Nachtflugverbot – außergewöhnlicher Umstand

AG Rüsselsheim: Nachtflugverbot – außergewöhnlicher Umstand

Die Kläger nahmen eine Fluggesellschaft auf Ausgleichszahlung, wegen Flugverspätung und einer anderweitigen Beförderung, in Anspruch. Die Beklagte weigerte sich der Zahlung.

Das AG Rüsselsheim hat den Klägern die Zahlung zugesprochen und entschieden, dass eine Nachtflugbeschränkung einen außergewöhnlichen Umstand darstellt.

AG Rüsselsheim 3 C 729/13 (36) (Aktenzeichen)
AG Rüsselsheim: AG Rüsselsheim, Urt. vom 29.10.2013
Rechtsweg: AG Rüsselsheim, Urt. v. 29.10.2013, Az: 3 C 729/13 (36)
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Amtsgericht Rüsselsheim

1.  Urteil vom 23.10.2013

Aktenzeichen: 3 C 729/13 (36)


Leitsätze:

2. Ein Nachtflugverbot begründet einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 5 der EG-Verordnung 261/2004.

Verspätet sich ein Flug aufgrund eines technischen Defekts und eines außergewöhnlichen Umstands, so ist das Luftfahrtunternehmen nicht von der Haftung befreit, da die Ursache für die Verspätung nicht allein auf den außergewöhnlichem Umstand zurückgeführt werden kann.


Zusammenfassung:

3. Die Kläger buchten bei der Beklagten einen Flug von Jerez de la Frontera nach Frankfurt am Main. Am Startflughafen startete die Maschine mit einer Verspätung, die auf einen technischen Defekt am Vorflug zurückzuführen ist. Aufgrund der Abflugsverspätung konnte die Maschine den Flughafen in Frankfurt am Main nicht anfliegen da dort bereits das Nachtflugverbot begonnen hat. Der Flug wurde nach Köln umgeleitet. Die Kläger begehren von der Beklagten eine Ausgleichszahlung wegen der Ankunftsverspätung im Sinne des Art. 7 der EG-Verordnung 261/2004. Die Beklagte weigert sich der Zahlung und begründet ihre Entscheidung damit, dass ein Nachtflugverbot ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 5 der EG-Verordnung 261/2004 sei.

Das Amtsgericht Rüsselsheim hat den Klägern die begehrte Ausgleichszahlung jedoch zugesprochen. Zwar ist ein Nachtflugverbot ein außergewöhnlicher Umstand, jedoch müsste das Nachtflugverbot der einzige Grund für die Verspätung sein, um die Beklagte von der Haftung zu befreien. Im vorliegenden Fall ist die Flugverspätung jedoch auch auf einen technischen Defekt zurückzuführen, welcher keinen außergewöhnlichen Umstand begründet.


Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger jeweils 400,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09. 01. 2013 zu zahlen.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Kläger 120,67 EUR vorgerichtliche Kosten zu zahlen.

Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Kläger nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Tatbestand:

5.  Die Parteien streiten über Ausgleichsansprüche nach der EG-Verordnung 261/2004 (nachfolgend VO) infolge von Flugverspätungen sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren.

6. Die Kläger buchten für den 19. 10. 2012 um 19:30 Uhr einen Flug von Jerez de la Frontera nach Frankfurt (Flug …), den die Beklagte darstellen sollte. Obwohl sich die Kläger rechtzeitig am Abflughafen eingefunden hatten, startete die Maschine erst gegen 22:30 Uhr, da sie wegen eines technischen Defekts im Rahmen des unmittelbaren Vorfluges verspätet in Jerez ankam. Aufgrund des in Frankfurt begonnen Nachtflugverbots und wurde die Maschine abweichend von der ursprünglichen Flugplanung nach Köln umgeleitet, wo sie gegen 01:20 Uhr landete. Die Kläger wurden sodann mit per Bus nach Frankfurt gebracht, wo sie gegen 4:45 Uhr am Folgetag eintrafen. Die Flugentfernung betrug mehr als 1.500 km.

7. Die Kläger forderten die Beklagte vorgerichtlich mit Schreiben vom 22. 10. 2012 zur Zahlung von Ausgleichsansprüchen auf, was die Beklagte mit Schreiben vom 06. 11. 2012 ablehnte.

8. Mit Schreiben vom 19. 12. 2012 mahnte die Prozessbevollmächtigte der Kläger bei der Beklagten nochmals die Ausgleichszahlung sowie die Erstattung vorgerichtlicher Gebühren in beantragter Höhe binnen zwei Woche an.

9. Die Kläger behaupten, dass ihnen ein Schaden in Höhe von 120,67 EUR in Form von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten entstanden sei.

10. Sie sind der Auffassung, dass die Ursache für die streitgegenständliche Verspätung nicht im Nachtflugverbot- das überdies keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der VO darstelle zu sehen sei, sondern vielmehr in dem die Verspätung des Vorfluges auslösenden technischen Defekt. Zudem habe die Beklagte versäumt, rechtzeitig eine Ersatzmaschine zur Verfügung zu stellen.

11. Die Kläger beantragen,

12. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) einen Betrag in Höhe von 400,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09. 01. 2012 zu zahlen,

13. an den Kläger zu 2) einen Betrag in Höhe von 400,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09. 01. 2012 zu zahlen,

14. Mahnkosten in Höhe von 120,67 EUR an die Kläger zu 1) und zu 2) zu zahlen.

15. Die Beklagte beantragt,

16. die Klage abzuweisen.

17. Die Beklagte beruft sie sich zur Entlastung auf das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes. Die Verspätung bzw. Umleitung des streitgegenständlichen Fluges sei auf die in Frankfurt geltende Nachtflugbeschränkung zurückzuführen gewesen. Ohne diese hätte die (fiktive) Ankunftsverspätung in Frankfurt deutlich unter 3 h betragen- und damit keine Ausgleichsansprüche ausgelöst-, da die Maschine den Flughafen Köln- Bonn mit einer Verspätung von lediglich 2 h 52 min. erreicht habe, die Flugstrecke dorthin vom Ausgangsflughafen aber länger sei, als die nach Frankfurt.

18. Des Weiteren erklärt sie die Anrechnung gemäß Art. 12 VO bezüglich Zahlungen Dritter.

19. Hinsichtlich der klägerseits beantragten Rechtsanwaltsgebühren bestreitet die Beklagte schließlich den Schaden der Kläger, die ordnungsgemäße Rechnungsstellung sowie die Bezahlung aus Mitteln der Kläger. Die Kläger hätten überdies mit der vorgerichtlichen Beauftragung ihrer Prozessbevollmächtigten gegen ihre Schadenminderungspflicht verstoßen. Vielmehr hätte umgehend Klage erhoben werden müssen, da die Beklagte die klägerischen Ansprüche zuvor ernsthaft und endgültig zurückgewiesen habe.

20. Das Gericht hat durch Beschluss vom 05. 06. 2013 Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen …. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 28. 08. 2013 (Bl. 34 f. d. A.) Bezug genommen.

21. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Schriftwechsel der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

22. Die Klage ist zulässig und begründet.

23. Die Kläger können Ausgleichszahlungen in tenorierter Höhe beanspruchen.

24. Hierbei konnte offen bleiben, ob es sich vorliegenden um einen Fall der Flugverspätung oder der (faktischen) Annullierung handelt. Gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c) i. V. m. Art. 7 Abs. 1 lit. c) VO ist einem Passagier im Falle der Annullierung eines Fluges ein Ausgleichsbetrag in Höhe von 600,00 EUR auszuzahlen. Gemäß der Legaldefinition des Art. 2 lit. I) VO liegt eine Annullierung im Fall der Nichtdurchführung eines geplanten Fluges vor, für den zumindest ein Platz reserviert war. Vorliegend wurde der Flug nicht wie geplant von Jerez de la Frontera nach Frankfurt, sondern vielmehr nach Köln- Bonn durchgeführt. In der Aufgabe der geplanten Flugroute kann eine Annullierung gesehen werden, da infolgedessen der ursprünglich geplante Flug gerade nicht durchgeführt wird. Dass dem keine ausdrückliche Annullierungsentscheidung des Luftfahrtunternehmens vorausging, ist unschädlich.

25. Der Anspruch der Kläger kann überdies auf Verspätungsgesichtspunkte gestützt werden. Nach Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 19.11.2009 sowie vom 26. 02. 2013 sind die Art. 5, 6 und 7 VO dahingehend auszulegen, dass die Passagiere verspäteter Flüge hinsichtlich der Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Passagieren annullierter Flüge gleichzustellen sind, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von 3 h oder mehr erleiden, ihr Ziel also nicht früher als 3 h nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen (EuGH, Entscheidung vom 19. 11. 2009, Az. C-402/07 sowie vom 26. 02. 2013, Az. C-11/11; vgl. auch BGH, Entscheidung vom 18. 02. 2010, Az. Xa ZR 95/06). Die Kläger können die Ausgleichszahlung beanspruchen, da sie ihr Ziel später als 3 h nach der geplanten Ankunftszeit erreicht haben.

26. Der Anspruch ist auch nicht gemäß Art. 5 Abs. 3 VO ausgeschlossen. Hiernach ist ein ausführendes Luftfahrtunternehmen zur Ausgleichsleistung nicht verpflichtet, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung (Verspätung) auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Zwar ist im Nachtflugverbot nach Auffassung des erkennenden Gerichts grundsätzlich ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne der genannten Vorschrift zu sehen. Vorliegend ist diese jedoch nicht kausal für die anspruchsauslösende Annullierung beziehungsweise Verspätung geworden. Hiervon könnte nur ausgegangen werden, wenn sich der Nachweis führen ließe, dass ausschließlich wegen des Eintritts des Nachtflugverbots der „haftungsfreie“ Zeitraum von 3 h überschritten beziehungsweise die Umleitung des Fluges vorgenommen worden wäre, so dass sich andere Gründe der Verzögerung, hinsichtlich derer sich das Unternehmen nicht entlasten kann- wie vorliegend der infolge eines technischen Defekts auf dem Vorflug verzögerte Start-, letztlich nicht ausgewirkt hätten.

27. Die diesbezüglich beweisbelastete Beklagte ist beweisfällig geblieben.

28. Zwar hat der in der mündlichen Verhandlung vom 28. 08. 2013 vernommene Zeuge … ausgesagt, dass die Maschine ohne das Nachtflugverbot mit einer Ankunftsverspätung von weniger als 3 h hätte landen können. Die Angaben des Zeugen im Einzelnen waren jedoch zu einer vollständigen diesbezügliche Überzeugungsbildung des Gerichts nicht geeignet. Der Flug sei, so die Aussage des Zeugen, entgegen der ursprünglichen Planung nicht um 17:30 Uhr (UTC), sondern vielmehr um 20:57 Uhr in Jerez gestartet und anstatt planmäßig um 20:30 Uhr tatsächlich um 23:22 Uhr in Köln gelandet. Unter Zugrundelegung dieser Ankunftszeit in Köln könne davon ausgegangenen werden, dass eine Ankunft in Frankfurt vor 23:30 Uhr darstellbar gewesen wäre. Wäre nämlich eine Ausnahmegenehmigung für die Landung in Frankfurt erteilt worden, hätte man in Jerez versucht, den Flug beschleunigt abzufertigen, was nur angesichts der eben unterbliebenen Genehmigungserteilung unterblieben sei. Wie lange die beschleunigte Abfertigung gedauert hätte, welche Zeitersparnis also durch eine schlicht andere Arbeitsweise eingetreten wäre, konnte der Zeuge allerdings nicht angeben. Auch die rein objektiven Parameter wie Distanz und Fluggeschwindigkeit sprachen nach Auffassung des erkennenden Gerichts nicht mit der ausreichenden Sicherheit für eine fiktive Ankunftsverspätung von unter 3 h. Zwar hat der Zeuge ausgesagt, zwischen den Flügen Jerez- Frankfurt und Jerez- Köln läge eine Differenz von nicht einmal 10 Minuten.

29. Dennoch konnte im Rahmen der Beweisaufnahme weder geklärt werden, welche konkrete Strecke nach Frankfurt geflogen worden wäre, noch, inwieweit die Flugstrecke Jerez- Frankfurt von der Jerez- Köln hinsichtlich ihrer Distanz abweicht, so dass Restzweifel an der Behauptung der Beklagten nicht ausgeräumt werden konnten.

30. Eine Anrechnung etwaiger Zahlungen eines Dritten nach Art. 12 VO ist nicht durchzuführen. Der diesbezügliche Vortrag der Beklagten ist unsubstantiiert. Der Vortrag der Beklagten erfolgt ersichtlich ins Blaue hinein und ist nicht zu berücksichtigen, da überhaupt keine konkreten Anhaltspunkte für solche Zahlungen mitgeteilt werden.

31. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280, 286, 288 Abs. 1 BGB. Der Ausgleichsanspruch wird unmittelbar fällig. Die Beklagte befand sich spätestens seit der Zurückweisung der klägerseits geltend gemachten Ansprüche am 06. 11. 2012 im Schuldnerverzug. Ein Verschulden wird gemäß § 286 Abs. 4 BGB vermutet.

32. Die Klägerseite kann Ersatz der vorgerichtlichen Anwaltskosten in angemessener Höhe als Verzugsschaden verlangen, §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB. Bei Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerseite war die Beklagte mit der Leistung der Ausgleichszahlungen wie soeben ausgeführt- bereits im Verzug.

33. Auch ein ersatzfähiger Schaden liegt vor. Die Beklagte hat zwar in substantiierter Weise mit Nichtwissen bestritten, dass die Klägerseite die vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren gezahlt hat und ihr hieraus ein Schaden entstanden ist. Auf eine Beweisaufnahme kommt es vorliegend jedoch nicht an. Die Belastung der Klägerseite mit der Gebührenforderung ihrer Prozessvertreter unabhängig davon, ob diese von der Klägerseite gezahlt wurde oder nicht – stellt hier einen ersatzfähigen Schaden im Sinne des § 249 ff. BGB dar. Der anfängliche Anspruch auf Naturalrestitution (Freistellung) nach § 249 BGB ist gemäß § 250 BGB in einen Ersatzanspruch übergegangen, da die Beklagte auf die auch diesbezügliche Fristsetzung der Klägervertreterin vom 19. 12. 2012 nicht geleistet hat.

34. Unerheblich ist schließlich auch, dass die Beklagte die Ansprüche der Klägerseite vorgerichtlich bereits abgelehnt hatte. Nach hiesiger Auffassung war die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten durch die Klägerseite aus ex-ante-Sicht zweckmäßig und nicht schlechterdings aussichtslos, da nach allgemeinen Erfahrungssätzen die vorgerichtliche Beauftragung eines Rechtsanwalts auch dann erfolgversprechend ist, wenn die Gegenseite geltend gemachte Ansprüche bereits abgelehnt hatte.

35. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

36. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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