Wählbarkeit des Gerichtsstands

BGH: Wählbarkeit des Gerichtsstands

Ein deutscher Urlauber verklagt einen in Deutschland ansässigen Reiseunternehmer auf Reisepreisminderung, wegen einer von diesem vermittelten Ferienwohnung in Italien.
Der Beklagte weigert sich der Zahlung, da seiner Ansicht nach kein deutsches, sondern ein italienisches Gericht über diesen Streitstand zu entscheiden habe.

Der Bundesgerichtshof hat der Klage stattgegeben. Bei internationalen Streitigkeiten könne der Kläger wählen, ob er sich an das an seinem Wohnort zuständige Gericht oder an das für den Beklagten zuständige Gericht wende.

BGH X ZR 88/12 (Aktenzeichen)
BGH: BGH, Urt. vom 28.05.2013
Rechtsweg: BGH, Urt. v. 28.05.2013, Az: X ZR 88/12
LG Ellwangen, Urt. v. 11.06.2012, Az: 1 S 4/12
AG Aalen, Urt. v. 16.12.2011, Az: 8 C 613/11
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BGH-Gerichtsurteile

Bundesgerichtshof

1. Urteil vom 28. Mai 2013

Aktenzeichen: X ZR 88/12

Leitsatz:

2. Bei Streitigkeiten über eine Ferienimmobilie in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union darf der Kläger sich entweder an das Gericht am eigenen Wohnort, oder an das Gericht am Sitz des Vermieters wenden.

Zusammenfassung:

3. Ein deutscher Urlauber buchte bei einem in Deutschland ansässigen Reiseunternehmen einen 2-wöchigen Aufenthalt in einer italienischen Ferienwohnung. Weil diese jedoch nicht der vereinbarten Beschaffenheit entsprach, verlangt der Kläger nun vom beklagten Reiseveranstalter eine nachträgliche Preisminderung.
Die Wohnung sei nur eingeschränkt nutzbar gewesen und aufgrund ihrer auffälligen Defizite mangelhaft im Sinne von §651 c BGB.
Der Zahlungsanspruch wurde dem Reisenden von dem am Wohnsitz der Beklagten zuständigen Amtsgericht zugesprochen.
Das beklagte Unternehmen rügt die Entscheidung, da in dieser Streitigkeit nicht die deutsche, sondern die italienische Gerichtsbarkeit anzurufen sei. Das Unternehmen habe den Reisevertrag mit dem italienischen Hauseigentümer lediglich vermittelt und sei nicht selbst Vertragspartner geworden.

Der Bundesgerichtshof hat die Rüge der Beklagten als unbegründet abgewiesen. Vertragspartner in einem Reisevertrag sei grundsätzlich derjenige, den ein objektiver Dritter während der Verhandlungen für einen solchen halten konnte. Das beklagte Unternehmen sei hier als gewerblicher Reiseveranstalter aufgetreten, während zu keiner Zeit Kontakt mit dem eigentlichen Hauseigentümer bestand.
Etwaige Mängelansprüche seien daher regelmäßig an die Partei zu stellen, die der Verbraucher für den Vertragspartner halten durfte.

Bei internationalen Streitigkeiten habe der Kläger zudem ein Wahlrecht in Bezug auf die Klageerhebung. Gemäß Art. 15 Abs. 1 Buchst. c , Art. 16 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 könne er frei wählen, ob er sein Begehren gegenüber dem Gericht an seinem Wohnsitz oder an dem der Beklagen geltend mache.
Der Geschädigte habe die Klage folglich vor dem örtlich zuständigen Gericht erhoben.

Tenor:

4. Die Revision gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Ellwangen vom 11. Juni 2012 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Tatbestand:

5. Die Beklagte, die ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland hat, bietet Ferienhäuser auf ihren Internetseiten an. Der in Deutschland wohnhafte Kläger buchte bei ihr für die Zeit vom 10. Bis 24. Juli 2010 ein Ferienhaus in Italien, das einem Dritten gehörte.

6. Mit der beim Amtsgericht am Sitz der Beklagten erhobenen Klage verlangt der Kläger die Rückzahlung des hälftigen an die Beklagte geleisteten Preises als Minderung und macht geltend, das Ferienhaus habe sich nicht in dem von der Beklagten in der Beschreibung zugesagten Zustand befunden und es seien während seines Aufenthalts weitere Mängel aufgetreten. Die Beklagte hat die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gerügt und die Ansprüche für nicht begründet erachtet. Das Amtsgericht hat abgesonderte Verhandlung über die Zulässigkeit der Klage angeordnet und durch Zwischenurteil seine internationale Zuständigkeit bejaht. Die Berufung der Beklagten gegen das Zwischenurteil ist ohne Erfolg geblieben. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie weiterhin die Abweisung der Klage als unzulässig begehrt.

Entscheidungsgründe:

7. Das Berufungsgericht hat angenommen, die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergebe sich aus Art. 15 Abs. 1 Buchst. c , Art. 16 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001 Nr. L 12, S. 1, ber. ABl. Nr. L 307, S. 28 und ABl. 2010 Nr. L 328, S. 36; nachfolgend: Brüssel I-VO).

8. Der Klageanspruch unterliege nicht der ausschließlichen Zuständigkeit gemäß Art. 22 Nr. 1 Brüssel-I-VO. Zwar habe zwischen den Parteien ein Reisevertrag bestanden, der lediglich die Anmietung des Ferienhauses zum Gegenstand gehabt habe und damit rechtlich ein Mietvertrag sei, auf den sich auch der geltend gemachte Klageanspruch beziehe. Doch sei Art. 22 Nr. 1 Brüssel-I-VO nicht weiter auszulegen, als sein Zweck dies erfordere, da er die Parteien dazu zwingen könne, vor einem Gericht zu prozessieren, das für keine von beiden das Gericht am Sitz bzw. Wohnsitz sei. Das Ziel der Vorschrift, dem mit den örtlichen Verhältnissen vertrauten Gericht die Entscheidung zu übertragen, erfordere in Fällen wie dem vorliegenden eine Anwendung der Bestimmung nicht.

9. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe die Anwendbarkeit der Art. 22 Nr. 1 Brüssel-I-VO verneint, wenn der gewerbliche Reiseveranstalter sich vertraglich verpflichtet habe, eine ihm nicht gehörende und in einem anderen Vertragsstaat gelegene Ferienwohnung dem Kunden für einige Wochen zu überlassen (EuGH, Urteil vom 26. Februar 1992 – Rs. C-280/90 , Slg. 1992, I-1111 = NJW 1992, 1029). Die vom Gerichtshof angeführten Gesichtspunkte gälten in gleicher Weise für Art. 22 Nr. 1 Brüssel-I VO.

10. Dies hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.

11. Der Bundesgerichtshof hat als Revisionsgericht die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ungeachtet der Vorschrift des § 545 Abs. 2 ZPO zu prüfen ( BGH, Urteil vom 28. November 2002 – III ZR 102/02 , BGHZ 153, 82 = NJW 2003, 426).

12. Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte aus Art. 15 Abs. 1 Buchst. c, Art. 16 Abs. 1 Brüssel I-VO ergibt und nicht durch die ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 22 Nr. 1 Brüssel-I-VO verdrängt wird.

13. Wie der Senat in seinem Urteil vom 23. Oktober 2012 ( X ZR 157/11 , NJW 2013, 308 Rn. 8 ff.) ausgeführt und näher begründet hat, unterfällt ein Rechtsstreit, in dem ein Verbraucher gegenüber einem Reiseveranstalter Ansprüche aus einem Vertrag geltend macht, in dem sich der Reiseveranstalter zur zeitweisen Überlassung eines in einem anderen Vertragsstaat gelegenen und einem Dritten gehörenden Ferienhauses verpflichtet hat, auf der Grundlage der Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache Hacker gegen Euro Relais GmbH nicht der ausschließlichen Zuständigkeit des Art. 22 Nr. 1 Brüssel-I-VO. Der zwischen einem gewerblichen Reiseveranstalter und einem privaten Kunden geschlossene Vertrag bringt – auch wenn er sich nur auf die zeitweise Überlassung eines Ferienhauses und damit auf eine einzige Reiseleistung bezieht – typischerweise weitere (Neben )Leistungen „mit sich“ (vgl. EuGH -Hacker/Euro Relais GmbH, aaO Rn. 14) und trägt damit nicht das Gepräge eines Mietvertrags im Sinne des Art. 22 Nr. 1 Brüssel-I-VO.

14. Auch im Streitfall ist der Bestimmung des international zuständigen Gerichts zugrunde zu legen, dass der Kläger, ein Verbraucher, gegen die Beklagte, einen gewerblichen Reiseveranstalter, Ansprüche aus einem Vertrag geltend macht, in dem sich der Reiseveranstalter zur zeitweisen Überlassung eines in einem anderen Vertragsstaat gelegenen und einem Dritten gehörenden Ferienhauses verpflichtet und die Beklagte nicht lediglich den Abschluss des Mietvertrags zwischen dem Kläger und dem Eigentümer des Ferienhauses vermittelt hat.

15. Reiseunternehmen können als Erbringer von Reiseleistungen in eigener Verantwortung tätig werden, wobei sie sich Dritter als Leistungsträger bedienen können. Sie können aber auch bloß Vermittler solcher Reiseleistungen sein. Welche Art von Tätigkeit vorliegt, hängt vom Inhalt und den weiteren Umständen der Vertragsverhandlungen ab. Hierbei ist entscheidend darauf abzustellen, wie das Reiseunternehmen aus der Sicht des Reisenden auftritt. Reiseveranstalter und damit Vertragspartner des Reisevertrags ist derjenige, der aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Reisekunden als Vertragspartei Reiseleistungen in eigener Verantwortung erbringt (vgl. BGH, Urteil vom 30. September 2010 – Xa ZR 130/08 , NJW 2011, 599 Rn. 9 ff.).

16. Der Kläger hat nach den Ausführungen des Berufungsurteils vorgetragen, die Beklagte sei gewerblicher Reiseveranstalter und er habe mit dieser einen „Ferienhausveranstaltungsvertrag“ geschlossen, woraus sich ergibt, dass die Beklagte sich nach Behauptung des Klägers zur Überlassung der Ferienwohnung in eigener Verantwortung verpflichtet hatte. Entsprechend hat er gegen die Beklagte und nicht den Eigentümer des Ferienhauses bereits vorgerichtlich Ansprüche wegen der gerügten Mängel des Ferienhauses geltend gemacht. Allein diese schlüssige Behauptung der erforderlichen Tatsachen betreffend die Art der Tätigkeit der Beklagten, die sowohl für die Prüfung der Zulässigkeit als auch der Begründetheit von Relevanz sind, genügt im Rahmen der Prüfung der internationalen Zuständigkeit ( BGH, Urteil vom 29. Juni 2010 – VI ZR 122/09 , NJW-RR 2010, 1554 Rn. 8). Zudem hat die Beklagte in Übereinstimmung hiermit vorgetragen, ungeachtet ihrer Unternehmensbezeichnung „Ferienhausvermittlung“ am Markt so aufgetreten zu sein, dass sie nicht lediglich die Gebrauchsüberlassung vermittle, sondern selbst die Leistung der Bereitstellung der Ferienhäuser erbringe.

17. Da Gegenstand des Rechtsstreits damit Ansprüche aus einem Vertrag sind, in dem sich die Beklagte als Reiseveranstalter gegenüber dem Kläger, ihrem privaten Kunden, zur zeitweisen Überlassung eines Ferienhauses, das in einem anderen Vertragsstaat gelegen ist und einem Dritten gehört, verpflichtet hat, unterfällt der Rechtsstreit, wie der Senat in seiner Entscheidung vom 23. Oktober 2012 ( X ZR 157/11 ) näher ausgeführt und begründet hat, nicht der ausschließlichen Zuständigkeit des Art. 22 Nr. 1 Brüssel-I-VO. Dem steht das Urteil des Gerichtshofs vom 27. Januar 2000 ( C-8/98 , Slg. 2000, I-393 = NJW 2000, 2009 [EuGH 27.01.2000 – C 8/98] – Dansommer AS/Götz) nicht entgegen, wonach die Klage aus Ansprüchen des Eigentümers gegen den Mieter eines Ferienhauses auch dann der ausschließlichen Zuständigkeit des Art. 22 Nr. 1 Brüssel-I-VO (vormals Art. 16 Nr. 1 EuGVÜ) unterliegt, wenn diese Ansprüche aus abgetretenem Recht von einem gewerblichen Reiseveranstalter geltend gemacht werden.

18. Davon ist der vorliegende Fall zu unterscheiden, in dem aus einem Vertrag geklagt wird, in dem sich der gewerbliche Reiseveranstalter selbst zur Überlassung der Ferienwohnung verpflichtet hat (vgl. Senat, aaO Rn. 16) und dem privaten Kunden als der zur Durchführung und Abwicklung des Vertrags Verantwortliche – beispielsweise als Adressat von Beanstandungen – gegenübertritt. Die damit übernommenen vertragsspezifischen Pflichten gehören ebenso zu den weiteren Nebenleistungen, die ein solcher Vertrag neben der Wohnungsüberlassung für den Veranstalter „mit sich bringt“ (EuGH – Hacker/Euro Relais GmbH, aaO Rn. 14) wie sonstige Zusatzleistungen – hier ausweislich der Buchungsbestätigung K1 die Endreinigung und ausweislich der Beschreibung des Ferienhauses Anlage K2 die Bereitstellung des Gemeinschaftspools der Ferienanlage – und die vom Gerichtshof gleichfalls herangezogenen Auskünfte und Ratschläge bei der Unterbreitung verschiedener Angebote, etwa aus einem Ferienhauskatalog.

19. Der Senat ist nicht gehalten, den Rechtsstreit gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung des Art. 22 Nr. 1 Brüssel-I-VO vorzulegen. Diese Vorschrift entspricht der Vorgängervorschrift des Art. 16 Nr. 1 EuGVÜ, deren Auslegung durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs hinreichend geklärt ist; sie ist hier lediglich auf den Einzelfall anzuwenden.

20. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 ZPO ; die Beklagte hat die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels gegen das Zwischenurteil zu tragen (vgl. Greger in Zöller, ZPO, 29. Aufl., § 280 Rn. 8 aE).

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