Mitverschulden wegen Unterlassens der Wertdeklaration
LG Düsseldorf: Mitverschulden wegen Unterlassens der Wertdeklaration
Ein Transportunternehmen wurde auf Schadenersatz verklagt, weil die Lieferung eines in den USA gekauften Artikels nicht stattgefunden haben soll.
Das Landgericht Düsseldorf sprach dem Kläger eine Schadensersatzforderung zu und entschied, dass das Urteil vorläufig vollstreckbar ist.
LG Düsseldorf | 31 O 45/06 (Aktenzeichen) |
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LG Düsseldorf: | LG Düsseldorf, Urt. vom 24.05.2007 |
Rechtsweg: | LG Düsseldorf, Urt. v. 24.05.2007, Az: 31 O 45/06 |
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Leitsatz:
2. Geht ein Frachtgut verloren, so kommt das Luftfrachtunternehmen als Schuldner der Leistung in Verzug. Entstehen dem Eigentümer des Frachtguts Mehrkosten aufgrund der Nichterfüllung, so ist das Luftfrachtunternehmen dem Eigentümer zum Ersatz dieser verpflichtet.
Zusammenfassung:
3. In diesem Fall ließ die Klägerin ein in den USA gekauftes Frachtgut bei dem beklagten Transportunternehmen nach Deutschland liefern.
Der Kläger begehrt von dem beklagten Transportunternehmen einen Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Als Rechtsgrundlage werden die Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch genommen.
Das Landgericht in Düsseldorf hat dem Kläger den Mehrkostenersatz zugesprochen. Bei einer Lieferung handelt es sich um ein Fixgeschäft. Die Lieferung muss dann erfolgen, wie zuvor bei der Buchung vereinbart wurde. Bei Nichterfüllung kommt das Transportunternehmen in Verzug und macht sich dem Eigentümer gegenüber schadenersatzpflichtig.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 22.703,40 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % -Punkten über dem Basiszins seit dem 30.1.2006 zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe:
5. Die Klägerin macht als Transportversicherer der Firma VV GmbH & Co. KG in NN aus abgetretenem und übergegangenem Recht Schadensersatzansprüche wegen zwei Transportschadenfällen geltend. Im Einzelnen geht es um folgende Sendungen:
1. Sendung vom 17.5.2005 an die Firma TT in xxx/USA.
Auf den geltend gemachten Schaden zahlte die Beklagte vorprozessual 510,– €..
2. Sendung vom 3.3.2005 an die Firma AA in Frankreich. Auf den geltend gemachten Schaden zahlte die Beklagte vorprozessual 510,– €..
6. Die Klägerin trägt vor, aufgrund der von ihr an ihre Versicherungsnehmerin geleisteten Zahlungen und der von dieser erfolgten Abtretung an sie ergebe sich ihre Aktivlegitimation. Die Beklagte habe für die durch die Paketverluste entstandenen Schäden in voller Höhe einzustehen. Aus dem Umstand, dass die Beklagte nicht in der Lage sei, den Verbleib der Sendungen aufzuklären, folge, dass die Beklagte mangelhaft organisiert sei. Aus diesem Grund könne sie sich auf Haftungsbeschränkungen nicht berufen. Der ihr insgesamt durch den Verlust der Pakete, in denen sich die von ihr angegebenen Waren mit dem angegebenen Wert befunden hätten, entstandene Schaden belaufe sich unter Berücksichtigung der vorprozessualen Zahlungen der Beklagten auf 22.703,40 €. Weiter seien ihr 540,44 € vorgerichtliche Anwaltskosten zu erstatten.
die Beklagte zu verurteilen, an die sie 22.703,40 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % -Punkten über dem Basiszins seit dem 30.1.2006 sowie 540,44 € vorgerichtliche Anwaltskosten zu zahlen.
die Klage abzuweisen.
9. Sie bestreitet die Aktivlegitimation der Klägerin und macht im Übrigen geltend, die Sendung im Fall 2 zugestellt zu haben. Jedenfalls sei ein Anspruch der Klägerin allenfalls in Höhe des Haftungshöchstbetrages entsprechend ihrer allgemeinen Geschäftsbedingungen gegeben, da eine Wertdeklaration seitens des Versenders nicht erfolgt sei. Ihre Betriebsorganisation sei ausreichend, so dass aus diesem Grund die Klägerin von ihr keine unbeschränkte Haftung verlangen könne. Ein Organisationsverschulden könne die Klägerin ihr nicht vorwerfen. Schließlich müsse sich die Versenderin ein haftungsausschließendes Mitverschulden anrechnen lassen, weil sie von der Möglichkeit der Angabe einer Wertdeklaration mit der Folge einer entsprechenden Beförderung keinen Gebrauch gemacht habe und Schnittstellenkontrollen nicht Gegenstand der vereinbarten Leistung gewesen seien.
10. Die Kammer hat gemäß Beweisbeschluss vom 19.9.2006 Beweis erhoben. Auf das Ergebnis der Beweisaufnahme wird Bezug genommen.
11. Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
12. Die Klage ist, worauf im Termin zur mündlichen Verhandlung hingewiesen wurde, mit Ausnahme der vorgerichtlichen Anwaltskosten begründet. Die Beklagte hat für die Verlustschäden, ohne sich mit Erfolg auf eine Haftungsbeschränkung berufen zu können, gemäß § 452, 425 HGB (Fall 1), Art. 17 CMR (Fall 2) einzustehen. Es handelt sich im Fall 1 um einen multimodalen Transport, auf den die Regelungen des Montrealer Übereinkommens schon deshalb nicht anwendbar sind, weil die Parteien ausweislich Ziff. 15 der Beförderungsbedingungen der Beklagten, an denen die Beklagte, die die Einbeziehung dieser Bedingungen in den mit der Versicherungsnehmerin der Klägerin geschlossenen Vertrag behauptet, sich festhalten lassen muss, die Anwendbarkeit deutschen Rechts vereinbart haben.
13. Die Klägerin ist berechtigt, die hier streitigen Schäden geltend zu machen. Ihre Aktivlegitimation besteht jedenfalls aufgrund einer stillschweigenden Abtretung. Denn die Überlassung der Schadensunterlagen an den Versicherer zum Zwecke der Prozessführung, der letztlich für den Ausgleich des Schadens gegenüber dem Geschädigten verantwortlich ist, hat allein den Sinn, diesen in den Stand zu setzen, die Ansprüche erfolgreich geltend zu machen. Dazu gehört nach der Vorstellung und dem Willen wirtschaftlich denkender Parteien erfahrungsgemäß auch, dass dem Versicherer alle Ansprüche abgetreten werden. Einer ausdrücklichen Erklärung bedarf es hierzu nicht. Es ist vielmehr von einem konkludenten rechtsgeschäftlichen Verhalten auszugehen. Soweit die Beklagte Vortrag zur Bevollmächtigung des Übersenders der Schadensunterlagen vermisst, ist dies wegen der anwendbaren Grundsätze der Anscheinsvollmacht nicht schädlich.
14. Von einem Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz kann entgegen der Auffassung der Beklagten schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil die gerichtliche Geltendmachung derartiger abgetretener Ansprüche eine bloße untergeordnete Hilfstätigkeit im Sinne des Art. 1 § 5 RechtsBerG darstellt (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 6.10.2004, Az.: 18 U 86/04).
15. Die Beklagte kann sich gegenüber dem Anspruch der Klägerin nicht mit Erfolg darauf berufen, sie habe das streitgegenständliche Paket im Fall 2 ordnungsgemäß zugestellt. Denn für die von ihr aufgestellte Behauptung einer ordnungsgemäßen Zustellung ist die Beklagte beweispflichtig (vgl. BGH MDR 2001, 406). Den ihr obliegenden Beweis konnte sie mit der Aussage der von ihr benannten Zeugin GG nicht führen. Diese hat vielmehr ausgesagt, dass ihr die Nichtlieferung des Pakets bestätigt worden sei. Einer Verwertung der Aussage der Zeugin GG steht nicht entgegen, dass die Beklagte nicht vom Vernehmungstermin der Zeugin benachrichtigt wurde. Denn die Beklagte hat trotz entsprechender Nachfrage in der mündlichen Verhandlung nicht mitgeteilt, welche Fragen der Zeugin im Falle einer Teilnahme an der Sitzung hätten gestellt werden sollen.
16. Der Inhalt der streitgegenständlichen Sendungen steht zur Überzeugung der Kammer fest. Aufgrund der von der Klägerin vorgelegten Rechnungen und Lieferscheine betreffend die streitgegenständlichen Sendungen besteht zu ihren Gunsten der Beweis des ersten Anscheins, dass die Sendungen den vorgetragenen Inhalt hatten (vgl. BGH, Urteil vom 24.10.2002, Az.: I ZR 104/00). Diesen Beweis des ersten Anscheins hat die Beklagte durch ihren Vortrag nicht erschüttert, da sie sich lediglich darauf beschränkt hat, den Inhalt der Sendung mit Nichtwissen zu bestreiten und ins Blaue hinein vorträgt, Rechnungen und Lieferscheine seien nicht an den genannten Daten erstellt worden und der jeweiligen Sendung beigefügt gewesen
17. Hinsichtlich des Werts der jeweiligen Sendungen ergibt sich die Höhe des Anspruchs aus den von der Klägerin überreichten Handelsrechnungen (vgl. auch die Regelung in § 429 Abs. 3 Satz 2 HGB). Angesichts der überreichten Rechnungen reicht ein bloßes Bestreiten des Werts bzw. des Zustands der Ware durch die Beklagte nicht aus. Der von der Klägerin im Fall 1 zugrunde gelegte Umrechnungskurs ist nicht zu beanstanden (vgl. www.oanda.com).
18. Die Beklagte kann sich gegenüber dem Anspruch der Klägerin nicht mit Erfolg auf zu ihren Gunsten bestehende Haftungsgrenzen berufen. Die Beklagte hat den vollen Schaden zu ersetzen, da zu unterstellen ist, dass die Verluste durch qualifiziertes Verschulden ihrer Leute eingetreten sind. Zwar hat die Klägerin nicht, was grundsätzlich ihr obliegen würde, die Umstände, die auf Vorsatz oder Leichtfertigkeit der Beklagten schließen lassen, dargelegt und unter Beweis gestellt. Dies gereicht ihr aber nicht zum Nachteil. Wenn auch grundsätzlich der Anspruchsteller derartige Umstände vorzutragen hat, so trifft andererseits nach dem auch im Prozessrecht anzuwendenden Grundsatz von Treu und Glauben den Prozessgegner eine Einlassungsobliegenheit für solche Umstände, die gänzlich außerhalb der Wahrnehmungssphäre der darlegungs- und beweisbelasteten Partei liegen, dann, wenn ihr die Darlegung möglich und zumutbar ist. Insbesondere konstatiert die Rechtsprechung im Transportrecht eine Pflicht des Frachtführers oder Spediteurs, zu seiner Organisation allgemein und zu deren Befolgung im konkreten Schadensfalls vorzutragen, soweit – wie üblich – der Versender mangels Überblick hierzu nicht in der Lage ist. Soweit der Transportführer dieser Einlassungsobliegenheit nicht nachkommt, sei es, weil er Einzelheiten nicht offen legen will oder in Unkenntnis der Umstände nicht kann, spricht eine widerlegbare Vermutung für qualifiziertes Verschulden.
19. An einem entsprechenden Vortrag der Beklagten fehlt es vorliegend.
20. Die Ansprüche der Klägerin sind auch nicht aufgrund eines sie oder die Versenderin treffenden Mitverschuldens eingeschränkt. Ein Anspruch minderndes Mitverschulden lässt sich vor allem nicht daraus herleiten, dass die Beklagte aufgrund der unterlassenen Wertangabe nicht in die Lage versetzt wurde, die Pakete einem höheren Haftungswert entsprechend zu befördern. Denn die unterlassene Wertdeklaration führte im vorliegenden Fall nicht zu einer verbesserten Eingrenzungsmöglichkeit des Verlustorts, so dass sich ein etwaiges Verschulden der Versenderin nicht ausgewirkt hat. Die Organisation des Versands wertdeklarierter Pakete ist der Kammer aufgrund der Aussage des Zeugen CCC vom 7.12.2006 in den Verfahren 31 O 58/06, 31 O 73/06, 31 O 79/06 und 31 S 12/06 bekannt und mithin gerichts- und daher offenkundig im Sinne des § 291 ZPO (vgl. Zöller 25. Aufl., RN 1 zu § 291 ZPO). Danach besteht ein gegenüber nicht wertdeklarierten Sendungen zusätzlich gesicherter Bereich für wertdeklarierte Sendungen nur solange, bis die Pakete im Abholcenter den ersten Scan erhalten haben. Danach werden diese Pakete zusammen mit den nicht wertdeklarierten Sendungen befördert. Da nach der Aussage des Zeugen CCC keine Möglichkeit der Kontrolle dahingehend besteht, ob der Abholfahrer das ihm als Wertsendung übergebene Paket auch tatsächlich dem Teamleader im Abholcenter übergibt, und im Auslandsverkehr die Erstellung von Preesheets ohnehin nicht vorgesehen ist, kann mithin die Ankunft des Pakets im Zustellcenter auch nicht überprüft werden. Daraus folgt im Ergebnis, dass bei der Beförderung von Paketen, die einen Scan im Eingangscenter erhalten haben, kein Unterschied mehr zwischen wertdeklarierten und nicht wertdeklarierten Sendungen besteht, insbesondere eine bessere räumliche und/oder zeitliche Eingrenzung des Verlustorts nicht möglich ist. Dass in den vorliegenden Fällen eine Scannung im Eingangscenter erfolgte, ergibt sich bereits daraus, dass die Beklagte, die die Darlegungs- und Beweislast für die die Annahme eines Mitverschuldens begründenden Umstände trägt (vgl. BGHZ 91, 260), die Übergabe der Sendungen nicht bestritten und die fehlende Erfassung in ihrem System nicht behauptet hat.
21. Der Klägerin ist auch keine Obliegenheitsverletzung im Sinne des § 254 Abs. 2 BGB vorzuwerfen, weil sie den über 5000,– € liegenden Sendungswert nicht angab. Denn der unterlassene Hinweis auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadenseintritts wirkt sich nur dann zu Lasten des Versenders aus, wenn die Beklagte im Falle des Hinweises auf den ungewöhnlich hohen Wert des Gutes besondere Maßnahmen ergriffen hätte. Gerade dies ist aber nicht der Fall. Der Zeuge CCC hat in den bereits oben genannten Verfahren vielmehr ausgesagt, Sendungen würden bis zu einer Wertangabe von 56.000,– € ohne weiteres zur Beförderung angenommen.
22. Die Ansprüche der Klägerin sind auch nicht aufgrund eines sie oder die Versenderin treffenden Mitverschuldens eingeschränkt, weil die Beförderungsbedingungen der Beklagten eine Schnittstellenkontrolle als nicht vereinbart bezeichnen. Denn diese Regelung in den Beförderungsbedingungen steht in Widerspruch zu den Angaben auf Seite 28 der „VVV Tariftabelle und Serviceleistungen“, die den Versendern jedenfalls über das Internet jederzeit zugänglich sind. Dort wird damit geworben, dass der Status von zum Transport übergebenen Sendungen bequem zu verfolgen ist und „umfassende Sicherheit“ mit einem Mausklick besteht. Diese Widersprüchlichkeit zu der Angabe in den Beförderungsbedingungen, wonach Schnittstellenkontrollen, die allein eine umfassende Sicherheit garantieren könnten, als nicht vereinbart gelten, schließt die Annahme eines Mitverschuldens unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) aus.
23. Im übrigen reicht die Kenntnis und Billigung der Transportorganisation der Beklagten für sich allein nicht zur Begründung eines Mitverschuldens aus (vgl. BGH, Urteil vom 4.3.2004, Az: I ZR 200/01).
24. Der Zinsanspruch der Klägerin ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB.
25. Vorgerichtliche Anwaltskosten kann die Klägerin nicht ersetzt verlangen. Denn die Tätigkeit eines Rechtsanwalts, der bereits einen bedingten Klageauftrag erhalten hat (so mitgeteilt im Schreiben vom 16.1.2006) und sich zur Vorbereitung dieser Klage an den Gegner wendet, ist mit der Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren abgegolten (vgl. Hartmann Kostengesetze, 36. Aufl., RVG VV 2300 RZ. 3).
26. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 2, 709 ZPO.
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