Hotelverweis wegen Trunkenheit begründet Reisemangel

AG Viersen: Hotelverweis wegen Trunkenheit begründet Reisemangel

Zwei Urlauber wurden während ihres All-inclusive Urlaubs, wegen wiederholten nächtlichen Alkoholexzessen, des Hotels verwiesen. Das ihnen ersatzweise zugewiesen Hotel nahm sie wegen eines ähnlichen Verhaltens während des eincheckens erst gar nicht auf.
Sie waren gezwungen auf eigene Kosten zurück zu fliegen und verlangen nun eine Erstattung des Reiseveranstalters.
Das Amtsgericht Viersen hat den Klägern Recht zugesprochen. Eine All-Inclusive Reise beinhalte den Ausschank von Alkohol, nach dessen Genuss ein entsprechend exzessives Verhalten zu erwarten sei.

AG Viersen 2 C 446/11(Aktenzeichen)
AG Viersen: AG Viersen, Urt. vom 09.03.2013
Rechtsweg: AG Viersen, Urt. v. 09.03.2013, Az: 2 C 446/11
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Nordrhein-Westfalen-Gerichtsurteile

Amtsgericht Viersen

1. Urteil vom 09. April 2013

Aktenzeichen: 2 C 446/11

Leitsatz:

2. Werden Gäste aufgrund von Trunkenheit des Hotels verwiesen, so wird dadurch ein Reisemange begründet und den Gästen steht ein Anspruch auf Schadensersatz zu.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger buchten eine 18-tägige all-inclusive Reise nach Antalya in der Türkei. Sie wurden jedoch nach einer Woche, aufgrund nächtlicher Ruhestörungen und Alkoholexzessen, des Hotels verwiesen. Anschließend wurde ihnen ein anderes Hotel angeboten, jedoch wurden ihnen dort das einchecken verweigert, nachdem sie unmittelbar nach der Ankunft, an einer Bar, auf unsittliche Art und Weise, Zärtlichkeiten austauschten.

Die Kläger reisten daraufhin auf eigene Kosten nach Deutschland zurück und begehren vom Reiseveranstalter die Rückerstattung der Reisekosten.

Das Amtsgericht Viersen sprach den Klägern die Rückerstattung der Reisekosten zu. Zu einer wirksamen Kündigung durch den Reiseveranstalter, gemäß § 314 Abs. 1 S. 2 BGB, sei es zu keinem Zeitpunkt gekommen.
Hierzu müsste dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen ein Festhalten am Vertrag bis zur vereinbarten Beendigung nicht zumutbar sein.

Da zu einer All-inclusive Reise auch alkoholische Getränke gehören, welche die oben genannten Probleme begründen und provozieren würden, müsse das Hotel ein solches Verhalten tolerieren.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 557,62 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.07.2011 zu zahlen.

Von den Kosten des Rechtstreits trägt der Kläger 35%, die Beklagte 65%.

Das Urteil ist für beide Parteien vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien können die Vollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des für den Vollstreckenden aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweils Vollstreckende vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

5. Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz sowie die teilweise Rückerstattung des gezahlten Entgelts für eine Reise.

6. Der Kläger buchte bei der Beklagten eine All-Inclusive- Flugreise in die Türkei für den Zeitraum vom 23.05.2011 bis zum 09.06.2011 für sich und seine Lebensgefährtin, die Zeugin.. Der Gesamtreisepreis betrug 1.043,00 EUR, wovon 521,50 EUR auf den Kläger entfielen. Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger ausdrücklich ausschließlich Ansprüche im Hinblick auf den ihn betreffenden Anteil des Reisepreises geltend.

7. Während der plangemäß angetretenen Reise kam es zwischen dem Kläger und seiner Lebensgefährtin zu wenigstens einer verbalen Auseinandersetzung am 01.06.2011. Mehrfach rief die Hotelleitung die örtliche Polizei hinzu, da der Kläger und seine Lebensgefährtin – dies ist streitig wiederholt die Nachtruhe störten. Die wurde in dem Hotel, in dem der Kläger und seine Lebensgefährtin untergebracht waren, zum Anlass genommen, die beiden des Hotels zu verweisen.  Die Reiseleitung brachte den Kläger und seine Lebensgefährtin am 01.06.2011 in einem anderen Hotel unter. Wegen eines im Einzelnen streitigen Vorfalls an der dortigen Poolbar unmittelbar nach dem Ankommen in dem zweiten Hotel weigerte man sich dort, den Kläger und seine Lebensgefährtin aufzunehmen und die beiden mussten ihre Reise noch am 01.06.2011 abbrechen. Im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung formulierte die Zeugin hörbar „Scheißland“. Sie reisten nach Antalya und kauften dort Rückflugtickets. Dafür zahlte der Kläger einen Betrag in Höhe von 146,50 EUR pro Person, wobei nur der auf den Kläger entfallende Anteil streitgegenständlich ist. Für den Transfer vom Flughafen zum Heimatort hatte der Kläger bereits datumsgebundene Zugtickets erworben. Für die nunmehr benötigten entstanden dem Kläger weitere Kosten in Höhe von 20,00 EUR. Auch im Hinblick auf die entstandenen Kosten macht der Kläger mit der vorliegenden Klage ausdrücklich ausschließlich Ansprüche im Hinblick auf den ihn betreffenden Anteil der Kosten geltend.

8. Der Kläger forderte die Beklagte außergerichtlich mit E-Mail vom 02.06.2011 zur Zahlung eines Betrags in Höhe von 366,40 EUR auf. Die E-Mail umfasste dabei eine zweiseitige Darstellung des Sachverhalts aus Sicht des Klägers. Dabei führte der Kläger bereits konkrete Schadensersatzansprüche auf. Die Mail endete mit den Worten: „Sollte es wider Erwarten Probleme geben, werde ich entsprechend einen Anwalt einschalten.“ Nachdem die Beklagte die Zahlung verweigerte, beauftragte der Kläger seinen späteren Prozessbevollmächtigten mit der weiteren Geltendmachung seiner Ansprüche. Dieser forderte die Beklagte mit Schreiben vom 12.07.2011 zur Zahlung eines Betrags in Höhe von 868,30 EUR auf. Die Beklagte verweigerte mit Schreiben vom 14.07.2011 erneut jedwede Zahlung an den Kläger. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers stellte diesem für seine außergerichtliche Tätigkeit einen Betrag in Höhe von 83,54 EUR in Rechnung, den der Kläger beglich.

9. Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 834,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.07.2011 sowie außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 83,54 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

10. Die Beklagte beantragt die Klage abzuweisen.

11. Die Beklagte behauptet, der Kläger und seine Lebensgefährtin haben durch ihr Verhalten am Urlaubsort selbst die Ursache für die vorzeitige Beendigung der Reise gesetzt. Der Kläger und seine Lebensgefährtin seien permanent vollkommen betrunken gewesen. Im Einzelnen habe die Zeugin Sch. den Kläger stark alkoholisiert am 01.06.2011 tätlich angegriffen, wodurch es zur Störung anderer Gäste gekommen sei. Der Kläger und seine Lebensgefährtin haben in dem gebuchten Hotel bereits zuvor wiederholt die Nachtruhe anderer Gäste gestört. Die Zeugin habeandere Gäste des Hotels beleidigt und das Personal beschimpft. Nach Ankunft in dem zweiten Hotel haben der Kläger und seine Lebensgefährtin sich sofort an die Poolbar begeben und betrunken. Unter anderem haben die beiden in unsittlicher Manier an der Bar Zärtlichkeit ausgetauscht. Die Zeugin habe dann die um Beschwichtigung bemühte Reiseleiterin beschimpft und bedroht. Die Beklagte hat den Vortrag des Klägers zu den ihm durch die Rückreise entstandenen Kosten ohne weitere Einlassung dem Grunde und der Höhe nach bestritten. Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger sei mit seinen Ansprüchen, zumindest soweit er diese nicht in seinem Anspruchsschreiben vom 02.06.2011 geltend gemacht habe, gemäß § 651 g Abs. 1 BGB ausgeschlossen.

12. Der Kläger behauptet, die Auseinandersetzung mit anderen Gästen sowie der Reiseleitung sei im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass diese die Transsexualität seiner Lebensgefährtin befremdet habe.

13. Die Klage ist der Beklagten am 19.10.2011 zugestellt worden. Das Gericht hat durch die Vernehmung von Zeugen über die streitigen Vorfälle Beweis erhoben. Dabei ist die Vernehmung der beklagtenseits benannten Zeugen mit Einverständnis beider Parteien durch die Beibringung einer schriftlichen Aussage durchgeführt worden. Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung sowie die in der Akte befindlichen schriftlichen Aussagen Bezug genommen. Das Gericht hat mit Beschluss vom 02.03.2013 mit Einverständnis beider Parteien das schriftliche Verfahren angeordnet. Der 22.03.2013 ist zu dem Datum bestimmt worden, das dem Schluss der mündlichen Verhandlung entsprochen hat.

Entscheidungsgründe:

14. Die Klage ist zum Teil begründet.

15. Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung eines Betrags in Höhe von 260,75 EUR aus §§ 651 d Abs. 1, 638 Abs. 4 BGB.

16. Zwischen den Parteien bestand ein Reisevertrag im Sinne des § 651 a Abs. 1 BGB.

17. Die von der Beklagten zu erbringende Gesamtheit von Reiseleistungen war mangelhaft gemäß § 651 c Abs. 1 BGB. Der Reise fehlte eine zugesicherte Eigenschaft, nämlich die gebuchte Dauer des Aufenthalts von 18 Tagen. Tatsächlich währte der Urlaub des Klägers nur neun Tage.

18. Die Beklagte hat die Reise nicht wirksam gemäß § 314 Abs. 1 BGB gekündigt. Denn die Beklagte hat nicht zur Überzeugung des Gerichts den Beweis geführt, dass ein Kündigungsgrund im Sinne des § 314 Abs. 1 S. 2 BGB vorlag. Dies ist der Fall, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen ein Festhalten am Vertrag bis zur vereinbarten Beendigung nicht zumutbar ist.

19. Soweit eine lautstarke Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und seiner Lebensgefährtin unstreitig ist, genügt diese als solche nicht, um die Beklagte zur Kündigung zu berechtigen. Selbst wenn man den Vortrag der Beklagten über die Intensität dieser Auseinandersetzung als wahr unterstellte, mithin von einer starken Alkoholisierung des Klägers und seiner Lebensgefährtin und großer Lautstärke der Auseinandersetzung ausginge, würde dies allein nicht als Kündigungsgrund ausreichen. Denn bei der gebotenen Abwägung der Umstände des Einzelfalles ist zunächst auch der Charakter der Reise zu berücksichtigen. All-Inclusive-Reisen zeichnen sich dadurch aus, dass dem Reisenden für den gezahlten Pauschalpreis vor Ort Speisen und Getränke in unbegrenzter Menge zum Verzehr zur Verfügung stehen. Dies umschließt auch alkoholische Getränke. Trifft eine solche Gestaltung mit einer Reise im unteren Preissegment – und dies dürfte bei einem Reisepreis von 521,50 EUR für eine 18-tägige Reise zweifellos der Fall sein – zusammen, stellt der vermehrte Verzehr alkoholischer Getränke ein geradezu typisches Reiseverhalten dar. Vor diesem Hintergrund sind einzelne typischerweise alkoholbedingte Verfehlungen des Reisenden von dem Reiseveranstalter in einem höheren Maße zu tolerieren, als dies bei anderweitigen Reisegestaltungen der Fall ist. Dass Alkoholgenuss in einem Einzelfall zur hörbaren Eskalation eines Beziehungsstreites führt, hält sich dabei grundsätzlich im Rahmen hinzunehmenden Verhaltens. Anders wäre dies erst zu beurteilen, wenn die Störung anderer Gäste ein besonders drastisches Ausmaß erreichte. Dies kann aber bei einer einzelnen – wenn auch zur Nachtzeit ärgerlichen – rein akustischen Störung nicht angenommen werden. Hierzu hätte es einer weiteren Eskalation, etwa dem Übergreifen der Auseinandersetzung auf andere Gäste bedurft.

20. Soweit unstreitig ist, dass andere Gäste sich über den Kläger und seine Lebensgefährtin beschwerten, ist dies unerheblich. Einen Kündigungsgrund können die Beschwerden anderer Reisender allenfalls darstellen, wenn diese auf einem objektiven Fehlverhalten des Reisenden beruhen. Ein solches ist aber, wie im Folgenden auszuführen sein wird, nicht festzustellen. Wie andere Reisende das Verhalten des Reisenden beurteilen, muss nicht mit den objektiven Umständen korrespondieren. So ist auch vorliegend keineswegs ausgeschlossen, dass sich andere Reisende an der Transsexualität der Lebensgefährtin des Klägers störten.

21. Auch dass die Lebensgefährtin des Klägers das Wort „Scheißland“ gebrauchte, berechtigte die Beklagte nicht zur Kündigung. Denn es ist zu beachten, dass sich die Lebensgefährtin des Klägers zu dieser Äußerung in einem Moment größter Emotion hinreißen ließ. Dabei steht die Äußerung in keinem Zusammenhang mit einem sonstigen irgendwie gearteten fremdenfeindlichen Auftreten des Klägers und seiner Lebensgefährtin. Vielmehr ging es um den vorzeitigen Abbruch des Sommerurlaubs. Wenn sich ein Reisender in dieser nachvollziehbarer Weise emotional geladenen Situation zu einer unglücklichen Äußerung hinreißen lässt, ist dies zwar unschön, aber nicht geeignet eine Kündigung zu begründen, zumal sich die Äußerung ersichtlich nicht gegen konkrete Personen richtete.

22. Hinsichtlich der streitigen Verfehlungen des Klägers und seiner Lebensgefährtin ist die Beklagte beweisfällig geblieben. Das Gericht ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedenfalls nicht in einem solchen Maße von der Darstellung der Beklagten überzeugt, dass diese keinen vernünftigen Zweifeln mehr begegnete.

23. Die schriftlichen Zeugnisse des Zeugen ist nur auf den ersten Blick ergiebig. Der Zeuge bestätigt zwar formal die von der Beklagten aufgestellten Behauptungen. Er legt aber zum Ende seiner Aussage offen, dass er hinsichtlich keiner der Beweisfragen bezüglich des Verhaltens des Klägers und seiner Lebensgefährtin aus eigener Wahrnehmung aussagen kann. Seine gesamte Aussage beschränkt sich inhaltlich auf dasjenige, das ihm die Zeugin zugetragen hat.

24. Die Aussage der Zeugin beschränkt sich auf die schlichte Bestätigung der Beweisfragen. Dabei schildert die Zeugin an keiner Stelle eine eigene Wahrnehmung en Detail. Was sie gesehen, gehört oder anderweitig wahrgenommen hat und welchen Eindruck dies bei ihr hervorgerufen hat, bleibt völlig offen. Dies sticht besonders bei der Beweisfrage c) ins Auge. Bei einer eigenen Wahrnehmung der Zeugin von dem Verhalten, das die Beklagte als „unsittliche Zärtlichkeiten“ formuliert, wäre zu erwarten gewesen, dass die Zeugin diese präzisiert. Der relativ offene Begriff lässt viel Spielraum. Die Zeugin beschränkt sich indes darauf, diesen wörtlich zu übernehmen. Gleiches gilt für das „aggressive Verhalten“. Eine ernsthaft ergiebige Aussage hätte erfordert, dass dieser allgemeine Terminus mit Leben gefüllt worden wäre. Die Zeugin stellt nicht einmal klar, ob es sich um eine verbale oder tätliche Aggression gehandelt habe.

25. Der Zeuge Cetin verhält sich in seiner Aussage konkret nur zu der Frage des Austauschs von Zärtlichkeiten. Hier bleibt offen, inwiefern der Zeuge überhaupt selbst eine Wahrnehmung hatte. Den Vorfall beschreibt der Zeuge pauschal als „Flirtaktionen“. Ob diese verbal oder durch Körperkontakt stattfanden, schildert der Zeuge nicht. Die Aussage ist einer Würdigung kaum zugänglich. Im Übrigen beschränkt sich der Zeuge darauf, dass der Kläger und seine Lebensgefährtin sich nicht an die Hausordnung gehalten haben.

26. Es kann dahinstehen, inwiefern die Aussagen der Zeugen überhaupt für sich betrachtet geeignet sind, einen Bewies zu führen. Denn den Aussagen steht die glaubhafte Aussage der Zeugin gegenüber. Die Zeugin wusste lebhaft und aus eigener Wahrnehmung von den streitigen Geschehnissen zu berichten. Für die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin spricht insbesondere, dass diese die Vorfälle auch insoweit frei beschrieb, wie diese dem Kläger zum Nachteil gereichen könnten. Die Zeugin gab bereitwillig an, dass sie sogar zwei Auseinandersetzungen mit dem Kläger gehabt habe. Auch dass diese sich lautstark gestalteten, stellte die Zeugin nicht in Abrede. Auch hinsichtlich der Kommunikation mit der Reiseleitung vor Ort räumte die Zeugin ihren eigenen Beitrag zu der hitzigen Gesprächsatmosphäre von sich aus ein. Die Zeugin war auch glaubwürdig. Dem steht das Näheverhältnis zu dem Kläger nicht entgegen. Für die Glaubwürdigkeit der Aussage der Zeugin spricht insbesondere der persönliche Eindruck des Gerichts im Rahmen der Vernehmung der Zeugin. Deren Auftreten war emotional, dennoch war sie bereit, ausführlich auf alle gestellten Fragen einzugehen. Dass die Zeugin in dieser emotionalen Situation derart schlüssig lügt, ist unwahrscheinlich.

27. Weiter gestützt wurde dieser Eindruck von der ebenfalls glaubhaften Aussage des Klägers in Person im Rahmen seiner informatorischen Anhörung. Auch der Kläger wusste im Gegensatz zu den beklagtenseits benannten Zeugen naturgemäß aus eigener Wahrnehmung zu berichten. Auch er war durchaus bereit, eigenes Fehlverhalten, insbesondere im Hinblick auf die Ruhestörung von sich aus einzuräumen. Umso glaubhafter wirkte auf das Gericht die entschiedene Zurückweisung der Vorwürfe hinsichtlich des vermeintlich unsittlichen Verhaltens des Klägers und seiner Lebensgefährtin im Poolbereich.

28. Der Kläger ist mit dem Anspruch nicht gemäß § 651 g Abs. 1 S. 1 BGB ausgeschlossen. Denn er hat seine Ansprüche mit der E-Mail vom 02.06.2011 binnen der darin vorgesehenen Monatsfrist geltend gemacht. Dem steht nicht entgegen, dass der Anspruch in der Mail noch niedriger beziffert und noch nicht auf die Minderung gestützt war.

29. Ob eine Mitteilung an den Reiseveranstalter nach Reiseende eindeutig im Sinne einer Geltendmachung ist, muss mit Hilfe der üblichen Auslegungsregeln ermittelt werden. In diesem Zusammenhang ist zum Schutz des Reisenden kein zu strenger Maßstab anzulegen. Eine Geltendmachung liegt nur dann nicht vor, wenn der Reisende selbst zum Ausdruck bringt, dass er (noch) nicht anmelde. Dagegen ist eine Anmeldung bereits anzunehmen, wenn der Reisende lediglich eine „Mängelliste“ einreicht,in der konkrete Mängel erheblicher Art aufgeführt sind; hier ist davon auszugehen, dass er seine Vermögenseinbuße ersetzt haben will (vgl. LG Frankfurt a. M. NJW-RR 1986, 1441).Erklärt der Reisende, er sei „nicht bereit, das Verhalten auf sich beruhen zu lassen“, ist darin eine Anmeldung von Gewährleistungsansprüchen zu sehen. Erst recht macht der Reisende seine Rechte geltend, wenn er den Mangel benennt und hinzufügt, dass der Reiseveranstalter demnächst von seinem Anwalt hören werde (vgl. OLG Celle RRa 2002, 162).

30. Gemessen an diesem Maßstab war die Geltendmachung in der Mail vom 02.06.2011 zur Fristwahrung ausreichend. Der Laie muss gerade nicht in der Lage sein, seine Ansprüche bereits korrekt zu beziffern. Die Mail des Klägers stellte den Sachverhalt, aufgrund dessen Ansprüche geltend gemacht werden sollten detailliert dar. Für die Beklagte war klar erkennbar, worum es ging. Spätestens durch die Ankündigung der Einschaltung eines Rechtsanwalts war für die Beklagte auch eindeutig zu verstehen, dass der Kläger ernsthaft beabsichtigte seine Ansprüche geltend zu machen. Da auch die in der Mail noch nicht bezifferten in der Klage begehrten Ansprüche auf demselben Sachverhalt beruhen, ist auch hinsichtlich dieser Ansprüche durch die Mail die Frist gewahrt.

31. Der Kläger hat Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 166,50 EUR aus §§ 651 f Abs. 1, 280 Abs. 1 BGB.

32. Die Beklagte hat mit der hälftigen Nichterbringung der Reiseleistungen eine ihr aus dem Reisevertrag obliegende Pflicht verletzt. Diese Pflicht ist insbesondere nicht durch eine wirksame Kündigung des Reisevertrags entfallen, da die Beklagte bezüglich des Vorliegens eines Kündigungsgrundes beweisfällig geblieben ist. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.

33. Die insoweit gemäß § 651 f Abs. 1 Hs. 2 BGB beweisbelastete Beklagte hat nicht den Beweis geführt, dass sie diese Pflichtverletzung nicht zu vertreten hätte. Insbesondere hat sie nicht den Beweis geführt, dass ein Verschulden des Klägers und seiner Lebensgefährtin vorgelegen habe. Auch insoweit wird auf die obigen Ausführungen zur Beweiswürdigung Bezug genommen.

34. Dem Kläger ist durch die Pflichtverletzung ein materieller Schaden in Höhe von insgesamt 166,50 EUR entstanden, der sich aus dem auf ihn entfallenden Teil der Rückflugkosten in Höhe von 146,50 EUR sowie den Kosten für die Zugfahrt vom Flughafen nach Hause in Höhe von 20,00 EUR zusammensetzt. Dass dem Kläger diese Kosten entstanden sind, ist der Entscheidung als unstreitig zugrunde zu legen. Denn der Kläger hat substantiiert unter Vorlage entsprechender Quittungen zu dem Entstehen der Kosten vorgetragen. Vor diesem Hintergrund ist das pauschale Bestreiten der Beklagten, die sich nicht zu den vorgelegten Rechnungen verhält, unbeachtlich.

35. Der Schaden ist kausal auf die hälftige Nichterbringung der Reiseleistung durch die Beklagte zurückzuführen. Denn hätte die Beklagte die Reise bis zum gebuchten Schlussdatum durchgeführt, hätte der Kläger im Rahmen des gebuchten All-Inclusive-Pakets Anspruch auf den Rückflug gehabt und ihm wären keine weiteren Kosten dafür entstanden. Auch die Zugfahrt hätte er mit dem bereits erstandenen Ticket in Anspruch nehmen können. Da dieses datumsgebunden war, musste er das neue Ticket erwerben.

36. Die Beklagte hat nicht substantiiert vorgetragen, wann und inwiefern sie sich um den Rücktransport des Klägers bemüht haben will.

37. Der Kläger ist mit dem Anspruch nicht gemäß § 651 g Abs. 1 S. 1 BGB ausgeschlossen. Denn er hat seine Ansprüche mit der E-Mail vom 02.06.2011 binnen der darin vorgesehenen Monatsfrist geltend gemacht.

38. Soweit der Kläger hinsichtlich des materiellen Schadens einen Betrag in Höhe von insgesamt 293,00 EUR, also weiteren 126,50 EUR begehrt, ist die Klage unschlüssig. Der Kläger trägt über die hälftigen Flug- sowie die Bahnkosten hinaus keine Schäden vor. Das Gericht geht davon aus, dass die Geltendmachung des überschießenden Betrags auf einem Rechenfehler beruht.

39. Der Kläger hat schließlich Anspruch auf Zahlung in Höhe von 130,37 EUR gemäß § 651 f Abs. 2 BGB.

40. Es liegt eine hälftige Vereitelung der Reise durch die Beklagte vor. Auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen.

41. Für die Höhe der Entschädigung ist eine Orientierung an dem Reisepreis geboten (vgl. BGH NJW 2005, 1047). Dabei ist im Falle der Vereitelung der Reise ein Ansatz von fünfzig Prozent des auf den vereitelten Zeitraums entfallenden Anteils des Reisepreises angemessen (vgl. BGH a.a.O). Halbiert man den auf die Hälfte der Reise entfallenden Anteil des Reisepreises in Höhe von 260,75 EUR, gelangt man zu einem Anspruch in Höhe von 130,37 EUR. Der darüber hinaus von dem Kläger für angemessen erachtete Betrag stellt sich nach Auffassung des Gerichts als überhöht dar. Es wäre unangemessen, dem Reisenden, der im Wege von Rücktritt oder Minderung bereits den geleisteten Reisepreis zurückerhält zusätzlich in selbiger Höhe über § 651 f Abs. 2 BGB zu bereichern.

42. Der Kläger ist mit dem Anspruch nicht gemäß § 651 g Abs. 1 S. 1 BGB ausgeschlossen. Zur Reichweite der E-Mail vom 02.06.2011 wird auf die Ausführungen zur Minderung Bezug genommen.

43. Soweit in der Hauptsache ein Anspruch des Klägers besteht, kann der Kläger aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB Zinsen beanspruchen. Die Beklagte geriet spätestens durch ihre schriftlich mitgeteilte Verweigerung jeglicher Zahlung in Verzug.

44. Der Kläger hat gemäß §§ 288 Abs. 4, 280 Abs. 2, 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB Anspruch auf Ersatz seiner außergerichtlichen Anwaltskosten. Das pauschale Bestreiten der Beklagten hinsichtlich deren Entstehen und Höhe ist prozessual unbeachtlich, zumal sich die Höhe anhand der Berechnung nach RVG ohne Weiteres nachvollziehen lässt. Zutreffender Weise setzt der Kläger bei der Berechnung einen geringeren Gegenstandswert an, als dieser streitgegenständlich ist, da die Beklagte zum Zeitpunkt der Beauftragung des Anwalts die Zahlung erst insoweit verweigert hatte, wie der Kläger diese selbst geltend gemacht hatte. Davon waren nur solche Ansprüche betroffen, deren Bestehen die vorliegende Entscheidung bestätigt.

45. Der Anspruch ist seinerseits gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 BGB zu verzinsen.

46. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt für beide Seiten aus §§ 708 Nr. 11, 711 S. 1, S. 2, 709 S. 2 ZPO.

47. Streitwert: 834,50 EUR

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