Kein Mitverschulden bei Umsteigen

OLG Frankfurt: Kein Mitverschulden bei Umsteigen

Ein Reisender verpasste seinen Flug, weil das ihm von seiner Airline genannte Gate nicht dem tatsächlichen Abflugort entsprach. Er fordert nun die Kosten für den von ihm in Anspruch genommenen Ersatzflug erstattet zu bekommen. Die Airline weigert sich der Zahlung, besteht aber zumindest auf ein häftiges Mitverschulden des Klägers, weil dieser die erforderlichen Informationen nicht selbstständig eingeholt hatte.

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat dem Klägerbegehren vollumfänglich entsprochen. Der Ausgleichsanspruch wegen des verpassten Fluges liege unstreitig vor. Ein Mitverschulden treffe den Kläger vor dem Hintergrund nicht, dass die Aufklärung über den genauen Abflugort Teil der Leistungspflicht der Airline war.

OLG Frankfurt 19 U 57/05 (Aktenzeichen)
OLG Frankfurt: OLG Frankfurt, Urt. vom 05.08.2005
Rechtsweg: OLG Frankfurt, Urt. v. 05.08.2005, Az: 19 U 57/05
LG Konstanz, Urt. v. 11.03.2005, Az: 2 O 354/04
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Oberlandesgericht Frankfurt

1. Urteil vom 05. August 2005

Aktenzeichen: 19 U 57/05

Leitsatz:

2. Eine Airline muss den Fluggästen den genauen Ort des Abfluges unmittverständlich mitteilen.

Zusammenfassung:

3. Ein Reisender buchte bei einer Airline einen Flug von Johannisburg nach Frankfurt. Im Vorfeld wurde ihm mitgeteilt, dass er seine Bordkarte am Flughafen in Johannisburg am Schalter der entsprechenden Airline abholen könne. Da der Flug im Rahmen eines code-sharing Programms nicht von der Airline selbst, sondern von einem anderen Unternehmen ausgeführt wurde, konnte ihm die Mitarbeiter am Schalter der beklagten Airline nicht weiterhelfen. Bis der Reisende schließlich zum zuständigen Schalter geschickt wurde, war sein Flug bereits gestartet.
Für den von ihm ersatzweise gebuchten Flug mit einer anderen Airline verlangt der Kläger nun eine Ausgleichszahlung. Das Lustfahrtunternehmen weigert sich jedoch der Zahlung. An dem entstandenen Missverständnis treffe sie kein Verschulden. Zumindest aber treffe den Kläger ein Mitverschulden, weil dieser sich über die konkrete Ausführung des Fluges hätte informieren müssen.

Das Oberlandegericht Frankfurt hat dem Kläger Recht zugesprochen. Ein Anspruch auf Zahlung einer Ausgleichsleistung wegen Nichtbeförderung stehe dem Kläger nach Art. 7 der Fluggastrechte Verordnung unstreitig zu.
Ein Mitverschulden des Reisenden im Sinne von §254 I BGB könne im konkreten Fall jedoch nicht angenommen werden. In der Aufgabe, den Reisenden über die genauen Modalitäten des Fluges aufzuklären, sei eine wesentliche Nebenleistungspflicht der Fluggesellschaft aus dem Beförderungsvertrag zu sehen. Dieser sei die Airline hier nur unzureichend nachgekommen.

Zwar hätte der Kläger sich über die genauen Umstände des Fluges informieren können, dies hätte im Ergebnis aber nicht zu einem Entfall des Schadens geführt, da die entstandene Verzögerung hauptsächlich auf die mangelhafte Arbeit der Angestellten der Airline zurückzuführen sei.
Im Ergebnis stehe der geltendgemachte Ausgleichsanspruch dem Kläger deshalb in voller Höhe zu.

Tenor:

4. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 26. Zivilkammer des LGs Frankfurt am Main vom 27. Januar 2005 abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, über den vom LG ausgeurteilten Betrag von 7.625,57 € nebst Zinsen hinaus an den Kläger weitere 2.541,86 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 24.1.2004 zu zahlen.

Die Anschlussberufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision ist nicht zugelassen.

Gründe:

5. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung hat in der Sache Erfolg. Die Anschlussberufung hingegen ist unbegründet.

6. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger auch den weiteren Schaden zu ersetzen, der ihm dadurch entstanden ist, dass er am 4. September 2003 einen Ersatzflug von Johannisburg nach Frankfurt buchen musste.

7. Die Annahme einer Pflichtverletzung der Beklagten aus dem mit dem Kläger abgeschlossenen Beförderungsvertrag nach §§ 241 Abs. 1, 280, 281 BGB ist in der Berufungsinstanz nicht streitig und wird von der Beklagten auch mit der Anschlussberufung nicht angegriffen. Das gilt auch hinsichtlich der Schadenshöhe. Die Parteien streiten allein über die Frage, ob den Kläger ein Mitverschulden nach § 254 Abs. 1 BGB trifft (Berufung des Klägers) sowie um die Höhe eines etwaigen Mitverschuldens, das die Beklagte mit ihrer Anschlussberufung mit 50% als angemessen bewertet sieht.

8. Das LG hat dem Kläger zu Unrecht ein Mitverschulden des Klägers in Höhe einer Quote von 25 % zur Last gelegt.

9. Es ist bereits zweifelhaft, ob dem Kläger ein nach § 254 BGB zu berücksichtigendes Verschulden allein deshalb vorzuwerfen ist, weil er bei Ankunft auf dem Flughafen in Johannisburg sich nicht durch Blick auf die Anzeigetafel in der Abflughalle darüber erkundigt hat, an welchem Schalter der Flug, der im Rahmen eines sog. „code-sharing“ – Systems nicht von der Beklagten selbst, sondern von der X betrieben wurde, abgefertigt wird.

10. Dem Kläger wurde, wie die Beweisaufnahme ergeben hat, von einer Mitarbeiterin der Beklagten am Flughafen in Durban mitgeteilt, er könne die Bordkarten für den Weiterflug von Johannisburg nach Frankfurt am Schalter der Beklagten im Flughafen Johannisburg abholen. Auf diese Information durfte sich der Kläger verlassen. Selbst ein Blick auf die Anzeigetafel hätte auf der Grundlage dieser Auskunft den Kläger im Übrigen nicht zwingend veranlassen müssen, sich am X-Schalter anzustellen, um die Bordkarten zu erhalten. Wie die Beklagte selbst eingeräumt hat, bestehen bei „code-sharing“-Flügen unterschiedliche Handhabungen und ist mitunter durchaus auch ein Einchecken am Schalter der gebuchten Fluglinie möglich. Daher konnte auch der Kläger als Vielflieger auf Grund der Auskunft der Mitarbeiterin der Beklagten trotz eines auf der Anzeigetafel befindlichen Hinweises auf die X-Schalter – dessen Vorhandensein zu Gunsten der Beklagten unterstellt werden kann – durchaus davon ausgehen, zumindest auch am Schalter der Beklagten einchecken zu können. Dann aber kann dem Kläger auch kein Mitverschuldensvorwurf gemacht werden. Darauf, ob den Flugreisenden trotz Hinweises von Mitarbeitern der gebuchten Fluglinie auf den Abfertigungsschalter eine grundsätzliche Pflicht trifft, sich auf der Anzeigetafel über den Abfertigungsschalter zu vergewissern, kommt es nach alledem nicht an.

11. Aber selbst dann, wenn man mit dem LG dem Kläger vorwerfen wollte, sich nicht durch Blick auf die Anzeigentafel über den Abfertigungsschalter erkundigt zu haben, wäre dieses Fehlverhalten nicht kausal geworden für den entstandenen Schaden.

12. Auf Grund der Beweisaufnahme steht fest, dass sich der Kläger so rechtzeitig am Business-Class-Schalter der Beklagten eingefunden hatte, dass er bei sachkundiger Betreuung durch die Mitarbeiterin der Beklagten noch so rechtzeitig am X-Schalter gewesen wäre, dass ein Einchecken noch hätte erfolgen können. Die Zeugin Z1 hat in ihrer Zeugenaussage den Vortrag des Klägers bestätigt, wonach er wegen fehlender Kenntnisse der Schaltermitarbeiterin nahezu eine halbe Stunde am Business-Class-Schalter der Beklagten zugebracht hat, bevor er von der Mitarbeiterin der Beklagten den Hinweis erhielt, dass die Abfertigung des Fluges am X-Schalter erfolgen würde. In diesem Verhalten der Mitarbeiterin der Beklagten ist eine weitere Pflichtverletzung zu sehen, die sich die Beklagte zurechnen lassen muss.

13. Von Schaltermitarbeitern kann der Fluggast erwarten, dass diese darüber informiert sind, an welchem Schalter die bei der eigenen Fluglinie gebuchten Flüge abgefertigt werden, jedenfalls, dass sie dies zeitnah in Erfahrung bringen können. Insbesondere kann erwartet werden, dass die Mitarbeiter über die Schalterabfertigungen, wie sie auch an der Anzeigetafel aufgeführt sind, informiert sind, soweit es um ihre eigenen Fluggäste geht. Auch für die Mitarbeiterin der Beklagten hätte zweifellos ein Blick auf die Anzeigetafel hinreichende Klarheit über den Abfertigungsschalter bringen können, wenn sie nicht – was aber erwartbar gewesen wäre – bereits auf Grund entsprechender Instruktionen durch die Beklagte hinsichtlich der Handhabung bei „code-sharing“-Flügen ihrer Fluggesellschaft über die erforderlichen Informationen verfügte. Hätte aber die Mitarbeiterin der Beklagten den Kläger innerhalb kürzester Zeit auf die Abfertigung des Fluges am X-Schalter hingewiesen, wäre dem Kläger, der jedenfalls ab 18.20 Uhr am Business-Schalter der Beklagten von einer Mitarbeiterin bedient wurde, ein rechtzeitiges Einchecken vor der um 18.30 Uhr erfolgten Schließung des X-Schalters noch möglich gewesen und das etwaige Versäumnis des Klägers, nicht auf die Anzeigetafel des Flughafens zu sehen, hätte sich nicht ausgewirkt.

14. In jedem Falle aber wöge ein etwaiges Fehlverhalten des Klägers gegenüber den Pflichtverletzungen der Mitarbeiter der Beklagten so gering, dass es unbillig wäre, dem Kläger einen Mitverschuldensvorwurf nach § 254 Abs. 1 BGB zu machen.

15. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

16. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat seine Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

17. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern.

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