Unwirksamer Reisevertragsabschluss bei fehlender Einigung über den Abfahrtsort und Zustiegspunkt

AG München: Unwirksamer Reisevertragsabschluss bei fehlender Einigung über den Abfahrtsort und Zustiegspunkt

Ein Ehepaar war von einem Busreisevertrag zurückgetreten, weil es mit Abfahrtsort und -zeitpunkt nicht einverstanden war. Da beides nicht im Vertrag vereinbart war, war dieser unwirksam und die Veranstalterin musste den Reisepreis erstatten.

AG München 262 C 2407/18 (Aktenzeichen)
AG München: AG München, Urt. vom 06.06.2018
Rechtsweg: AG München, Urt. v. 06.06.2018, Az: 262 C 2407/18
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Amtsgericht München

1. Urteil vom 6. Juni 2018

Aktenzeichen 262 C 2407/18

Leitsatz:

2. Ein Reisevertrag, der keine Vereinbarung über Ort und Zeitpunkt der Abreise enthält, ist unwirksam.

Zusammenfassung:

3. Die Klägerin hatten bei der Beklagten als Veranstalterin für sich und ihren Ehemann eine Busfreise an die Cote d’Azur für den Zeitraum 17. bis 25. Oktober 2016 gebucht. Der Abfahrtsort sollte laut Prospekt in der Nähe des Wohnortes der Reisenden sein. Am 29. September erhielten sie die Reisedokumente, denen Abfahrtsort und Fahrtzeiten zu entnehmen waren. Demnach war der Zustiegspunkt eine vom Wohnort der Kläger 20km entfernte Tankstelle und die Fahrt sollte nachts stattfinden. Mit beidem waren die Kläger nicht einverstanden und kündigten den Reisevertrag. Sie forderten die Erstattung des bereits gezahlten Reisepreises, was die Beklagte zunächst verweigerte.

Vor das Amtgericht München getragen wurde der Streit zugunsten der Kläger entschieden. Die Beklagte musste den Reisepreis zurückerstatten, weil der Reisevertrag nicht wirksam zustande gekommen war. Die Vereinbarung eines Zeitpunktes und Ortes für die Abfahrt fehlte darin nämlich, war aber maßgeblich für die Ausgestaltung der Reise.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.254,60 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.12.2016 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin durch Zahlung von 201,71 EUR von außergerichtlichen Gebührenansprüchen der Rechtsanwälte … freizustellen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand:

5. Die Klagepartei verlangt von der Beklagtenpartei Rückzahlung bezahlten Reisepreises.

6. Die Klägerin buchte für sich und ihren Ehemann eine Busreise an die Cote d’Azur für den Zeitraum 17.10.2016 bis 25.10.2016, bezahlte hierfür EUR 1.394,00 Gesamtreisepreis und erhielt die als Anlage K 1 vorgelegte Buchungsbestätigung vom 15.06.2016.

7. Grundlage der Buchung waren der als Anlage K 2 vorgelegte Werbeprospekt und die ARB der Beklagten (Anlage K 13).

8. In deren Ziffer 9 befindet sich eine Regelung über den Ausschluss von Ansprüchen und über Verjährung.

9. Mit Anschreiben vom 29.09.2016 (Anlage K 3) erhielt die Klägerin Reisedokumente und einen Voucher (Anlage K 4), Hieraus ergab sich erstmals, dass der Zustieg der Klägerin am 17.10.2016 um 23.45 Uhr an der Tankstelle in der … Strasse erfolgen sollte. Daraufhin teilte die Klägerin der Beklagten durch Schreiben vom 01.10.2016 (Anlage K 5) mit, dass sie hiermit nicht einverstanden sei und forderte Abhilfe. Da die Beklagte hierzu nicht bereit war, kündigte die Klägerin durch Schreiben vom 14.10.2016 (Anlage K 7) den Reisevertrag und forderte die Beklagte zur Rückzahlung des Reisepreises in Höhe von 1.394,00 EUR auf.

10. Auf der Basis der Stornorechnung vom 17.10.2016 (Anlage K 8) wurden der Klägerin EUR 139,40 zurücküberwiesen.

11. Daraufhin ließ die Klägerin ihren Anspruch durch Anwaltsschreiben vom 25.11.2016 (Anlage K 9) mit Fristsetzung zum 16.12.2016 geltend machen.

12. Hierfür fielen außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren ihn Höhe von 201,71 EUR an.

13. Die Klagepartei ist der Auffassung, die erfolgte Kündigung sei wirksam.

14. Es sei der Klägerin nicht zuzumuten, die Reise um 23.45 Uhr mehr als 20 km von ihrer Wohnung entfernt an einer einsamen, unsicheren Stelle antreten, ihr Fahrzeug während der Reise dort stehen lassen und die Nächte der Hin- und Rückfahrt im Bus verbringen zu müssen.

15. Dies sei vertraglich auch nicht so vereinbart gewesen.

16. Sie beantragt daher,

1.  Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.254,60 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.12.2016 zu zahlen.

2.  Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin durch Zahlung von 201,71 EUR von außergerichtlichen Gebührenansprüchen der Rechtsanwälte … freizustellen.

17. Die Beklagte beantragt

Klageabweisung.

18. Sie ist der Auffassung, es sei der Klägerin durchaus zuzumuten, die Reise anzutreten, wie von der Beklagten mitgeteilt. Auch sei es dem Prospekt entnehmbar, dass die Busfahrten über Nacht stattfinden würden.

19. Darüber hinaus wies die Beklagte im Termin vom 25.04.2018 auf die Regelung bezüglich der Verjährung hin und erhob die Einrede der Verjährung.

20. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

21. Die zulässige Klage ist begründet.

22. Hierüber war ohne Veranlassung zum Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung aufgrund des nicht nachgelassenen Schriftsatzes der Beklagtenseite vom 4.6.2018 zu entscheiden.

23. Die Klägerin kann von der Beklagten Rückzahlung des Reisepreises verlangen.

24. Dies ergibt sich schon daraus, dass ein wirksamer Reisevertrag zwischen den Parteien nicht geschlossen wurde.

25. Eine Einigung zwischen den Parteien über Abfahrtsort und -zeit hat nicht stattgefunden.

26. Diesbezüglich ist der zweiten Seite der Anlage K 2 zu entnehmen, dass Zustiegsmöglichkeiten „in der Nähe“ des Wohnorts des Kunden geschuldet sein sollten. Was unter „Nähe“ zu verstehen ist, bleibt unklar. Die Buchungsbestätigung enthält hierzu „Zustieg von PLZ Kreis 35 xxxD-35xxx-Gießen“.

27. Der Postleitzahlenbereich der mit 35 beginnt, erstreckt sich in Nord-Süd-Richtung über mehr als 100 Kilometer und in Ost-West-Richtung auf zumindest 70 Kilometer.

28. Weder Letzteres noch die Bezeichnung „in der Nähe ihres Wohnorts“ ist ausreichend konkret, um Grundlage einer verbindlichen, vertraglichen Vereinbarung sein zu können.

29. Ebenso fehlt es an einer Bestimmung des Abreisezeitpunktes. Diesbezüglich findet sich weder im Prospekt der Beklagten, noch in der Buchungsbestätigung eine Regelung.

30. Da zwischen den Parteien weder Abfahrtsort, noch wenigstens ein ungefährer Zustiegszeitpunkt vereinbart waren, und es einen erheblichen Unterschied macht, wie weit man zum Zustiegszeitpunkt anreisen muss und ob man tagsüber oder über Nacht fährt, fehlt es an zwei für einen Reisevertrag unabdingbaren Regelungen, mit der Folge, dass ein Vertrag zwischen den Parteien nicht wirksam zustande gekommen ist.

31. Hieran ändert auch nichts, wenn der Prospekt der Beklagten die gemäß § 4 der BGB-InfoVO erforderlichen Angaben enthält, denn diese besagt nichts darüber, was Gegenstand korrespondierender Willenserklärungen sein muss, damit ein Vertrag wirksam zustande kommt.

32. Selbst wenn man das Zustandekommen eines Vertrages als wirksam ansehen und der Beklagten ein Bestimmungsrecht hinsichtlich des Abfahrtsortes und der Abfahrtszeit zubilligen wollte, wäre dieses Recht dies nicht wirksam ausgeübt.

33. Eine Zustiegsstelle an einer Tankstelle in einer Entfernung von mehr als 20 Kilometern vom Wohnort der Klägerin entfernt, kann nicht mehr als in deren Nähe angesehen werden. Auch der Zeitpunkt um 23.45 Uhr liegt außerhalb eines eventuellen Ermessensspielraumes.

34. Auch wäre es nicht zumutbar, dort ein Fahrzeug über längere Zeit abstellen zu müssen.

35. Im Prospekt der Beklagten ist an keiner Stelle darauf hingewiesen, dass die Anreise über Nacht erfolgen sollte, mit der zwingenden Folge, dass die Reisenden nicht in den Genuss kämen, während der Anreise die Landschaft genießen zu können. Darüber hinaus wären sie gezwungen, die weite Anfahrt von Wetzlar an die Cote d’Azur nachts in einem Reisebus zu verbringen.

36. Es mag sein, dass diese Art und Weise zu Reisen bei gesunden, jungen und sparsamen Menschen beliebt ist, um Übernachtungskosten zu sparen. Für ältere Herrschaften, wie die Klägerin und ihren Ehemann, stellt dies häufig eine Zumutung dar.

37. Ohne einen – nicht erfolgten – deutlichen Hinweis auf diese Art der Reisegestaltung darf der durchschnittliche Reisende erwarten, nicht auf diese Art und Weise transportiert zu werden.

38. Dass diese Gestaltung der Reise nicht deutlich gemacht und allenfalls durch Schlussfolgerungen von potenziellen Vertragspartnern erkannt werden konnte, stellt einen Mangel des Prospekts dar. Dieser ist als Verschulden der Beklagen bei Vertragsschluss anzusehen und wie ein Mangel der Reise zu bewerten, der zur Kündigung berechtigte.

39. Dies gilt umso mehr, als auf der dritten Seite des Prospekts der Beklagten unter „1. Tag: Anreise“ am Ende vermerkt ist:

40. „In einem schönen Küstenort nahe San Remo verbringen wir die ersten vier Nächte.“

41. Tatsächlich war jedoch geplant, die erste Nacht im Bus der Beklagten zu verbringen.

42. Dem klägerischen Rückzahlungsanspruch steht auch kein Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 214 Abs. 1 BGB zu.

43. Da ein wirksamer Vertrag nicht vorliegt, sind auch die ARB der Beklagten nicht zu berücksichtigen, mit der Folge, dass es bei der Verjährungsregelung des § 195 BGB von drei Jahren verbleibt, die nicht abgelaufen ist, ohne dass es auf die Wirksamkeit der durch die Beklage in den ARB vorgenommene Verkürzung der Verjährung ankäme.

44. Die Beklagte schuldet daher Rückzahlung des restlichen Reisepreises.

45. Die Entscheidung über die Zinsen beruht auf §§ 286, 288 BGB, die über die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten auf § 280 Abs. 1 BGB, weil die Beklagte dadurch, dass sie durch das Insistieren auf dem unzumutbaren Zustiegszeitpunkt und -ort eine Pflicht verletzt hat, die Einschaltung des klägerischen Anwaltes verschuldet hat.

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