Einlassungsobliegenheit des Transportführers

LG Düsseldorf: Einlassungsobliegenheit des Transportführers

Ein Transportunternehmen wurde auf Schadensersatz verklagt, weil die Lieferung eines von 7 gekauften Artikels nicht stattgefunden hat.
Das Landgericht Düsseldorf sprach dem Kläger eine Schadensersatzforderung zu und entschied, dass das Urteil vorläufig vollstreckbar ist.

LG Düsseldorf 31 O 54/07 (Aktenzeichen)
LG Düsseldorf: LG Düsseldorf, Urt. vom 31.07.2008
Rechtsweg: LG Düsseldorf, Urt. v. 31.07.2008, Az: 31 O 54/07
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Landgericht Düsseldorf

1. Urteil vom 31. Juli 2008

Aktenzeichen: 31 O 54/07

Leitsatz:

2. Geht ein Frachtgut verloren, so kommt das Luftfrachtunternehmen als Schuldner der Leistung in Verzug. Entstehen dem Eigentümer des Frachtguts Mehrkosten aufgrund der Nichterfüllung, so ist das Luftfrachtunternehmen dem Eigentümer zum Ersatz dieser verpflichtet.

Zusammenfassung:

3. In diesem Fall ließ die Klägerin ein von ihr gekauftes Frachtgut bei dem beklagten Transportunternehmen nach Frankreich liefern. Aufgrund eines Schadens an einem der insgesamt 7 Pakete kann der Verbleib der Sendung nicht aufgeklärt werden.

Der Kläger begehrt von dem beklagten Transportunternehmen einen Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Als Rechtsgrundlage werden die Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts aus dem Bürgerliche Gesetzbuch genommen.

Das Landgericht in Düsseldorf hat dem Kläger den Mehrkostenersatz zugesprochen. Bei einer Lieferung handelt es sich um ein Fixgeschäft. Die Lieferung muss dann erfolgen, wie zuvor bei der Buchung vereinbart wurde. Bei Nichterfüllung kommt das Transportunternehmen in Verzug und macht sich dem Eigentümer gegenüber schadensersatzpflichtig.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 12.822,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.8.2005 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe 120 % des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

5. Die Klägerin macht als Transportversicherer der Firma SSS GmbH in CC aus abgetretenem und übergegangenem Recht Schadensersatzansprüche wegen eines Transportschadensfalles geltend. Im Einzelnen geht es um eine aus 7 Paketen bestehende Sendung vom 25.8.2004 an die Firma VV in BB/Frankreich..

6. Die Klägerin trägt vor, aufgrund der von ihr an ihre Versicherungsnehmerin geleisteten Zahlungen und der von dieser erfolgten Abtretung an sie ergebe sich ihre Aktivlegitimation. Die Beklagte habe für den durch den Verlust eines der sieben Pakete entstandenen Schaden in voller Höhe einzustehen. Aus dem Umstand, dass die Beklagte nicht in der Lage sei, den Verbleib der Sendung aufzuklären, folge, dass die Beklagte mangelhaft organisiert sei. Aus diesem Grund könne sie sich auf Haftungsbeschränkungen nicht berufen. Der ihr insgesamt durch den Verlust des Pakets, in dem sich die von ihr angegebenen Waren mit dem angegebenen Wert befunden hätten, entstandene Schaden belaufe sich unter Berücksichtigung der unstreitigen vorprozessualen Zahlung der Beklagten in Höhe von 510,– € auf 12.822,80 €.

7. Die Klägerin beantragt,

wie erkannt.

8. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

9. Sie bestreitet die Aktivlegitimation der Klägerin und macht im Übrigen geltend, an dem Paket keinen Gewahrsam erlangt zu haben. Jedenfalls sei ein Anspruch der Klägerin allenfalls in Höhe des Haftungshöchstbetrages entsprechend ihrer allgemeinen Geschäftsbedingungen gegeben, da eine Wertdeklaration seitens des Versenders nicht erfolgt sei. Ihre Betriebsorganisation sei ausreichend, so dass aus diesem Grund die Klägerin von ihr keine unbeschränkte Haftung verlangen könne. Ein Organisationsverschulden könne die Klägerin ihr nicht vorwerfen. Darüber hinaus habe die Versenderin auf eine Kontrolle der Transportwege durch schriftliche Ein- und Ausgangskontrollen verzichtet. Schließlich müsse sich die Versenderin ein haftungsausschließendes Mitverschulden anrechnen lassen, weil sie trotz der in der Vergangenheit aufgetreten Verlustfälle mit ihr, der Beklagten, weiter versende und von der Möglichkeit der Angabe einer Wertdeklaration mit der Folge einer entsprechenden Beförderung keinen Gebrauch gemacht habe. Letztlich seien Ansprüche der Klägerin auch verjährt.

10. Die Kammer hat gemäß Beweisbeschluss vom 17.4.2008 Beweis erhoben. Auf das Ergebnis der Beweisaufnahme wird Bezug genommen.

11. Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

12. Die Klage ist, worauf in der mündlichen Verhandlung im Rahmen der Erörterung der Sach- und Rechtslage hingewiesen wurde, begründet.

13. Die Beklagte hat für den Verlustschaden, ohne sich mit Erfolg auf eine Haftungsbeschränkung berufen zu können, gemäß § 452 HGB in Verbindung mit §§ 425 Abs. 1, 435 HGB einzustehen. Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt demgegenüber eine Haftung nach den Vorschriften des Montrealer Übereinkommens nicht in Betracht. Dieses ist bereits deshalb nicht anwendbar, weil nicht ersichtlich ist, dass das Verbringen der Sendung zum Lufttransport im Sinne eines Zubringerdienstes als Teil der Gesamtbeförderung bei Vertragsabschluss in den Luftfrachtbrief aufgenommen wurde. Im Übrigen wurde der Transportauftrag nach der Behauptung der Beklagten auf der Grundlage ihrer, der Beklagten, Beförderungsbedingungen erteilt. Diese sehen aber in Ziffer 9.2, letzter Satz vor, dass Haftungsbeschränkungen, auch solche nach dem bei leichtfertiger Verursachung des Schadens (siehe hierzu weiter unten) nicht gelten. Diese haftungserweiternde Vereinbarung ist gemäß Art. 25 MÜ zulässig.

14. Die Klägerin ist berechtigt, den hier streitigen Schaden geltend zu machen. Ihre Aktivlegitimation besteht jedenfalls aufgrund einer stillschweigenden Abtretung. Denn die Überlassung der Schadensunterlagen an den Versicherer zum Zwecke der Prozessführung, der letztlich für den Ausgleich des Schadens gegenüber dem Geschädigten verantwortlich ist, hat allein den Sinn, diesen in den Stand zu setzen, die Ansprüche erfolgreich geltend zu machen. Dazu gehört nach der Vorstellung und dem Willen wirtschaftlich denkender Parteien erfahrungsgemäß auch, dass dem Versicherer alle Ansprüche abgetreten werden. Einer ausdrücklichen Erklärung bedarf es hierzu nicht. Es ist vielmehr von einem konkludenten rechtsgeschäftlichen Verhalten auszugehen (vgl. BGH NJW 1997, 729).

15. Soweit die Beklagte Vortrag zur Bevollmächtigung des Übersenders der Schadensunterlagen vermisst, ist dies wegen der anwendbaren Grundsätze der Anscheinsvollmacht nicht schädlich. Welche Unterlagen der Klägerin übersandt wurden, ergibt sich aus den von der Klägerin überreichten Anlagen; wann diese der Klägerin überlassen wurden, ist unerheblich.

16. Der Inhalt der streitgegenständlichen Sendung zum Zeitpunkt der Übergabe an die Beklagte steht zur Überzeugung der Kammer fest. Aufgrund der von der Klägerin vorgelegten Rechnung und des Lieferscheins betreffend die streitgegenständlichen Sendung besteht zu ihren Gunsten der Beweis des ersten Anscheins, dass die Sendung den vorgetragenen Inhalt hatte (vgl. BGH, Urteil vom 24.10.2002, Az.: I ZR 104/00). Diesen Beweis des ersten Anscheins hat die Beklagte durch ihren Vortrag nicht erschüttert, da sie sich lediglich darauf beschränkt hat, den Inhalt der Sendung mit Nichtwissen zu bestreiten und ins Blaue hinein vorträgt, Rechnung und Lieferschein seien nicht an dem genannten Datum erstellt worden und der Sendung beigefügt gewesen. Insoweit ist es auch unerheblich, wenn die Beklagte einwendet, es sei lediglich ein Teil der Sendung verloren gegangen. Denn gerade in diesem Fall ist die Annahme des Anscheinsbeweises gerechtfertigt, weil ein Versender nicht im Voraus wissen kann, welcher Teil der Sendung nicht ankommen wird.

17. Die Kammer ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch vom Inhalt der Sendung bei Auslieferung und mithin von der Höhe des entstandenen Schadens überzeugt. Der Zeuge KK hat zwar zum Zeitpunkt der hier streitigen Versendung noch nicht bei der Versicherungsnehmerin der Klägerin gearbeitet, er hatte jedoch die von dieser zusammengestellte Schadensakte zur Verfügung. Aus dieser hat er im Rahmen seiner Vernehmung eine der Empfängerin der Sendung unter dem 6.9.2004 erteilte Gutschrift über die im vorliegenden Verfahren streitigen Artikel überreicht. Die für die Höhe des entstandenen Schadens beweispflichtige Klägerin ( vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 30.7.2003, Az.: 18 U 6/03) hat hiermit zur Überzeugung der Kammer einen entstandenen Schaden in der geltend gemachten Höhe nachgewiesen, da es gemäß § 287 ZPO ausreicht, wenn der Versender nachweist, dass der von ihm behauptete Teilschaden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eingetreten ist. Die überreichte Gutschrift stammt zwar von der Versenderin, jedoch werden im kaufmännischen Verkehr derartige Gutschriften im Regelfall nur dann erteilt, wenn der Käufer zuvor einen entsprechenden Warenfehlbestand reklamiert hat.

18. Hinsichtlich des Werts der jeweiligen Sendung ergibt sich die Höhe des Anspruchs aus der von der Klägerin überreichten Handelsrechnung (§ 429 Abs. 3 Satz 2 HGB). Angesichts der überreichten Rechnung reicht ein bloßes Bestreiten des Werts bzw. des Zustands der Ware durch die Beklagte nicht aus.

19. Die Vermutungswirkung für den Wert der Sendung aus § 429 Abs. 3 Satz 2 HGB entfällt auch nicht deshalb, weil die Klägerin keine Wertdeklaration vorgenommen hat. Denn gemäß § 292 ZPO reicht es nicht aus, Zweifel an der im Gesetz aufgestellten Vermutung vorzutragen. Vielmehr ist lediglich der Beweis des Gegenteils zulässig; an einem entsprechenden Beweisantritt der Beklagten fehlt es.

20. Die Beklagte kann sich gegenüber dem Anspruch der Klägerin nicht mit Erfolg auf zu ihren Gunsten bestehende Haftungsbegrenzungen berufen. Die Beklagte hat den vollen Schaden zu ersetzen, da zu unterstellen ist, dass die Verluste durch qualifiziertes Verschulden ihrer Leute eingetreten sind. Zwar hat die Klägerin nicht, was grundsätzlich ihr obliegen würde, die Umstände, die auf Vorsatz oder Leichtfertigkeit der Beklagten schließen lassen, dargelegt und unter Beweis gestellt. Dies gereicht ihr aber nicht zum Nachteil. Wenn auch grundsätzlich der Anspruchsteller derartige Umstände vorzutragen hat, so trifft andererseits nach dem auch im Prozessrecht anzuwendenden Grundsatz von Treu und Glauben den Prozessgegner eine Einlassungsobliegenheit für solche Umstände, die gänzlich außerhalb der Wahrnehmungssphäre der darlegungs- und beweisbelasteten Partei liegen, dann, wenn ihr die Darlegung möglich und zumutbar ist. Insbesondere konstatiert die Rechtsprechung im Transportrecht eine Pflicht des Frachtführers oder Spediteurs, zu seiner Organisation allgemein und zu deren Befolgung im konkreten Schadensfalls vorzutragen, soweit – wie üblich – der Versender mangels Überblick hierzu nicht in der Lage ist. Soweit der Transportführer dieser Einlassungsobliegenheit nicht nachkommt, sei es, weil er Einzelheiten nicht offen legen will oder in Unkenntnis der Umstände nicht kann, spricht eine widerlegbare Vermutung für qualifiziertes Verschulden.

21. An einem entsprechenden Vortrag der Beklagten fehlt es vorliegend. Hiervon ist sie auch nicht deshalb entbunden, weil die Versenderin auf die Dokumentation von Schnittstellenkontrollen verzichtet hat. Einerseits ist bereits die Einlassung, die Versenderin habe auf eine Durchführung der Kontrolle verzichtet, nicht zutreffend, da die Versenderin lediglich auf eine entsprechende Dokumentation verzichtet hat. Andererseits ist dieser Verzicht aber auch wegen eines Verstoßes gegen § 449 Abs. 2 HGB unwirksam.

22. Die Ansprüche der Klägerin sind auch nicht aufgrund eines sie oder die Versenderin treffenden Mitverschuldens eingeschränkt. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Versicherungsnehmerin der Klägerin das Unterlassen von Schnittstellenkontrollen durch die Beklagte positiv bekannt war. Denn aus der von der Beklagten zum Nachweis der Kenntnis angeführten Beförderungsbedingungen des Jahres 2004 ergibt sich lediglich ein -unwirksamer (s.o.) – Verzicht auf die Kontrolle von Schnittstellen. Dies bedeutet aber bereits nicht, dass es keinerlei Schnittstellenkontrollen und mithin eine entsprechende Kenntnis der Versender gibt (vgl. auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 31.8.2005, Az. 18 U 24/05). Vielmehr folgt das Gegenteil aus dem Vortrag der Beklagten zum Transport wertdeklarierter Sendungen.

23. Ein Mitverschulden wegen unterlassener Wertdeklaration ist nicht anzunehmen. Die fehlende Wertdeklaration hat sich bereits deshalb nicht ausgewirkt, da im Auslandsverkehr die Erstellung von Presheets, die allein eine verbesserte Aufklärungsmöglichkeit des Verlustorts ermöglichen, nach dem Vortrag der Beklagten nicht vorgesehen ist. Letztlich ist der Klägerin im entgegen der Auffassung der Beklagten keine Obliegenheitsverletzung im Sinne des § 254 Abs. 2 BGB vorzuwerfen, weil sie den über 5000,– € liegenden Sendungswert nicht angab. Denn der unterlassene Hinweis auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadenseintritts hat sich nicht ausgewirkt. Die Beklagte hat in zahlreichen Verfahren ausdrücklich vorgetragen, die Übernahme von Sendungen mit einem Wert, der zwar 5000,– € , jedoch nicht 50.000 US $ bzw. 56.000,– € übersteigt, nicht abzulehnen.

24. Letztlich ist der Anspruch der Klägerin nicht verjährt. Da aufgrund vorstehender Ausführungen von einem qualifizierten Verschulden der Beklagten auszugehen ist, beträgt die Verjährungsfrist gemäß § 439 Abs. 1 Satz 2 HGB drei Jahre. Dieser Zeitraum war zum Zeitpunkt der Beantragung des Mahnbescheids, der „demnächst“ im Sinne von § 167 ZPO zugestellt wurde, noch nicht verstrichen. Die Abgabe des Mahnverfahrens erfolgte alsbald nach Erhebung des Widerspruchs (§ 696 Abs. 3 ZPO) und die Hemmung der Verjährung wurde durch die Vorlage der Anspruchsbegründung innerhalb der 6-Monats-Frist des § 204 Abs. 2 BGB aufrecht erhalten.

25. Der Zinsanspruch der Klägerin ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB.

26. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.

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