Verkehrssicherungspflichten gegenüber dem Reisenden. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist jedoch nicht erreichbar. Der Verkehrssicherungspflichtige muss deshalb nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge treffen, sondern nur diejenigen Maßnahmen treffen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Angehöriger des betreffenden Verkehrskreises für notwendig und ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 79. Auflage, § 823 Rn. 51 m.w.N.). Der Reiseveranstalter ist in diesem Zusammenhang verpflichtet, den Reisenden vor Sicherheitsrisiken zu bewahren, die dieser nicht erkennen kann, und die für ihn ein besonderes Gefahrenpotenzial bergen. Je größer die Gefahr einer Verletzung ist, desto höher sind regelmäßig die an Verkehrssicherungspflicht und Schutzpflichten zu stellenden Anforderungen (vgl. Führich Rn. 425 m.w.N.).

12. Dies gilt nicht nur im deliktischen, sondern auch im vertraglichen Bereich. So hat der Reiseveranstalter beispielsweise den allgemeinen baulichen Zustand der Unterkunft zu kontrollieren, um sicherzustellen, dass von sicherheitsrelevanten Einrichtungen wie Treppen, elektrischen Anlagen, Balkongittern etc. keine Gefahren für den Reisenden ausgehen.

13. Die damit einhergehende Überprüfungspflicht geht aber nicht so weit, dass jeder einzelne Einrichtungsgegenstand ständig auf seine Funktionsfähigkeit zu überprüfen ist, sondern sich diese nur auf allgemein als gefährlich anzusehende Einrichtungsgegenstände bezieht. Zwar können auch durch Liegen Verletzungen verursacht werden, wie der streitgegenständliche Fall zeigt. Dies trifft jedoch auch auf andere grundsätzlich ungefährliche Einrichtungsgegenstände zu, wie beispielsweise Stühle und Betten, die im Falle eines Defektes ebenfalls zu Stürzen und dadurch erheblichen Verletzungen des Reisenden führen können, Schranktüren und Schubladen, die ebenfalls Quetschungen verursachen können etc.. Gleichwohl handelt es sich bei „normalem“ Mobiliar, wie den Liegen, nicht um besonders gefährliche Einrichtungsgegenstände, die einer besonderen Überprüfung bedürfen. Weder ist bei ihnen aufgrund ihrer Beschaffenheit davon auszugehen, dass sie ein besonderes Verletzungsrisiko bergen, noch davon, dass ein gleichwohl bestehender Defekt zu gravierenden Verletzungen führt, wie dies etwa bei einem unzureichenden Balkonbrüstung der Fall ist.

14. Bei der Bemessung des Umfangs der Verkehrssicherungspflicht ist zudem die Zumutbarkeit für den Verkehrssicherungspflichtigen zu berücksichtigen (vgl. Palandt/Sprau, § 823 Rn. 46, 51 m.w.N.). Vom Reiseveranstalter oder seinen Erfüllungsgehilfen kann daher nicht die Suche nach verborgenen Mängel erwartet werden, sondern lediglich die Feststellung von Sicherheitsrisiken, die sich bei genauerem Hinsehen jedermann offenbaren (vgl. OLG Düsseldorf NJW-​RR 1997, 1483).

15. Die Liege war nach der klägerischen Darstellung nicht beschädigt, was gegebenenfalls hätte auffallen können, sondern konstruktionsbedingt gefahrgeneigter als die anderen Liegen. Davon, dass sich die nach Darstellung des Klägers konstruktionsbedingte mangelhafte Feststellmöglichkeit bei genauerem Hinsehen jedermann offenbaren musste, kann nicht ausgegangen werden. Der Kläger selbst trägt vor, diese Liege während des ganzen Urlaubs benutzt zu haben, allerdings nur in flacher Position. Ihm selbst scheint die behauptete unzureichende Feststellmöglichkeit also nicht aufgefallen zu sein, da es andernfalls zu dem Unfall nicht hätte kommen können.

16. Feststellbar wäre der behauptete Mangel damit nur dann gewesen, wenn sich der Kontrollierende auf jede einzelne Liege gelegt und dabei überprüft hätte, ob die Kopfstütze in jeder Position ausreichend einrastet und auch Bewegungen, wie sie der Kläger behauptet ausgeführt zu haben, standhält. Eine solche tägliche Belastungsprobe überspannt die Anforderungen an die Überprüfungspflichten und ist nicht zumutbar.

17. Anders mag der Fall dann liegen, wenn aufgrund eines zuvor geschehenen Unfalls Anlass für eine Überprüfung der Funktionstauglichkeit der Liegen bestanden hätte. Dies wird jedoch nicht geltend gemacht. Nachdem der streitgegenständliche Unfall geschehen war, wurden – was zwischen den Parteien unstreitig ist – die Liegen überprüft und das Erforderliche veranlasst.

18. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

19. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre rechtliche Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

20. Gründe gemäß § 543 Abs. 2 ZPO, die es gebieten, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

21. Streitwert für das Berufungsverfahren: 9.703,95 EUR

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