Nichtantritt bzgl. Hinflug kein Rücktritt vom Vertrag

LG Frankfurt am Main: Nichtantritt bzgl. Hinflug kein Rücktritt vom Vertrag

Ein Fluggast nimmt ein Luftfahrtunternehmen in Anspruch auf Schadensersatz, aufgrund von Nichtbeförderung wegen verfrühter Annahme des Rücktritts.

Das Gericht entschied, dass der Kläger einen Anspruch auf die Rükzahlung des Reisepreises hat.

LG Frankfurt 2-24 S 39/07 (Aktenzeichen)
LG Frankfurt: LG Frankfurt, Urt. vom 30.08.2007
Rechtsweg: LG Frankfurt, Urt. v. 30.08.2007, Az: 2-24 S 39/07
AG Frankfurt, Urt. v. 12.01.2007, Az: 32 C 2526/06 (22)
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Hessen-Gerichtsurteile

Landgericht Frankfurt am Main

24. Zivilsenat

1. Urteil vom 30.08.2007

Aktenzeichen: 2-24 S 39/07

Leitsatz:
2. Die verfrühte anderweitige Vergabe des Rückflugs, stellt einen Reisemangel im Sinne von § 651 c I BGB dar.

Zusammenfassung:
3. Im vorliegenden Fall buchte der Kläger für sich und seine Familie eine Urlaubsreise nach Ägypten. Aufgrund des starken Schneefalls konnte die Familie den Abflughafen nicht rechtzeitig erreichen. Am Flughafen wurde dem Kläger gesagt, dass sie die Hotelleistung in Anspruch nehmen könnten, wenn sie sich selbst einen Hinflug beschaffen würden. Der Kläger nahm mit seiner Familie einen ersatzweise gebuchten anderen Flug am 27.02.2006. Beim planmäßigen Rückflug von der Pauschalreise war der Kläger jedoch nicht mehr auf der Buchungsliste und musste selbst die Rückreise organisieren.

Der Kläger begehrt Schadenersatz aus einem Reisevertrag wegen nicht erbrachter Reiseleistungen.
Das Gericht entschied, dass der Kläger einen Anspruch auf den Schadensersatz und die Rückzahlung des Reisepreises hat. Die verfrühte anderweitige Vergabe des Rückflugs durch die Beklagte, wodurch der ursprünglich gebuchte Rückflug am 04.03.2006 nicht mehr durchführbar war, stellt einen Reisemangel im Sinne von § 651 c I BGB dar.

Tenor:

4. Auf die Berufung des Klägers wird das am 12.01.2007 verkündete Urteil des AGs Frankfurt am Main, Az.: 32 C 2526/06 (22), wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.192,10 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.05.2006 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe:

5. Der Kläger macht Schadenersatzansprüche aus einem Reisevertrag wegen nicht erbrachter Reiseleistungen geltend.

6. Der Kläger buchte für seine fünfköpfige Familie bei der Beklagten eine Pauschalreise nach Hurghada/Ägypten vom 25.02. bis 04.03.2006.

7. Der Kläger verpasste den Hinflug am 25.02.2006, da er mit seiner Familie wegen heftiger Schneefälle und damit verbundenem Stau auf der Autobahn nicht rechtzeitig zur Abflugzeit am Flughafen M erschienen war.

8. Am nächsten Tag, dem 26.02.2006, fand sich der Kläger mit Familie am Flughafen M ein. Von Mitarbeitern der Beklagten wurde ihnen erklärt, dass sie die Hotelleistung in Anspruch nehmen könnten, wenn sie sich selbst einen Hinflug beschaffen würden.

9. Der Kläger und seine Familie traten die Reise mit einem ersatzweise gebuchten anderen Flug am 27.02.2006 an.

10. Am 28.02.2006 wollte der Kläger bei der … den ursprünglich im Rahmen der Pauschalreise gebuchten Rückflug für den 04.03.2006 nach M bestätigen lassen. Dort wurde ihm mitgeteilt, dass er und seine Familie in den Buchungslisten nicht vorhanden seien.

11. Auf Nachfrage bei der Geschäftsführung der Beklagten wurde dem Kläger erklärt, dass der gebuchte Rückflug sofort anderweitig vergeben worden sei, nachdem der Kläger den Hinflug nicht angetreten habe. Die Beklagte war lediglich bereit, einen Rückflug am 05.03.2006 anzubieten, den der Kläger aber ablehnte, weil er schon am 04.03.2006 nach Deutschland zurückkehren musste.

12. Der Kläger erklärte dem Geschäftsführer der Beklagten daraufhin, dass er selbst den Rückflug organisiere und die Beklagte auf Kostenerstattung für die Rückreise in Anspruch nehmen werde.

13. Der Kläger konnte für sich und seine Familie am 04.03.2006 einen Rückflug nach B erhalten. Die Kosten dafür betrugen 2.828,10 Euro. Für die Bahnfahrt von B nach M, 2. Klasse, bezahlte der Kläger 364,– Euro.

14. Mit Schreiben vom 26.04.2006 (Bl. 7/8 d. A.) forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung zum 09.05.2006 zur Zahlung der vorgenannten Beträge auf.

15. Mit Schreiben vom 10.05.2006 (Bl. 9/10 d. A.) wies die Beklagte die geltend gemachten Ansprüche zurück.

16. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass der Reisevertrag trotz des Nichtantritts des Hinflugs am 25.02.2006 weiter fortbestanden habe und die Beklagte damit verpflichtet gewesen sei, ihn und seine Familie am 04.03.2006 vertragsgemäß zurückzubefördern.

17. Erstinstanzlich hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.192,10 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.05.2006 zu zahlen.

18. Erstinstanzlich hat die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

19. Die Beklagte ist der Auffassung gewesen, dass der Kläger durch den Nichtantritt der Reise am 25.02.2006 den Rücktritt vom Reisevertrag erklärt habe, so dass sie von sämtlichen Leistungspflichten befreit gewesen sei mit der Folge, dass der Kläger selbst für den Rückflug hätte sorgen müssen.

20. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird ergänzend auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des AGs Frankfurt am Main vom 12.01.2007 (Bl. 39 – 40 d. A.) gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

21. Durch dieses Urteil hat das AG die Klage abgewiesen.

22. Das AG hat ausgeführt, dass zu Lasten des Klägers davon auszugehen sei, dass er mit Nichtantritt der Reise gem. § 651 i I BGB konkludent den Rücktritt vom Reisevertrag erklärt habe und die Beklagte damit von ihren Leistungspflichten befreit worden sei.

23. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils des AGs Frankfurt am Main vom 12.01.2007 (Bl. 40 – 41 d. A.) Bezug genommen.

24. Mit der Berufung verfolgt der Kläger die erstinstanzlichen Klageanträge vollständig weiter.

25. Der Kläger wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Insbesondere ist er weiterhin der Auffassung, dass ein Rücktritt vom Reisevertrag nicht erfolgt sei.

26. Der Kläger beantragt,

27. die Beklagte und Berufungsbeklagte unter Abänderung des am 12.01.2007 verkündeten Urteils des AGs Frankfurt am Main, Az. 32 C 2526/06 (22) zu verurteilen, an den Kläger 3.192,10 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.05.2006 zu zahlen.

28. Die Beklagte beantragt,

29. die Berufung zurückzuweisen.

30. Die Beklagte verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vortrags das AGliche Urteil.

31. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

32. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung hat in der Sache Erfolg.

33.  Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Schadenersatz bzgl. der Rückflugkosten (2.828,10 Euro) und der Bahnfahrtkosten (364,– Euro) in Höhe von insgesamt 3.192,10 Euro gem. § 651 f I BGB.

34. Die Reise des Klägers war aufgrund des von der Beklagten nicht zur Verfügung gestellten Rückflugs im Sinne der §§ 651 c I, 651 f I BGB mangelhaft.

35. Nach Auffassung der Kammer hat der Reisevertrag zwischen den Parteien fortbestanden, insbesondere hat kein Rücktritt des Klägers vom Reisevertrag gem. § 651 i I BGB vorgelegen.

36. Das AG hat – in vertretbarer Weise – unter Bezugnahme auf einschlägige Literatur die Rechtsauffassung vertreten, dass der Nichtantritt des Hinflugs am 25.02.2006 eine konkludente Kündigungserklärung im Sinne von § 651 i I BGB dargestellt hat.

37. Diesbezüglich wird in der wohl überwiegenden Literatur die Auffassung vertreten, dass der Rücktritt auch durch den bloßen Nichtantritt der Reise ohne jede weitere Erklärung („no show“) ausgeübt werden kann, indem der Reisende z. B. einfach nicht zum Abflugtermin am Flughafen oder zur Abfahrtzeit am Bahnhof erscheint. Ein Rücktritt des Reisenden durch Nichtantritt der Reise liegt auch dann vor, wenn dem Reisenden in Wirklichkeit der Wille, den Vertrag zu beenden, fehlte und er sich nur verspätet hat. Auch hier muss der Reiseveranstalter das Nichterscheinen des Reisenden als Rücktritt verstehen, es sei denn, der Reisende erklärt ihm ausdrücklich seinen entgegenstehenden Willen (vgl. z. B. Führich, Reiserecht, 5. Aufl., 2005, Rn. 513; Staudinger/Eckert, BGB, 2003, § 651 i, Rn. 17; MüKo-Tonner, BGB, 4. Aufl., 2005, § 651 i, Rn. 9 jeweils m. w. N.)

38. Nach anderer in der Literatur vertretenen Auffassung liegt beim sog. „no show“ gerade keine Rücktrittserklärung vor (vgl. z. B. Seyderhelm, Reiserecht, 1997, § 651 i, Rn. 17 und weitere Nachweise bei Staudinger/Eckert, BGB, 2003, § 651 i, Rn. 17).

39. Die Kammer vermag sich der überwiegenden Auffassung in der Literatur jedoch nicht anzuschließen und vertritt die Ansicht, dass vorliegend der bloße Nichtantritt des Hinflugs am 25.02.2006 keine konkludente Kündigungserklärung im Sinne von § 651 i I BGB darstellt.

40. Die Rücktrittserklärung nach § 651 i BGB ist eine Willenserklärung. Diese kann zwar auch konkludent erklärt werden. Jedenfalls muss aber eine Willenserklärung des Reisenden auf Beendigung des Reisevertrages vorliegen.

41. Zu Recht weist Seyderhelm (a. a. O.) darauf hin, dass ein Nichterscheinen vielfältige Ursachen haben kann. Ohne weitere Anhaltspunkte lässt sich daher auch nach einem objektiven Empfängerhorizont nicht zwangsläufig schließen, dass der Reisende kein Interesse mehr an der Reise hat, wenn er die Reise nicht rechtzeitig antritt. Er kann sich nämlich einfach nur aus vielfältigen Gründen verspätet haben. Eine bloße Verspätung aber als konkludenten Rücktritt auszulegen ist zu weitgehend. Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine solche weitgehende Auslegung aufgrund schützenswerten Interessen des Reiseveranstalters zwingend geboten wäre.

42. Die Situation bei einem Reisevertrag ist auch eine andere als bei einem bloßen Luftbeförderungsvertrag. Das Nichterscheinen im letzen Fall kann unter Umständen als Erklärung verstanden werden, diesen Flug nicht in Anspruch nehmen zu wollen. Da der Reisevertrag aber aus mehreren Leistungsteilen besteht, muss die Nichtinanspruchnahme eines Leistungsteils nicht zwangsläufig bedeuten, dass von dem gesamten Reisevertrag zurückgetreten werden soll.

43. Für die Annahme eines Erklärungswillens bedarf es daher bei einem Reisevertrag zusätzlicher Anhaltspunkte, dass ein Rücktritt erklärt werden soll, wenn der Reisende nicht am Abflugschalter erscheint. Um auszuschließen, dass nicht eine bloße Verspätung vorliegt, muss der Reiseveranstalter noch eine weitere Zeit zuwarten, um dem Reisenden die Gelegenheit zu geben, sich zu melden und die weitere Fortführung des Vertrages anzukündigen.

44. Da für die Beklagte vorliegend keine weiteren Anhaltspunkte für einen Rücktritt des Klägers vorgelegen haben, stellt das bloße Nichterscheinen des Klägers zum Abflug gerade keine konkludente Kündigungserklärung im Sinne von § 651 i I BGB dar.

45. Vielmehr ist vorliegend der Kläger mit seiner Familie am nächsten Tag nach dem geplanten Hinflug bereits wieder am Flughafen erschienen, um die Reise nach dem verpassten Hinflug dennoch fortzusetzen. Bereits zu diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte den ursprünglich vom Kläger gebuchten Rückflug bereits anderweitig vergeben. Die Beklagte hatte also gerade nicht ausreichend zugewartet, um dem Kläger die Möglichkeit zu geben, die Reise fortzusetzen.

46. Die verfrühte anderweitige Vergabe des Rückflugs durch die Beklagte, wodurch der ursprünglich gebuchte Rückflug am 04.03.2006 nicht mehr durchführbar war, stellt einen Reisemangel im Sinne von § 651 c I BGB dar.

47. Da die Beklagte entgegen ihrer vertraglichen Verpflichtung den Kläger und seine Familie nicht am 04.03.2006 zurückbefördern konnte, war der Kläger berechtigt, selbst für seine Rückreise am 04.03.2006 zu sorgen.

48. Ein Mitverschulden des Klägers im Sinne von § 254 BGB ist nicht ersichtlich. Insbesondere war der Kläger nicht verpflichtet, das Angebot der Beklagten anzunehmen, am 05.03.2006 zurückzureisen. Diesbezüglich hat der Kläger vorgetragen, dass er bereits am 04.03.2006 zurück in Deutschland sein musste.

49. Die vom Kläger aufgewandten Rückflugkosten in Höhe von 2.828,10 Euro und die Bahnfahrtkosten in Höhe 364,– Euro hat die Beklagte als Schadenersatz gem. § 651 f I BGB dem Kläger zu ersetzen.

50. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 I, 288 I, II, 247 BGB.

51. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO.

52. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

53. Die Revision war zuzulassen, da die Voraussetzung des § 543 II 1 Nr. 1 ZPO gegeben ist, da die vorliegende Rechtssache aufgrund einer obergerichtlich noch nicht geklärten hier streitentscheidenden Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat.

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