Reiseserviceverträge zur Gutschrift von Reisewerten

Reiseserviceverträge zur Gutschrift von Reisewerten

Eine Frau schloss einen Reiseservicevertrag ab, bei dem sie monatlich einen Betrag zahlte und dafür „Reisewerte“ gutgeschrieben bekam. Als sie eine Reise buchte und ihr die Anrechnung ihres Guthabens verweigert wurde, klagte sie vor Gericht. Das beklagte Unternehmen berief sich auf neue Vertragsbedingungen, das Gericht befand jedoch, dass diese unwirksam seien, da sie eine Anrechnung der Reisewerte beinahe unmöglich machten.

Die Frau bekam recht und die Beklagte wurde zur Zahlung von etwa 2.500,00 € verurteilt.

AG Drtmund 425 C 2660/15 (Aktenzeichen)
AG Dortmund: AG Dortmund, Urt. vom 07.07.2015
Rechtsweg: AG Dortmund, Urt. v. 07.07.2015, Az: 425 C 2660/15
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Amtsgericht Dortmund

1. Urteil vom 07.07.2015

Aktenzeichen 425 C 2660/15

 Leitsatz:

2. In einem Reiseservicevertrag muss es dem Kunden theoretisch möglich sein, das von ihm eingezahlte Guthaben vollständig für Reisebuchungen aufzuwenden.

Zusammenfassung:

3. Die Klägerin schloss bei der Beklagten einen Reiseservicevertrag ab. Dieser begründet eine monatliche Zahlung des Kunden für die diesem dann sogenannte „Reisewerte“ angerechnet werden. Diese Reisewerte können dann bei der Buchung von Urlaubsreisen entweder sofort angerechnet werden, wodurch der Kunde einen geringeren Betrag zahlen muss, oder sie werden dem Kunden nach Abschluss der Buchung ausgezahlt.

Im vorliegenden Fall bestand der Reiseservicevertrag der Kundin schon über zehn Jahre, in deren Verlauf es noch nie zu Problemen bei der Verrechnung der Reisewerte gekommen war. Zu Beginn zahlte die Kundin jeden Monat 89,00 € ein (für die jeweils 100,00 € Reisewerte gutgeschrieben wurden), später nur noch 69,00 € (für die je 75,00 € Reisewerte berechnet wurden).

Als die Kundin im Jahr 2014 eine Reise im Preis von etwa 2.600,00 € buchte betrug ihr Guthaben an Reisewerten etwa 2.500,00 €. Nachdem sie jedoch den vollen Preis der Reise zunächst selbst gezahlt hatte, verweigerte ihr der Vertragspartner die Auszahlung ihres Guthabens mit einem Verweis auf eine Änderung der Vertragsbedingungen. Diese sähen jetzt vor, dass Reisewerte nur noch in einer Höhe von 10% des Reisepreises angerechnet werden könnten, weshalb der Kundin die Auszahlung nicht zustehe.

Die Kundin kündigte den Vertrag und klagte gegen den Reiseserviceanbieter auf Auszahlung ihres vollen Guthabens. Sie bekam recht und das Gericht wies darauf hin, dass im vorliegenden Fall eine Beschränkung der Anrechnung auf weniger als die eingezahlten Beträge, wahrscheinlich auch auf weniger als die versprochene Gegenleistung von Reisewerten gemäß § 307 BGB unwirksam sei.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.502,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.12.2014 zu zahlen.

Die Beklagte wird ferner verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Anwaltsgebühren in Höhe von 150,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.12.2014 zu zahlen und die Klägerin im Übrigen von der Zahlung weiterer vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 184,75 € freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 10 % und die Beklagte zu 90 %.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

5. Die Beklagte schließt mit ihren Kunden sogenannte Reiseserviceverträge. Dabei betreibt der Geschäftsführer der Beklagten mehrere Firmen mit diesem Geschäftsmodell, und zwar neben der Beklagten auch die D. S3 GmbH, die D. Reise T. GmbH sowie die D. Reise I. in Mallorca. Vor dem Amtsgericht Dortmund sind gegen diese Firmen ca. 400 Verfahren wegen des mehr oder weniger gleichen Sachverhalts anhängig bzw. anhängig gewesen. Es kommen fast täglich neue Verfahren hinzu.

6. Das Geschäftsmodell der Beklagten funktionierte dahingehend, dass die geworbenen Kunden monatlich einen Betrag an die Beklagte zu leisten hatten und dafür Reisewerte gutgeschrieben bekamen. Im konkreten Fall hatte die Klägerin im Dezember 2004 einen solchen Vertrag geschlossen nachdem sie 89,00 € monatlich einzuzahlen hatte und ihr Reisewerte in Höhe von 100,00 € gutgeschrieben wurden. Im Jahre 2010 wurde der Vertrag dann nach einem Anruf eines Mitarbeiters der Beklagten dahingehend geändert, dass die Klägerin nur noch 69,50 € zahlen musste, wofür ihr 75,- € gutgeschrieben wurden. Bei einer Reisebuchung über die Beklagte sollte dann der Reisepreis entweder vom Reisewertkonto direkt bezahlt werden oder nach Zahlung der Reise durch den Kunden an diesen ausgezahlt werden. Das hat in der Vergangenheit auch ca. 10 Jahre so funktioniert.

7. Im Juli 2014 buchte die Klägerin eine Reise zum Preis von 2.640,00 € nach Palma de Mallorca. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie ein Reisewertguthaben von 2.502,00 € bei der Beklagten. Die Klägerin zahlte den Reisepreis von 2.640,00 € aus eigenen Mitteln. Die Beklagte zahlte trotz mehrfacher Aufforderung das entsprechende Guthaben nicht aus. Die Klägerin kündigte daraufhin ihre Mitgliedschaft. Die D. S2 GmbH bestätigte den Eingang der Kündigung am 3. Dezember 2014. Unter dem 10.11.2014 schrieb die D. S2 GmbH der Klägerin, dass sie aufgrund geänderter wirtschaftlicher Verhältnisse nunmehr die erworbenen Reisewerte nicht mehr vollständig auf den Reisepreis zur Anrechnung bringen könne. Nach den AGB sei der Vertragspartner berechtigt, eine Anrechnung von Reisewerten lediglich in Höhe der Provisionierung der betreffenden Reise durch den Reiseveranstalter vorzunehmen, was einer Anrechnung von Reisewerten in Höhe von maximal 10 % des jeweiligen Reisepreises entspräche. Der Klägerin wurde deshalb angeboten, 20 % des Reisepreises zur Anrechnung zu bringen. Dem Schreiben war ein Scheck beigefügt und ein Formular, das zurückgeschickt werden sollte. Dies ist nicht geschehen.

8. Die Klägerin ist der Auffassung, dass die AGB, soweit sie ein freies Leistungsbestimmungsrecht der Beklagten sowie eine Anrechnung in niedrigerer Höhe als der tatsächlichen Zahlungen vorsehen, unwirksam seien.

9. Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.802,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.12.2014 zu zahlen,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin vorgerichtliche Anwaltsgebühren in Höhe von 150,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.12.2014 zu zahlen

und die Klägerin im Übrigen von der Zahlung weiterer vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 184,75 € freizustellen.

10. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

11. Sie hält ihre AGB für wirksam. Sie ist der Auffassung, dass im Jahre 2010 ein neuer Vertrag abgeschlossen worden sei.

12. Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

13. Die Klage ist teilweise begründet. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Auszahlung des Guthabens der Reisewerte zum Zeitpunkt der Buchung im Juli 2014 in Höhe von 2.502,00 € nach dem abgeschlossenen Vertrag.

14. Das entsprach dem ursprünglichen Vertragsinhalt. So ist es auch ca. 10 Jahre praktiziert worden.

15. Soweit die Beklagte der Auffassung ist, dass sich aus ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen etwas anderes ergäbe, ist bereits nicht klar, wie im Jahre 2004 diese Geschäftsbedingungen Gegenstand des Vertrages geworden sind und inwiefern sich diese von der dann 10 Jahre praktizierten Übung unterschieden haben. Das gilt auch für die behauptete Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen aus dem Jahre 2010.

16. Soweit diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen ein freies Leistungsbestimmungsrecht der Beklagten vorgesehen haben oder vorgesehen haben sollten, ist dies gemäß § 307 BGB genauso unwirksam wie die Beschränkung der Anrechnung nur auf 10 % des Reisepreises. Insofern liegt eine unangemessene Benachteiligung der Kunden vor.

17. Unstreitig handelt es sich bei den vertraglichen Regelungen, auf die die Beklagte sich nun beruft auf Allgemeine Geschäftsbedingungen gem. § 305 ff BGB. Sie wurden von der Beklagten für eine Vielzahl von Fällen vorformuliert und von der Beklagten gestellt, § 305 Abs. 1 BGB.

18. Nicht endgültig klären konnte das Gericht aufgrund des lückenhaften Vortrags der Beklagten, ob diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen 2004 bzw. 2010 in den Vertrag gem. § 305 Abs. 2 BGB einbezogen wurden. Darauf kommt es aber nicht an, da die hier allein den Anspruch der Klägerin beschränkende Allgemeine Geschäftsbedingung selbst wenn sie Vertragsbestandteil und keine überraschende Klausel darstellen würde, § 305c Abs. 1 BGB, geworden sein sollte, auf jeden Fall gem. § 307 BGB unwirksam wäre. Keine der Parteien hat die vollständigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen im vorliegenden Verfahren vorgelegt.

19. Die beschränkende Klausel hält, so wie sie die Beklagte behauptet, der Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 2 Ziff 2 BGB nicht stand. Die Klausel benachteiligt die Klägerin, weil sie wesentliche Rechte, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.

20. Der Vertragstyp, den die Beklagte anbietet, ist im BGB nicht geregelt. Es handelt sich um einen „Sparvertrag“ der besonderen Art, der mit einem Reisevermittlungsvertrag verknüpft ist. Das bedeutet, und wurde ja auch von den Parteien ca. 10 Jahre so praktiziert, dass die Klägerin „Sparleistungen“ erbringt, die zweckgebunden für eine Reisebuchung bei der Beklagten verwendet werden sollen. Die Ansparleistung wird dabei nicht mit jährlichen Zinsen verzinst sondern die Gegenleistung der Beklagten auf die Einzahlungen bestand in einer Einmalleistung, nämlich der wertmäßig höheren Gutschrift von Reisewerten. Diese Mehrleistung berücksichtigt die Verzinsung des bei der Beklagten befindlichen Guthabens der Klägerin und eine eventuelle Provision der Beklagten, bei einer Reisebuchung über sie. Die Kunden leisten also Vorauszahlungen auf einen zukünftig fällig werdenden Reisepreis, nehmen dafür in Kauf keine banküblichen Zinsen zu erhalten weil ihnen ein „Rabatt“ auf den Reisepreis in Aussicht gestellt wird.

21. Die Beschränkung der Anrechnung auf 10% der Reisewerte durch die Allgemeine Geschäftsbedingung bzw. 20% durch die Beklagte in diesem Verfahren stellt eine unangemessene Abweichung von diesem Vertragszweck dar.

22. Die von der Beklagten jetzt aufgrund ihrer wirtschaftlichen Schwierigkeiten praktizierte Handhabung führt dazu, dass die Kunden ihre Reise faktisch fast doppelt bezahlen müssen. Sie zahlen zunächst für die Reisewerte und müssen dann die Reise noch einmal bezahlen. Erstattet werden dann nur 10 % des Reisepreises, sodass 90 % weiter bei der Beklagten verbleiben. Da ja, ohne Kündigung, weiter Ansparungen vorgenommen werden, würden die Kunden gar nicht in der Lage sein, ihr „Guthaben“ an Reisewerten je abzureisen. Dies wäre allenfalls dann möglich wenn sie sehr schnell hintereinander Reisen buchen ohne dass weitere Ansparungen bei der Beklagten erfolgten.

23. Dies ist eine unangemessene Benachteiligung. Auch auf Seiten der Beklagten sind keinerlei Interessen, mit Ausnahme der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, erkennbar die ein solches Verfahren rechtfertigen. Die Zahlungen der Kunden an die Beklagte stellen letztendlich Zahlungen von Fremdgeld an die Beklagte dar. Das Geld der Kunden müsste bei der Beklagten ja treuhänderisch vorhanden sein. Letztendlich muss die Beklagte aus „eigenem Geld“ nur die Differenz zwischen der Einzahlung und der vereinbarten Reisewertgutschrift, aufbringen. Auch wenn die Konten bei der Beklagten nicht in Euro geführt werden, sondern in Reisewerten, ändert dies nichts daran, dass es sich wirtschaftlich um Guthaben bei der Beklagten handelt, die den Kunden in voller Höhe zustehen. Dass dann keine Auszahlung in bar erfolgen kann sondern jeweils eine Verrechnung mit Reisepreisen stellt nur eine Auszahlungsmodalität dar. Die Beklagte ist weder befugt, diese Gelder zur Bezahlung von anderen Reisen anderer Kunden zu benutzen noch zum Bestreiten von Verwaltungskosten oder anderer Ausgaben. Hierfür besteht auch gar keine Notwendigkeit, da die Beklagte durch die Vermittlung der Reisen durch sie oder eine ihrer „Partnerunternehmen“ Einnahmen aus Provisionen durch die Reiseveranstalter hat und sie zusätzlich auch die Zinseinnahmen aus allen Guthaben hat. Aus diesen beiden Einnahmequellen hat die Beklagte ihre Geschäftsunkosten und den Buchungsvorteil der Kunden zu finanzieren. Dass dies bei heute bekanntermaßen sehr niedrigen Zinsen und sinkenden Vermittlungsprovisionen schwieriger geworden ist, ändert an der vertraglichen Verpflichtung der Beklagten nichts. Sie hat ja vorliegend schon darauf reagiert und vertraglich eine niedrigere Gutschrift auf die Einzahlung vereinbart.

24. Deshalb ist eine

Beschränkung der Anrechnung zumindest auf weniger als die eingezahlten Beträge, wahrscheinlich auch auf weniger als die versprochene Gegenleistung von Reisewerten gemäß § 307 BGB unwirksam. Wegen des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion kann die Klausel auch nicht in einem maximal möglichen Umfange aufrecht erhalten bleiben.

25. Nach den vertraglichen Abreden besteht aber nur ein Anspruch auf Auszahlung bzw. Anrechnung der Reisewerte in Höhe der Kosten der gebuchten Reise, maximal in Höhe der zum Zeitpunkt der Reisebuchung vorhandenen Reisewerte.

26. Soweit die Klägerin deshalb hier die Auszahlung eines vermeintlich vorhandenen höheren Guthabens verlangt, war die Klage abzuweisen. Nach den vertraglichen Abreden zwischen den Parteien stand der Klägerin nur ein Anspruch auf Anrechnung auf einen Reisepreis zu und nicht auf Auszahlung eines Guthabens.

27. Die Zinsentscheidung beruht auf §§ 280, 286 ZPO. Die Beklagte schuldet der Klägerin auch gemäß § 280 BGB wegen ihres pflichtwidrigen Verhaltens die Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten. Diese waren vorliegend nicht zu reduzieren, da ein Gebührensprung nicht vorliegt. Die Klägerin hat nachgewiesen, einen Teil des Honorars in Höhe der Selbstbeteiligung der Rechtsschutzversicherung selbst gezahlt zu haben, im Übrigen besteht ein Freistellungsanspruch.

28. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.

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