Ausgleichszahlung bei verspäteter Ankunft am Abfertigungsschalter

AG Berlin-Wedding: Ausgleichszahlung bei verspäteter Ankunft am Abfertigungsschalter

Ein Fluggast verlangt von einem Luftfahrtunternehmen eine Ausgleichszahlung, da sich der Zubringerflug verspätetet und die Klägerin ihren Anschlussflug dadurch nicht mehr erreichte. Als der Fluggast am Abfertigungsschalter ankam, befand sich das Flugzeug noch vor Ort. Doch aufgrund der verspäteten Ankunft, wurden die Plätze der fehlenden Passagiere anderweitig vergeben.

Das Amtsgericht Berlin-Wedding sprach dem Kläger einen solchen Anspruch nicht zu.

AG Berlin-Wedding 8a C 10/10 (Aktenzeichen)
AG Berlin-Wedding: AG Berlin-Wedding, Urt. vom 31.03.2014
Rechtsweg: AG Berlin-Wedding, Urt. v. 31.03.2014, Az: 8a C 10/10
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Berlin-Gerichtsurteile

Amtsgericht Berlin-Wedding

1. Urteil vom 31.03.2011

Aktenzeichen 8a C 10/10

Leitsätze:

2. Nichterreichen des Anschlussfluges, aufgrund der Verspätung des Zubringerflugs, begründet keinen Ausgleichsanspruch.

Zusammenfassung:

3. Die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter buchten bei der Beklagten einen Flug von Berlin nach Madrid und von Madrid einen Anschlussflug nach San Jose in Costa Rica. Der Flug in Berlin startete 1 1/2 Stunden später. Dadurch erreichten sie den Flughafen in Madrid verspätet und konnten nicht den gebuchten Flug nach Costa Rica nicht mehr erreichen.

Die Klägerin verlangt nun eine Ausgleichszahlung nach Art. 4 Abs. 3, Art. 7 EG-VO 261/04.

Das Amtsgericht Berlin-Wedding spricht der Klägerin einen solchen Anspruch nicht zu. Die Klägerin sowie die Zeugen konnten das Gericht nicht davon überzeugen, dass diese rechtzeitig, d.h. bevor das Flugzeug startete am Abfertigungsschlater gewesen sind. Außerdem müsste die Klägerin für einen Ausgleichanspruch nach  Art. 4 Abs. 3 und 7 Abs. 1 der EG-VO 261/04 , 45 Minuten vor der Abflugzeit am Abfertigungsschalter anwesend sein. Tatsächlich war sie aufgrund der Verspätung nur 10 Minuten vor angegebener Ablfugzeit dort. Folglich wurde die Klage abgewiesen.

Tenor:

4. Das am 10. November 2010 verkündete Versäumnisurteil des Amtsgerichts Wedding – AG Berlin Wedding, Aktenzeichen 8a C 10/10 – wird aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten ihrer Säumnis am 10. November 2010 zu tragen.

Die übrigen Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 300,- € abwenden, sofern nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 70,- € abwenden, sofern nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

5. Die Klägerin verlangt von der Beklagten Ausgleichszahlungen nach der EG-VO 261/04.

6. Die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter flogen im Januar 2010 von B. über M. nach San J. in Costa Rica. Den Flug traten sie am 10. Januar 2010 vom Flughafen B.-T. aus mit einer Verspätung von 1½ Stunden an. Die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter saßen im hinteren Teil der Maschine. Für den Anschlussflug in M. waren sie bereits eingecheckt worden und hatten eine Bordkarte erhalten. Der Anschlussflug sollte um 12.05 Uhr in M. abfliegen. Das Flugzeug von B. landete in M. um 11.28 Uhr auf dem Terminal 4, es erreichte die Standposition um 11.39 Uhr. Der Weiterflug nach San J. erfolgte vom Terminal 4 S.

7. Die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter wurden nicht mit dem planmäßigen Flug befördert. Als sie am Schalter eintrafen, war der Einsteigevorgang bereits beendet. Sie flogen am folgenden Tag mit dem Flug um 12.05 Uhr – verspätet – nach San J. ab.

8. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin trat seine Ansprüche gegen die Beklagte wegen der nicht erfolgten Weiterbeförderung nach San J. an die Klägerin ab.

9. Die Klägerin behauptet, sie und ihr Prozessbevollmächtigter seien mit weiteren 5 Passagieren um 11.55 Uhr am Abfertigungsschalter in M. eingetroffen, ihnen sei der Einstieg jedoch verweigert worden. Ihnen sei gesagt worden, das Flugzeug sei voll und ihre Plätze seien anderweitig vergeben worden. Die Verspätung des Zubringerflugs sei vermeidbar gewesen. Die Beklagte habe den Flug im eigenen betrieblichen Interesse verzögert, um ihre Plätze anderweitig zu vergeben. Der Flug sei überbucht gewesen. Das Flugzeug habe beim Verlassen des Schalters um 12.40 Uhr noch vor dem Schalter gestanden.

10. Die Klägerin behauptet, es sei ihr darüber hinaus ein Schaden entstanden, der in Anlehnung an die Höhe der Ausgleichszahlung auf 600,- € zu schätzen sei.

11. Mit der Klage verlangt die Klägerin eine Ausgleichszahlung nach der EG-VO 261/04 in Höhe von jeweils 600,- € für sie selbst und ihren Prozessbevollmächtigten.

12. Die Klägerin hat beantragt,

13. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.200,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 1. März 2010 zu zahlen.

14. Das Gericht hat am 10. November 2010 das diesem Antrag stattgebende Versäumnisurteil verkündet, das der Beklagten am 22. November 2010 zugestellt worden ist.

15. Die Beklagte hat gegen dieses Versäumnisurteil mit dem am 22. November 2010 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz Einspruch eingelegt.

16. Die Klägerin stellt den Antrag, das am 10. November 2010 verkündete Versäumnisurteil des Amtsgerichts Wedding aufrechtzuerhalten.

17. Die Beklagte stellt die Anträge,

18. das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

19. Die Beklagte meint, es sei angesichts des Erreichens der Parkposition um 11.39 Uhr, der Abläufe im Flughafen M., des Wechsels des Terminals und der notwendigen Polizei- und Personenkontrollen nicht möglich, dass die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter bereits um 11.55 Uhr am Abfertigungsschalter erschienen seien.

20. Die Beklagte behauptet, das Flugzeug sei um 12.40 Uhr abgeflogen.

21. Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst den eingereichten Anlagen verwiesen.

22. Das Gericht hat gem. Beschlüssen vom 30. November 2010 und vom 16. Februar 2011 Beweis erhoben über die Behauptung der Klägerin, sie und ihr Prozessbevollmächtigter seien um 11.55 Uhr am Abfertigungsschalter der Beklagten erschienen, durch Vernehmung der Zeugen Ma. H., W. H. und – gegenbeweislich – des Zeugen B1. H1. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 16. Februar 2011 (Bl. 68-71 d. A.).

Entscheidungsgründe:

23. Die Klage ist unbegründet.

24. Der Anspruch ergibt sich aus keiner denkbaren Anspruchsgrundlage, insbesondere nicht aus Art. 3 Abs. 2, 4 Abs. 3 und 7 Abs. 1 c) der EG-VO 261/04.

25. Denn einerseits ist es nicht festzustellen, dass die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter bereits um 11.55 Uhr am richtigen Abfertigungsschalter der Beklagten erschienen sind.

26. Das Gericht ist im Ergebnis der Beweisaufnahme und der gem. § ZPO § 286 ZPO zwingend vorzunehmenden freien Beweiswürdigung (vgl. dazu BGH in NJW 1986, NJW Jahr 1986 Seite 1541 und BGH Z 53, 245) nicht mit der hinreichenden Gewissheit, die Zweifeln zum Schweigen bringen müsste, davon überzeugt, dass die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter tatsächlich innerhalb von 16 Minuten nach dem Erreichen der Standposition des Flugzeugs den Abfertigungsschalter erreichten. Dies erscheint vielmehr nicht überzeugend. Der Abteilungsrichter wechselte vor einigen Jahren selbst auf diesem Flughafen die Terminals.

27. Die Zeugen und auch der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung haben zwar übereinstimmend ausgesagt, um 11.55 Uhr am Schalter gewesen zu seien. Zu der notwendigen Überzeugung des Gerichts führt dies indes nicht. Auch wenn – wie der Zeuge H. äußerte – auf dem Weg alles gepasst habe, bestehen derart erhebliche Zweifel an den Angaben, dass eine Überzeugung von deren Zutreffen nicht besteht. Diese Zweifel beruhen auch auf den für das Gericht – auch angesichts der Erfahrungen des Gerichts und des Zeugen – nachvollziehbaren Darlegungen des Zeugen H1.

28. Es ist dabei zu berücksichtigen, dass mit dem Erreichen der Parkposition nicht sofort der Motor abgestellt wird, dass ein Aussteigen erst nach dem Heranfahren der Brücke möglich ist, dass ein bestimmtes Gedränge noch im Flugzeug, auf der Brücke und auf dem weiteren Weg herrscht (es sollen 7 Personen zu der angegebenen Uhrzeit am Schalter gewesen sein), dass eine Vielzahl weiterer Passagiere sich auf und zwischen den Terminals bewegten, dass Pass- und Personenkontrollen zu absolvieren waren, dass längere Wegstrecken zurückzulegen waren, dass eine Bahn erreicht werden musste und dass diese 4 Minuten lang fährt. Darüber hinaus mussten sich die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter auf den verschiedenen Teilstücken des Wegs auch zurechtfinden.

29. Andererseits war die Abflugzeit des Flugzeugs in M. um 12.05 Uhr.

30. Voraussetzung des Ausgleichsanspruchs gem. Art. 4 Abs. 3 und 7 Abs. 1 der EG-VO 261/04 ist jedoch gem. Art. 3 Abs. 2 lit. a) zweiter Anstrich der VO, dass sich die Fluggäste spätestens 45 Minuten vor der veröffentlichen Abflugzeit zur Abfertigung einfinden (vgl. auch BGH in NJW 2009, NJW Jahr 2009 Seite 427 – Leitsatz Nr. 2 – zitiert nach juris.de).

31. Diese Voraussetzung ist jedoch im Hinblick auf die veröffentlichte Abflugzeit um 12.05 Uhr mit dem Erscheinen um 11.55 Uhr nicht erfüllt.

32. Es kommt nicht darauf an, ob das Flugzeug noch um 12.40 Uhr vor dem Schalter stand.

33. Die Beklagte war nicht etwa gehalten, die Einsteigemöglichkeiten zeitlich zu verlängern, weil mehrere Reisende zwar später als 45 Minuten vor der veröffentlichten Abflugzeit, aber noch vor Abflug den Schalter erreichten. Es ist vielmehr nachvollziehbar, dass die Beklagte Reisenden den Einstieg verwehren muss, wenn der Einsteigevorgang abgeschlossen ist und das Flugzeug sich auf den Start vorbereitet. Dabei kann dahinstehen, ob sich ggf. weitere Verzögerungen im Flughafenbetrieb ergeben, wegen denen das Flugzeug dann doch nicht unmittelbar nach Abschluss des Einsteigevorgangs zur Startbahn fährt. Es kann nicht etwa verlangt werden, dass – wie ggf. bei einem wartenden Zug oder Bus – schnell die Türen noch einmal geöffnet werden. Dass auch die Beklagte den Zubringerflug durchführte und dieser in B. verspätet abflog und in M. verspätet landete und dadurch die verspätete Ankunft am Schalter verursachte, ist ebenfalls unerheblich. Denn für diesen Fall steht dem Fluggast ein Ausgleichsanspruch nach der EG-VO 261/04 nicht zu, auch dann nicht, wenn beide Flüge gemeinsam gebucht sind (vgl. BGH in TranspR 2009, TRANSPR Jahr 2009 Seite 323 ff – zitiert nach juris.de). Dass die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter sowie ihr Gepäck bereits „durchgecheckt“ waren, ändert daran nichts.

34. Soweit die Klägerin behauptet, ihnen sei die Beförderung verweigert worden, weil die Beklagte die Plätze anderweitig vergeben habe und die Beklagte habe aus eigenem Interesse, den Abflug in B. verzögert, um das Erreichen des Flugs in M. zu verhindern, ist dies unerheblich.

35. Die Behauptungen sind ohne Substanz und – auf das gegenteilige Vorbringen der Beklagten – auch ohne nähere Darlegung und Beweisantritt. Die Klägerin erklärt nicht, woher sie ihr Wissen insoweit haben will. Dieses Wissen ergibt sich auch nicht etwa daraus, dass trotz der Nichtmitnahme der Klägerin und weiterer Passagiere – ggf. – das Flugzeug voll besetzt war. Angesichts des Nichterscheinens am Schalter 45 Minuten vor der geplanten Abflugzeit (und der Kenntnis von der verspäteten Ankunft des Flugzeugs aus B.) war es der Beklagten nicht verwehrt, die Plätze anderweitig zu vergeben, sofern dafür Bedarf bestand (etwa weil andere Passagiere zuvor ihren Flug verpasst hatten). Die Beklagte war nicht gehalten, das Flugzeug bis zur letzten Minute vor dem tatsächlichen Abflug für die verspäteten Passagiere offen zu halten.

36. Es trifft auch nicht etwa zu, dass das bereits in B. erfolgte „Durchchecken“ bis San J. bedeutet, dass das Eintreffen nicht 45 Minuten vor der geplanten Abflugzeit erfolgen müsse. Dieses Durchchecken, bei dem der Passagier bereits am ersten Abflughafen die Bordkarten für die weiteren Flüge erhielt, ersetzt nicht die eigentliche Abfertigung des jeweiligen Passagier am Abfertigungsschalter.

37. Ein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung steht der Klägerin daher nicht zu.

38. Soweit sie Klägerin meint, ihr sei darüber hinaus auch ein Schaden entstanden, ist dies schon unerheblich, weil sie nicht erklärt, dass sie mit einem entsprechenden Ersatzanspruch die Klageforderung – ggf. hilfsweise – begründen will. Außerdem stellt die Klägerin einen materiellen Schaden in keiner Weise dar. Es fehlen für eine Schätzung gem. § 287 ZPO jegliche Grundlagen.

39. Die Nebenentscheidungen folgen aus § 91 Abs. ZPO § 708 Nr. 11, ZPO § 711 ZPO.

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