Verdacht auf Personalstreik

AG Hamburg: Verdacht auf Personalstreik

Weil der von ihm gebuchte Flug annulliert wurde, verlangt ein Fluggast eine Ausgleichszahlung von seiner Airline. Das beklagte Flugunternehmen hält dem Begehren des Klägers das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände entgegen. Es habe den Flug vorsorglich annulliert, weil sich ein Personalstreik angedeutet hatte.

Das Amtsgericht Hamburg hat dem Kläger Recht zugesprochen. Die bloße Andeutung eines Streiks sei kein außergewöhnlicher Umstand, der die Airline von einer Haftung ausschließe.

AG Hamburg 20a C 206/12(Aktenzeichen)
AG Hamburg: AG Hamburg, Urt. vom 04.10.2013
Rechtsweg: AG Hamburg, Urt. v. 04.10.2013, Az: 20a C 206/12
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Amtsgericht Hamburg

1. Urteil vom 04. Oktober 2013

Aktenzeichen: 20a C 206/12

Leitsatz:

2. Ein Verdacht auf einen Personalstreik begründet keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004.

Zusammenfassung:

3. Ein Urlauber buchte bei einem Luftfahrtunternehmen einen Flug von Hamburg nach Paris. Am Flughafen angekommen, wurde er darüber informiert, dass der Flug wegen eines sich anbahnenden Personalstreiks annulliert worden war. Aus diesem Grund begehrt der Fluggast von der beklagten Airline eine Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 wegen Nichtbeförderung.
Diese weigert sich der Zahlung. In der Anbahnung eines Streiks sei ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 zu sehen, welcher sie aus jeglicher Haftung gegenüber den Fluggästen ausschließe.

Das Amtsgericht Hamburg hat dem Kläger Recht zugesprochen. Ein, vorliegend von der Beklagten angeführter, außergewöhnlicher Umstand nach Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004, liege ausschließlich in Fällen vor, in denen die Airline außerstande sei, die hinderlichen Umstände abzuwenden. Des Weiteren müsste das behindernde Ereignis faktisch vorliegen und zudem unvorhersehbar gewesen sein.

Ein Streik, der sich ankündige, sei vorhersehbar und seine Folgen könnten von dem Luftfahrtunternehmen aufgefangen werden. Die Situation der Beklagten sei folglich nicht vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 umfasst.
Da der Kläger nicht, wie vertraglich vereinbart, befördert wurde und die Beklagte keine ausreichenden Entschuldigungsgründe darlegen konnte, stehe ihm die begehrte Ausgleichszahlung zu.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 600,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 24.04.2013 zu bezahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

5. Der Tatbestand entfällt nach § 313 a Abs. 1 ZPO.

Entscheidungsgründe:

6. Die zulässige Klage ist begründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Ausgleichszahlung gem. Art. 4 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 c Fluggastrechteverordnung (im Folgenden VO) zu. Der außergewöhnliche Umstand muss objektiv vorliegen. Der Verdacht eines außergewöhnlichen Umstandes reicht nicht.

7. Der Beklagte ist vorliegend nicht nach Paris befördert worden. Eine Nichtbeförderung i. S. d. Art. 2 j und 4 der VO liegt damit vor, denn es ist anerkannt, dass eine Nichtbeförderung nicht nur den Fall der Überbuchung, sondern auch die Nichtbeförderung aus betrieblichen Gründen, namentlich aufgrund eines Streiks, regelt (vgl. dazu EuGH, 04.10.2012, C-22/11).

8. Die Beklagte kann sich nicht auf außergewöhnliche Umstände gem. Art. 5 Abs. 3 VO berufen. Dabei kann dahinstehen, ob – wie die Klägerin meint – eine Berufung der Beklagten auf außergewöhnliche Umstände schon deshalb ausscheidet, weil Art. 5 Abs. 3 VO nicht auf den Fall der Nichtbeförderung anwendbar sei. Denn jedenfalls liegt nach Auffassung des Gerichts auch nach dem Vortrag der Beklagten kein außergewöhnlicher Umstand vor.

9. Unstreitig sind sowohl der von der Klägerin gebuchte Flug von Hamburg nach Paris als auch der Flug von Paris nach Mexiko-Stadt am Ende trotz des (möglichen) Streiks in Paris planmäßig geflogen. Soweit die Beklagte vorträgt, aufgrund einer ex-ante Prognose habe sie die Klägerin deshalb nicht nach Paris befördert, weil sie davon ausging, dass der Anschlussflug Paris-Mexiko Stadt mit großer Wahrscheinlichkeit ausfallen würde und die Klägerin daher in Paris gestrandet wäre, ist dies hier unerheblich. Der außergewöhnliche Umstand muss objektiv vorliegen. Der Verdacht eines außergewöhnlichen Umstandes reicht nicht. Das Risiko von Fehleinschätzungen im Rahmen von ex-ante Prognosen, die sich ex-post als unrichtig erweisen, trägt die Beklagte.

10. Die Frage des Prognoserisikos hinsichtlich des Vorliegens eines außergewöhnlichen Umstandes ist nach der Recherche des Gerichts bisher nicht Gegenstand der Rechtsprechung gewesen. Daher ist der Begriff entsprechend den allgemeinen Regeln auszulegen.

11. Der außergewöhnlichen Umstands ist weder in Art. 2 der Fluggastrechteverordnung, der verschiedene Begriffsbestimmungen enthält, noch in sonstigen Vorschriften der VO definiert. Inhalt und Reichweite des Begriffs sind daher anhand seiner Bedeutung und Tragweite entsprechend seinem Sinn, dem gewöhnlichen Sprachgebrauch und der mit der betreffenden Regelung verfolgten Ziele zu ermitteln.

12. Art 5 Abs. 3 VO fordert ausweislich seines Wortlauts, der – im Unionsrecht nicht anders als im deutschen Recht – den Ausgangspunkt der Auslegung bildet, denn Nachweis, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht. Der Verdacht eines außergewöhnlichen Umstandes reicht daher, wie durch die Begrifflichkeit des Nachweises zusätzlich verdeutlicht wird, nicht.

13. Diese Auslegung entspricht auch Sinn und Zweck der Norm. Denn die Beklagte hat im Falle des Streiks hinsichtlich der erforderlichen Reorganisation einen gewissen Entscheidungsspielraum. So kann nach der Rechtsprechung des BGH die Nichtdurchführung eines einzelnen Fluges nicht deshalb als vermeidbar angesehen werden, weil stattdessen ein anderer Flug hätte annullierte werden können (vgl. dazu BGH 21.08.2012, X ZR 146/11). Erkennt man aber diesen Einschätzungsspielraum des Luftfahrtunternehmens aufgrund der besseren Sachkenntnis an, erscheint es billig, dem Luftfahrtunternehmen gleichsam als Kehrseite der Medaille auch das Risiko von Fehleinschätzungen aufzuerlegen. Diese Risikoverteilung ist auch deshalb sachgerecht, weil der Fluggast die Situation in keiner Weise einschätzten kann und daher auf die Angaben der Beklagten vertrauen muss.

14. Für dieses restriktive Auslegung spricht zudem die Tatsache, dass es sich bei Art. 5 Abs. 3 VO um einen Ausnahmetatbestand zu der grundsätzlich vorliegenden Haftung handelt. Ausnahmetatbestände sind im Zweifelsfall eng auszulegen.

15. Ein anderes Ergebnis ist nach Auffassung des Gerichts auch nicht deshalb geboten, weil der viel zitierte Schutz des Fluggastes ein Eingreifen der Beklagten erforderte. Unabhängig davon, dass der Schutz des Fluggastes üblicherweise zur Begründung und nicht zur Ablehnung von Ansprüchen des selbigen herangezogen wird, sieht das Gericht hier kein ausreichendes Schutzbedürfnis. Denn es besteht – anders als z. B. im Rahmen des Gefahrenabwehrrechts – kein Anlass die Klägerin als erwachsenen Frau durch ex-post betrachtet unrichtige Beförderungsverweigerungen vor einem längeren Aufenthalt in Paris zu schützen. Wäre es der Beklagten, wie von ihre vorgetragen, tatsächlich um die Interessen der Klägerin gegangen, so hätte sie diese vielmehr über das Risiko informieren und sodann selbstbestimmt entscheiden lassen sollen. Dies wurde jedoch von keiner der beiden Parteien vorgetragen.

16. Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 288 Abs. 1 S. 2, 291 ZPO.

17. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

18. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.

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