Kostennote nach Teilregulierung
BGH: Kostennote nach Teilregulierung
Ein Beklagter erkennt den vom Kläger geforderten Schadensersatz zur Hälfte an. Als ihm der Anwalt der Klägerseite die entsprechende Kostennote zusendet, geht der Beklagte von einem Erlass der restlichen Forderung aus. Der Kläger verlangt weiterhin die Begleichung des vollen Anspruchs.
Der Bundesgerichtshof hat dem Kläger Recht zugesprochen. In der schlichten Übersendung einer Kostennote könne keine Willenserklärung zum Abschluss eines Erlassvertrages gesehen werden.
BGH | VI ZR 54/05 (Aktenzeichen) |
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BGH: | BGH, Urt. vom 07.03.2006 |
Rechtsweg: | BGH, Urt. v. 07.03.2006, Az: VI ZR 54/05 |
LG Berlin, Urt. v. 23.02.2005, Az: 58 S 401/04 | |
AG Berlin-Mitte, Urt. v. 02.11.2004, Az: 102 C 3190/04 | |
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Leitsatz:
2. Stellt ein Rechtsanwalt nach Teilregulierung des Schadens gegenüber dem Beklagten eine Kostennote, so kann allein daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass sein Mandant auf die Geltendmachung weiterer Ansprüche verzichtet.
Zusammenfassung:
3. Der Kläger fordert von dem Beklagten Schadensersatz wegen einer Verletzung durch einen Verkehrsunfall. Der Beklagte erkennt den Schaden nur zur Hälfte an und reguliert ihn bis zu der entsprechenden Summe.
Nach dieser Regulierung schickte der Rechtsanwalt des Klägers seine Kostennote an den Beklagten, welcher die Anwaltskosten mittels eines Schecks beglich.
In der darauf folgenden Klage fordert der Kläger die Begleichung des restlichen Schadens. Der Beklagte weigert sich jedoch der Zahlung mit der Begründung, dass durch die erste Schadensregulierung und die anschließende Begleichung der Kostennote ein Erlassvertrag zustande gekommen sei.
Nachdem das Amts- und das Landgericht Berlin die Klage als unbegründet abgewiesen hatten, befasste sich der Bundesgerichtshof mit der Streitfrage.
Er kam zum Entschluss, dass das Ausstellen einer Kostennote nach einer Teilregulierung des Schadens nicht gleichzeitig den Verzicht auf Geltendmachung weiterer Ansprüche des Mandanten bedeutet. Grundsätzlich könne eine Kostennote als Erlassvertrag gewertet werden, hierfür müsste das Parteiverhalten allerdings eindeutige Merkmale aufweisen.
So seien zwei eindeutige Willenserklärungen erforderlich, die die Zustimmung zu einer Beilegung der weiteren Streitigkeit erkennen ließen. Da dies vorliegend nicht der Fall sei, sei ein solcher Vertrag nicht zustande gekommen.
Tatbestand:
4. Der Kläger nimmt die Beklagten auf Ersatz restlichen Schadens in Anspruch, der ihm nach seiner Behauptung bei einem Verkehrsunfall am 31. März 2004 entstanden sei. Die volle Einstandspflicht der Beklagten steht außer Streit.
5. Ein vom Kläger beauftragter Sachverständiger ermittelte vorprozessual Instandsetzungskosten in Höhe von 4. 371, 30 €. Die Beklagte zu 3 erkannte einen Schadensersatzanspruch von 2. 677, 02 € an und regulierte den Schaden in dieser Höhe. In der Folge übersandte der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte des Klägers der Beklagten zu 3 seine Kostennote vom 16. Juni 2004 über 352, 06 €. Eingangs der Kostennote heißt es: „nach Regulierung des angekündigten Betrages erlaube ich mir für meine Tätigkeit gemäß nachfolgender Kostennote abzurechnen“. Die anschließende Kostenberechnung weist eine „15/ 10 Geschäftsgeb. gem. DAV-Abkommen“ nach einem Gegenstandswert von 2. 677, 02 € nebst Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer aus. Die Beklagte zu 3 übersandte dem Prozessbevollmächtigten des Klägers einen Scheck über diesen Betrag, der eingelöst wurde.
6. Mit der vorliegenden, am 17. Juni 2004 eingereichten Klage verlangt der Kläger Ersatz des restlichen Unfallschadens in Höhe von 1. 714, 28 €. Die Beklagten haben unter anderem geltend gemacht, durch die Übersendung der Kostennote und die anschließende Zahlung seitens der Beklagten zu 3 sei ein Erlassvertrag zustande gekommen, so dass weiterer Schadensersatz nicht mehr mit Erfolg verlangt werden könne.
7. Das Amtsgericht hat die Klage mit dieser Begründung abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter.
Entscheidungsgründe:
8. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Nach dem Abkommen zwischen dem Deutschen Anwaltsverein und dem Verband der Haftpflichtversicherer dürfe ein Rechtsanwalt bei einer vollständigen außergerichtlichen Erledigung des Schadensfalls eine Geschäftsgebühr in Höhe von 15/ 10 an Stelle der üblichen 7, 5/ 10 nach dem Gegenstandswert des gezahlten Betrages abrechnen. Das bedeute, dass ein Rechtsanwalt, wenn er unter ausdrücklichem Hinweis auf dieses Abkommen dem Versicherer eine entsprechende Honorarrechnung übersende, damit die Erklärung verbinde, dass die Angelegenheit vollständig erledigt sein solle, falls die Kostennote entsprechend beglichen werde. So jedenfalls könne und müsse der Haftpflichtversicherer die Erklärung des Anwalts verstehen. Nehme der Haftpflichtversicherer dieses Angebot dadurch an, dass er dem Anwalt einen entsprechenden Honorarbetrag anweise, so komme hierdurch ein außergerichtlicher Vergleich gemäß § 779 BGB des Inhalts zustande, dass durch die geleistete Schadensersatzzahlung und die Anweisung des Honorars die Angelegenheit abschließend erledigt sein solle. Eine weitere Forderung sei danach ausgeschlossen.
9. Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Nachprüfung nicht Stand.
10. Die vom Berufungsgericht vertretene Ansicht entspricht einer verbreiteten Auffassung, wonach eine Abrechnung nach Maßgabe des DAV-Abkommens als Angebot auf Abschluss eines Erlassvertrages und die Gebührenzahlung des Versicherers als dessen Annahme anzusehen sei (LG Aachen, NZV 2004, 149, 150 = NJW-RR 2004, 170 f.; LG München I, NZV 2004, 413; LG Osnabrück, Schaden-Praxis 2003, 327; LG Wuppertal, Schaden-Praxis 2004, 176; AG Berlin-Mitte, NZV 2004, 414 f.; AG Düsseldorf, Schaden-Praxis 2001, 430; AG Geislingen, Schaden-Praxis 2003, 28, 29; AG Ingolstadt, AGS 2004, 171; AG Schwerte, Schaden-Praxis 2001, 361 f.). Nach der Gegenmeinung kann allein aus der Tatsache, dass ein Rechtsanwalt bei Abrechnung einer Verkehrsunfallregulierung in seiner Kostennote Bezug auf das DAV-Abkommen nimmt, nicht regelmäßig der Schluss gezogen werden, er verzichte zugleich auf die Geltendmachung weiterer Ansprüche seines Mandanten (Thüringer OLG, OLG-NL 2005, 243 ff.; LG Bonn, ZfS 2005, 238 f.; LG Kiel, Schaden-Praxis 2003, 214 f.; zweifelnd auch OLG Celle, DAR 2003, 556).
11. Die letztgenannte Ansicht ist richtig.
12. Ein Erlassvertrag kommt nur zustande, wenn die Parteien darauf gerichtete übereinstimmende Willenserklärungen abgeben. Führt der Rechtsanwalt des Geschädigten mit dem Haftpflichtversicherer des Schädigers Regulierungsverhandlungen und rechnet er, nachdem der Haftpflichtversicherer den von ihm teilweise für begründet erachteten Anspruch des Geschädigten insoweit erfüllt hat, auf der Grundlage des DAV-Abkommens ab, so kann darin das Angebot auf Abschluss eines Erlassvertrages liegen. Denn die Regelung der Ziffer 7 f dieses Abkommens soll auf eine möglichst endgültige abschließende Regulierung hinwirken (Greißinger, DAR 1998, 286, 289) und bestimmt deshalb, dass die 15/ 10-Gebühr nach Ziffer 7 a grundsätzlich nur für den Fall der vollständigen außergerichtlichen Schadensregulierung abgerechnet werden darf. Eine derartige Abrechnung durch den Rechtsanwalt kann demgemäß zugleich die Erklärung enthalten, die Sache solle endgültig erledigt sein.
13. Hierfür ist jedoch erforderlich, dass über die bloße Kostenabrechnung hinaus mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck kommt, es solle eine materiellrechtlich wirkende Erklärung abgegeben werden. Insoweit kommt es auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an. Das Angebot auf Abschluß eines Erlassvertrages muss unmissverständlich erklärt werden (BGH, Urteil vom 10. Mai 2001 – VII ZR 356/ 00 – NJW 2001, 2325 f.). An die Feststellung eines Verzichtswillens sind strenge Anforderungen zu stellen, er darf nicht vermutet werden (vgl. Senatsurteile vom 20. Dezember 1983 – VI ZR 19/ 82 – NJW 1984, 1346 f. = VersR 1984, 382 f.; vom 15. Juli 1997 – VI ZR 142/ 95 – NJW 1997, 3019, 3021 = VersR 1998, 122, 123). Selbst bei einer eindeutig erscheinenden Erklärung des Gläubigers darf ein Verzicht nicht angenommen werden, ohne dass bei der Feststellung zum erklärten Vertragswillen sämtliche Begleitumstände berücksichtigt worden sind (BGH, Urteil vom 15. Januar 2002 – X ZR 91/ 00 – NJW 2002, 1044, 1046). Darüber hinaus gilt der Grundsatz, dass empfangsbedürftige Willenserklärungen möglichst nach beiden Seiten hin interessengerecht auszulegen sind (BGHZ 131, 136, 138; 146, 280, 28).
14. Auch ein Abrechnungsschreiben „nach Maßgabe des DAV-Abkommens“ muss danach mit ausreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass eine abschließende Erledigung gewollt ist. Zudem dürfen die Begleitumstände nicht einen abweichenden Willen nahe legen. Enthält das Abrechnungsschreiben lediglich die Gebührenabrechnung, so ist ihm nicht ohne weiteres ein Erlasswille zu entnehmen. Denn die Abrechnung kann schlicht darauf beruhen, dass der Rechtsanwalt die Voraussetzungen für den Anfall der Gebühr verkannt hat. In diesem Fall wäre aber der Ausschluss weiterer – insbesondere erheblicher – Ansprüche des Geschädigten nicht interessengerecht.
15. Zwar kann trotz fehlenden Erklärungsbewusstseins eine Willenserklärung vorliegen, wenn der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, dass seine Äußerung nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefasst werden durfte, und wenn der Empfänger sie auch tatsächlich so verstanden hat (BGHZ 91, 324, 329 f.; 109, 171, 177). Dieser Grundsatz findet indes nur dann Anwendung, wenn die maßgebliche Erklärung einen insoweit tauglichen Inhalt hat. Dies ist aber – wie ausgeführt – nicht der Fall, wenn lediglich die Anwaltsgebühren nach Maßgabe des DAV-Abkommens abgerechnet werden. Auch hat sich, wie die zahlreichen zitierten Rechtsstreitigkeiten und ihr divergierender Ausgang zeigen, insoweit noch keine Verkehrssitte entwickelt. Da die Rechtslage bisher höchstrichterlich nicht geklärt war, durften die Versicherer auch nicht nach Treu und Glauben davon ausgehen, eine Gebührenabrechnung mit dem genannten Inhalt sei ohne weiteres als Verzichtsangebot aufzufassen.
16. Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht den Abschluss eines Erlassvertrages zu Unrecht bejaht.
17. Zwar ist die Auslegung einer individuellen Vereinbarung im Revisionsrechtszug nur beschränkt nachprüfbar. Sie unterliegt der Nachprüfung aber jedenfalls insoweit, als gesetzliche Auslegungsregeln, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt worden sind. Ein Verstoß gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze ist u. a. dann gegeben, wenn nicht alle für die Auslegung wesentlichen Tatsachen berücksichtigt worden sind (vgl. Senatsurteil vom 20. Dezember 1983, aaO; BGH, Urteil vom 26. Februar 2003 – VIII ZR 270/ 01 – NJW 2003, 2382, 2383). Dies ist hier der Fall.
18. Die Kostennote vom 16. Juni 2004 enthält keine Erklärungen dahin gehend, dass hiermit eine materiellrechtlich wirkende auf Abschluss eines Erlassvertrages gerichtete Erklärung abgegeben werden solle. Sie beinhaltet lediglich eine Kostenrechnung des Rechtsanwalts auf der Basis des bereits regulierten Betrages.
19. Es sind auch sonst keine Umstände festgestellt, die für die Abgabe einer auf Abschluss eines Erlassvertrages gerichteten Erklärung sprechen. Der Kläger hat vorprozessual seinen gesamten Schaden gegenüber dem Haftpflichtversicherer geltend gemacht und das Berufungsgericht stellt nicht fest, bis zum Zugang der Kostennote habe es Anhaltspunkte dafür gegeben, dass der Kläger einen Teil seines Schadens nicht weiter habe geltend machen wollen. Gegen einen dahin gehenden Willen spricht auch, dass schon am 17. Juni 2004, also einen Tag nach Fertigung der Kostennote, die Klageschrift wegen des restlichen Schadensbetrages verfasst und bei Gericht eingereicht wurde.
20. Unter diesen Umständen erweist sich die Annahme des Berufungsgerichts, der Rechtsanwalt des Klägers habe eine auf den Abschluss eines Erlassvertrages gerichtete Erklärung abgegeben, als rechtsfehlerhaft.
21. Das die Klage abweisende Berufungsurteil kann demnach keinen Bestand haben. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die nunmehr erforderlichen weiteren Feststellungen getroffen werden können.
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