Nichtantritt einer Reise wegen chronischer Erkrankung

AG Bad Homburg: Nichtantritt einer Reise wegen chronischer Erkrankung

Der seit 40 Jahren unter Depressionen erkrankte Kläger, buchte für sich und seine Lebensgefährtin einen Urlaub bei einem Reiseveranstalter. Als er unmittelbar vor Reisebeginn einen depressiven Schub erlitt, suchte er einen Arzt auf und lies sich seine Reiseunfähigkeit bestätigen. Er verlangt nun die Reisekosten von seiner Rücktrittsversicherung erstattet.

Das Amtsgericht Bad Homburg hat zu Gunsten der Versicherungsagentur entschieden. Schübe einer chronischen Krankheiten seien vorhersehbar und würden nicht  unter den standardmäßigen Versicherungsschutz fallen.

AG Bad Homburg 2 C 3302/06 (Aktenzeichen)
AG Bad Homburg: AG Bad Homburg, Urt. vom 29.03.2007
Rechtsweg: AG Bad Homburg, Urt. v. 29.03.2007, Az: 2 C 3302/06
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Amtsgericht Bad Homburg

1. Urteil vom 29. März 2007

Aktenzeichen: 2 C 3302/06

Leitsatz:

2. Reiserücktrittskostenversicherung greift nicht bei Schüben oder Verschlimmerungen von vorher bekannten, chronischen Krankheiten.

Zusammenfassung:

3. Ein Ehepaar bucht bei einem Reiseveranstalter eine mehrwöchige Urlaubsreise. Neben dem angebotenen Standardpaket buchen sie zusätzlich eine Reiserücktrittsversicherung. Kurz vor Reisebeginn erleidet der Ehemann einen depressiven Zusammenbruch. Von der chronischen depressiven Erkrankung weiß das Ehepaar schon sei mehr als 40 Jahren. Da der Hausarzt des Ehepaares dem Mann eine Reiseunfähigkeit bestätigt, verlangen beide nun die Kosten von der Versicherung erstattet.

Das Amtsgericht Bad Homburg hat zu Ungunsten der Kläger entschieden. Nach den allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten, die Vertragsbestandteil wurden, tritt die Reiserücktrittskostenversicherung ein, wenn die Reise aufgrund einer unerwartet schweren Erkrankung nicht angetreten werden kann.
Bei chronischen Erkrankungen mit schwankendem Verlauf stelle das Auftreten eines erneuten Krankheitsschubes jedoch keine unerwartete Erkrankung dar. Es realisiere sich vielmehr das Risiko einer bereits vor Abschluss des Versicherungsvertrages bestehenden Krankheit.
Auch eine Verschlimmerung einer bereits bestehenden Krankheit unterfallen nicht dem Versicherungsschutz einer Reise-Rücktrittskosten-Versicherung.
Die Versicherung sei mithin nicht zur Rückzahlung der Reisekosten verpflichtet.

Tenor:

4. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

5. Am 19.12.2005 buchte der damals 84 jährige Kläger für sich und seine Reisebegleiterin, … eine Reise nach … für die Zeit vom 14.04.2006 bis 28.04.2006. Der Reisepreis belief sich auf 7.102,– EUR. Gleichzeitig mit der Buchung schloss der Kläger bei der Beklagten eine Reiserücktrittskostenversicherung ab. Mit der vorliegenden Klage macht er Ansprüche nach erfolgtem Reiserücktritt gegenüber der Beklagten geltend.

6. Am 16.03.2006 verspürte der Kläger, der seit ca. 40 Jahren an depressiven Störungen leide, plötzlich große Müdigkeit und Lustlosigkeit bis hin zu Apathie. Die kognitiven Wahrnehmungen des Klägers nahmen im Lauf der folgenden Tage immer weiter ab. Der Kläger verfiel in Lethargie. Am 03.04.2006 suchte er einen Arzt auf. Die ärztliche Untersuchung ergab, dass der Kläger in einer depressiven Episode mit krassen kongnitiven Defiziten verfallen war. Da eine sofortige Behandlung notwendig wurde, war klar, dass die gebuchte Reise nicht wie gebucht angetreten werden könne. Mit Schreiben vom 03.04.2006 unterrichtete deshalb der Sohn des Klägers, Herr … das Reisebüro über die notwendig gewordene Stornierung der Reise und legte die Gründe dar. Das Reisebüro stellte dem Kläger 55 % des gesamten Reisepreises als Stornokosten in Rechnung, d. h. insgesamt 3.908,– EUR. Mit Schreiben vom 26.04.2006 unterrichtete der Sohn des Klägers die Beklagte über den Versicherungsfall und begehrte Zahlung der Entschädigung. Die Beklagte ließ dem Kläger einen Fragebogen zukommen, den die Ärztin des Klägers ausfüllte und zurücksandte. Nach Zugang des Fragebogens sowie der ergänzenden Erklärung der behandelnden Ärztin verneinte die Beklagte mit Schreiben vom 13.07.2006 ihre Eintrittspflicht. Sie begründet dies damit, dass keine unerwartete, sondern vielmehr eine vorhersehbare Krankheit eingetreten sei.

7. Der Kläger behauptet, er sei nach Rücksprache mit der behandelnden Ärztin davon ausgegangen, dass die psychische Erkrankung, die schon seit langem beherrschbar erschien, nicht zur Reiseunfähigkeit führen würde. Frau … habe dem Kläger gegenüber erklärt, die bei ihm aufgetretene bipolare Störung sei medizinisch beherrschbar und gebe bei regelmäßiger Einnahme von Medikamenten keine Veranlassung zur weiteren Befürchtung. Er ist der Ansicht, eine schwere Krankheit sei dann unerwartet, wenn sie nicht vorhersehbar sei. Die Vorhersehbarkeit müsse sich aber auch darauf beziehen, dass die Erkrankung zur Reiseunfähigkeit führen könne. Liegt eine Vorerkrankung vor, komme es für die Frage der Vorhersehbarkeit alleine darauf an, ob der durchschnittliche Versicherungsnehmer ohne medizinischen Sachverstand damit rechnen musste, dass die Erkrankung zur Reiseunfähigkeit führen würde oder nicht. Im übrigen habe die Beklagte den Kläger insbesondere angesichts seines Alters vor Antritt der Reise nach Vorerkrankungen befragen müssen, die eine Versicherungspflicht der Beklagten ausschließen.

8. Der Kläger beantragt,

9. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.980,– EUR zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.05.2006 sowie 207,96 EUR außergerichtliche Anwaltskosten.

10. Die Beklagte beantragt,

11. die Klage abzuweisen.

12. Sie meint, beim Kläger habe sich ein bekanntes vorvertragliches Risiko realisiert, das mit der streitgegenständlichen Versicherung nicht mehr versichert werden konnte. Der plötzliche Einbruch im gesundheitlichen Befinden des Klägers sei nicht unerwartet gewesen, sondern habe dem Krankheitsbild entsprochen. Er habe sich vor Buchung der Reise keinen ärztlichen Rat eingeholt, wie die ärztliche Bescheinigung belege. Im übrigen stehe die Forderung dem Kläger auch der Höhe nach nicht voll zu, da ein 20 %iger Selbstbehalt in den allgemeinen Versicherungsbedingungen vereinbart worden sei.

13. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Anlagen zur Klageschrift sowie die allgemeinen Geschäftsbedingungen (Anlage zum Schriftsatz vom 15.02.2007) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

14. Die Klage ist unbegründet.

15. Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten kein Anspruch auf Zahlung der 3.908,– EUR zu.

16. Nach den allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten, die Vertragsbestandteil wurden, tritt die Reiserücktrittskostenversicherung ein, wenn die Reise aufgrund einer unerwartet schweren Erkrankung nicht angetreten werden kann. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt.

17. Ein Anspruch scheitert daran, dass die bipolare Stimmung des Beklagten keine unerwartete schwere Erkrankung im Sinne der Versicherungsbedingungen darstellt.

18. Es ist unstreitig, dass der Kläger bereits seit ca. 40 Jahren an Depressionen leidet und sich in ärztlicher Behandlung befindet. Dem Krankheitsbild der Depression entspricht es aber, dass Beschwerden in zum Teil unregelmäßigen Abständen mehrfach auftreten. Dabei handelt es sich nicht um einzelne, voneinander unabhängig auftretende jeweils neue Erkrankungen, sondern um eine chronische Erkrankung, unter der der Beklagte in unterschiedlicher Intensität leidet. Bei chronischen Erkrankungen mit schwankendem Verlauf stellt aber das Auftreten eines erneuten Krankheitsschubes keine unerwartete Erkrankung dar. Es realisiert sich vielmehr das Risiko einer bereits Abschluss des Versicherungsvertrages bestehenden Krankheit. Schwankungen in der Intensität einer über einen längeren Zeitraum bestehenden Erkrankung mit einer plötzlichen Symptomzunahme sind nicht versichert.. Eine Verschlimmerung einer bereits bestehenden Krankheit unterfällt nicht dem Versicherungsschutz.

19. Im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut der Versicherungsbedingungen kommt es, da bereits eine unerwartet schwere Erkrankung nicht vorliegt, nicht darauf an, ob der erneute Ausbruch der bestehenden Krankheit und die im vorliegenden Fall gegebene Verschlechterung des Zustandes zum Zeitpunkt der Buchung der Reise vorhersehbar war oder nicht.

20. Der Umstand, dass die Grunderkrankung bereits vorhanden war und das Verschlimmern einer bereits bestehenden Erkrankung nicht versichert ist, hat außerdem zur Folge, dass es darauf, ob der Kläger trotz der Erkrankung vor der Verschlechterung seines Gesundheitszustandes am 16.03.2006 reisefähig war, nicht an. Ebensowenig kommt es darauf an, ob die Verschlimmerung der Erkrankung für ihn unerwartet war .

21. Der Kläger, der Kenntnis von seiner psychischen Erkrankung hatte, hätte seinerseits die Beklagte informieren müssen um abzuklären, ob dieses Risiko versichert ist.

22. Da die Hauptforderung nicht begründet ist, besteht auch kein Anspruch auf Verzugszinsen und Erstattung der Rechtsanwaltsgebühren.

23. Die Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in § 91 Abs. 1 ZPO.

24. Die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Ziffer 11, 711 ZPO.

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