Örtliche Zuständigkeit für Klagen aus der europäischen Verordnung

AG Lichtenberg: Örtliche Zuständigkeit für Klagen aus der europäischen Verordnung

Die Kläger hatten eine Pauschalreise gebucht, bei der die Beklagte Beförderungsleistungen erbringen sollte. Die Beklagte erklärte das von den Klägern gewählte Gericht für örtlich unzuständig.

Dem schloss sich das Amtsgericht an und verwies die Sache. Bei bloßen Beförderungsleistungen sei Art. 16 EuGVVO nicht anwendbar.

AG Lichtenberg 5 C 184/06 (Aktenzeichen)
AG Lichtenberg: AG Lichtenberg, Urt. vom 07.09.2006
Rechtsweg: AG Lichtenberg, Urt. v. 07.09.2006, Az: 5 C 184/06
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Amtsgericht Lichtenberg

1. Urteil vom 07.09.2006

Aktenzeichen 5 C 184/06

Leitsatz:

2. Art. 16 EuGVVO ist auf bloße Beförderungsleistungen nicht anwendbar.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger hatten bei einem Drittunternehmen eine Pauschalreise gebucht, bei der die Beklagte Beförderungsleistungen erbringen sollte. Die Beklagte erklärte das von den Klägern gewählte Gericht in Berlin für örtlich unzuständig.

Dem schloss sich das Amtsgericht an und verwies die Sache. Bei bloßen Beförderungsleistungen sei Art. 16 EuGVVO nicht anwendbar. Daher sei hier das Amtsgericht Königs Wusterhausen örtlich zuständig.

Tenor

4. In Sachen … erklärt sich das Amtsgericht Lichtenberg für unzuständig und verweist den Rechtsstreit auf Antrag der Kläger und nach Anhörung der Beklagten an das örtlich zuständige Amtsgericht Königs Wusterhausen.

Gründe

5. Das Amtsgericht Lichtenberg ist örtlich unzuständig.

6. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Lichtenberg ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ersichtlich.

7. Die VO (EG) 261/2004, auf welche sich die Kläger berufen, enthält selbst keine Gerichtsstandsregelung (vgl. auch Schmid, NJW 2006, 1841; ders. in ZLW 2005, 373, 382).

8. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Lichtenberg ergibt sich nicht aus Art. 16 Abs. 1 der VO (EG) 44/2001 vom 22.12.2000 (im Folgenden: EuGVVO). Bei der Beklagten handelt es sich nicht um den Vertragspartner der Kläger. Die Kläger haben mit der F GmbH einen Pauschalreisevertrag gemäß §§ 651a ff BGB geschlossen. Bei einem Pauschalreisevertrag steht der Reisende zu denjenigen, die die einzelnen Reiseleistungen erbringen – den sogenannten Leistungsträgern – nicht in rechtlichen Beziehungen (BGHZ 93, 271ff; MünchKomm/Tonner, BGB, 4. Aufl., vor § 651a Rn 14). Unerheblich ist, dass die Verträge zwischen dem Reiseveranstalter und den Leistungsträgern regelmäßig als Verträge zugunsten Dritter, nämlich der Reisenden aufzufassen sind. Denn bei einem Vertrag zugunsten Dritter stellt das Vollzugsverhältnis zwischen dem Versprechenden – hier dem Leistungsträger – und dem Dritten – hier dem Reisenden – kein vertragliches Rechtsverhältnis dar; für den Dritten besteht lediglich ein aus dem Vertrag zugunsten Dritter abgespaltenes Forderungsrecht und für den Versprechenden eine damit korrespondierende Verpflichtung (Palandt/Grüneberg, BGB, 65. Aufl., Einf v § 328 Rn 5). Selbst wenn man dies hier anders beurteilen wollte, würde sich die Verpflichtung der Beklagten jedoch auf die bloße Erbringung der Beförderungsleistung beschränken. Zur Erbringung von Unterkunftsleistungen war sie nicht verpflichtet. Auf bloße Beförderungsverträge ist Art. 16 EuGVVO jedoch nicht anwendbar, Art. 15 Abs. 3 EuGVVO.

9. Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Königs Wusterhausen ergibt sich aus § 29 ZPO. Diese Norm findet bei Verträgen zugunsten Dritter nicht nur auf die Vertragsparteien, sondern auch auf den Dritten Anwendung (Baumbach/Hartmann, ZPO, 64. Aufl., § 29 Rn 3; Musielak/Heinrich, ZPO, 4. Aufl., § 29 Rn 3; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 29 Rn 7). Der Erfüllungsort für die von der Beklagten geschuldete Leistung befindet sich auch am Ort des Flughafens Schönefeld. Der Erfüllungsort richtet sich nach dem bürgerlichen Recht, mangels besonderer Vorschriften also nach § 269 BGB (Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 29 Rn 5; Zöller/Vollkommer, a.a.O. Rn 24). Leistungsort ist der Ort, an dem der Schuldner die Leistungshandlung vorzunehmen hat (Erman/Kuckuk, BGB, 10. Aufl., § 269 Rn 1; Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl., § 269 Rn 1). Damit lag hier der Leistungsort im Sinne von § 269 BGB bzw. der Erfüllungsort im Sinne von § 29 ZPO auch am Flughafen Berlin-Schönefeld, weil dort das Einchecken und der Beginn der Luftbeförderung erfolgen sollte. Dies entspricht auch dem Urteil des OLG Koblenz vom 29.03.2006 – 1 U 983/05 – (OLGR 2006, 485-487). Das OLG Koblenz erklärt dort, dass es den Erfüllungsort hinsichtlich der Beförderungspflicht „auch“ im Transport zum Zielflughafen und in der dortigen Abfertigung (Auschecken) sehe. Aus dieser Formulierung ergibt sich jedoch, dass der Ort des Zielflughafens nicht der ausschließliche Ort der Beförderungsleistung ist. Dies ist auch sachgerecht, weil es bei der Flugbeförderung nicht nur darum geht, dass der Fluggast zum vereinbarten Zielflughafen gebracht wird, sondern auch darum, dass der Start am vereinbarten Abflugsort erfolgt, der Fluggast also dort – nicht an einem anderen Flughafen – abgeholt wird. Danach würde es der Natur des Schuldverhältnisses widersprechen, ausschließlich den Zielflughafen als Leistungs- und Erfüllungsort anzusehen.

10. Im Gerichtsstand des § 29 ZPO können nicht nur Klagen auf Erfüllung der Verpflichtung, sondern – wie hier – auch die Klagen wegen Nicht- oder Schlechterfüllung der Haupt- und Nebenpflichten erhoben werden (Baumbach/Hartmann, a.a.O., Rn 12; Zöller/Vollkommer, a.a.O. Rn 20).

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