Flugannullierung und nutzlos aufgewendete Urlaubszeit

AG Frankfurt: Flugannullierung und nutzlos aufgewendete Urlaubszeit

Eine Flugreisende forderte Schadensersatz wegen der Annullierung eines Fluges und in der Folge vertaner Urlaubszeit.

Das Amtsgericht Frankfurt erachtete die Klage für unbegründet, da außergewöhnliche Umstände in Form starken Schneefalls vorlagen.

AG Frankfurt 31 C 1093/07 (Aktenzeichen)
AG Frankfurt: AG Frankfurt, Urt. vom 17.07.2007
Rechtsweg: AG Frankfurt, Urt. v. 17.07.2007, Az: 31 C 1093/07
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Amtsgericht Frankfurt

1. Urteil vom 17. Juli 2007

Aktenzeichen 31 C 1093/07

Leitsätze:
2. Ausgleichsansprüche für die Annullierung eines Fluges bestehen allein gegen den vertragsgemäßen Luftfrachtführer.

Extremer Schneefall begründet außergewöhnliche Umstände.

Die Erschöpfung der Vorräte an Enteisungsflüssigkeit sind kein Organisationsverschulden.

Das Fehlen einer Ersatzcrew ist kein Organisationsverschulden.

Schadensersatzansprüche für vertane Urlaubszeit gemäß § 651f Abs. 2 BGB sind bei Luftbeförderungsverträgen nicht anwendbar.

Zusammenfassung:
3. Die Klägerin forderte von zwei Parteien Schadensersatz aufgrund der Annullierung ihres Fluges und dadurch vertane Urlaubszeit. Sie warf der Beklagtenseite Organisationsverschulden vor, da die Enteisungsflüssigkeit ausgegangen war und für die durch die Verzögerung nicht mehr einsatzfähige Crew kein Ersatz bereitstand.

Das Amtsgericht Frankfurt wies die Klage gegen die erste Beklagte ab, da diese nicht ausführender Luftfrachtführer laut Vertrag war und allein gegen jenen Ausgleichsansprüche geltend gemacht werden können. Die zweite Beklagtenpartei konnte sich erfolgreich auf außergewöhnliche Umstände berufen, welche in extremem Schneefall bestanden. Entgegen der Ausführungen der Klägerin sah das Gericht kein Organisationsverschulden im Mangel von Enteisungsflüssigkeit und Ersatzcrew. Für die vertane Urlaubszeit besteht über dies  kein Anspruch auf Schadensersatz, da § 651f Abs. 2 BGB bei Luftbeförderungsverträgen nicht anwendbar ist. Somit wurde die Klage insgesamt abgewiesen.

Tenor:

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand:

5. Die Klägerin buchte bei der Beklagten zu 2) einen Flug für den 03.03.2006 von F über T und V nach K. Geplante Abflugszeit in F war 13:30 Uhr, geplante Ankunftszeit in K 21.55 Uhr. Die Klägerin wollte in S vom 3.-​10.3.2006 einen Skiurlaub verbringen. Für die Gruppe von insgesamt fünf Reisenden war ein Apartment zum Preis von CAD 7.014,82 gebucht, in diesem Preis war auch der Skipass enthalten.

6. Der Flug sollte von F bis T durch die Beklagte zu 1) unter der Codenummer AC 9105/LH 470 durchgeführt werden.

7. An diesem Tag herrschte am F Flughafen starker Schneefall, es fielen 20 cm Neuschnee. Die Flugzeuge mussten vor dem Start enteist werden. Es wurden an diesem Tag insgesamt mehr als 500 Flüge annulliert. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Tagesbericht der Verkehrszentrale, Anlage Bl, Bl. 85-​90 ff. d. A., Bezug genommen.

8. Bezogen auf den Flug der Klägerin ereignete sich folgendes: Erst um 13:30 Uhr erfolgte das Boarding. Erst gegen 19:00 Uhr wurde der Flug freigegeben und rollte Richtung Startbahn. Vor der Startbahn musste die Maschine enteist werden. Um 20:30 Uhr teilte der Pilot mit, dass die Enteisungsflüssigkeit ausgegangen sei und die Crew die erlaubte Arbeitszeit überschreiten werde, falls nun noch gestartet werde. Die Passagiere, darunter die Klägerin, mussten das Flugzeug wieder verlassen. Der Flug wurde sodann annulliert.

9. Die Klägerin erhielt in der Nacht eine Stand-​by Option für einen Flug am 04.03.2006 um 12:25 Uhr. Dieser Flug wurde planmäßig durchgeführt.

10. Bei Ankunft in V stellte sich heraus, dass das Gepäck der Klägerin nicht mitbefördert worden war. Die Klägerin versorgte sich vor Ort mit mit den nötigsten Ersatzutensilien. Die hierfür aufgewendeten CAD 92,28 wurden von der Beklagten zu 1) ausgeglichen.

11. Am 06.03.2006 gegen 22:00 Uhr wurde der erste Koffer an die Klägerin ausgeliefert, am 07.03.2006 das Snowboard und die Stiefel.

12. Mit der Klage begehrt die Klägerin

13. – eine Entschädigung von EUR 600,00 nach Art. 5, 7 EG-​VO Nr. 261/04;

14. – ihr nach ihrem Vortrag wegen der Gepäckverspätung zugesagte CAD 100,00, entspricht EUR 71,23;

15. – eine Entschädigung von EUR 729,21 für wegen der aufgrund fehlenden Gepäcks verlorenen drei Urlaubstage;

16. – eine Entschädigung von EUR 150,00 für die im Flugzeug verbrachten acht Stunden sowie die im Flughafen verbrachte Nacht;

17. – Entschädigung für nicht erbrachte Betreuungsleistungen (Verpflegung EUR 40,00, Telefonate EUR 10,00) unter Berücksichtigung bereits von der Beklagten zu 1. geleisteter EUR 25,00;

18. – Entschädigung für den für drei Tage nicht nutzbaren Skipass in Höhe von EUR 75,00.

19. Mit Schreiben vom 04.05.2006 wurden die Ansprüche erstmals gegenüber der Beklagten zu 2. geltend gemacht.

20. Die Klägerin behauptet, es seien nach Annullierung des Fluges keinerlei Unterstützungsleistungen gewährt worden; weder seien Decken ausgegeben, noch Verpflegung angeboten worden.

21. Sie habe sich drei Mahlzeiten (Abendessen, Frühstück und Mittagessen) selbst beschaffen müssen. Die Lounges seien nur teilweise geöffnet worden, im Übrigen seien diese dann sofort überfüllt gewesen, so dass sie die Nacht sitzend auf dem Fußboden verbracht habe.

22. Wegen des verspäteten Gepäcks sei ihr von Mitarbeitern der Beklagten zu 2) eine Pauschalzahlung von CAD 100,00 zugesagt worden.

23. Das ursprünglich angerufene Amtsgerichts Künzelsau hat den Rechtsstreit durch Beschluss vom 24.04.200 an das Amtsgericht Frankfurt am Main verwiesen.

24. Die Klägerin beantragt,

25. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin EUR 1.650,44 nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.06.2006 und als weitere Nebenforderung EUR 138,91 Rechtsanwaltsgebühren zu zahlen.

26. Die Beklagten beantragen,

27. die Klage abzuweisen.

28. Die Beklagte zu 1) beruft sich hinsichtlich der Annullierung des Fluges auf außergewöhnliche Umstände wegen des Schneefalls und der damit verbundenen Umstände.

29. Bereits in den frühem Morgenstunden habe es begonnen zu schneien, die Deutsche Flugsicherung habe die Anzahl der pro Stunde startenden und landenden Flugzeuge teilweise sogar bis auf Null reduziert, was unter anderem zu erheblichen Abflugverspätungen geführt habe. Im Laufe des Vormittags hätten zur Schneeräumung abwechselnd die Start- und Landebahnen geschlossen werden müssen, was die Situation verschärft habe.

30. Die durchschnittliche Enteisungszeit sei wegen des starken Schneefalls von durchschnittlich 11 Minuten auf durchschnittlich 32 Minuten angestiegen, was trotz manueller Vorenteisung und einer zweiten Enteisungsfläche zu weiteren Verzögerungen geführt habe.

31. Ab 13.30 Uhr habe der Flugverkehr wegen der starken Schneefälle zeitweise komplett eingestellt werden müssen.

32. Wegen der auf die Wetterverhältnisse zurückzuführende langen Wartezeit habe die höchstzulässige Flugdienstzeit des Kabinenpersonals des Flugs LH 470 nicht mehr eingehalten werden können, eine Genehmigung des Fluges sei allein aus diesem Grund nicht mehr möglich gewesen.

33. Aufgrund der zahlreichen Annullierungen, Umleitungen und Umlaufveränderungen, die wegen der erheblichen Schneefälle erforderlich geworden seien, habe keine Ersatzcrew mehr bereitgestanden.

34. Es seien sämtliche Lounges geöffnet worden. An den Schaltern der Beklagten zu 1) seien Voucher für Getränke und Essen ausgegeben worden, Decken seien verteilt worden, der Gate-​Service sei bestellt worden. Sämtliche Hotelkontingente für die Fluggäste seien abgerufen worden, wobei teilweise ein Transport in die Hotels an den Wetterbedingungen gescheitert sei.

35. Die Beklagte zu 2) beruft sich gleichfalls auf das am 03.03.2006 herrschende Schneechaos. Im Übrigen sei sie nicht ausführendes Luftfahrtunternehmen im Sinne der EG-​VO Nr. 261/2004.

36. Wegen weiterer Einzelheiten des Vortrags der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

37. Die Klage ist unbegründet.

38. Die Klägerin hat keine Ansprüche auf Zahlung der Entschädigungsleistung nach EG-​VO Nr. 261/2004.

39. Hinsichtlich der Beklagten zu 2) ist der Anspruch bereits ausgeschlossen, da diese nicht ausführender Luftfrachtführer ist. Ausführender Luftfrachtführer ist nach Art. 2 lit. b der EG-​VO Nr. 261/2004 das Luftfahrtunternehmen, das im Rahmen eines Vertrages mit einem Fluggast oder im Namen einer anderen natürlichen oder juristischen Person, die mit dem betreffenden Fluggast in einer Vertragsbeziehung steht, einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt. Durchführendes Luftfahrtunternehmen war jedoch die Beklagte zu 1), nicht die Beklagte zu 2)

40. Hinsichtlich der Beklagten zu 1) liegen die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung vor. Die Beklagte zu 1) konnte nachweisen, dass die Annullierung des Fluges LH 470 auf außergewöhnliche Umstände zurückging, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

41. Letztendlich ist die Annullierung auf den extremen Schneefall zurückzuführen. Zu den Wetterbedingungen im Einzelnen hat die Beklagte zu 1) unter Vorlage von Presseberichten und des Tagesberichts der Verkehrszentrale substantiiert vorgetragen, ohne dass die Klägerin diese Fakten im einzelnen bestritten hätte.

42. Soweit die Klägerin nunmehr argumentiert, dass das Ausgehen der Enteisungsflüssigkeit ein Organisationsverschulden der Beklagten zu 1) darstelle, kann dem nicht gefolgt werden. Die Enteisung erfolgte nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien vor der Start- und Landebahn, demnach mittels Tankwagen. Dass bei der fortlaufenden Enteisung der wartenden Flugzeuge an einem bestimmten Punkt der Vorrat in diesen Tankwagen sich von Zeit zu Zeit erschöpft, bedarf keiner näheren Darlegung. Was genau die Beklagte zu 1) hiergegen hätte unternehmen können, zumal die Enteisung nicht von der Beklagten zu 1) selbst, sondern von einer vom Flughafenbetreiber vorgegebenen Firma, nämlich der N Ice, durchgeführt wurde, ist nicht ersichtlich. Aus welchen Gründen gerade der Flug LH 470 hier eine Vorzugsbehandlung hätte erwarten dürfen bzw. wie die Beklagte zu 1) eine solche hätte durchsetzen können, ist nicht ersichtlich.

43. Auch im Nichtvorhandensein einer Ersatzcrew ist kein Organisationsverschulden zu sehen. Die Beklagte zu 1) hat substantiiert vorgetragen, dass sie Ersatzcrews in einer bestimmten Anzahl vorhalte, die jedoch wegen der Situation am 03.03.2006 bereits sämtlich im Einsatz gewesen seien. Aufgrund des Tagesberichts der Verkehrszentrale ist dies unmittelbar nachvollziehbar. Die Stellung einer Ersatzcrew für jeden einzelnen Flug, selbst beschränkt auf Interkontinentalflüge, ist denknotwendig ausgeschlossen und obliegt der Beklagten zu 1) nicht.

44. Auch ein Anspruch auf eine pauschale Zahlung von CAD 100,00 besteht nicht. Hinsichtlich der Beklagten zu 1) ist schon nicht ersichtlich, weshalb sie für eine Zusage, die von Mitarbeitern der Beklagten zu 2) gemacht wurde, einstehen sollte. Hinsichtlich der Beklagten zu 2) fehlt es an einem schlüssigen Vortrag, wer genau wann die entsprechende Zusage machte.

45. Ein Anspruch auf Schadensersatz wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit wegen der verspäteten Anlieferung des Gepäcks besteht nicht. Zwischen den Parteien bestand kein Reise- sondern ein Luftbeförderungsvertrag. § 651 f Abs. 2 BGB ist jedoch mangels planwidriger Regelungslücke auf den Luftbeförderungsvertrag nicht anwendbar, ohne dass es darauf ankommt, ob dem Luftbeförderer klar war, welchem Zweck der Flug dienen sollte. Eine weitere Anspruchsgrundlage ist nicht ersichtlich.

46. Auch ein Anspruch auf Entschädigung in Höhe von EUR 150,00 wegen der acht im Flugzeug verbrachten Wartestunden sowie der im Flughafen verbrachten Nacht scheidet gleichfalls mangels Anspruchsgrundlage aus. Es soll hier nicht verkannt werden, dass die Wartezeit für die Klägerin mit Unannehmlichkeiten verbunden war. Die Voraussetzungen des § 823 Abs. 1 i. V. m. § 253 Abs. 2 BGB liegen jedoch ersichtlich nicht vor, da es sich eben gerade nur um Unannehmlichkeiten handelt. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, wieso acht als Wartezeit im Flugzeug verbrachte Stunden eine größere Unannehmlichkeit bedeuten sollten als acht Flugstunden.

47. Zur mangelnden Anwendbarkeit des § 651 f Abs. 2 BGB wurde bereits ausgeführt.

48. Auch über § 280 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 5 Abs. 1 b, 9 Abs. 1 b EG-​VO Nr. 261/2004 kann kein Ersatz verlangt werden, da die Klägerin keine tatsächlichen Hotelkosten hatte.

49. Auch für die nicht erbrachten Unterstützungsleistungen kann die Klägerin keine weitergehende Entschädigungsleistung verlangen. Die Beklagte zu 1) hat auf diese Position EUR 25,00 geleistet und im übrigen substantiiert dazu vorgetragen, welche Unterstützungsleistungen sie angeboten hat. Nach ihrem eigenen Vortrag hat die Klägerin Unterstützungsleistungen nur bei der Beklagten zu 2) angefragt, welche allerdings nicht als die allein verpflichtete ausführende Luftfrachtführerin anzusehen ist. Zudem hat die Beklagte zu 1) auf diese Position unsreitig bereits EUR 25,00 geleistet.

50. Auch ein Anspruch nach Art. 19 MÜ wegen des für drei Tage nicht nutzbaren Skipasses scheidet aus. Insoweit hat die Klägerin die Frist des Art. 31 Abs. 2 MÜ zur Anzeige der Schäden versäumt. Die Schadensanzeige hat binnen 21 Tagen, nachdem das Gepäck zur Verfügung gestellt wurde, schriftlich zu erfolgen. Sie ist nicht stets automatisch in der Anzeige der Verspätung mitenthalten. Vorliegend wurde das Gepäck am 07.03.2006 ausgeliefert, die Schadensanzeige datiert jedoch erst vom 04.05.2006.

51. Mangels Hauptanspruch hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Verzugszinsen sowie Ersatz der vorgerichtlich angefallenen Anwaltskosten als Verzugsschaden.

52. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziff. 11, 709 S. 2, 711 ZPO.

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