Kein Ausgleichsanspruch bei rechtzeitiger Bekanntgabe der Flugannullierung durch Reisebüro

AG Erding: Kein Ausgleichsanspruch bei rechtzeitiger Bekanntgabe der Flugannullierung durch Reisebüro

Flugreisende forderten die Erstattung von Mehrkosten für Ersatzflüge und eine Ausgleichszahlung wegen der Annullierung ihres Fluges. Die Klage wurde abgewiesen, weil sie mehr als 2 Wochen vorher informiert worden waren.

Amtsgericht Erding

1. Urteil vom 17. März 2016

Aktenzeichen 3 C 2735/15

Leitsätze:

2. Im Falle der Annullierung besteht kein Ausgleichsanspruch, wenn der Fluggast mehr als 2 Wochen vorher informiert wird.

Die Fluggesellschaft verletzt ihre Informationspflicht nicht, wenn die Information des Fluggastes durch den Reiseveranstalter übermittelt wird.

Zusammenfassung:

3. Der Kläger und weitere Reisende hatten bei der beklagten Fluggesellschaft einen Flug von Hamburg über Philadelphia nach Phoenix für den 27. Juni 2015 und den Rückflug von Salt Lake City über Philadelphia für den 18. Juli 2015 gebucht. Am 18. bzw. 24. Mai wurde der Kläger von seinem Reisebüro über die Annullierung der Flüge in Kenntnis gesetzt. Das Angebot einer Umbuchung durch das Reisebüro lehnte er ab und buchte selbst Ersatzflüge. Von der Fluggesellschaft verlangte er die Übernahme der Mehrkosten und eine Ausgleichszahlung für die Annullierung.

Das Amtsgericht Erding wies die Klage ab. Der Ausgleichsanspruch des Kläger wegen der unstreitigen Annullierung der Flüge war ausgeschlossen, weil er mehr als 2 Wochen vor dem Flug über die Stornierung informiert worden war. Es kam nicht daraufhin, ob diese Information direkt oder indirekt durch die Beklagte erfolgt war.

Tenor:

4. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 °% des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

5. Der Kläger macht Ansprüche wegen einer Flugannulierung sowie Schadensersatzansprüche geltend.

6. Der Kläger buchte über das Reisebüro „für sich und seinen Mitreisenden einen Flug von München (^^H> über Philadelphia (^ …H> nach Phoenix, welcher am 27.06.2015 stattfinden sollte. Der Rückflug sollte am 18.07.2015 von Salt Lake City (^^B über Philadelphia (^^B* nach München erfolgen. Der Kläger entrichtete für die Flüge inklusive Steuern und Gebühren 2.099,96 Euro. Mit E-Mail vom 18.04.2015 bzw. 21.04.2015 wurde der Kläger von seinem Reisebüro “ von der Annulierung der Flüge in Kenntnis gesetzt. Zwar bot die Beklagte einen Ersatzflug an, da der Kläger aber bereits Wohnmobil und Hotel gebucht hatte, buchte er auf eigene Kosten einen Ersatzflug. Hierfür musste er 2.418,90 Euro aufwenden. Neben der wegen der Buchung des Ersatzfluges entstanden Mehrkosten in Höhe von 388,92 Euro begehrt der Kläger die Erstattung der Vermittlungsprovision in Höhe von 69,98 Euro. Darüber hinaus begehrt er eine Entschädigung nach der EU-Verordnung 261/2004 in Höhe von 2.400 Euro. Der Mitreisende des Klägers trat am 31.07.2015 seine Ansprüche an den Kläger ab, welcher die Abtretung am selben Tag annahm.

7. Der Kläger ist der Ansicht, dass von einer Flugannulierung im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 auszugehen sei. Der Kläger sei von der Beklagten selbst nicht über die Annulierung informiert worden; es sei lediglich das Reisebüro von der Beklagten informiert worden. Das Reisebüro habe dann den Kläger informiert. Adressat der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 seien aber die Fluggesellschaften. Es habe keinen Hinweis gegeben, dass der Flug nicht von der Beklagten durchgeführt werden sollte. Insbesondere fehle der Hinweis „operated by“ auf den Buchungsunterlagen. Eines Abhilfeverlangen nach der Annulierung habe es nicht bedurft, da dieses von Anfang an vollkommen aussichtslos gewesen sei. Die Beklagte wolle doch nicht ernsthaft behaupten, dass sie extra für den Kläger und seine Begleitung einen Ersatzflug gestartet hätte. Im Übrigen habe die Gefahr bestanden, dass der Kläger keinen Ersatzflug mehr findet oder dass ein Ersatzflug deutlich teurer gewesen wäre. Er habe daher zügig handeln müssen.

8. Der Kläger beantragt,

1a. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Schadensersatz in Höhe von 458,90 Euro zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinsatz ab Rechtshängigkeit,

1b. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.400,00 Euro als Ersatz nach der EU-Verordnung 261/2004 zu zahlen.

9. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10. Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, weder der Flug …B am 27.06.2015 noch der Flug …B am 18.07.2015 seien Flüge der Beklagten gewesen. Es habe sich um sog. Codeshare-Flüge gehandelt, welche von US-Airways durchgeführt worden seien. Möglicherweise habe US-Airways das Routing der Flugnummern geändert, was zu der Annulierung der streitgegenständlichen Flüge geführt haben könnte. Die Beklagte ist der Ansicht, dass ein Anspruch nach der EU-Verordnung 261/2004 nicht gegeben sei, da der Kläger – nach seinem eigenen Vortrag – mehr als 14 Tage vor Abflug über die Annulierung informiert wurde. Es genüge, dass das Reisebüro den Kläger informiert habe. Die Fluggesellschaft habe die Anschrift des Passagiers regelmäßig nicht vorliegen. Schadensersatz sei ebenfalls nicht geschuldet, da eine Nachfristsetzung mit Ablehnungsandrohung nicht vorgelegen habe.

11. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 04.02.2016 (Bl. 18-21 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

12. Die zulässige Klage ist unbegründet.

13. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 2.400,00 Euro aus der Verordnung (EG) Nr. 261/2004. Zwar haben Flugpassagiere nach Art. 4 Abs. 3, 7 Abs. 1 S. 1c der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 im Falle einer Annullierung grundsätzlich einen Ausgleichsan spruch in Höhe von 600,00 Euro pro Flugstrecke. Dem Kläger und seinem Mitreisenden wurde gegen seinen Willen die Beförderung auf dem gebuchten Flug verweigert. Nach Art. 2 j) der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 ist Nichtbeförderung die Weigerung, Fluggäste zu befördern, obwohl sie sich unter den in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden haben. Von dem Erfordernis, am Flugsteig zu erscheinen, macht Art. 3 Abs. 2 b) der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 eine Ausnahme. Nach dieser Vorschrift gilt die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 auch, wenn Fluggäste von einem Flugunternehmen von einem Flug, für den sie eine Buchung besaßen, auf einen anderen Flug verlegt wurden, ungeachtet des Grundes hierfür. Der Ausgleichsanspruch ist nach Art. 5 Abs. 1 c der Verordnung Nr. 261/2004 jedoch ausgeschlossen, wenn die Flugpassagiere mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit über die Annullierung informiert wurden. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Flüge der Beklagten bereits am 21.04.2015 (Anlage K 4) und damit mehr als zwei Wochen vor Abflug annulliert wurden. Für den vorliegenden Sachverhalt ist es unerheblich, dass der Kläger nicht unmittelbar von der Beklagten, sondern von seinem Reisebüro über die Annullierung informiert wurde. Denn das mit dem Erlass der Verordnung verfolgte gesetzgeberische Ziel eines weitreichenden Schutzes der Flugpassagiere wurde durch die Mitteilung des Reisebüros über die Annullierung gewahrt. Der Kläger hatte durch die frühzeitige Mitteilung die Möglichkeit, bei einer anderen Fluggesellschaft Ersatzflüge zu buchen. Die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 will verhindern, dass Fluggäste kurzfristig Mitteilung erhalten und keine Möglichkeit haben, sich auf die geänderten Umstände rechtzeitig einzustellen. Das Berufen des Klägers auf die fehlende Information durch die Beklagte selbst erscheint vor diesem Hintergrund rechtsmissbräuchlich (vgl. Beschluss des Landgerichts Stuttgart, Aktenzeichen 5 S 192/12).

14. Die Frage der Passivlegitimation der Beklagten musste nicht weiter erörtert werden. Es konnte damit offen bleiben, ob die Beklagte selbst ausführendes Luftfahrtunternehmen werden sollte oder ob es sich um einen sog. Codeshare-Flug handelte, welcher von US-Airways durchgeführt wurde.

15. Weitergehende Schadensersatzansprüche stehen dem Kläger ebenfalls nicht zu. Ein Schadensersatzanspruch nach §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB ist nur dann gegeben, wenn der Gläubiger dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist gesetzt hat. Zwar hat der Kläger im Schriftsatz vom 23.02.2016 vorgetragen, sich mehrfach telefonisch mit der Beklagten auseinandergesetzt zu haben, das Tatsachenvorbringen des Klägers im Schriftsatz vom 23.02.2016 war jedoch nicht mehr zu berücksichtigen, da dieses nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgte (§ 296a ZPO). Im Übrigen ist das Vorbringen auch nicht hinreichend substantiiert. Es wird insbesondere nicht vorgetragen, dass der Beklagten ausdrücklich eine Frist zur Erbringung der vertraglich geschuldeten Leistungen gesetzt wurde. Eine endgültige Erfüllungsverweigerung kann in der E-Mail vom 21.04.2015 nicht gesehen werden, da die Beklagte dem Kläger unstreitig eine Ersatzbeförderung angeboten hat.

16. Der Ersatz der Vermittlungsprovision in Höhe von 69 Euro ist schon deshalb nicht ersatzfähig, da es sich um „Sowieso-Kosten“ handelt. Denn der Kläger hätte auch dann die Vermittlungsprovision aufwenden müssen, wenn die Flüge von der Beklagten wie geplant durchgeführt worden wären.

17. Ein Schadensersatzanspruch folgt auch nicht aus § 826 BGB. Es wurden keine konkreten Anhaltspunkte für vorsätzliches oder gar sittenwidriges Handeln der Beklagten vorgetragen. Es ist gerichtsbekannt, dass es im internationalen Flugverkehr zu Verzögerungen und Annullierungen kommen kann. Weshalb die Beklagte vorsätzlich und sittenwidrig gehandelt haben soll, erschließt sich dem Gericht nicht.

18. Entgegen dem klägerischen Hilfsantrag (vgl. Schriftsatz vom 23.02.2016) war das Verfahren auch nicht gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV dem Europäischen Gerichtshof im Rahmen eines Vor-abentscheidungsverfahrens vorzulegen. Nationale Gericht sind nur dann vorlagebefugt i.S.d. Art. 267 Abs. 3 AEUV, wenn die Auslegungsfrage entscheidungserheblich ist (vgl. Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 16. Aufl. 2016, Art. 267 AEUV Rn. 19). Denn die aufgeworfene Auslegungsfrage ist aus den oben genannten Gründen für die Entscheidung nicht von Bedeutung.

19. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

20. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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